Hot Stuff

Eines Tages ging es los und es ist nicht mehr zu stoppen. Jeden Morgen das gleiche Spektakel: Kaum hebt man den Blondino aus dem Bettchen, stapft er zu seiner Kindergarderobe, fetzt Jacke, Gummihose und was er sonst noch in die Finger bekommt vom Haken und schreit „Krangg!“ (Für Leute, die sich das akustisch vorstellen wollen: Er klingt wie die Chipmunks.).

IMG_3193

Also „Krangg!“. Oft auch gefolgt von dem Befehl: „Dadda!“, mit entgegengetrecktem Anziehzeug. Sicher habt ihr alle sofort geschnallt, was gemeint ist (Natürlich!). Kran, Bagger. Nein, nicht Puppenwagen und Bilderbücher. Auch nicht Stifte und Bildungsspielzeuge wie Puzzles oder Steckspiele. Nichts dergleichen fixt ihn so an wie Baustellen. Kranggs! Große Kranggs!

IMG_3191

(Vielleicht noch ein Badengg. Badenggs, also Müllautos, sind auch cool. Nicht so cool wie Kranggs, aber auch cool. Der beste große Bruder von allen hat neulich während Blondinos Mittagschlafs von seinem Zimmer aus Ankunft, „Action“ und  Abfahrt eines Müllautos gefilmt und wird jetzt ob dieses Filmchens noch mehr als sonst abgöttisch geliebt von seinem Zwergenbruder. Falls das möglich ist.)

IMG_2485

Badengg. Mit Zukunftsprognose.

Ihr müsst wissen, der Blondino hat einen Job (glaubt er): Er ist Baustelleninspekteur. Das nimmt er sehr ernst. Morgens um sechs will er los. Montags bis Sonntags. Auch an Feiertagen. Und ich muss immer mit. Sogar auf nüchternen Magen. Oftmals frühstückt er dann total busy im Baustelleninspektionsfahrzeug eben das, was ihm seine Assistentin so zureicht, vollkommen in seine Aufgabe vertieft. Es ist egal, ob es regnet, stürmt oder stockduster ist (weil vier Uhr morgens), der Job macht sich schließlich nicht von allein!

IMG_2692

Und so metern wir jeden Morgen durch die (Gott sei Dank!) baustellenreiche Stadt und nichts verzückt ihn so sehr wie der Anblick einer rotweiß gestreiften Barke… „Krangg! Dadda! Krangg!“, quietscht es aus dem Inspektionsfahrzeug.

IMG_2497

Wir sind auch schon bekannt bei den einschlägigen Baustellen in der Umgebung und werden begrüßt mit: „Na, guten Morgen!“, „Euch auch! Ja, wir sind´s schon wieder…“.

Neulich sahen wir zu, wie in der direkten Nachbarschaft Baustellenbarken am Straßenrand errichtet wurden und selbstverständlich haben wir alles begutachtet. Und erfahren, dass ein gehöriger Straßenabschnitt gesperrt werden soll aufgrund von Grundwasserblablabodenblablatiefbauirgendwas.

(Exkurs: Ihr müsst wissen, jeder gesperrte Parkplatzmeter in Pieschen ist eine Katastrophe! Wenn man abends aus der Innenstadt heimkommt, kann man das Gefährt eigentlich gleich dort stehen lassen und die fünf Kilometer heim laufen. Besser wird’s sowieso nicht mehr…)

Erwartungsgemäßes Verhalten wäre also gewesen, sich aufzuregen, zu fragen, wie breit das Stück gesperrte Straße sein wird (und in Gedanken in Autolängen umzurechnen), wie lange die faule Bagage gedenkt, die parkplatzarmen gequälten Pieschner zu malträtieren mit ihrem sinnlosen Grundwasserblablabodenblablatiefbauirgendwas, dass das sowieso eine Verschwendung von Steuergeldern sei und ob sie sich denn nicht schämen würden und siehst du, Kind, wenn du später in der Schule nicht aufpasst, musst du auch irgendwann im Dreckloch sitzen und Grundwasserblablabodenblablatiefbauirgendwas machen!

Stattdessen höre ich meinen Mund sagen: „Oh! Das ist ja super! Stimmts, Babylein? Dann können wir ja jeden Tag hier herkommen und zuschauen. Wir freuen uns, stimmts, Babylein? Bis morgen also. Tschüssi!“. (Hä?! Was?!)

IMG_2526

Und beim letzten Zoobesuch langweilte sich das Kind schon beim dritten Tier und hing lustlos in der Plagenkarre bis… ja, bis wir endlich (!) den Versorgungshof erreichten und es ein paar Fahrzeuge anzuschauen gab. Dann konnte ich aber getrost auf dem Pflaster Platz nehmen und das Picknick rausholen. Das würde hier dauern, das wusste ich. Der Zoobesuch war dann auch ein voller Erfolg. Schließlich haben wir zwei Daddas gesehen.

Der Dresdner Zoo, immer einen Besuch wert.

Der Dresdner Zoo, immer einen Besuch wert.

Apropos sehen. Was seht ihr hier? Ich kann euch erzählen, was der Blondino gesehen hat, als wir vor diesem Pieschner Fenster standen: „Bost! Bost!“. Nichts toppt ein großes Auto…

IMG_2504

Leute, neulich sah ich meine große Chance kommen! Eines Morgens, ich zog mir einen Wegekaffee aus der hauseigenen Maschine und wollte mich marschfertig für die tägliche Baustelleninspektion machen, da erblicke ich aus dem Küchenfenster DAS!

IMG_2945

„Ein Krangg in unserem Hinterhof! Ein Krangg! Baby, komm her! Ein Krangg! Guck dort, ein Krangg!“. Meine Stimme kippte, ich hatte Herzrasen und in Gedanken sah ich mich Eintrittskarten für unsere Küche drucken und mit Flüsterstimme bei der Krabbelgruppe die anderen Jungsmuttis anfixen: „Ey du! Ich hab hier ganz heißes Zeug! Bei mir im Hinterhof. Pssst. Geheim! Ein Krangg und vielleicht auch bald noch ein, zwei Daddas. Ganz exklusiv. Willste? Hier, Eintrittskarten. Zwee fufftsch das Stück!“.

Am Nachmittag war er wieder weg. Leider.

Anspruchsvolle Familienverhältnisse

Ich habe geträumt.

Ich war mit dem Großen bei der Autismusambulanz zu einem Termin. Den Blondino hatte ich auf dem Arm. Dort war eine Garderobe (die sonst nicht da steht) und es lagen in einem liederlichen Haufen überall verstreut Schuhe von mir. Ich fragte mich entsetzt, wie meine Schuhe dahin kämen und versuchte, sie in meiner winzigen Handtasche zu verstauen. Das ging nicht. Ich stopfte. Peinlich berührt und mit Angst erfüllt, irgendwer könnte kommen und das Chaos dort so sehen. Zu guter Letzt beschloss ich, die herumliegenden Stiefel anzuziehen und zu versuchen, die anderen Schuhe irgendwie in meine Taschen zu stopfen. Die Stiefel waren allerdings von jemand anderem ausgetreten worden und mein Fuß fand nicht das gewohnte Fußbett. Ich war verwirrt und irritiert.

Später dann verließen wir die Ambulanz und auf einmal war der große Sohn verschwunden. Ich suchte ihn und ging in eine Kneipe um nachzuschauen. Dort, inmitten fremder Leute, saß er an einem Tisch und blätterte seelenruhig in der Speisekarte. Ich forderte ihn auf, mitzukommen. Er aber teilte mir mit, dass er jetzt Hunger hätte und deshalb hier speisen würde. Im Übrigen habe er schon bestellt und ich möge doch bitte mit seinem Bruder draußen auf ihn warten. Ich erwiderte, das würde ich nicht tun, er solle mitkommen oder dann alleine mit der Bahn nach Hause fahren. Er folgte mir daraufhin laut zeternd nach draußen und machte mir eine wüste Szene. Ich würde ihm nicht mal was zu Essen gönnen und er habe Hunger und nie würde ich mich um ihn kümmern!

An der Stelle wurde ich wach und dachte: Komisch. Das mit den Schuhen ist seltsam. Was mag das bedeuten? Dass ich meine Schuhschränke aufräumen soll?

(C) Fotolia

(C) Fotolia

Der Rest des Traumes ist überhaupt nicht seltsam und sehr nah dran am Vorstellbaren.

Wenn ich gefragt werde, wie das denn so ist mit unserem Sohn, sage ich meistens: „Anspruchsvoll!“. Ich habe ja schon an mehreren Stellen hier über das Zusammenleben geschrieben und ein bisschen von den Schwierigkeiten. Wobei, niemals und auch jetzt nicht werde ich detailliert beschreiben, was er so tut und sagt. Und mit welchen Situationen wir es hier zu tun bekommen.

Nur so viel kann man getrost sagen: Es ist „für fortgeschrittene Eltern“, das Kind.

Nächste Woche wird er fünfzehn und ich kann mich an kaum eine Woche unseres gemeinsamen Lebens erinnern, in der ich nicht täglich siebzig Prozent meiner Aufmerksamkeit bei ihm gehabt hätte. Weil er das braucht. Die Codes nicht versteht, die das Zusammenleben mit anderen Menschen beschreiben. Ich bin der Decodierer. Er sieht nur sich. Nur seine Bedürfnisse und auch da nur die Momentaufnahme. Das hat nichts mit Egozentrik zu tun! Ihm fehlt das Verständnis, dass er Teil eines Systems ist von Menschen mit ebenfalls Bedürfnissen. Und all das, was jedem von uns in Fleisch und Blut liegt und was wir empathisches Verhalten nennen, ist eine unverständliche Fremdsprache für den Jungen.

Dazu kommen noch Effekte, die ihm und uns das Leben erschweren. Er ist extrem geräuschempfindlich, trommelt, klopft, tippt, wippt und redet aber selbst ununterbrochen. Er spricht den ganzen Tag. Laut, schnell und in einer detailverliebten Art und Weise über Themen, die außer ihn niemanden interessieren. Er möchte sich auch gar nicht unterhalten, er will nur reden (das hat er mal gesagt). Nie macht er Dinge, die wir ihm auftragen, weil wir es sagen. Es muss alles durchdiskutiert werden. Warum macht man das? Und warum soll ich das machen? Und warum jetzt? Nein, ich mach das dann später. Oder gar nicht. Und das mach ich jetzt, auch wenn ich nicht soll. Ich soll das nicht anfassen? Aber warum denn, ich fass das erst mal an und krieg raus, was die Eltern denn haben, muss ja was ganz Dolles sein…

Er bringt mich auch zum Schmunzeln. Wenn es ihm gut geht, ist er quirlig, fröhlich wie ein Kleinkind. Eine Freundin meinte kürzlich, er sei ein Kanarienvogel unter lauter Spatzen. Und da er alles, was im zwischenmenschlichen Bereich als gesellschaftliche Konvention gilt erlernen muss wie Vokabeln, hat das auch teilweise ganz herzerwärmende Züge! Neulich bezahlt er hinter mir im Supermarkt eine Tüte Chips mit seinem Taschengeld und verabschiedet sich von dem Kassierer mit den Worten: „Ich wünsche ihnen einen schönen Tag. Und alles Gute für sie! Und Gesundheit!“, und ließ den verblüfften Mann mit einem verdutzten Fischgesicht zurück.

Das sind die guten Tage.

Und es gibt die anderen. Er gerät manchmal in so „Zustände“. Die dauern meist ein bis zwei Wochen an. Mittlerweile bemerken wir die Frühindikatoren, stehen aber hilflos daneben. Überforderungssituationen, die überhand nehmen. Die lange Schulzeit bis zu den Sommerferien. Krach, Belastung im Schulalltag. Zurückweisung. Und das alles trifft auf einen wachen, hochintelligenten Verstand, der diese Einflüsse aber weder filtern noch verarbeiten kann. Und „durchdreht“, salopp formuliert.

Wenn es ihm schlecht geht, ist es, als hätte jemand unserem Familiensystem einen Knüppel ins Getriebe gerammt. Nichts geht mehr. Alle Ressourcen werden dafür aufgewandt, den „Schaden“ zu beheben. Telefonate mit der Schule, Arztbesuche. „Ich halte es für angebracht, ihren Sohn mal wieder stationär aufzunehmen.“. „Worüber reden wir hier? Sechs Wochen?“. „Mindestens zwölf Wochen.“. „ Das letzte Mal haben sie sechs Wochen gesagt und es wurden sieben Monate daraus. Weihnachten, Ostern, sein Geburtstag!“. Darauf die Ärztin: „Wenn ihr Kind nierenkrank wäre, wäre es für sie selbstverständlich, dass er einmal im Jahr an die Dialyse müsste unter Umständen. Finden sie sich damit ab, dass ihr Junge möglicherweise einmal im Jahr zu uns in die Klinik muss. Er ist krank!“.

Es ist aber nicht dasselbe. Nein, man kann es eben nicht vergleichen! Ich habe ein krankes Kind. Aber so wenig, wie er seine Umwelt versteht, kann die ihn verstehen. Und auch mit diesem Umstand seiner Einschränkungen klarkommen. Die Leute verstehen es einfach nicht. Wie denn auch? Das ist alles wuschig und schwurbelig und da steht dieser hübsche junge Mann und spricht eloquent und: Was? Der soll behindert sein? Und nein, ich weiß nicht, wie es ist, ein nierenkrankes Kind zu haben. Aber ich habe eine klare Vorstellung, wie die Umwelt auf eine derartige Ankündigung reagiert. Und das daraus resultierende Mitgefühl. Und ich weiß, wie die Umwelt auf meinen Sohn reagiert.

Wir Eltern haben alles richtig gemacht. Alles getan, um Hilfe zu bekommen. Und bekommen auch alle Hilfe.

Und denoch bekommen wir keine.

Am Ende sind wir doch allein. Der Mann und ich. Und unser Sohn. Er hat ja nur uns!

Es gibt Tage, an denen ist mir hier nicht nach lustigem Klamauk. Tage der Funkstille, Schreibblockade… Ich würde wirklich gern, aber mein Kopf steckt im Nebel. Ich operiere nur. Muss machen, was gemacht werden muss. Und Ruhe bewahren! Nicht die Nerven verlieren! Sicherheit ausstrahlen! Nicht an morgen und in zehn Jahren denken. Und nach links gucken, den Mann nicht vergessen. Fragen: „Wie geht’s dir? Kommst du klar?“. Und mich dasselbe fragen, täglich. Auf meine Akkus achten. Und am Ende: Diese Worte ausspucken, damit der Nebel sich verzieht und wir morgen wieder zusammen lachen können. Oder übermorgen. Obwohl…

Ich lache auch wenn´s regnet. Denn wenn ich nicht lache, regnet es ja trotzdem!

Karl Valentin

Wenn ich das Baby küsse an so grauen Tagen, dann merke ich, wie mein Akkufüllstand steigt und auch wenn ich sehe, wie die zwei Brüder mit einander umgehen. Da ist nur Zuneigung zwischen den beiden! Und manchmal denke ich, das Baby wurde uns deswegen geschenkt… dieses Wunder, das keiner erklären kann.

Nein! Sie sind beide Geschenke. Wundervolle Geschenke. ❤ Irgendwas hat sich das Universum schliesslich dabei gedacht.

Neues vom Wollbrecher

Er spricht jetzt, der Blondino. Also nicht deutsch im eigentlichen Sinne. Entweder braucht er bald einen Logopäden oder er ist einfach nur hochbegabt!

Da steht der Knopfäugige also vor mir und bespricht mich eindringlich: „De willo! De willo!“. Mehrmals täglich. Ich erkläre ihm stets, dass es bei uns keinen Wollbrecher gibt und (falls er sich in einer frühen Identitätskrise befinden sollte) er gern ein Wollbrecher sein dürfe oder werden könne, wenn ihm denn der Sinn danach stünde (Wie man das heutzutage eben so macht. Lieber würde ich sagen: „Menschenskind! Nu rede dor ma ordntlisch!“).

Willow (engl.) – der Wollbrecher; to willow (engl.) – krempeln, wolfen

(Quelle: www.leo.org)

Unnötig zu erwähnen, dass ich nicht den geringsten Schimmer habe, was ein Wollbrecher sein soll oder „wolfen“ für eine Tätigkeit.

Wenn wir im Garten sind, gibt er Laute von sich, die sogar von Außenstehenden verstanden werden. Dann nämlich rennt er schnurstracks zu den Beeten, ruft freudig: „Blömmen! Meina Blömmen!“, um dann erst mal ausgiebig Blömmen zu pflücken.

Er hat auch eine neue Freundin, von deren positivem Einfluss aufs Sprachverhalten des Mini-Sohnes ich felsenfest überzeugt bin. Immerhin spricht sie nicht sächsisch. Der Blondino hat mein Handy als Lieblingsspielzeug auserkoren und weiß, wenn er unten auf den Knopf drückt, kommt ein Bild vom Papa und dem Bruder. Er freut sich wie blöde (auch noch beim zwölften Mal) und ruft stets: „Papa!“. Wenn er länger auf den besagten Knopf drückt, geht die Sprachsteuerung an und kein Papa-Bild erscheint. Dann ruft er enttäuscht: „Papa?!“ und die Frau, die in meinem Telefon wohnt, springt sofort hilfreich ein: „Ich weiß nicht, wer dein Vater ist.“. Der Schnullerträger fummelt dann weiter an dem Telefon rum, um den Papa herbeizuzaubern. Angestrengt drückt er überall rum und spricht mit sich selbst: „Ärrölldegöll…“. Auch da kommt die Klugscheißer-Uschi gleich aus der Box und verkündet: „In deinen Kontakten befindet sich niemand mit Namen Erol de Gol.“. Sie haben viel Spaß miteinander. Die zwei.

Ich habe weniger Spaß. Denn das Handy ist meistens verschwunden. Auf dem Festnetz braucht man uns gar nicht mehr anzurufen. Ich höre die Ladestation anklagend klingeln, aber das Mobilteil liegt mit ausgezutschtem Akku unter irgendeinem Schrank. Niemand weiß wo. Ebenso wie der Lülle, sein zweitliebstes Spielzeug. Der Lülle ist eigentlich immer verschwunden! Wir haben Gott sei Dank zwei Lülles, aber ich fürchte schon den Tag, an dem keiner mehr da ist. Dann können wir nämlich das Haus nicht mehr verlassen. „Weißt du, wo der Scheiß-Lülle ist?“, ist die meistgefragtestes Frage in dieser Familie. Keiner weiß es. Ach, doch. Einer weiß es, aber der kann keine dezidierte Auskunft geben.

Meistens gibt er eh nur „Danggg!“ von sich. Mit nach oben gerecktem Arm. „Danggg!“ kann alles heißen und ist vor allem ein Bringebefehl. Er will was und zwar schnell! „Danggg!“. Ich weiß nie, was es ist und rate mich durch. Derweilen dangggt das Kind ohne Unterlass. Ich habe mir schon einen Tinnitus einfgefangen. Der Pubertino weiß zu berichten, dass er eines Tages aus der Schule heimkam und seine Mutter aufgelöst in der Küche vorfand, wo diese hysterisch von sich gab: „Wenn ich heute noch ein einziges DANGGG höre, springe ich schreiend aus dem Fenster!“.

 „Danggg!“

Auch wenn es nicht dangggt, sorgt das Checker-Baby für allerlei Beschäftigung. Die Hälfte des Tages verbringe ich kniend. Wische feuchtes Verschüttetes auf, kehre trockenes Verschüttetes zusammen oder sammle Zerbrochenes vom Boden. Währenddessen findet der Teufel in Babygestalt garantiert den einzigen offenen Schieber oder Schrank und bedient sich derweil selber. Räumt um, aus oder schmeißt mit Puderzucker um sich. Juchhu! Sternenstaub!

Oder spielt mit Senf.IMG_2874

IMG_2875Vor kurzem habe ich zwei von allen Seiten angefressene Brote aus seinem Zimmer geborgen. Selbstverständlich erst nachdem ich bereits jede Menge neues Brot besorgt hatte…

Essen ist generell ein Thema für sich. Er isst eigentlich nichts, was so für Kleinmenschen seines Alters propagiert wird. Aber gern Döner mit Knoblauchsoße. Auch ohne Fleisch. Und ohne Gemüse. Das Brot sowieso nicht. Aber die Knoblauchsauce, die würde gehen! Ansonsten knallt der sich unkontrolliert Physalis in die Rübe. Wenn es nach dem Kinde gänge, gäbe es nur Physalis! Und Gummibärchen als Dessert.

Das mit den Physalissen musste ich einschränken… aus ganz profanen Gründen. Ausgeschiedene Physaloden/ Physalusse/ Physaler (irgendwer muss mich mal erlösen und mir den Plural verraten) werden irgendwann als biochemische Waffe deklariert werden. Da bin ich mir sicher. Ich weiß nicht genau, bei welcher Menge sie ihre tödliche Wirkung entfalten, aber ich war schon oft nah dran (So weit weg kann niemand beim Wickeln den Kopf halten, wie ich in diesen Fällen wöllte!). Also, um mal ein olfaktorisches Gleichnis zu bemühen, der ordinäre Physalschiss verhält sich zu, sagen wir einem gewöhnlichen Bierfurz, wie Klospray zu dem angesagtestem Eau de Sommer 2015. Da kannste nur versuchen, durch die Ohren zu atmen und die Ammoniakdämpfe tapfer wegzublinzeln.

Also, wenn heute Abend jemand vor dir an der Kasse vom Edeka steht und in sein Telefon fragt: „Na, was macht der Willo? Dangggt er noch?“, dann weißte, das ist mein Mann. Die Antwort, die er dann durch sein Telefon bekommt, kannste nicht hören, aber sie lautet: „Ja, er wolft und krempelt vor sich hin. Was so ein Willo eben macht.“.

To be continued 😉

Morgenmenschen

„Hallo sie! Komm´se mal her!“. Eine weibliche Person unbestimmten Alters winkt mich aus zehn Metern Entfernung zu sich herüber. Ich bin müde und schlurfe unmutig in Richtung des energisch wackelnden Armes. „Sie waren doch eben bei De und Emm, oder?!“, erkundigt sie sich. „Wenn sie die Drogeriekette mit dem vollkommen anderen Namen meinen, lautet die Antwort: Ja!“. Mit Stolz in der Stimme und dankesheischend verkündet sie mir: „Sie haben ihre Waren dort liegen lassen. Gehn se mal zurück, schnell, bevor das jemand mitnimmt!“. Ein kurzer Blick in die Tiefen meines als Kinderwagen getarnten Schwerlasttransporters bestätigt meine Annahme. „Nein, ich habe nichts liegenlassen. Aber danke.“, gebe ich zurück. Doch damit bin ich nicht raus. Die Frau weiß es einfach besser: „Doch, doch, ich irre mich nicht. Ich erkenne sie an ihrem Pulli. Sie haben ihre Sachen dort liegenlassen!“. „Hören sie! Ich habe genau zwei Artikel gekauft und beide befinden sich hier in diesem Gefährt. Wenn sie den Kassenbon zur Kontrolle sehen möchten, zeige ich ihnen den gern. Und jetzt will ich einfach nur weiter. Ich will mich nicht streiten und noch nicht mal mit ihnen unterhalten! Nichts für ungut.“. „Nein, vielleicht irren sie sich ja! Gehn se lieber mal zurück!“, befielt der wackelnde Arm energisch. Ich bin einfach nur müde und ergebe mich. Gehe nicht auf direktem Weg nach Hause, nicht über Los, sondern mit vorgetäuschtem Schlenker am Drogeriemarkt vorbei einen Umweg, der mich zehn Minuten meiner Lebenszeit kostet.

Fazit: Wer mir gegenüber etwas durchsetzen will, sollte mich morgens halb neun bearbeiten.

Warum aus mir nie ein Zonenromantiker wird…

Dieser Text spiegelt meine höchstsubjektive Meinung und mein eigenes Erleben. Er will weder ein Geschichtsbuch noch andere Sichtweisen ersetzen. Ein Hoch auf die eigene Meinung!

Ich bin neunzehnhundertsiebzig geboren. Im Tal der Ahnungslosen. Aufgewachsen ohne Westfernsehen, RIAS und Bananen. Es gab tatsächlich nur Äpfel und faserige, saftlose Orangen aus Kuba („Kuba-Orangen“, nicht zu vergleichen mit „Navel-Orangen“, die gab es in reglementierten Mengen an Weihnachten). Obst und Gemüse wurde saisonal verkauft. Gurken und Tomaten gab es halt nur im Mai! Ende der Durchsage. Und Birnen im August.

Was ich aber als Verdienst des Sozialismus ansehe, ist die Gleichstellung von Mann und Frau. Das war so und das wurde auch tatsächlich so gelebt. Und gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Bereits seit den Fünfzigerjahren war die Gleichstellung von Mann und Frau gesetzlich verankert, galt es als Scheidungsgrund, wenn ein Ehemann die berufliche Weiterentwicklung seiner Frau nicht unterstützte. Laut Ideologie des Marxismus-Leninismus kann die Gleichstellung der Frau nur durch wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Mann, und die nur durch die vollständige Integration in den Arbeitsprozess erreicht werden. Lenin sagte, Hausarbeit sei die „Sklavenarbeit der Frauen“. Hausfrau war kein anerkannter Beruf. Ich hatte keine „Nadelarbeit“ in der Schule, ich hatte „Werken“. Ich lernte erst als erwachsene Frau einen Knopf anzunähen, konnte aber bereits im Grundschulalter verschiedene Werkzeuge bedienen. Und meine Schulbücher waren voll mit starken, kämpferischen Frauen: Clara Zetkin, Käthe Kollwitz und Rosa Luxemburg zum Beispiel. Oder Valentina Tereschkowa, die erste Frau im Weltall. All diese Frauen waren Vorbilder und hatten einen großen Einfluss auf das Bild, das ich von einer „vorbildlichen“ Frau hatte. Parallel zu den Frauen in meinem Leben. Diese hatten in dem System, in dem ich aufwuchs, die gleichen Rechte und Pflichten wie Männer. Mit dieser Selbstverständlichkeit wuchs ich auf. Ich sah darin nichts Exklusives. Ich war quasi per Geburtsrecht gleichberechtigt. Das zählt für mich zur größten Haupterrungenschaft meiner sozialistischen Prägejahre.

Des Weiteren gab es zinslose Familienkredite und subventionierte Kultur. Ein fast Gratismittagessen für alle Kinder und die stets hervorgezogene flächendeckende Kinderbetreuung. Bevor alle rufen: „Das wollen wir auch!“, lest erst mal zu Ende. Das alles hatte einen Preis, den auch heute kaum einer bereit wäre, zu zahlen…

Kinderkrippe, Kindergarten, Schule am Samstag, Fahnenappell, Kinderferienlager, organisierte Kinderfreizeiten in Arbeitsgemeinschaften, Sportvereinen. Ganztags Schulhort auch in den Ferien. Später – für die Jugendlichen – Beschäftigung in der „Gesellschaft für Sport und Technik (GST)“, und Wehrunterricht (wegen der Bedrohung durch die reaktionären kapitalistischen Staaten). Du warst als Kind untergebracht und beschäftigt. Von früh bis spät.

Das hatte den Zweck, die Arbeitskraft beider Elternteile für die Sicherstellung der sozialistischen Produktion freizuschaufeln. Und die Erwachsenen gingen arbeiten. Viel. Akkordarbeit war sehr beliebt, da dies leistungsbezogene Bezahlung versprach. Außerdem waren noch Berufe wie Frisör, Taxifahrer und Kellner sehr beliebt. Diese kamen in den Genuss von Trinkgeld. Viel Trinkgeld. Und manchmal auch in Form von Forumschecks, die dann auf dem Schwarzmarkt 1:20 getauscht wurden. Denn nur wer entweder viel Geld besaß oder in den Genuss von Valuta kam, konnte sich irgendwie von der Masse abheben. Sei´s durch Klamotten aus dem „Exquisit“, wo eine Nietenhose (Jeans) schon mal ein kleines  Gehalt kostete. Oder sei es durch ein tolles Auto. Und auf alles musste gewartet werden: Die Schrankwand, das Auto, der Fernseher. Es gab Anmeldescheine für den Führerschein, Anmeldescheine fürs Auto, für den Raduga-Farbfernsehr. Wenn so ein Anmeldeschein auslief, war dieser fast soviel wert wie der Warenwert selbst!

Das öffnete (in meinen Augen) schmieriger Geschäftemacherei Tür und Tor und die gerne von Zonenromantikern besungene Gemeinschaft und den Zusammenhalt sehe ich in einem anderen Licht. Echte Gemeinschaft definiere ich anders. Das waren vielmals dem Zweck geschuldete Abhängigkeiten. Es wurde gemauschelt, was das Zeug hielt. Getauscht. Der Eine kam an Ziegel ran im Betrieb, der nächste an Zahnriemen für den Wartburg, der Dritte hatte Verbindungen zu irgendwas anderem. Durch die allgemeine Verknappung von allem möglichen war man dringend auf die anderen angewiesen. Und hatte man nichts im Tausch anzubieten, am Arsch! Was oben im Satz mitschwingt, ist auch bittere Wahrheit: Das Wort „Volkseigentum“ wurde sehr wörtlich ausgelegt. Ich kann nicht mal sagen, dass die Leute geklaut hätten in den Betrieben, das Unrechtsverständnis war ein anderes für das „Volkseigentum“. Du arbeitest in einer Ziegelei und der Nachbar braucht Ziegel im Tausch gegen eine Kiste Radeberger unter der Hand? Dann warst du der Mann der Stunde!

Was wirklich an der Tagesordnung war, sind Feiern von Hausgemeinschaften. Oft im Wäschetrockenraum. Und Betriebsvergnügungen, bei denen sogar alle Rentner der Brigade stets mit eingeladen worden. Es wurde sich schon gern getroffen und auch gern zusammen gefeiert. Aber wie gesagt, vieles diente auch der Anbahnung von Geschäften.

Meine Eltern waren nicht linientreu. Es gab einige Vorkommnisse, die sehr viel mit Willkür und dem Gefühl eines Allmachtsstaates zu tun hatten. Und auch wenn sicher alles getan wurde, solche Sachen von den Kindern fernzuhalten, du kriegst das mit. Und auch das Bespitzeltsein war gegenwärtig und wenn irgendwer „wusste“, dass Müller, Meier oder Schulze spitzelt, sprach sich das wie ein Lauffeuer rum. Sicher wurde da auch denunziert! Und zwar in beide Richtungen. Wenn dich wer anschwärzte, wurdest du vernommen und dann – wo Rauch ist, ist auch Feuer – zur Sicherheit einfach weiter beobachtet. Ich glaube, es war sehr schwer, wirklich zu vertrauen, gerade wenn man nicht alles dufte fand im Arbeiter- und Bauernstaat. Ich weiß auch von einigen, die später ihre Stasi-Akte nicht einsehen wollten aus Angst, den Cousin, Onkel oder die Lieblingsnachbarin als Informanten /-in zu lesen.

Ich habe mich gefragt, wann ich meine kindliche Unschuld verlor. Möglicherweise mit dreizehn. Ich galt als sprachliches Ausnahmetalent und in meiner Heimatstadt gab es schon damals eine renommierte Sprachschule, damals eine Oberschule, heute ein Gymnasium. Meine Lehrer setzten den Eltern zu, ich würde auf diese Schule gehören! Der Direktor meiner Schule sagte geradeaus, nein, er würde den Delegationsantrag nicht unterschreiben und ohne seine Unterschrift bräuchten wir es gar nicht versuchen! Und wir versuchten es nicht mal.

Das war mein erster Kontakt mit Willkür. Die sollte sich wie Smog über die nächsten Jahre meines Lebens legen. Abitur konnte nur machen, wer delegiert wurde. Dann konntest du aber auch nicht zwangsläufig studieren, was du wolltest! Ebenso wenig, wie du den Ausbildungsberuf frei wählen konntest oder später deinen Arbeitsplatz! Es gab eine Stellenplanung, die ausspuckte, wie viele Ingenieure für dies und das und wie viele Bäcker etc. in den nächsten Jahren gebraucht würden im kleinen Land. Aus dieser Bedarfsanalyse speiste sich der Stellenplan. Dann wurde auch bei Bewerbungen selektiert nach Linientreue und Mauschelpunkten („Das ist die Tochter der Nachbarin meiner Cousine, die legste mal weiter oben off´n Stapel!“).

Ich lernte Elektronikfacharbeiter. Weil die gebraucht wurden. Und weil meine Eltern keine Beziehungen hatten ins Frisörhandwerk oder sonstwohin.

Auszug aus meinem Lehrvertrag

Auszug aus meinem Lehrvertrag

Mit sechzehn trat ich meine Lehre an und war schon ein wenig widerborstig und desillusioniert. Ich färbte mir die Haare bunt (und wurde deswegen zum Personalgespräch gebeten), trug Sommer wie Winter eine Lederjacke und Stiefel mit Nieten und umgab mich mit Subversiven und Dissidenten. Wir gingen auf verbotene Punkkonzerte, fuhren schwarz nach Berlin, besetzen Abrisshäuser, machten total wilde Sachen! Echt. Also nein. Nicht gemessen an heutigen Maßstäben.

Gefährlich war´s trotzdem. Jugendlichen drohte der Jugendwerkhof bei systemschädigendem Verhalten, ab dem achtzehnten Geburtstag wurde es richtig ernst.

Es ging schnell, dass du in den Fokus irgendwelcher Spitzel gerietest. Mein damals bester Freund war ein späterer Mitbegründer des Neuen Forum. Ein sanfter Junge, der Gewalt ablehnte und sich an Malerei und Schwarztee mit Kirscharoma berauschte. Der war ständig wegen „asozialem Verhaltens“ dran. Ich war das erste Mal zur Vernehmung kurz vor meinem achtzehnten Geburtstag. Wegen Verdachts auf „Herabwürdigung des Staates“. Morgens gegen drei Uhr wurde ich mit Handschellen aus meinem Kinderzimmer geholt. Ich durfte weder Zähne putzen noch einen Schlüpfer anziehen. Auf dem späteren Foto auf der Polizeiwache stand ich da mit Nachthemd, Stiefeln, Jacke und zerzausten Haaren. Abends haben sie mich zurückgebracht, zur Primetime, als alle Nachbarn meiner Eltern aus dem Fenster guckten… Die zweite Verhaftung erfolgte wegen versuchter Republikflucht über die Slowakei. Ich weiß nicht mehr, was mich geritten hatte und ob wir uns bis nach Jugoslawien durchschlagen wollten und ob ich denn nicht mal an meine arme Mutter gedacht hatte?! Jedenfalls war in Tschechien Schluss. Sack übern Kopp und raus aus dem Zug. Ich habe jede „Mittäterschaft“ abgestritten und mein Compagnon hat wohl ähnlich ausgesagt, was mich vor Schlimmerem bewahrt hat.

(Behalten habe ich davon bis heute eine perverse Scheu und ein Gefühl des Ausgeliefertseins gegenüber jedweder Uniform.)

Rückblickend fühlte ich mich als Jugendlicher und Erwachsener in diesem kleinen Land wie von strengen Eltern an der Kandare gehalten! Alles wurde vorgeschrieben: Was du denken sollst, was du tun sollst, was nicht, wohin du reisen darfst und wohin eben nicht. Und immer mit Angst vor Repressalien. „Pscht! Nicht so laut!“ auf jeder weinseligen Geburtstagsfeier.

Was mich immer wieder verblüfft, sind die ab und zu aufkommenden Zonenhymnen (meist von Menschen der älteren Generation). Wie schön es doch alles gewesen wäre! So billig! So behütet! Keine Drogen! Und wir konnten doch auch so schön Urlaub am Balaton machen! Und an der Ostsee!

Nee du. Ich weiß, dass der Alkohol in Massen geströmt ist! Auch bei den Jugendlichen. Und ich war nie am Balaton und nur einmal an der Ostsee mit meinen Eltern. Warum? Nun, weil Urlaubsplätze genauso unter der Hand gemauschelt wurden. Du warst jedes Jahr am Balaton? Aha, was war denn dein Vater von Beruf?! Wir waren in einem Bungalow auf dem Zeltplatz in Meckpomm. Genau. Jedes Jahr. Und froh, wenn wir überhaupt einen Ferienplatz über die FDGB bekommen haben. Vielen Dank!

Mein Vater hat sich später bei den Montagsdemonstrationen eine Lungenentzündung geholt.

Noch später dann habe ich mich für das kleine Land geschämt. Für die Menschen. Als nämlich jede inkontinente und kaum transportfähige Oma aus dem Pflegeheim geholt wurde und sich alles in die Züge nach Berlin und Hof und sonst wohin quetschte, um die hundert Mark Begrüßungsgeld abzugreifen. Und wie die sich benommen haben! Ich war dort, erzählt mir nichts. Scham und Schande…

Und dieselben Leute schreien heute, die Flüchtlinge sollen bleiben, wo sie sind! Noch mehr Scham… Aber das ist wieder ein ganz anderes Thema.

Ich bin frei, meine Kinder dürfen sein, werden und denken, was sie wollen. Ein Glück, mit dem jedes Kind hier aufwächst, für das ich persönlich aber sehr dankbar bin.

Und ich bin nach wie vor ungebrochen und per Geburtsrecht gleichgestellt und emanzipiert, man braucht nicht versuchen, mir etwas anderes einzureden! Das ist das kostbarste Erbe meiner DDR-Vergangenheit. 🙂

Diese Zeilen sind mein Beitrag zu Sonja´s  Blogparade: Erzählt von der DDR! (Finding Europe – Elternschaft anderswo).

Usabilityprobleme

Sprächen wir hier über etwas anderes, etwas weitaus einfacheres als Kinder, also sagen wir Software zum Beispiel, dann würde ich mal beim Support anrufen und möglicherweise ergäbe sich dann folgendes Gespräch:

„Ding Dong!“

„Äh… Hallo! Ich rufe an, weil ich Probleme mit diesem Dings… System habe.“

„Welche Version?“

„ ´20M`.“

„Ah! Eines unserer beliebtesten Anfängerprodukte! Macht eigentlich kaum Probleme. Die treten meistens erst in den Versionen ´12J`bis ´17J`auf.“

„Also, ich denke, bei meinem ist die Sprachsteuerung kaputt!“

„Aha, dann erzählen sie doch mal.“

„Nun, er versteht mich nicht. Gar nicht! Klare Befehle ignoriert er oder macht das komplette Gegenteil…“

„Sind sie sicher, dass ihre Befehle klar formuliert sind?“

„Ja, schon. Also ´Nein!`und `Hör auf!`und so. Aber da erhöht er lediglich sein Tempo beim Blödsinnmachen.“

„Was muss ich mir darunter vorstellen?“

„Na, zum Beispiel Zeug ins Klo schmeißen: Handtücher, meinen Schmuck, Shampooflaschen…“

„Hm, das hören wir öfter. Das ist allerdings typisch für den ´20M`. Da können sie nur die Systemumgebung modifizieren.“

„Hä?“

Support murmelt leise „RTFM!“ und „Verfluchte Anfänger!“

„Sorgen sie einfach dafür, dass ´20M`nicht in Reichweite dieser Dinge kommt. Damit sollte die Störung behoben sein. War´s das?“

„Neiiiin! er rennt auch immer weg und verwüstet hier die Systemumgebung, wie sie so schön sagen. Er kommuniziert auch nicht mit mir. Kann es sein, dass das Sprachmodul nicht auf ´deutsch`gestellt ist? Dass ich ein tschechisches System habe?“

„Unwahrscheinlich!“

„Also, in vier Monaten ist ein Upgrade auf `2J` geplant und im U-Katalog… äh… Lastenheft dieser neuen Version habe ich gelesen, dass bereits zwei-Wort-Kombinationen möglich sein sollen. Das ist unvorstellbar mit dem hier! Der ist kaputt!“

„Na na, ganz ruhig, junge Frau! Sagt er denn irgendwas?“

„Also ´Mama`, ´Papa`. Damit deckt er alles ab. Essen, Leute, alles einfach. Oder er zeigt unspezifisch in der Gegend rum und verlangt ´Dal!`. Keine Ahnung, was er damit will. Und ganz schlimm ist auch ´Alldä!`. Aber das sagt er nur zu mir.“

„Das hat er vielleicht mal gehört und gibt es nur wieder?!“

„Na, hören sie mal! Sowas sagt sonst niemand zu mir! Ich habe auch mit anderen Nutzern dieser Version geredet und die erzählen Unglaubliches. Was die mit ihren ´20M`s alles machen. Der hier kann einfach gar nichts!“

„Unglaublich ist da ein gutes Stichwort. Meiner Erfahrung nach neigen gerade Erstnutzer dieser Version zu schamlosen Übertreibungen. Das sollten sie sich nicht zu Herzen nehmen. Glauben sie einfach generell nur die Hälfte!“

„Und außerdem ruft meiner neuerdings ständig ´Kacke!`.“

„Das finde ich erstaunlich, dieses Feature ist eigentlich erst in höheren Versionen vorgesehen.“

„Nein nein, er verlangt damit nach Kakaomilch! Sehen sie, der ist kaputt! Außerdem läuft er auch nachts unkontrolliert mehrere Stunden und lässt sich nicht herunterfahren! Ich finde das schwierig. Einen derartigen Wartungs- und Pflegeaufwand habe ich nicht vermutet. Ich habe hier ja auch noch andere Systeme laufen. Ich kann mich doch nicht ständig um den ´20M`kümmern!“

„Hören sie mal zu. Der ´20M`ist in erster Linie ein Informationsverarbeitungssystem. Heißt, er lernt durch sie und durch die Dinge, die er wahrnimmt. Kopiert in erster Linie. Wenn er sprachliche Befehle nicht umsetzt, liegt das vermutlich am unpräzisen Befehl oder dem, was er zu diesem Befehl und den Erwartungen aus der Umgebung empfängt. Haben sie das Nutzerhandbuch gelesen?“

„Äh… nein. Dieser Handbücher verwirren mich nur. Jeder Popanz schreibt ein Scheiß-Nutzerhandbuch! Ach, und außerdem fängt sich der ´20M`ständig einen Virus ein. Das ist doch nicht normal!“

„Erzählen sie mir bloß nicht, dass sie kein Anti-Virus-Programm haben!“

„Doch, natürlich. Immer auf dem neuesten Stand. Masern, Röteln, Schwarz-Rot-Gelb-Fieber… Alles bekommt er quasi eingeimpft.“

„Das ist schon mal gut.“

„Was mache ich denn nun mit dem?“

„Mit dem ´20M`? Mit dem machen sie gar nichts. Ich empfehle: runterfahren. Vom Strom nehmen. Für länger. Und damit meine ich sie! Verschonen sie mich und ihr System mit ihrem überspreizten Anspruchsdenken. Und jetzt muss ich mich verabschieden, ich habe noch jemanden mit einem ´15J` und RICHTIGEN Problemen in der Leitung!

… tut tuuuut.“

„Hallo?“

 

Ein Kaffee für Frau Nieselpriem

Hat Dir dieser Beitrag gefallen? Dann lade mich doch gern auf einen virtuellen Kaffee ein als Dankeschön.

€2,00

Der Tag meiner Geburt – Aufruf zur Blogparade

Am nächsten Sonntag ist Muttertag und ich möchte dies zum Anlass nehmen, eine Blogparade ins Leben zu rufen.

Geburtsberichte gibt’s zuhauf in allen Elternblogs. Tröstliche, euphorische und traumatische. Alle, die wir hier sind, erinnern wir uns unauslöschlich an diesen Tag, der uns zu Müttern und Vätern gemacht hat.

Und alle drehen wir uns um dieselben Themen der Elternschaft. Ich möchte diesen Kontext auch nicht verändern, sondern nur den Tellerrand des Kontextes erweitern. Und zwar um eine Generation.

Ich würde gern eure eigenen Geburtsberichte lesen!

Was bedeutete dieser Muttertag für eure Mutter im Jahr eurer Geburt? Wie war es für eine Frau in den Siebzigerjahren, jung und unverheiratet schwanger zu werden? Oder in den Achtzigern eine Spätgebärende zu sein. Wie fühlte es sich an, ein Kind zu erwarten, bevor es Begriffe wie „Bonding“, „PDA“ oder „Postpartale Depression“ gab? Hatte sie Angst oder war sie zuversichtlich? Welche Sorgen beschäftigten sie? Und wie war die Geburtsbegleitung? Welche Rolle spielte die Hebamme? Ich glaube, gerade beim heutigen Diskurs zu diesem Thema ist ein Blick zurück für uns möglicherweise augenöffnend und richtungsweisend!

Wie war das, als Mütter ihre Kinder nur zu festgelegten Zeiten im Krankenhaus sehen durften (und nie nachts, denn Wöchnerinnen brauchen ihren Schlaf) und Väter nur eine Stunde ihr Kind durch eine Glasscheibe bestaunen konnten?

Diese Frauen – unsere Mütter – haben uns einen großen Schritt voraus: Unsere Themen sind nicht mehr ihre. Aber sie waren es! Und vielleicht auch noch ganz andere, die wir uns nicht einmal vorstellen wollen. Und sie haben alles schon hinter sich: Die Fiebernächte, die Pubertät. Mit welcher Erinnerung sehen sie heute zurück? Und besonders auf diesen einen Tag?

Was verspreche ich mir davon? Verständnis zuerst. Auch wenn wir jetzt selbst Eltern sind und unseren eigenen Eltern auf Augenhöhe begegnen könnten, ist dies nicht immer selbstverständlich möglich. Unsere Mutter bleibt immer unsere Mutter. Möglicherweise sieht der eine oder andere seine Eltern nach diesem Gespräch in einem anderen Licht. Oder sich selbst und seine Rolle gegenüber den eigenen Kindern. Wer weiß? Oder es relativiert das eigene Kreisen um bestimmte Themen der Neuzeit. Vielleicht habt ihr auch einfach einen innigen und vertrauten Nachmittag voller Intimität während dieses Gespräches. Das wäre schön!

Ich werde den Muttertag zum Anlass nehmen, um mit meiner eigenen Mutter über meinen Geburtstag zu sprechen. Den Tag, der uns zwei zusammenführte für den Rest unserer beider Leben. Und dann erzähle ich euch, wie das war, damals im Januar neunzehnhundertsiebzig.

Jedem einzelnen von euch rufe ich jetzt mit Rolf Zuckowski´s Worten zu:

„Wie schön, dass du geboren bist,

wir hätten dich sonst sehr vermisst!“

Und ich würde mich freuen, wenn ihr mitschreibt, liebe Bloggerinnen und Blogger! Ich freue mich auf eure Geschichten. Wer mag, kann gern seinen Beitrag hier in einem Kommentar verlinken. Alle Leser ohne Blog sind herzlich eingeladen, das Kommentarfeld bis zum letzten Zeichen zu befüllen.

Ich bin sehr gespannt!

#derTagmeinerGeburt

Der große Tag

Am vergangenen Samstag hatte unser Erstgeborener Jugendweihe. Dieses Fest geht auf die Freidenkergemeinde zurück und stellt ein nichtchristliches Pendant zur Konfirmation dar. Ein Initiationsritual, um den jungen Menschen im Kreis der Erwachsenen willkommen zu heißen.

Als DDR-Kind kam man gar nicht um dieses „Event“ drum herum, wurde es nur allzu gern instrumentalisiert, um die gewünschte Ideologie und den marxistisch-leninistischen Klassenkampfgedanken und die zweifelsohne bewiesene vorherrschende Überlegenheit des Sozialismus durch Veranstaltungen in den Köpfen und Herzen der Jugendlichen auf ewig einzupflanzen.

Hat nicht funktioniert. Wir haben alle nur wegen der Geschenke mitgemacht.

Mir gefällt allerdings der Ursprungsgedanke. Und auch heute noch werden im Rahmen dieser Weihe die Jugendlichen mit Veranstaltungen rund ums Erwachsenwerden, Erwachsensein, unsere humanitäre Verpflichtung gegenüber der Welt und unseren Mitmenschen auf ihren Schritt in die Selbständigkeit vorbereitet. Es ist ein bisschen wie ein erweiterter Ethikunterricht. Nur draußen. Und alles ist freiwillig. Am Ende folgt dann eine festliche Veranstaltung mit kulturellen Beiträgen (meist in einem Theater abgehalten), wo alle Jugendlichen eines Jahrgangs im Beisein ihrer stolzen Verwandten in todschicken Klamotten auf einer Bühne stehen und die Devotionalien des Festtages entgegennehmen (Buch, Gerbera, ein Pamphlet).

Man muss den Dingen
die eigene, stille ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt
und durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann,
alles ist ausgetragen –
und dann geboren…

Reifen wie der Baum,
der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen des Frühlings steht,
ohne Angst
dass dahinter kein Sommer kommen könnte.

Rainer Maria Rilke

Auch heute machen die jungen Leute nur wegen der Geschenke mit.

Also nun der unsrige. Ich war mäßig aufgeregt. Übermäßig. Ansteigend aufgeregt, könnte man sagen. Am Vorabend legte ich schon die Klamotten der Kinder in ordentlichen Häufchen breit und ging in Gedanken alles durch. Kneipe war bestellt, Einladungen waren verschickt. Zwei Varianten, um auch ja die innerfamiliären Animositäten zu beachten! Person A kann nicht im selben Raum wie Person B sein, also kommt Person A zur Feierstunde und Person B zur anschließenden Familienfeier. Oder doch lieber umgekehrt? Das Hotel für die Leute von außerhalb reserviert. Allen erklärt, wann man sich wo trifft. Ich war soweit fertig. Der große Tag konnte kommen.

Er kam. Und ich drehte schon frühmorgens durch. Also so richtig. Nicht das Pipifax-Durchgedrehe, das ich sonst auch täglich veranstalte. Ich schmiss Kleider, Mäntel, Blusen und Schuhe in der Gegend rum. Ich hatte noch immer nichts anzuziehen! Der Beste besah sich mein Treiben mit müden Augen vom Bett aus und sagte den folgenschweren Satz: „Jetzt erst fängst du an, dir Gedanken zu machen, was du anziehst?“. Ich sag euch, der war binnen Minuten hellwach! Ein gnadenloses Donnerwetter brach über ihn herein. In Gestalt seiner hysterischen Zwergenfrau. Ob er überhaupt eine Ahnung hätte, was ich alles in den letzten Tagen und Wochen um die Ohren gehabt hätte wegen diesem Tag. Und ob ihm nicht aufgefallen sei, dass die gemeinsame Behausung bereits seit Wochen einer Edelboutique ähnelte, weil einfach an jeder Tür und an jedem Schrank Unmengen von Kleidern hingen. Und ob er auch nur den Hauch eines Verständnisses dafür aufbringen könnte, dass ich zwar an jedem Abend mit der Gewissheit ins Bett gegangen sei, etwas Passendes zum Anziehen zu haben, aber an jedem verdammten Morgen im todsicheren Bewusstsein erwacht wäre, dass einfach nichts von all dem hier wirklich passend sei! Und wenn ihm sein Leben lieb sei, dann solle er wenigstens einmal so vernünftig sein und die Klappe halten und einfach mal nicht im Weg rumstehen. Das sei schon alles. Mehr würde ich wirklich nicht verlangen! Danke.

Ich bin mit einem sehr klugen Mann verheiratet. Er nahm sich den Hosenscheißer und ging mit den Nachbarsmännern und deren Hosenscheißern einfach runter in den Hof spielen. Den ganzen Tag.

Gegen elf Uhr Mittags hatte ich noch immer nichts zum Anziehen, aber für alle Fälle schon mal Lockenwickler auf dem Kopf. Was das werden sollte, das wusste ich allerdings selbst nicht. Dennoch kam mir das anlassentsprechend vor.

Scheiße, war mir schlecht. Und ich hatte Herzrasen. Ich fühlte mich wie eine Braut an ihrem Hochzeitstag. Eine vollkommen verrückte, durchgeknallte Braut.

Durchdrehen macht hungrig. Ich erschien in meiner Lockenwicklerpracht auf dem Balkon und bellte „Schatz!“ nach unten. Sechs Augenpaare blickten zu mir hoch (so müssen sich Könige fühlen). Ich erbat, dass einer der Schätze bitte zum Supermarkt flitzen möge um mir eine Tüte Milchreis zu besorgen. Maggifix oder Mondamin, sowas halt. Die Nachbarsmänner boten hilfreich an, mir mit Milchreis auszuhelfen. Also Körnern. Ich atmete, bis ich wieder bei Stimme war und erklärte dann bemüht unhysterisch, dass ich ganz sicher nicht in der Lage sei, dreißig Minuten in einem Topf zu rühren! Und auch sonst eher nicht der natürliche Typ sei. Ich bräuchte E-Stoffe! Stärke. Zucker! Viel. Und pronto!

Der klügste unter den Schätzen stapfte los und legte wortlos nach nur wenigen Minuten eine Tüte E-Stoff-Milchreis in den Flur. Dann ganz schnell wieder die Tür zumachen, vielleicht beißt die Frau sonst in die Hand? Man kann nie wissen…

Nachdem ich mich gestärkt hatte, durften auch die Jungs wieder rein. Ich versprach, mich zu benehmen.

Wenig später- der Bärtige stutze die Wallemähne, die ihm diesen Namen eingebracht hatte- da klingelte es. Der Pizzadienst! Ich informierte den behaarten Mann, dass ein „senior food delivery manager“ unten sei. Mit  Pizza. Der Mann empfahl, dass ich dann doch runtergehen möge um diesem Menschen im Tausch dafür Geld anzubieten (Ich hatte noch immer die Lockenwickler auf dem Kopf!). Ich informierte ihn im Gegenzug darüber, dass ich finden würde, er sei heute so hilfreich wie ein eitriges Gerstenkorn und präsentierte mich danach dem nächsten Mann an diesem Tag mit bunten Plastikwürsten auf dem Kopf.

Nach dieser neuerlichen „shame attack“ erklärte ich der Familie, ich würde das jetzt so lassen mit dem Plastekopf. Fall ich überhaupt mitkäme!

Eine Stunde vor Abmarschzeit zerrte ich die Nähmaschine aus dem Schrank, steckte mit zittrigen Fingern eine Hose ab (von der ich in diesem Moment annahm, dass sie die einzige sei, die ich heute würde tragen können) und würschte den Stoff irgendwie durch die knatternde Maschine. Der Faden riss nicht. Die Beine waren am Ende sogar gleich lang! Das war wirklich nicht zu erwarten gewesen.

Ich hatte was zum Anziehen. Ich ging also mit (Die Lockenwickler blieben zu Hause. Eine Frisur hatte ich trotzdem nicht, nur Haare, aber das war auch keine wirkliche Überraschung.). Die Jungs waren allesamt innerhalb drei Minuten fertig und sahen so… aus, dass ich schon mal probeheulte.

Programm zur Jugendweihe

Programm zur Jugendweihe

Im Theater ging es dann weiter. Eine Schauspielerin eröffnete mit Hilde Kneefs „Für mich solls rote Rosen regnen“ und ich heulte ab dem ersten „mich“. Als mein Kind auf die Bühne gerufen wurde, brachen alle Dämme. Wie er dort stand. So erwachsen, so ernst, so groß, so klein. Mein Junge.

Loslassen, ein Wort, das schwer zu fassen,
manchmal möchte ich es hassen,
trennt es doch was einst verbunden,
es entstehen tiefe Wunden.
Ich will es lernen, tut es auch weh,
und bin ich bereit, ich schließlich seh´,
daß alles im beständigen Fluß.
Loslassen ist leider ein Muß.

Irmgard Adomeit

Der Kindsvater lachte mich aus und machte Fotos von meinem verheulten Gesicht. Ich hielt mich an meinem Baby fest und ignorierte den emotional unterentwickelten Mann.

DSCN2954

Dann schnell Fotos machen. Du mit dem und jetzt noch mal andersherum. Nun alle bitte vor dem Springbrunnen. Halt! So nicht, bitte so. Es dauerte. Draußen lief mir bereits die Mailbox vom Handy über, weil alle, die wir irgendwie unterwegs auf dem Weg zum Restaurant treffen sollten, mich bereits darüber informierten, dass: Es zu kalt sei/ Man schon ewig warten würde/ Man jetzt alleine losginge und: Wo wir denn verdammt noch mal blieben?!

So kamen wir zu unserem eigenen Fest als letzte im Restaurant an. Alle hatten sich irgendwie platziert, Kaffee geordert und feierten schon mal los. Es gab auch keine vier zusammenhängenden Plätze mehr für uns. Man saß ja schon! Und was mer ham, das hammer. Bevor wir uns dann zu viert auf einen Eckplatz quetschten, traf aber noch eine befreundete Familie ein und ich gab die nonchalante Gastgeberin. Stellte die Freunde unseren Verwandten vor und erklärte meinen Freunden, das da vor ihnen seien quasi unsere Verwandten. Also bis auf die Familie Schiemann dort drüben, mit der wären wir nicht verwandt. Nur befreundet.

Ganz großartig…

Als ich mit einer halben Arschbacke auf dem Eckplatz verkantet war, sah ich, dass nun alle Torte schaufelten und murmelten und das gefiel mir aber auch nicht! Das war nicht festlich genug. Igerndwer müsste was sagen. Ich rungste und schubste also „Irgendwer“ zu meiner linken Seite an und besprach ihn ohne Unterlass, dass er gefälligst aufstehen und was Feierliches sagen solle!

Und der Mann hat wirklich eine leidenschaftliche Rede gehalten. Das ist nicht zu leugnen. Zuerst stellte er sich allerdings irgendwo unsichtbar an den Rand und murmelte etwas von „Tag“ und „Appetit“, was meine innere Autovervollständigung zu „Guten Tag und guten Appetit!“ auffüllte, aber dann! Mit funkensprühendem Blick schmiss er seinen Körper auf unseren Eckplatz und mit ungeahnter Leidenschaft hielt er eine Rede. An mich gerichtet. Ob ich jetzt zufrieden sei, dass er sich mal wieder zum Horst für mich gemacht hätte und dass ihm mein überkandideltes Anspruchsempfinden sowas von auf den Sack gänge! Wenn ich mich nicht sofort runterfahren würde, dann könne er heute für rein gar nichts mehr garantieren! Er habe seine letzten Haare verloren. Und die letzten Nerven, auf die ich ihm noch hätte gehen können. Es reiche!

Was für ein Temperament! Mir war ganz wuschig ❤

Leider platzierte er mich darauf ans andere Ende der Tafel, weil er sich von mir ausruhen musste. Dort saß ich dann auch den Rest des Tages und versuchte, mich dem Anlass entsprechend zu verhalten. Von dort hinten konnte ich allerdings auch nicht verhindern, dass Vater und Sohn unter großem Gejohle ihr erstes gemeinsames Bier zusammen leerten!

Nein, es war wirklich schön.

IMG_2409

Tags darauf nahm der Junge, der jetzt ein junger Mann ist, meine Hand und erklärte, mit dem Fotobuch und der Feier hätten wir ihm das schönste Geschenk von allen bereitet. Das aus dem Mund eines Menschen zu hören, der niemals in der Lage wäre, etwas aus bloßem Kalkül zu sagen, hat mich sehr ergriffen.

Gestern waren wir in der Stadt. Und haben uns einen Maple Macchiato geteilt. Der junge Mann und ich.

Mit der Zeit lernst Du,

dass eine Hand halten nicht dasselbe ist
wie eine Seele fesseln.
Und dass Liebe nicht Anlehnen bedeutet
und Begleitung nicht Sicherheit.
Du lernst allmählich,
dass Küsse keine Verträge sind
und Geschenke keine Versprechen.
Und Du beginnst,
Deine Niederlagen erhobenen Hauptes
und offenen Auges hinzunehmen
mit der Würde des Erwachsenen,
nicht maulend wie ein Kind.
Und Du lernst,
all Deine Straßen auf dem Heute zu bauen,
weil das Morgen
ein zu unsicherer Boden ist.
Mit der Zeit erkennst Du,
dass sogar Sonnenschein brennt,
wenn Du zuviel davon abbekommst.
Also bestell Deinen Garten
und schmücke selbst
Dir die Seele mit Blumen,
statt darauf zu warten,
dass andere Dir Kränze flechten.
Und bedenke,
dass Du wirklich standhalten kannst …
und wirklich stark bist.
Und dass Du Deinen eigenen Wert hast.

Kelly Priest

Kennt ihr Karlchens Königreich? #DailyRoutine

„Es war einmal ein kleiner König. Der hieß Karlchen. Ja, genau wie du!

Dieser König wohnt in einem winzigen Königreich. Das ist wirklich klein, gibt es doch nur sechzehn Häuser. Aber was für schöne Häuser! Spitze Türmchen, kleine Häuschen, breite Häuschen. Manche stehen putzig schräg und andere wieder ganz gerade in einer Linie. Und alle sind sie wunderschön. Strahlend weiß. Sie funkeln wie Perlen, wenn die Sonne darauf fällt. Es gibt aber auch einen Bösewicht im Königreich. Wie der heißt? Nun, ich glaube, der heißt Gnom Jerome. Dieser Gnom Jerome ist ein arger Schmutzfink, ein Dreckspatz! Er versteckt Essensreste zwischen den Häusern. Verschmiert damit die weißen Häuschen, bis sie gar nicht mehr hübsch glänzen und irgendwann kaputt gehen. Dieser fiese Gnom Jerome! Und dann -Schwupp!-versteckt er sich heimlich. Man kann ihn nicht sehen, so winzig klein ist er. Aber ein wahrer Tunichtgut! Doch es gibt auch einen Helden im Königreich: Elmo Elmex heißt er. Hier kommt er, guck, so sieht er aus. Dieser Elmo passt auf, dass das kleine weiße Königreich nicht schmutzig wird. Mit seiner Bürste hier jagt er hinter dem Gnom Jerome her und putzt die Häuser im kleinen Königreich.

der tapfere Elmo Elmex

der tapfere Elmo Elmex

Was meinst du, ob der böse Gnom Jerome auch was bei dir versteckt hat? Pflaumenmusbrötchen vom Frühstück vielleicht? Was sagt man da? „Oooooh!“

„Oooooooooooooooooooooooh!“

(Schrubb-schrubb-schrubb)

Und was gab es zum Mittagessen? Nudeln mit Spinat? Na, das sieht aus, wenn der hinterlistige Gnom Jerome grünen Spinat zwischen den hübschen weißen Häuschen versteckt hat. Das wollen wir nicht. Das ist „Iiiieh!“.

„Iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiieh!“

(Schrubb-schrubb-schrubb)

Und dann habe ich gesehen, dass du ein Gummibärchen stibitzt hast von deinem Bruder, du kleiner Räuber! War´s ein rotes? Nein? Ein gelbes? Wollen wir mal nachsehen, ob der Gnom Jerome ein Stückchen davon versteckt hat? Was meinst du? Ob wir eins finden? „Aaaah!“.

„Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaah!“

(Schrubb-schrubb-schrubb)

Jetzt ist der tapfere Elmo Elmex ganz erschöpft. Er hat das kleine Königreich geputzt und dem fiesen Gnom Jerome das Handwerk gelegt. Nun ist er müde. Wir waschen ihn, guck, so wie dich jeden Abend, und jetzt kann er sich ausruhen bis morgen. Gute Nacht, Elmo! Und danke schön. Genau, winke winke. Das machst du toll, mein kleiner König.“

-Ende-

Der Blondino ist neunzehn Monate alt und liebt meine Erzählstimme. Ganz gebannt lauscht er. Außerdem freut er sich, wenn er Worte nachahmen kann. Die langgezogenen Vokale machen es ihm einfach, das bekommt er gut hin. Und vermutlich werde ich nun jeden Abend einen Zahnputzgeschichte vom tapferen Elmo erzählen müssen, so gut fand er das! Und nicht mehr lange, dann wird er selbst gemeinsam mit dem tapferen Elmo Elmex hinter dem fiesen Gnom Jerome herjagen.

Quelle: Elmex

(c) Elmex

Das ist mein Beitrag zur Blogparade von Frau Mutter #DailyRoutine.Warum ich hier mitgemacht habe? Zum einen gibt es einen Reisegutschein zu gewinnen. Das ist ein Anreiz, oder?

Zum anderen ist der Elmo Elmex bei uns schon vor dem ersten Zahn eingezogen und gehört quasi zur Familie. Das erste Zahnputzset gabs gratis in einer Baby-welcome-Tüte und so hatten wir zwar noch keinen Zahn, waren aber für alle Eventualitäten schon mal bestens ausgestattet! Mittlerweile ist das Starterset schon längst aufgebraucht, aber ich kaufe es für den Kleinsten immer wieder nach. Warum? Er ist mittlerweile auf den Geschmack der Elmex-Zahncreme konditioniert, aber wichtiger ist für mich, dass ich mit dem Aufbrauchen der kleinen Tube eine Erinnerung habe, wann es aus hygienischen Gründen sinnvoll ist, die Bürste zu wechseln! Dann kaufe ich wieder so ein Set nach. Ich finde das praktisch und muss sagen, die Markenbindungsstrategie von Elmex funktioniert bei mir 😉

Elmex Lernzahnbürste/ Zahnpasta im Set

Elmex Lernzahnbürste/ Zahnpasta im Set

Wo Milch und Tränen fließen

Manchmal passiert es mir, dass ich irgendwo einen Satz lese und ein tiefer Seufzer des Verstandenwerdens meiner faltigen, malträtierten Brust entweicht. So geschehen beim Johnny von Weddingerberg.

»Was zwischen der Brust und dem Baby passiert, bleibt zwischen der Brust und dem Baby.«

Mir geht das alles auf den Sack. Auf den Driss, den Piss, die Eier, die Nerven. Mir tun die Augen weh. Und die Ohren schon lange (die Brust selber mittlerweile nicht mehr).

Mich nerven die „breast feeding selfies“ irgendwelcher Stars beim Frisör. Die von Schundblättchen aus irgendwelchen Ecken hervorgezerrten Mütter, die ihren vier Kindern kurz vor Pubertätseintritt noch als Schlummertrunk die welke Zitze hinreichen. Die abartig pietätsbedachten Mitbürger, die sich an öffentlich Stillenden echauffieren. Alles daran!

Wir sind Säugetiere. Allerdings ist der menschliche Körper auch dazu ausgelegt, täglich kilometerweit barfuß zu laufen. Mit einem selbst erwürgten Wildschwein über den Schultern. Mag sein, dass in Anbetracht dieser Tatsache und der allgemein grassierenden Degeneriertheit der urbanen Gesellschaft der eine oder andere darauf hingewiesen werden muss, wozu nochmal bestimmte Körperteile gedacht sind. Und es ist traurig, dass das Stillen eine Imagekampagne benötigte. Dass es über Jahrzehnte Mythen und Moden gegeben hat, die es aufzuklären gilt (Ich selbst bin ein verwaister Zwilling. Aus diesem Grund galt die Milch meiner Mutter als „vergiftet“ und sie musste sie abpumpen, um das „Gift“ aus ihrem Körper zu schwemmen. Wirklich wahr, also zumindest 1970. Ich bekam Chemiemilch. Aus Sicherheitsgründen.).

Aber nun isses mal wieder gut. Langsam habe ich das Gefühl, je mehr Bohei gemacht wird, umso unnatürlicher gestalten sich diese per se natürlichen Vorgänge (Ist beim Laufen meiner Einschätzung nach auch nicht anders; es gibt schon wissenschaftsnahe Untersuchungen, wie und womit und mit welcher Technik man denn nun zu laufen hätte! Und in welcher Pantalon aus welcher Chemiefaser. Unsere Vorfahren würden vermutlich vor Lachen vom Baum fallen.).

Das Stillen wird ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Und damit Augen und Meinung von Menschen preisgegeben, die das überhaupt nichts angeht.

„Und? Stillst du noch?“

Und bei dir? Der Stuhlgang fest und regelmäßig?

Vor ein paar Jahren habe ich als Zuschauer miterlebt, wie eine Freundin sich furchtbar abgequält hat mit der Stillerei. Es klappte nicht, das Kind saugte nicht stark genug. Viele Faktoren kamen zusammen. Stündlich saß sie an der Melkmaschine, von Glücksgefühlen weiter entfernt als von der Besteigung eines Achttausenders. In meiner grenzenlosen Naivität sagte ich einmal mitfühlend zu ihr: „Was quälst du dich denn so! Gib dem Jungen doch die Flasche und lass es gut sein.“. Wahrheitsgemäß knallte sie mir vor die Füße: „Du hast KEINE Ahnung! Weißt du, wie das ist, wenn die alle nach´m PEKiP ihre Titten rausholen und du als einzige mit Wasser, Pulver und Flasche rumhantierst?! Und die blöden Fragen! Waaas?! Du stillst nicht? Weißt du, wie ausgegrenzt man sich da fühlt?“. Nein, wusste ich nicht.

Zu diesem Zeitpunkt waren meine letzten Stillerinnerungen mit einer jahrelangen Staubschicht überzogen und von romantischen Erinnerungen zartrosa eingefärbt. Und ich wusste auch noch nichts von gesellschaftlicher Inakzeptanz in Mütterkreisen gegenüber allen, die nicht modekonform ernähren/tragen/kleiden/wickeln und so weiter. Und ich hatte keine Ahnung, wie viel Selbstbewusstsein nötig sein muss, um nicht wenigstens ALLES zu versuchen, um dem mütterlichen Normkodex zu entsprechen.

Ich weiß es jetzt besser.

„Stillst du noch?“, „Du stillst doch noch, oder?!“. Wie ich das hasste. Weil ich mich sofort unter Druck gesetzt gefühlt habe. Kontrolliert! Bloß alles schön regelkonform machen. Supermuttimäßig. Je öfter und länger stillen, umso besser (Nur nicht zu lange, dann ist es auch wieder nicht richtig. Am besten immer schön auf dem Laufenden bleiben, was gerade die Mode vorgibt.). Und dann noch erwähnen, dass man ja soooo viel Milch hat, dass man drei Kinder davon nähren könnte! Ja, nach so einem Gespräch fühlt sich die anerkennungssüchtige Mutti wohl.

Ich fühlte mich immer mies bei der Fragerei, das da oben war nie mein Text.

Und wie oft ich das selber fragte: „Stillst du noch?“. Ja, ich habe meine ganz eigenen Anteile an diesem Thema! Wieso rutscht selbst mir diese bekloppte Frage raus? Weil ich hören will, dass mein Gegenüber erklärt, dass es eigentlich Scheiße läuft und ihr die Nippel weh tun und die Milch nicht fließen will? Weil ich mich dann ein bisschen weniger unzulänglich fühlen kann? Ist das armselig? Und wie.

Bevor das Kind Nummer zwei zur Tür raus kam, war schon klar: Der wird gestillt. Selbstverständlich! Der erste hat nur drei Monate an mir gezutzelt, bis eine Kinderärztin erklärte, ich würde ihn an meiner Brust verhungern lassen und ich also pflichtschuldig zufütterte bis… bis die Pulle attraktiver war als mein Angebot (Er trinkt heute noch am liebsten aus Plastikflaschen. 1,5Liter.).

Das Baby kam und dockte fachmännisch an, als hätte er die letzten Monate nur darauf gewartet. Und ich schrie mir die Seele aus dem Leib.

Tagelang.

Gefühle, als würde mir jemand eine Ahle durch den Nippel in die Brust bohren.Tränen. Blut. Angst vorm nächsten Mal.

Zwischendurch Besuch, der fröhlich erklärte, man bräuchte gar nicht nach der Zimmernummer fragen, man höre mich ja schon vorn am Eingang. Und Wöchnerinnenstationspersonal, das auf einer überbelegten Station fast durchdrehte und fünfminütig zu mir reinkam um zu bitten, drohen, anzuweisen, dass ich doch gefälligst aus Rücksichtnahme meinen gebuchten Einzelzimmerstatus aufgeben solle! Die Frauen müssten wegen meines Egoismus bald auf dem Gang untergebracht werden! Unterbrochen von den alltäglichen Geräuschen und Aktivitäten eines Klinikalltages. Und: „Frau Nieselpriem, klappt es denn nun endlich mit dem Stillen?“ (Hände in den Hüften).

Ich hab das nicht verstanden. Da sah ich nun aus, als hätte ich beim Pamela-Anderson-Resteverwertungsroulette den Hauptpreis gewonnen und die Mädels benahmen sich wie Diven und schmollten: „Püh. Nö. Wir dachten, wir sind hier für ne Party gebucht!“.

Ich versuchte alles. Kompressen, Stillzimmer in Gesellschaft zufrieden lächelnder Neumuttis. Ich schrie. Vor Schmerzen. Im Liegen. Im Sitzen, auf allen Vieren knieend mit herunterhängendem Euter. Nichts klappte. Das Baby schrie, ich schrie. Ein Bild des Jammers.

Am Ende des zweiten Tages nahm ich Ibuprofen vor jedem Stillen. Am Ende der zweiten Nacht heulte ich wie ein Schloßhund und verlangte die Abstilltabletten. Und nahm sie.

Am Tag vier verließen wir endlich das Krankenhaus, im Gepäck winzige Babyflaschen, mit denen das neue Baby nun gefüttert werden sollte.

DSCN0965

Tag vier

Zu Hause angekommen fiel alles von mir ab. Und mir taten die Brüste weh. Vor Kummer. Ich wollte doch stillen. So unbedingt! Was stimmte nur nicht mit mir? Wieso geht das nicht?! Und wieso habe ich diese Scheißtabletten genommen? Jetzt ist alles vorbei… Ich heulte schon wieder.

Und googelte. „Relaktation nach Einnahme der Abstilltabletten“. Möglich, aber unwahrscheinlich. Vielleicht bekommt man den Milchfluss wieder in Gang, aber Vollstillen hätte ich mir selbst versaut. Dann kamen noch die vollstillenden Nachbarinnen zum Kaffee um das neue Hausmitglied zu begrüßen. Mit vollgestillten Babies auf den Armen. Ich schämte mich. Und grämte mich. Besorgte mir (es war Freitagnachmittag) ein Rezept für eine Milchpumpe und rannte die Apotheken ab nach einer freien Melkmaschine. Alles im hormonellen Delirium. Und weil auch ich nicht einfach sagen konnte: „Rike, was quälst du dich denn so? Gib ihm die Plastemilch und gut is.“.

Hochdosiertes Bockshornklee und Weizenbier, Schwarzkümmelöl. Warme Schals um die Brust und stündliches Melken im Wechsel mit Anlegen (und schmerzvollem Schreien) über Wochen. Also genaugenommen drei. Laut Stillprotokoll, das ich nebenbei auch noch führte, habe ich ab dem 27. September dann doch noch voll gestillt.

Angeblich das Natürlichste der Welt: Säuglingsernährung. Hier im Bild: die Dokumentation

Angeblich das Natürlichste der Welt: Säuglingsernährung. Hier im Bild die Dokumentation

Die Schmerzen ließen dann um den sechsten Monat nach.  Alles ganz natürlich. Nichts dabei. Keine große Sache. Na klar.

Leute, ehrlich, bin ich froh, dass ich jetzt mit dem zu Mc Donalds gehen kann! Das sag ich euch. Und eins ist klar: Ich sage bestimmt noch oft blöde Sachen zu Frischmüttern (wie zum Beispiel zu fragen, wie die Nächte sind), aber nie, nie wieder mische ich mich in den Still-BH einer anderen Mutter ein!

 

Ein Kaffee für Frau Nieselpriem

Hat Dir dieser Beitrag gefallen? Dann lade mich doch gern auf einen virtuellen Kaffee ein als Dankeschön.

€2,00

Metamorphose abgeschlossen

Ich renne schon mein ganzes Leben. Langsam gehen, gar schlendern, kann ich einfach nicht. Ich hektike mich so schon Jahrzehnte ab. „Mensch, renne doch ni so!“, hörte ich jedesmal, wenn der Beste mit mir mal Sonntags irgendwo lustwandeln wollte. Ich hetzte durch liebliche Auen, sprintete durch Museen, raste durch Wälder. Immer Tempo! Nichts deutete darauf hin, dass dieser Zustand irgendwie zu ändern wäre.

Selbst mit Kugelbauch und dreißig Kilo Übergewicht hetzte ich.

Ich spurtete später einsam mit der Plagenkarre in dunklen Frühmorgenstunden durchs beschauliche Viertel, damit das Lerchenkind die Eulen meiner Familie nicht weckt. Immer, als hätte ich dringend einem Termin nachzujagen. Tempo, Tempo!

Ich hatte auch keinerlei Interesse an diversen Muttifeatures. Ausfahrten zu zweit zum Zwecke des Erfahrungsaustausches oder dergleichen, wie öde! Als ich dem Wochenbett entstiegen bin und mir zum ersten Mal die Laufschuhe an die geschwollenen Füße stülpte um am Elbestrand zu metern, kamen mir zwei Muttis entgegen, versonnen lächelnd in ein angeregtes Gespräch vertieft: „Meine Winifred hat gestern blabla.“, „Und stell dir vor, meine Soraya-Sophie hat blubblubblub.“. Wie unendlich öde! Ich könnte mir vorstellen, dass ein abfälliger Gesichtsausdruck mein keuchendes Äußeres entstellte, als ich sie überholte. Nichts und niemand hätte darauf gewettet, dass ich eine von ihnen werden würde. Oder Schlimmeres.

Und wenn ich mich erinnere, wie ahnungslos ich noch vor einigen Monaten auf das sabbernde und anbetungswürdige Produkt meiner Lenden herabsah und schier verzweifeln wollte ob unserer offensichtlichen Kommunikationsprobleme.

Es hat gedauert. Ewig quasi. Aber nun bin ich vollständig metamorphiert. Da haben wir den Salat.

Meine wichtigsten Wochentermine sind die Krabbelgruppentreffen. Und eine gängige Frage zum Aufwärmen ist immer gern: „Und, was kochst du heute Mittag?“. Aus meinem Mund! Ich kann problemlos alle Wawawa´s und Füffüffüff´s übersetzen und erkenne an diffizilen Sprachnuancen – ach was, minimalen Einfärbungen- ob es sich bei „Wawa“ nun gerade um ein Flugzeug, einen Vogel oder etwa einen Hund handelt.

Leider muss ich gestehen, dass aufgrund eingeschränkter Speicherkapazität für die neue Fremdsprache eine altbekannte gelöscht werden musste: Ich kann überhaupt kein denglisches Projektlersprech mehr. Nichts. Is weg! Alles! Außerdem kann ich jetzt nur noch langsam. Wirklich wahr. Und ich bin mittagschlafabhängig. So richtig.

Zu allem Übel bin ich auch noch von der Schwangerschaftsdemenz übergangslos via Stilldemenz in die Altersdemenz geschlittert. Heute erst schaute ich interessiert in unseren Wochenkalender und da stand mit der bärtigen Schrift im Montag: „20:00 Uhr, Weihn.-Markt mit Silke“. Es hat wirklich einige Minuten gedauert, ehe eine Fehlermeldung bei mir ankam und weitere Minuten, bis ich realisierte, dass ich mir den Dezember 2014 ansah. Warum, das weiß ich allerdings immer noch nicht.

Und das alles quasi fünf-vor-Berufsrückkehr! Was soll nur aus mir werden?

Rentner. Das ist die einzige Stellenbeschreibung, die zu meinen neugewonnenen Fähigkeiten passt. Einen passenden beigebraunen Stoffbeutel zum Rumschlenkern habe ich ja schon.

10922830_10204472068100775_8219655858786225565_n

 

Valentinstag

„Mama, ich brauche fünf Euro für eine Rose! Ich will heute um Mitternacht im Mondenschein jemandem meine Liebe gestehen.“

Den Hang zur Theatralik hat er in jedem Fall von mir.

„Freundchen, um Mitternacht gestehst du niemandem deine Liebe! Da liegst du im Bett und schläfst.“.

„Ich hoffe, du weißt, was du mir damit zerstörst!“

Die Tendenz zu übertriebener Melodramatik wohl auch…

I´ve got you under my wings

I´ve got you under my wings

Seit ich Mutter bin, sind mir Flügel gewachsen. Starke Schwingen, bereit zu beschützen und zu tragen. In der Tat sehe ich das wirklich so, dass meine Kinder mir Flügel verleihen, mich beflügeln. Für manche sehen die Dinger von weitem allerdings aus wie Rotorblätter…

Nimm ein offensichtlich verhaltensauffälliges Kind und eine besorgt dreinblickende Mutter und die Sache ist für jede andere Mutter klar! Also für jede, die irgendwann mal im Wartezimmer neben einer alten Ausgabe von „Psychologie heute“ gesessen hat (Es waren immer nur die Mütter, deshalb „jede“. Und ja, Ich würde lieber behaupten, das sei anders gewesen.).

Was war zuerst, Henne oder Ei? Ganz klar, die Henne ist an allem schuld! Das dazugehörige Ei war laut, schwer zu bändigen und zu sozialisieren. Außerdem motorisch ungeschickt. Konnte weder Seilspringen noch einen Ball kicken. Sollte er dennoch Fußballspielen, dann verlangte er nach gänzlich anderen Regeln. Er wollte nie auf einen Baum klettern oder mit anderen Kindern gemeinsam irgendetwas bauen. Dreck fand er eklig und ich habe in meinem ganzen Mutterleben noch nie ein Knie geflickt. Der war schon immer seltsam komisch und die Sache war sonnenklar. Das rief ungefragt alle wohlmeinenden Mitmütter auf den Plan.

„Das Kind braucht mehr Grenzen!“, „Der Junge braucht mehr Freiheiten!“, „Du engst ihn ein!“, „Du traust ihm nichts zu!“, „Du musst ihn loslassen.“.

Allein, das Kind gab mir ganz andere Signale. Das der Umwelt zu erklären habe ich lange erfolglos versucht…

„Das ist nur deine eigene Unruhe! Das überträgt sich alles.“, „Du musst mehr…“, „Du musst weniger…“.

In Erziehungsfragen sind Ratschläge in erster Linie Schläge. Es war ein Teufelskreis. Sie meinten es alle nur gut. Sie wollten doch nur helfen! Und verunsicherten mich vollends. Offensichtlich schien ja jeder besser als ich zu wissen, was der Junge denn nun brauchte! Selbst als sich herausstellte, dass meine seltsame Besorgnis nicht unbegründet war, musste ich mich tatsächlich einmal fragen lassen, ob ich denn glauben würde, dass das meine Schuld sei?! Also, dass er so seltsam sei aufgrund meines Verhaltens? Sie habe da mal was darüber gelesen…

Apropos lesen. Ich wünschte, ich hätte das Geld für die unzähligen Erziehungsratgeber gespart und stattdessen einen herzensklugen Menschen gehabt, der mir gesagt hätte:

„Hör zu, Mädchen. Das hat die Natur so eingerichtet, dass du schon alles mitbringst, was du brauchst um dein Junges zu versorgen, von der ersten Sekunde seines Lebens an. Und zwar unabhängig davon, ob das Internet je erfunden wird oder Steve Biddulph und Jesper Juul Bücher schreiben. Sonst wären wir Menschen schon ausgestorben! Deine Instinkte und dein Mütter-Sonar sagen dir, was dein Kind braucht. Dieser kleine Mensch vertraut dir blindlings und das hat seine Richtigkeit! Wird Zeit, dass auch du dir diesbezüglich traust. Hör auf dein Kind und auf dein Bauchgefühl. Und macht euer Ding. Du schaffst das! Und kein Mensch auf der Welt weiß besser als du, was das Kleine wann braucht. Und wenn du das Gefühl hast, da stimmt etwas nicht, geh dem nach. Und hör auf dein Kind. Vor allem: Lass dich nicht verunsichern. Alle Kinder laufen irgendwann, sprechen und legen den Schnuller und die Windeln ab. Jedes zu seiner Zeit. Und alle können irgendwann eins und eins zusammenzählen, der eine mit vier, der andere mit acht. Das ist eure gemeinsame Reise. Sie ist das schönste Abenteuer deines Lebens und du bestimmst, wie ihr reisen wollt: Im Hubschrauber, im U-Boot oder zu Fuß. Dein Kind und du, ihr zwei entscheidet das. Genieß doch einfach mal die Reise!“

So, und jetzt putze ich meine Rotorblätter! 🙂

 

 

 

Der Kloß im Hals

Diesen Text habe ich vor beinahe einem Jahr geschrieben für eine Zeitung. Die meinten, er sei „gut, aber viel zu heftig“, und deshalb wollten sie ihn nicht veröffentlichen. Heute kam das Kind von einer Landheimfahrt zurück und mir diese, meine, Worte wieder in den Sinn. Ich schreibe hier immer, was ich denke. Und heute denke ich den ganzen Tag nur über meine Schluckbeschwerden nach…

In jeder Klasse gibt es Außenseiter, die in der Hofpause verkloppt werden. Denen der Ranzen ausgeschüttet wird, die Brille weggenommen, die Jacke in die Mülltonne gestopft. Die immer die ersten sind, die nach frischem Schneefall vor der Schule grölend eingeseift werden.

Die gab es schon immer. Kinder sind grausam. Manchmal. Irgendjemand ist halt immer der „Horst“, der „auf´s Maul“ kriegt! Das war schon immer so. Und irgendjemand ist halt dessen Mutter. Auch das war schon immer so.

Der Kloß im Hals ist bei mir chronisch. Wann fing das an? Mit Schuleintritt des Kindes? Vermutlich etwas eher. Dieses diffuse Wissen, viel mehr als nur eine Ahnung, mit diesem Kind stimmt was nicht. Die permanente Ablehnung von außen. Und mit den Jahren immer rabiatere Ablehnungssymptome der Kinderumgebung.

Der Kloß im Hals. Mittags im Büro zu sitzen und sich nicht zu fragen: Wird es klingeln? sondern: Ruft die Schule an, dass ich mein Kind holen soll oder ruft der Empfang meiner Firma an, weil das Kind (wahrscheinlich ohne Jacke und/oder ohne Ranzen) am Empfang steht und zu mir will?

Unzählige Kindergeburtstage, an denen die eingeladenen Kinder kamen, weil wir so tolle Aktionen auf die Beine gestellt haben und nicht wegen dem Geburtstagskind. Unverständnis traf auf Unverständnis und trotzdem immer wieder neue Versuche. Und erneute Ablehnung.

Dunkelbraune Augen über einem hübschen Mund, der spricht: „Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie einen Freund. Ich glaube, ich bin der einsamste Mensch auf der Welt!“.

Eine Zeitung. Ein schreckliches Foto. Jugendliche haben einen anderen Jugendlichen zu Tode geprügelt. Ich kann den Beitrag nicht zu Ende lesen… Der Kloß verkrampft mein Herz vor Angst. Könnte dort ein anderer Name stehen? Irgendwann wird dem jemand etwas Schlimmes antun… Wohin nur mit dieser Furcht? Wie nur kann ich ihn sein Leben lang beschützen?

Ein anderer Tag, eine andere Zeitung. Ein anderes Foto. Ein sympathischer Junge, kaum älter als mein eigener. Viele tote Kinder. Schrecklich. Die Buchstaben verschwimmen vor meinen Augen. Mein klumpiges Herz weint heiße Tränen. Um das Opfer, das nicht mitgezählt wurde. Galoppierende Gedanken: Wie verzweifelt muss dieser Junge gewesen sein?! Fast noch ein Kind! Warum hat man das nicht verhindert?! Er muss doch jemandem aufgefallen sein! Und was ist mit seinen Eltern? Seiner armen Mutter? Wo findet sie einen Platz für ihre Trauer? Und: Könnte dort auch ein anderes Foto stehen, dunkelbraune Augen…? Niemals! Nicht denken, nicht aussprechen! Entsetzen, Furcht und Verzweiflung. Der undenkbare Gedanke, die unmögliche Möglichkeit, die unaussprechliche Angst. Der Kloß ein Klumpen.

Erinnerungsfetzen, Gesprächsschnipsel kommen mir in den Sinn:

„Ihr Junge hat eine psychische Behinderung. Vielleicht wird er niemals Freunde finden, helfen sie ihm das zu akzeptieren. Und lernen sie selbst das zu akzeptieren!“ (eine Psychiaterin)

„Unsere Töchter haben Angst vor diesem Jungen! Entweder er geht oder wir nehmen unsere Kinder von dieser Schule! Schließlich ist das eine Privatschule und wir bezahlen ein hohes Schulgeld.“ (zwei Mütter)

„Dieser Amokläufer da in Dingsbums, der war ein Asperger. Wie euer Sohn!“ (eine andere Mutter)

„Sie müssen den Jungen irgendwie durch die Schulzeit bringen. Danach wird’s meistens besser!“ (eine andere Ärztin)

…Danach wird’s besser. Es wird schon besser. An den meisten Tagen glaube ich das sogar. Noch fünf Jahre Schule. Und dann? Dann sehen wir weiter. Eins nach dem anderen. Das sagen alle. Aber was heißt das? Und was mache ich bis dahin?

Habe ich dem fremden Jungen neulich vor der benachbarten Schule mit meinem Dazwischengehen geholfen, als er gehänselt und geschubst wurde von mehreren anderen Jungen? Ich fürchte, nicht. Vermutlich bezieht er alleine dafür morgen wieder eine Abreibung. Aber ich konnte nicht anders. Das war der Kloß. Irgendwo habe ich gelesen: „Kinder müssen lernen, ihre Konflikte alleine auszutragen!“. Ich finde das grausam, das sollte niemand lernen müssen. Aber wahrscheinlich spricht auch hier der Kloß.

Außenseiter hat es immer gegeben und wird es immer geben. Und die haben alle eine Mutter. Eine Außenseitermutter mit Kloß im Hals. Manchmal Klößchen, manchmal Klumpen.

„Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt!“

Heute Abend saß ich mit dem Kleinsten beim Abendbrot. Er hatte Hirsebrei mit Apfelmark und einem Schuß Ahornsirup. Ich musste auf einmal grinsen.

„Also das hätte es bei uns früher nicht gegeben!“

Genau. Bei uns gab es nämlich was Ordentliches zu essen! Schnitte zum Abendbrot. Mit Wurst. Oder auch mal ein Rostbrätel auf Brot. Auf jeden Fall tierisches Eiweiß. Grießbrei zum Abendbrot? Mein Vater würde sich im Grab umdrehen… Bei Grießbrei generell, vermute ich.

Überhaupt, was sollte das sein, ein Essen ohne Fleisch?! Eine Vorspeise vielleicht? Bei uns gab es Fleisch. FLEISCH! Schweinebraten, Rindergulasch, Rouladen. Putenrollbraten, ganze Hühner.

Ich hatte es nicht leicht. Ich mochte nämlich kein Fleisch. Mehr noch, es widerte mich an. Der Geruch, der Geschmack, die Fasrigkeit im Mund. Allein schon die Farbe. Ekelhaft.

Mini-Rike vor einem Teller (vermutlich mit Fleisch)

Mein Vater hat die entbehrungsreichen Nachkriegsjahre als Kind erlebt und erzählte oft, dass er damals stets sein kostbares Stück Fleisch beim Sonntagsessen aufsparte bis zum Schluss, um es sich dann ganz langsam und genießerisch mit Wonne einzuverleiben.

Ich ließ das Fleisch auch immer bis zum Schluss auf meinem Teller. Aus anderen Gründen. Aber es gab kein Erbarmen.

„Iss das, das ist gesund!“

Es wäre undenkbar gewesen, mir das verhasste Fleisch zu ersparen. Generell war es nicht üblich, dass auf Sonderkostwünsche eingegangen wurde. Extraessen für die Kinder? Nicht nach dem ersten Geburtstag! Es gab Fleisch mit Kartoffeln und Gemüse und Soße. DAS war ein anständiges Essen!

Ich war ein mickriger Esser. Und das verhasste Fleisch machte alles nur noch schlimmer. Mein Vater musterte mich beim Essen mit einem bohrenden Blick und strafte mich schon für eventuell beabsichtigtes Gesichtverziehen im Vorfeld. Meine Allüren waren für ihn unverständlich. Wie gut ging es uns, jede Woche, ach was, jeden Tag konnten wir Fleisch essen! Das kannte er schließlich noch ganz anders von früher. Undankbar war das von mir. Und die Mutti hatte sich so eine Mühe gemacht mit dem Kochen!

Ich musste am Tisch sitzen, bis das Fleisch weg war. Ich zermahlte und zerkatschte das Gelumpe und parkte den grauen Brei in meinen Backentaschen. Allein, ich wurde immer durchschaut. „Mach mal den Mund auf!“. Einmal saß ich vor meinem Teller, bis meine Mutter bereits den Tisch um mich herum für die Kaffeetafel deckte.

„Wenn du das nicht aufisst, gibts keinen Nachtisch!“

Nachtisch war mein Leben. Ich hatte auch nichts prinzipiell gegen tierisches Fett einzuwenden. In der Variante als Buttercremetorte, Schlagsahne oder Vollmilchschokolade mochte ich es sogar sehr! Aber das olle Fleisch…

„Damit du groß und stark wirst!“

Es ist überliefert, dass ich bereits als Vorschulkind einmal antwortete: „Aber ich will doch klein und zierlich bleiben!“.

Als das erste Kind bei uns unterwegs war, habe ich das wichtigste schon vorab klargestellt: „Meine Kinder werden nicht zum Essen gezwungen!“. Das war schwierig. Vor allem, weil der Beste alles isst außer Grießbrei (und Leber) und nicht verstehen kann, dass es anderen Menschen da anders gehen könnte. Aber da blieb ich fest: Ich zwinge ihn nicht, Grießbrei zu essen und brate seit siebzehn Jahren keine Leber in seiner Gegenwart und er darf im Gegenzug die Kinder nicht zwingen, etwas zu essen, was die nicht mögen.

Klingt alles einfach und machbar. Ha! Wir waren super in der Vorlage. Zwei Sachen aus der Menüauswahl müssen auf jeden Fall gegessen werden. Gekostet wird aber alles, und wenn´s nur ein kleiner Bissen ist. Eine Zeitlang stand noch ein Brotkorb stets auf dem Tisch, damit im Ernstfall wenigstens Brot als Alternative angeboten werden kann.

Scheiße, ist das anstrengend! Ein Heckmeck ist das! Seit Jahren. Dieses schmeckt nicht und jenes schmeckt nicht. Und die Soße schmeckte doch sonst immer, aber heute nicht. Ich will nur Nudeln ohne alles. Und DAS esse ich noch nie!

Es macht keinen Spaß. Also das mit dem Wahlessen. Und dürr wie ein Aal ist das große Kind außerdem. Wie soll er denn mal groß und stark werden? Und der Kleine? Denkste, der freut sich über den Hirsebrei? Ach was. Drei Löffel, dann hat der mir das mit Knurren aus der Hand geschlagen! Dabei ist das doch gesund! Vermutlich will der lieber Fleisch. Ein Steak oder eine Bratwurst. Pommes und Pizza. Da mmmmm-t der schon beim Anblick. Aber das sag ich euch, der isst, was auf den Tisch kommt! Noch so ein verzogenes Blag sitzt mir nicht in der Küche!

Dieser Text ist ein Beitrag zur Blogparade von Frau Mutter, die unter dem Hashtag #Familienalbum zum Geschichten-von-früher-Erzählen aufgerufen hat. Dem bin ich gern gefolgt. Wer mehr davon möchte, der surft schnell zu Frau Mutter auf dem Blog, dort sind sicher bald weitere Familienalbum-Einträge verlinkt. Viel Spaß! 🙂

 

 

In bed with…

Eltern und Schlafen. Nun ja. Ein deutscher Comedian hat vor Jahren sinngemäß Folgendes gesagt: Du wirst nie mehr schlafen! Also nie mehr so wie „vor Kind“.  Zuerst sind sie klein und wollen Milch und zahnen und so. Dann musst du sie mitten in der Nacht anziehen und in irgendeine Einrichtung fahren. Danach in eine andere. Dann kannst du nicht mehr schlafen, weil sie bei der Disco sind und du wartest, dass sie heimkommen oder anrufen, dass du sie holen sollst! Tja, und dann kannst du nicht mehr ausschlafen, weils im Altersheim halb sieben Frühstück gibt…

Und dabei wollen wir doch alle nur das Eine: Schlafen! Familienbett, Gästebett, Besucherritze. Einsvierzig, einsachtzig, zweifuffzig. Zu zweit schlafen, zu viert, mit Oma und dem Nachbarshund. Es ist ein Thema, und nicht erst seit dem streitbaren Artikel über Für und Wider das Familienbett, der vor kurzem die Gemüter erhitzte.

Bloggers Bettgeschichten. Ich weiß gar nicht, ob es überhaupt einen Elternblog gibt, bei dem das Thema „gemeinschaftliches Schlafen“ (freiwillig oder notgedrungen) noch nicht thematisiert wurde. Am frischesten ist mir noch die gestrige Gutenachtgeschichte aus dem Familienbetrieb , MamaOnTheRocks und ihr fehlender Gitterstab und natürlich diese hier aus dem Geflügelzuchtbetrieb von GoodWords.

Und heute erzähle ich euch eine Schlafzimmergeschichte.

Menschen sind Rudeltiere, die sich gegenseitig wärmen und säugen sollten. Auch nachts. Und ich habe es versucht, wirklich! Das Kind Nummer eins lag in seiner ersten Nacht bei uns in einem Körbchen neben mir. Niemand schlief. Weil: Ich konnte nicht schlafen! Das Baby miepte, fiepte und atmete und geräuschte neben mir. Der Bärtige verfrachtete den Neuen also bereits an Tag zwei in sein eigenes Zimmer. Mir blutete das Herz, aber alle schliefen selig! Also stand für den Mann, der mich geheiratet hatte, fest: Jeder bei sich! Ende der Durchsage.

Jahrelang habe ich bei jeder Gelegenheit, in der mir die Argumente gegenüber dem Bärtigen ausgingen, stets darauf hingewiesen, dass er ja schon immer fies gewesen sei, was man selbst ohne Brille daran erkenne, dass er ein winziges, klitzeklitzekleines Baby herzlos aus den Armen seiner Mutter gerissen hätte und in das kalte, dunkle Kinderzimmer gesteckt hätte, wo es sich ohne den wärmenden Busen seiner Mami einsam in den Schlaf schluchzen musste (Natürlich mit mehr Melodramatik!).

Dann kam der neue „Neue“. Dasselbe in Grün: Eine schlaflose Nacht neben mir und seitdem alle anderen Nächte nebenan in seinem (kalten, dunklen, herzlosen) Kinderzimmer. Wenn eines meiner Babys krank ist, zahnt oder sonst wie moralischen Beistand benötigt, ziehe ich mit der Gästematratze und meinem ganzen Zeug in das jeweilige Kinderzimmer. Ins elterliche Bett dürfen sie nur, wenn der Beste verreist ist.

Aber ich muss jetzt den Bärtigen mal in Schutz nehmen. Dass er sich so vehement (und notfalls durch Schlüsselgewalt) vor nächtlichen Invasionen schützt, hat seinen Grund: Irgendwie und irgendwann muss er schliesslich auch mal schlafen! Es ist nämlich so, dass er bereits seit vielen Jahren jede Nacht das Bett teilen muss mit einem kleinen Menschen mit haarsträubenden Schlafgewohnheiten: Mit mir.

Ich brauche soviel Platz wie nötig wäre, um einen Schneeengel zu machen (egal, wie breit das vorhandene Bettmaterial ist). Und absolute Ruhe, aus diesem Grund darf das Fenster nicht mal angelehnt sein. Ich kann auch nicht einschlafen, wenn neben mir jemand einschläft… und da so rumatmet. Oder Bewegungen macht, die Geräusche erzeugen. Ich muss also genug Zeit haben, um allein einschlafen zu können. Die Tür soll aber einen Spalt angelehnt sein. Und zwei dicke Kissen und zwei dicke Decken brauche ich auch (bei Temperaturen unter dreißig Grad extra noch eine Wolldecke obendrüber). Wenn wir auswärts schlafen und es bei der Schlafstatt nur zwei Decken und zwei Kissen gibt für uns beide, dann hat er eben Pech! Wer in einem indischen Zug schlafen kann oder mit einer Lamadecke irgendwo im Dreck auf der anderen Seite der Welt, hat nicht automatisch ein Anrecht auf ein Daunenkissen, nur weil da eines liegt! Das ist dann meins. Und alles andere auch.

Wenn der Beste irgendwann mitten in der Nacht leise auf Zehenspitzen zu seiner Seite des Bettes schleicht, sieht er von mir nichts. Nur einen großen Haufen Decken und Zeug. Unter dem Einfluss von mutmachendem Alkohol hat er schon das eine oder andere Mal versucht, mir eine Decke abzuluchsen. Fataler Fehler! Ich benehme mich im Schlaf wie ein Tier. Ich knurre, fauche und trete um mich. Auch, falls mir irgendwer zu nahe kommen sollte. Don´t touch, sonst klatsch! Nicht, dass der Anblick des Betthaufens zu amourösen Übergriffen einladen würde. Aber selbst wenn er in all dem Stoff und Schaumstoff irgendwo seine Zwergenfrau ausmachen würde, bloß nicht anfassen! Ich habe ja nie verstanden, wie irgendjemand in der „Löffelchenstellung“ schlafen kann. Wenn ich schlafen will, dann will ich schlafen. Wie kann man denn mit dem Unterleib eines anderen Menschen an den eigenen Pobacken schlafen?! Ich unterstelle, dass Menschen, die über dieses Feature verfügen, sonst auch eher mit niedriger Betriebstemperatur vor sich hinköcheln…

Den Betthaufen lässt man am besten in Ruhe. Nicht ansprechen, nicht anfassen, noch nicht mal anatmen!

Ich bin als Schlafzimmergast also eine echte Zumutung und deshalb wäre es eigentlich das Beste, ich schliefe allein. Das geht aber auch nicht, und zwar aus Sicherheitsgründen! Ich neige nämlich außerdem noch zu nächtlichen Abenteuern der anderen Art und irgendjemand muss ein Auge auf mich haben.

Als ich etwa acht Jahre alt war, ging mein Vater früh zur Arbeit und fand mich im Nachthemd auf dem Treppenabsatz  vor unserer Wohnungstür im Sitzen schlafend vor. Morgens halb sechs. Das geht ja noch. Folgende Begebenheit beruht auf den Erzählungen des Bärtigen: Als wir zwei jung (also zumindest er) und frisch verliebt waren, wurde er eines Nachts durch seltsame Geräusche wach. Er blickte zum Fenster und dort hing seine Freundin splitterfasernackt rittlings auf dem Fensterbrett. Ein Bein und ein Arm hingen bereits schon draußen. Sie (also ich) versuchte angestrengt, die Außenjalousie hochzudrücken. Ganz offensichtlich, um durch das Schlafzimmerfenster die Wohnung zu verlassen. Als er mich fragte, was ich da um Himmels Willen täte, rief ich aufgeregt, wir müssten verschwinden! Und zwar sofort! Und er solle kommen, wir müssten jetzt hier raus! Irgendwie behielt er die Ruhe und quatschte mich wieder zurück ins Bett… Zum Glück. Nicht auszudenken, wenn der Nachbar mit dem Hund eine Runde gegangen wäre, und der hätte mich dann nackig im Busch gefunden…

Ich bin immer noch gelegentlich unterwegs nachts. Unnötig zu erwähnen, dass ich stets voll bekleidet schlafe und Erdgeschosswohnungen bevorzuge.

Also ihr seht, die Kinder sind bei uns nicht das Problem! Die schlafen gut.

Wobei wir wieder beim Ausgangsthema sind. Ich bin ein großer Freund vom Familienbett und wir praktizieren das auch ausgiebig. In unserem Bett wird gekuschelt, getobt, gegessen, gelesen und gespielt. Von allen. Mit allen.

Allerdings niemals nachts.

😉

Von Blümchen und Bienchen

„Mama, was wollen Mädchen eigentlich? Also, von einem Jungen?“. Ohne mit der Wimper zu zucken oder vom Wäscheberg aufzublicken sage ich laut: „Das fragst du deinen Vater, der weiß das besser!“. „Den hab ich schon gefragt, der meinte, das wüsste er auch gern und ich soll doch dich fragen.“. Mit einem ostentativen Blick auf den Bärtigen sage ich deutlich zu laut: „Also, das ist wirklich ganz einfach!“, und versuche Zeit zu schinden…

Minuten später sitzt mein Sohn hoffnungsvoll (und offensichtlich hoffnungslos verknallt) vor mir und guckt mich erwartungsvoll mit seinen Bambi-Augen an.

„Sie zu fragen, fällt wohl aus, nehme ich an?“ (das Kind nickt), „Das Beste ist, wenn du einfach nett bist. Und höflich. Und hilfsbereit und zuvorkommend. Und ihre Nähe suchst! Dann schnallt sie das irgendwann.“.

Oh, mein Gott, was rede ich da! Das Kind wird fünfzehn! Wann war „nett“ je in Teenagerkreisen ein USP?

Ausweglos am Ziel vorbei schwadroniere ich weiter: „Weißt du, der Papa hat mir immer die Tür aufgehalten, obwohl das damals auch nicht mehr modern war. Einfach jede. Ich habe nie eine Autotür selbst öffnen müssen, er ging immer zuerst zur Beifahrertür und hielt die mir auf. Er hat sich immer wie ein Prinz aus dem Märchen verhalten.“. Darf man das noch sagen? Wo doch heute alle Mädchen und Frauen alles selber machen wollen und können?

Ich bin überhaupt keine Hilfe! Ich seh schon, wie mich eine andere Mutter anruft und mich befragt, welche antiquierten Wertesysteme wir unserem Sohn vermitteln. Scheiße!

„Und was, wenn du ihr einen Brief schreibst? Oder ein Gedicht?“. Für mich hat nie einer ein Gedicht geschrieben.

Oh Henrike, du meines Herzens Gräte,

wenn ich dich in die Finger kriegen tun täte,

ich schmisse dich auf meine Liege!

Hat niemand je geschrieben.

„Warte, vergiss das mit dem Gedicht. Wahrscheinlich zeigt sie das all ihren Freundinnen und dann lachen die über dich.“. Vermutlich wäre das der beste Augenblick, mit der Wahrheit rauszurücken: Ich habe keine Ahnung! Das Kind schaut immer noch hoffnungsvoll. Meine Arme und Mundwinkel werden immer länger.

Soweit ich mich erinnere, geht es nur ums Überleben, wenn du fünfzehn bist und nicht zu den coolen Kids gehörst. Das Kind gehört nicht dazu. Klassenbester und Außenseiter.

Ich erinnere mich, dass ich jahrelang für einen Jungen mit wilder Frisur und irrem Blick schwärmte, der nur mit mir knutschte nach der Schuldisco, wenn wirklich, und ich meine wirklich, alle anderen Optionen noch weniger vielversprechend waren. Währenddessen…

In meiner Klasse gab es den *Max Mustermann (*Name aus Datenschutzgründen geändert), Klassenbester und altkluger Streber. Der hatte zu allem Überfluss eine schlimme Schuppen-flechte und kaute an den Nägeln. In der ersten Klasse saß der bereits neben mir auf der letzten Bank. Und tat Unerhörtes, was mich veranlasste, mich zu melden und entrüstet zu verkünden: „Frau Menke, der Max hat mich gerade geküsst!“. Ob es Sanktionen gab, weiß ich nicht mehr. Was ich weiß ist, dass er auf jedem Klassenfoto neben mir sitzt. Auf unserem Jugendweihefoto neben mir steht und selbst in der Tanzstunde… Ach, wem mache ich was vor? Er war jahrelang der Einzige, der sich für das kleine, sommersprossige Mädchen interessierte. Er hatte nicht den Hauch einer Chance, rückblickend war mir gar nicht klar, dass der mich wohl urst Bombe fand (Hätter mal ein Gedicht geschrieben!). Also wurde er auch mein Tanzstundenpartner, obwohl ich lieber jemanden mit wilder Frisur gehabt hätte. Der Max klebte meine gesamte Schulzeit an mir.

Ich hatte kein Auge für die Netten, die Strebsamen. Das ist das Privileg der Pubertät. Was Aufrührerisches muss her. Wenn man in der Ecke mit den coolen Kids steht, sowieso. Und auch sonst. Dann schielt man eben zur Ecke mit den coolen Kids, und will auch dort stehen! Beliebt sein. Vielleicht dann erst recht.

Wann hört das auf? Ich hab keine Erinnerung mehr, wann „nett“ nett wurde. Leise anstatt laut, feinsinnig anstatt draufgängerisch. Sommersprossen auf den Armen anstatt Tattoos. Ab wann man sich zurückerinnert, wie die eigenen erwachsenen Vorbilder miteinander umgegangen sind. Selektiert, was man davon selbst haben möchte und was ganz anders.

„Hm, ich weiß auch nicht, was Mädchen wollen. Früher wollten sie cool sein und total beliebt. Vielleicht wollen sie das auch heute noch. Oder nur einige von ihnen. Möglicherweise findest du gerade die toll, die dich überhaupt nicht sehen. Daran kannst du vermutlich auch nicht viel ändern. Aber ich weiß ganz sicher, dass das besser wird. Später. Es wird einfacher.“ (Lüge! Schamlose Lüge!)

Das Kind schaut jetzt entmutigt und in mir krampft sich was (Wehe, wenn dem eine das Herz bricht!).

Man kann sich nicht aussuchen, in wen man sich verliebt. Nicht mit fünfzehn, nicht mit fünfzig. Aber manchmal ist es der Mut, sich zu offenbaren, der einem anderen das Herz öffnet. Nicht nur in Liebesdingen. Aber da auch. Wenn ich daran denke, mit welchem Blick mein Vater meine Mutter stets ansah, diese Mischung aus Erstaunen, Bewunderung und Stolz. Dieser Blick, der sagte: „Du bist die Eine für mich!“, vollkommen wurscht, wie antiquiert diese Äußerung auch heute sein mag. Ehrliches Interesse signalisieren, vor allem Interesse an dem, was im Herz und im Kopf los ist. Nicht nur in der Hose.

Aber das kann ich doch meinem Kind nicht sagen! Nein.

„Weißt du, wir hatten einen Jungen in der Klasse früher, der hieß Max.“, „Gehörte der zu den Coolen?“, „Nein, überhaupt nicht. Ich weiß nicht, ob der überhaupt während der Schulzeit je eine Freundin hatte. Aber du, wenn ich den jetzt sehe bei den Klassentreffen, freue ich mich immer besonders! Und weißt du was, der ist heute Physikprofessor und schreibt Bücher und unterrichtet Studenten!“, „Heute ist der also cool?“, „Ich glaub schon.“.

Das Kind guckt erleichtert, erhebt sich vom Stuhl und im Gehen sagt er: „Vielleicht werde ich auch mal Physikprofessor!“.

Ich atme tief, ich hab´s überstanden…

In der Tür dreht er sich plötzlich um und fragt: „Und was ist mit Sex? Der Arthur sagt, Mädchen wollen immer Sex?!“. „Nein! Äh, manchmal! Aber doch nicht jetzt! Und auch nicht mit sechzehn! Also überhaupt erst… Hä?! Also, der Arthur ist ein Idiot, der hat gar keine Ahnung! Und ich muss jetzt auch mal mit der Wäsche weitermachen! Und wenn du unterwegs im Flur deinen Vater triffst, sag dem, nur weil ich mir eine goldene Handschelle habe anlegen lassen, braucht er nicht aufhören, die Türen für mich zu öffnen! Und die Erfindung der Zentralverriegelung ist überhaupt keine Entschuldigung für nachlässiges Verhalten. Und überhaupt! Wann hab ich denn das letzte Mal Blumen bekommen?! Ja, ich weiß, ich mag keine Schnittblumen, aber ich will trotzdem welche! Und Komplimente! Aufmerksamkeit! Gedichte. Sag dem das. Und außerdem will ich, dass der die Erde küsst, auf der ich wandle und mich wie eine Prinzessin behandelt! Pah, keine Ahnung haben, was Mädchen wollen!“.

Ist doch ganz einfach, oder?

Oh du fröhliche… letzter Teil

Draußen stürmt und regnet es bei apriligen acht Grad, aber das botanische Weihnachtsorakel lügt nicht: Es ist soweit.IMG_1924Der „Geist der vergangenen Weihnacht“ war in den letzten Tagen bei mir zu Besuch.

Ich habe mich an die Familienfeiern früher erinnert. Ich musste immer Mittagschlaf halten und durfte die „Stube“ nicht betreten, bis mich jemand holte! Ewig habe ich gewartet und die Kerzen am Baum schon durch die Butzenscheiben unserer Wohnzimmertür glitzern sehen. Kartoffelsalat und Würstchen, an den Feiertagen dann Gans und Pute. Mit Rotkohl.

Ich erinnerte mich an ein Weihnachtsfest auf den Malediven mit Sonnenbrand, pinkfarbenen Desserts und Palmen voller Christbaumkugeln. Und daran, dass ich danach behauptete, das sei die allerblödeste Idee von allen gewesen! Weihnachten im Warmen. Tss.

Ich erinnerte mich an das allererste Weihnachten mit dem Bärtigen. Siebzehn Jahre ist das nun her. Da wir uns im Januar gefunden hatten, war unsere junge Beziehung im darauffolgenen Dezember schon stabil und wir beschlossen, für uns und die Ewigkeit unsere eigenen Weihnachtstraditionen zusammenzuzimmern. Der Weihnachtsbaum kommt bei uns am ersten Advent und fliegt am siebenundzwanzigsten Dezember raus! Ja, Schatz, super Idee. Wir machen keine Ente, wir machen… äh… Fisch?! Klasse, Schatz! Oder griechisch? Auch super! An unserem ersten gemeinsamen Heiligabend saßen wir zwei alleine in unserem Stübchen mit unserem Bäumchen und um mich herum lag einfach alles, worauf in den vergangenen elf Monaten mein Blick länger geweilt hatte. Eine Honigdose aus Holz zum Beispiel, daran erinnere ich mich genau… alles hatte er gekauft aus lauter Liebe und dem Wunsch, mich glücklich zu machen. Dabei war er damals noch Lehrling und hatte gar kein Geld! Am Ende schleppte er eine Waschmaschinenkiste an und ich dachte mir, oh mein Gott, wieso schenkt der mir jetzt eine neue Waschmaschine! Aber nein, irgendwo zwischen Knüllpapier lag ein Silberkettchen in einer Schachtel. Und wie er da stand mit glänzenden Augen. Ich bekomme gleich Schnupfen…

Wir haben in all den Jahren unsere Zweisamkeit an diesen Tagen versucht vehement zu verteidigen. Das hat nicht immer geklappt. Eigentlich war das spätestens dann zum Scheitern verurteilt, als wir Eltern wurden. Auch den heiligen Heiligabend ließ man uns nicht. Aber ich erinnere mich, dass ich in jedem Jahr nur dem Besten in die Augen sehen brauchte und las: Warts ab, irgendwann sind wir allein und dann ist unser Heiligabend! Wir haben auch nach jedem Fress- und Feiermarathon geschworen, wir würden das im neuen Jahr anders machen…

Es wurde irgendwann von alleine anders. Und unsere Traditionen auch. Die sind mittlerweile etabliert. Wir haben immer am ersten Advent bereits den Baum und Tante Baum fliegt nach wie vor am siebenundzwanzigsten aus dem Fenster. Wir sind am Heiligabend bei uns daheim. Punkt. Es gibt Wunschessen, egal, was das nun gerade ist. Wir gehen zum Krippenspiel, spazieren durch den Abend und freuen uns an den Lichtern und erleuchteten Fenstern. Die Geschenke werden erwürfelt: Wer eine Sechs wirft, darf ein Geschenk mit seinem Namen unter dem Baum vorziehen. Wir spielen immer ein Brett- oder Strategiespiel. Und wir schauen „Schöne Bescherung“ mit Chevy Chase. Immer! Obwohl wir alle Dialoge mitsprechen können („Das gibt keinen Abrass, Drucki!“), gehört dieser Film zu unserem Weihnachten.

In diesem Jahr erfüllt mich das mit Wehmut und ich fühle mit Clark Griswold, der sich so sehr bemüht, seiner Familie ein unvergessliches Weihnachtsfest zu bescheren und von einer Katastrophe in die nächste schlittert. Denn, ganz ehrlich, so entspannt, wie wir das uns in jedem Jahr vornehmen, wird es natürlich nicht. Denn ich bin ja auch noch da! Und drehe durch, egal, was ich mir selbst für Vorsätze aufdiktiert habe. Ich bin der Clarky dieser Familie, der zwei Kilo Butterschmalz verbäckt, notfalls morgens zwischen vier und sechs. Der Weihnachtskarten selber bastelt und dann keine Zeit mehr findet, die rechtzeitig zu verschicken. So einer bin ich. Ich liebe diese Familie so sehr und will einfach, dass jedes Weihnachten unvergesslich wird und dass meine Kinder ihren Kindern irgendwann erzählen, wie schön das damals zuhause war (Ich rede auch schon wie Clark Griswold). Mit den unausweichlichen Folgen. Ich liebe Weihnachten! „Sie war stets bemüht, wenn auch übereifrig.“, steht bestimmt auch in diesem Jahr auf meinem Weihnachtszeugnis.

Die Kinder regulieren mich. Am letzten Heiligabend bin ich allein abends mit einem schreienden Baby in der kalten Dunkelheit rumspaziert, die beiden anderen Jungs lagen krank in ihren Betten. „Weißt du noch? Am ersten Weihnachten mit dem Großen warst du auch so lange krank.“, erinnert sich der Bärtige, als ich mich neulich beschwerte, ich käme vor lauter Grippewellen gar nicht mehr auf die Füße. Bin ich gesund, kränkeln die Kinder. Sie bremsen mich ab. Sie lenken meinen Blick auf das Wichtige. Gut so!

Dabei bin auch ich vom Geist der Weihnacht beseelt. Ich muss den Glauben nicht teilen, um der christlichen Weihnachtsgeschichte mein Herz zu öffnen und sie zu verstehen und danach zu handeln. Und wenn wir in der Adventszeit durch die Straßen spazieren und ich mich so an den geschmückten Fenstern erfreue und manchmal einen Hauch Vanillekipferlduft aus einem Küchenfenster schwappt, dann denke ich an meine liebste Weihnachtsgeschichte: „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern“ von H.C.Andersen. Und ich weiß genau, dass ich diejenige bin, die hinter dem Fenster sitzt. Die mit dem Baum, dem leckeren Braten und dem warmen Ofen. Und dass dieses kleine Mädchen mit den Zündhölzern genau wie die heilige Familie in der anderen Weihnachtsgeschichte eine Botschaft ist. Dass es Menschen gibt, die vor dem Fenster stehen. Und ich weiß das auch im Sommer. Im Frühling und im Herbst. Nicht nur an Weihnachten.

Ich wünsche euch allen besinnliche Feiertage! Ein Fest in Frieden und Gesundheit, ohne Hunger und Angst. Ein großes Glück. Das wünsche ich euch. Und uns.

IMG_1832

 Ende.

 

Nach wem kommt der denn?

„Ach, der sieht ja genauso aus wie dein Mann!“

„Der ganze Vater!“

Ich kann es nicht mehr hören. Seit Jahren schon verfolgen mich diese Sätze. Ich weiß nicht, mit welcher kollektiven Blindheit die alle geschlagen sind, denn Fakt ist: Sie kommen beide nach mir, die Kinder. Vollkommen zweifelsfrei! Ich verstehe schon, vermutlich wollen die Leute alle nett sein zu meinem Mann, denn das muss schon hart sein: Zwei Kinder zu haben, die so überhaupt nicht nach ihm kommen. Ich versuche immer mal wieder, dem Mann die Augen gegenüber der Wahrheit zu öffnen, nämlich, dass die Kinder wirklich nur und ausschliesslich und für alle sichtbar mir ähnlich sind, aber ich ernte stets schallendes Gelächter! Weil niemand außer mir dies sehen würde…

Bei dem Großen ist es besonders schlimm. Ständig behaupten irgendwelche Menschen, er sähe aus wie der Beste. Dabei sieht doch ein Blinder mit Krückstock, dass der nach meinem Opa Herbert kommt! Also um die Augen. Die Form des Kinns, die Öhrchen, die Wölbung der Fingernägel, sieht alles aus wie bei mir. Oder wie bei meiner Schwester, meiner Tante, meinem Vater… Und überhaupt ist keinerlei Barthaar an ihm. Auch die überaus prägnante Anlage zur Rückenbehaarung, die der Beste mitbringt, hat sich nicht durchgesetzt. Der Rücken des Kindes ist glatt und schön und… sieht aus wie meiner! Na, also. Außerdem ist er langgliedrig und schlank wie die Menschen in meiner Familie. Die Familie des Angeheirateten besteht aus einer Ansammlung von netten, sympathischen Hobbits. Alle so Ritter-Sport-formatig. Ein einziger Mensch in der gesamten Linie des Mannes hat die magische Wachstumsgrenze von 1,60m geknackt (und den habe ich geheiratet). Das Kind ist jetzt bereits 1,60m hoch. Ganz klar die mütterlichen Gene (Also die aus meiner Familie, nicht direkt meine, ich habe selbstlos alle Zentimeter über 1,57m dem Rest der Familie zur gleichmäßigen Verteilung überlassen.). Wenn ich nett sein möchte und mir viel Mühe gebe, dann kann ich Ähnlichkeiten zwischen den beiden großen Jungs erkennen. Zumindest beim o-beinigen Cowboy-Gang. Wenn ich hinter ihnen laufe, sehen die aus wie zwei Lone Rangers, denen jemand das Pferd zwischen den Schenkeln weggeschossen hat. Aber das wars schon an Gemeinsamkeiten. Glaub ich.

Als das Baby geboren wurde, dachte selbst ich kurz, ein Schluck väterlichen Erbguts hätte sich nun durchgesetzt. Denn das Kind schien hellblond zu sein. Nun ist der einzige naturblonde Mensch in der gesamten Mischpoke meine Schwiegermutter. Aber nein, bereits nach wenigen Tagen schimmerte ein deutlicher Rotstich auf des Kindes Kopf. Ganz klar: Der kommt nach meiner Oma Charlotte! Wobei das ganze Konzept des Babys noch Überraschungen birgt. Denn eigentlich sah er (bis auf das beschriebene güldene Haupthaar) aus wie eine Kreuzung aus Yoda und Benjamin Button. Also nicht in der ausgewachsenen Brad-Pitt-Version, sondern eher wie der kleine Benjamin Button. Ein mürrisch dreinblickender, faltiger Mini-Opa. Aber wir kennen ja alle den Film und wissen, was da später rausgekommen ist. Und ich bete zu Gott, dass der allgemeine Konsens darüber, was bei Männern als attraktiv gilt, noch einige Jahre so bestehen bleibt. Denn dann isser wenigstens hübsch. Das wird er brauchen können. Denn viel mehr kann er nicht, das ist jetzt schon abzusehen. Eigentlich kann er gar nichts. Das macht aber nichts. Der wird später eine schlauchbootlippige Schauspielerin heiraten  und viele Kinder adoptieren.

Was das Temperament der Kinder angeht, da besteht allerdings bei niemandem der Hauch eines Zweifels, dass sie beide nach ihrer Mutter schlagen. Theatralisches Geheul, dramatisches Sich-an-den-Haaren-reißen und Auf-den-Boden-schmeißen können wir alle drei. Der Beste hat diesbezüglich keinerlei Begabung.

„Das hatter von dir!“. Wenn dieser Satz aus dem Mund meines Mannes kommt, geht es garantiert um die beneidenswerte Fähigkeit der Fantasie. Warum gerade diese Eigenschaft so scheinbar neidlos meinem Genpool zugeordnet wird, weiß ich nicht. Aber es stimmt: Das Großkind und ich, wir können nicht nur die großen Dramen, nein, auch hemmungslose Übertreibungen liegen uns im Blut. Wenn jemand schnöder Fakten bedarf, fragt er am besten keinen von uns. Oder halbiert im Kopf unsere Aussage, pustet den Flitter runter und dann kommt er möglicherweise in Faktennähe. Möglicherweise.

Wenn ich mit dem Besten mal wieder streite, wem irgendjemand nun ähnlich sieht (der ist da echt hartnäckig auf seinen Standpunkt erpicht), dann holt er gern eine hornalte Episode vor (Gähn!): Die Besitzerin eines Getränkehandels in Wohnungsnähe hatte mal vor Jahren ein Paket entgegengenommen für mich. Als ich das Abends abholen wollte, verkündete sie, sie hätte das bereits meinem Mann mitgegeben. Auf meine verdutzte Frage hin, woher sie denn bitte wüsste, wer mein Mann sei, antwortete sie: „Na, ich habe sie doch schon mit ihrem Sohn gesehen. Und da kam heute ein Mann rein, der sah aus wie ihr Sohn. Nur größer. Und da habe ich dem das Paket gegeben.“ (Ich hoffe, alle DHL-Boten lernen daraus, dass ein Getränkemarkt der denkbar schlechteste Ablieferungsort für Pakete ist!).

Vermutlich werden noch die nächsten zwanzig Jahre alle Leute behaupten, die Jungs sähen aus wie ihr Vater. Aber ihr und ich, wir wissen es besser, nach wem die zwei wirklich kommen. Nach mir. Und Brad Pitt.

Und das stimmt, ohne Übertreibung!

Familie Seltsam

Als der Beste und ich noch jung und faltenfrei waren und das anbetungswürdige Produkt unserer Lenden noch ein Kleines, hatten wir immer eine volle Hütte. Eigentlich saßen bei uns zu jeder beliebigen Mahlzeit mindestens noch ein, zwei Menschen mehr am Tisch. Wir fuhren mit Freunden zusammen in Urlaub, feierten alle erdenklichen Feiertage mit der Familie und dann noch mal (schließlich sollen Feiertage ja Spaß machen) noch mal mit unseren Freunden.

Diese Zeiten sind vorbei. Wir sind einsam. Irgendwie.

Wann sind wir so seltsam geworden, frage ich den bärtigen Mann. Und der schaut mich an und sagt das, was auch ich empfinde: Er würde ja gern sagen, es hätte nicht mit IHM zu tun, aber leider hat alles immer mit IHM zu tun.

Ich weiß nicht, wann es anfing. Vielleicht mit den ersten gut gemeinten Erziehungsratschlägen vor vielen Jahren. Mit Freunden, die versuchten, uns zu erklären, wie wir doch am besten mit diesem Jungen umgehen sollten. Ist ja nur gut gemeint! Mit den Stichen in der Herzgegend, die sowas bei mir auslöste, dem rasendem Puls. Vielleicht auch mit den immer seltsamer werdenden Feiern und Zusammentreffen mit anderen Familien, bei denen wir zwei Alten niemals locker und entspannt waren. Immer in Hab-acht-Stellung. Immer ein Auge auf dem Jungen, um deeskalierend einwirken zu können. Und immer war es irgendwann nötig. Möglicherweise liegt es auch daran, dass die Einladungen über die Jahre weniger wurden, die Abstände zwischen den Treffen mit den lieben Freunden immer größer… Ob es an dem Jungen mit dem auffälligen Verhalten lag oder an seinen Eltern mit dem mittlerweile ebenfalls seltsamen Verhalten, wer weiß das schon. Manchmal „passierte“ auch gar nichts, aber angespannt nervös sind wir Eltern trotzdem immer gewesen. Was willste da machen…

Viele Jahre versuchte das Kind, in Kontakt zu kommen. Freunde zu finden. Er hat sich mittlerweile die meiste Zeit abgefunden, dass das nicht funktioniert. Und ist auf uns Eltern fokussiert. Und wir? Ja, wir auf ihn. Immer noch. „Mir müssen ihn doch vor Verletzungen schützen!“, sagt der Beste, und ich würde gern erwidern, dass er das irgendwann selbst schaffen können muss, wir ihn ja nicht sein Leben lang beschützen können! Aber ich kann das nicht aussprechen. Der Drang, mein Junges zu beschützen, ist nach wie vor so übermächtig, das einer anderen Teenie- Mutter erklären zu wollen, fällt mir schwer. Nein, es ist nahezu unmöglich.

Stell dir doch mal folgendes vor: „Du stinkst aus dem Mund! Du musst dir mal die Zähne putzen!“. Wenn sowas ein Vierjähriger zu deiner Freundin sagt, ist es ehrlich, direkt und vielleicht vorlaut. Nicht bei einem Vierzehnjährigen. Das geht gar nicht! Und wenn du dann verlegen stammeln würdest, er meine es ja gar nicht so, dann kommt garantiert: „Aber natürlich meine ich das so!“.

Und so vereinsame ich auch in meinen eigenen Kontakten. Der Beste und ich haben eine Handvoll Freunde. Bei mir sind es bis auf eine einzige Ausnahme Frauen, die ich schon jahrelang kenne. Die mein Kind schon jahrelang kennen. Und selbst die treffe ich lieber allein. Es fällt mir immer schwerer, jemandem die Tür zu öffnen zu dieser Familie.

Ich habe einen Kloß im Hals, während ich das schreibe.

Der Junge selbst hat vermutlich die wenigsten Sorgen damit. Er mag nur einen Handvoll Menschen, die wenigsten davon wissen etwas von ihrem „Glück“. Auch das Auswahlverfahren dazu liegt für mich komplett im Dunkel. Nein, ICH habe das Problem. ICH fürchte mich vor dem Verhalten anderer Leute zu dem Kind. Oder mir gegenüber. „Meinst du, der ist so geworden, weil du so hektisch bist? Und wäre es für den Jungen möglicherweise leichter, wenn du anders wärest?“. Eine liebe, kluge Frau. Eine wirklich Nette, und dann fragt sie mich sowas! Das Schlimme daran ist ja, dass ich mich das wirklich oft frage. Kann ich irgendwas dafür? Liegt es an mir? Das ist furchtbar, die Antworten weiß ich. Und trotzdem quäle ich mich mit diesen Fragen.

Ich will gar nicht mehr darüber reden. Mit den Freundinnen nicht, was soll ich mit einem besorgten Blick! Mit dem Besten nicht. Selten. Wir verschweigen uns manchmal schon gegenseitig üble Situationen, um den anderen nicht auch noch aufzuregen. Wir sehen doch die Sorge im Gesicht des anderen. Auch Wut, Angst. An manchen Tagen.

Und dann gibt es diese Abende.b3

b1

Ich gehe selten aus. Auch zu diesen Treffen eher sporadisch. Aber dann komme ich in die Kneipe, mein Blick sucht nach dem längsten Tisch. Mal sind es fünf Frauen, die da sitzen, mal zwanzig Leute. Auch Paare. Viele Gesichter kenne ich nicht. „Hallo, ich bin Henrike!“. Und kaum sitze ich, ist es wieder da: Dieses Gefühl, zugehörig zu sein. Verstanden. Egal, was ich erzähle, ein Nicken von links und ein Nicken von rechts. Kennen wir, ist bei uns auch so. Erzählt eine andere, nicke ich. Ja! Genauso ist es auch bei uns! Dazu gibt’s Informationen, Hilfestellung von anderen, Einladungen zu Informationsveranstaltungen. Interessante Vorträge. Peter, Joel, Mini, Tim. Hier bekommen die Kinder Namen, hier sind die Geschichten plastisch. Und niemand wundert sich! Hier darf man sogar lachen über die schrulligen Eigenheiten des Nachwuchses.b2

Als ich gestern nach Hause fuhr, dachte ich, wie stärkend doch so ein Abend ist. Wie unendlich tröstlich. Und wie dankbar ich bin, dass sich jemand die Mühe macht, diese Abende zu organisieren. Den Verein am Leben zu halten. Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Zusätzlich zum eigenen Leben mit den ganz eigenen fremden, vertrauten Problemen mit einem besonderen Kind. Dass es Menschen gibt, die trotz der ganzen Ablehnung, die wir alle kennen, noch mit offenen Armen und Herzen auf Fremde zugehen. Und soviel geben.

 

Für Teresa, Annett, Barbara. Die Gespräche mit Euch sind wie heiße Schokolade für mein Herz. Und für alle Menschen, die sich aktiv in Selbsthilfegruppen engagieren und somit anderen Menschen Hilfe anbieten.

Danke dafür ❤

 

Du willst mehr Infos zum Autismus eV? Hier entlang: http://w3.autismus.de/pages/startseite.php

Auszeit

Mir ist gerade das Herz schwer.

Bei Nina konnte ich heute einen wundervollen Bericht über einen Kurzurlaub auf Sylt lesen und bei Gretel tolle Fotos vom Liebesurlaub an der Ostsee bestaunen.

Ich gönne es beiden neidlos von ganzem Herzen, wenn auch mit Weh. Denn bei uns werden vermutlich noch einige Jahre ins Land gehen, bis der Bärtige und ich wieder einmal alleine verreisen können. Oder überhaupt länger als ein paar Stunden allein zu zweit sein werden. Das wissen wir. Und wir haben auch gewusst, als uns unser zweites Kind geschenkt wurde, dass sich dieser Zustand um weitere Jahre verlängert.

Es wird immer angenommen und als selbstverständlich angesehen, dass -wenn es denn Großeltern gibt- Oma und Opa liebend gern Zeit mit den Enkeln verbringen und diese am Wochenende oder in den Ferien betreuen wollen. So kenne ich das auch aus meiner eigenen Kindheit. Meine Eltern sind oft ohne mich verreist, ich war dann bei den einen Großeltern. Oder bei den anderen. Und das sehr gern.

Bei unserer eigenen Familiensituation ist das so nicht vorstellbar. Als der Große noch ein Kleiner war, war meine Schwiegermutter mehrmals mit ihm allein im Urlaub. Da hätten wir dann alleine verreisen können. Liebesurlaub machen. Beziehungspflege. Haben wir nicht, vermutlich weil uns das Besondere daran gar nicht bewusst war in diesem Moment!

Mit dem Schuleintritt des Großen häuften sich die Verhaltensauffälligkeiten bei dem Kind, sodass es unvertretbar erschien, ihn irgendwo allein hinzugeben. Er wollte auch nicht mehr.

Abgesehen davon unterscheidet sich die heutige Situation extrem zu meinem eigenen Erleben von Großelternschaft: Waren meine Omas mit selbst gebackenem Kuchen und Pudding und feuchten Küssen stets tränenverschmiert erfreut, wenn ich zu Besuch kam, so erlebe ich die „neuen“ Omas bei uns doch ganz anders: Sie verreisen, machen Sport, gehen auf Veranstaltungen, haben einen straff gefüllten Terminkalender! Das sei „der Egoismus der neuen Großeltern“, habe ich mal irgendwo gelesen. Die sitzen nicht mehr strickend und stopfend auf der Couch und warten, dass einer der Kinder oder Enkel zu Besuch kommt. Die haben noch ein mit eigenen Interessen gefülltes Leben.

Das dürfen sie. Natürlich! Und trotzdem…

Es ist kein legitimes Recht, anzunehmen, dass die eigenen Eltern unsere Kinder genauso lieben wie wir. Und sich freuen, mit ihnen so viel Zeit wie möglich zu verbringen. Für mich war das ein schmerzlicher Lernprozess. Gerade weil ich in meinem Umfeld auch Großeltern erlebe, die ihre Kinder sehr aktiv unterstützen bei der Kinderbetreuung, im Haushalt. Die anreisen von sonstwo, wenn jemand krank ist, um zu helfen. Die sogar zusammen verreisen. Weil alle Beteiligten das so möchten. Ich finde das toll! Auch wenn ich mir natürlich vorstellen kann, dass das sehr viel Verständnis und Rücksichtnahme auf beiden Seiten erfordert.

Die Eltern begleiten uns bei unserer Entwicklung eine ganze Zeit und dann – mit Glück- noch einmal ein paar Jahre bei der Entwicklung unserer eigenen Kinder. Bis sie dann selbst auf unsere Hilfe angewiesen sind. Und ich frage mich manchmal, was sollen meine Jungs für einen Blick auf mich als alte Oma haben, wenn sie es gar nicht aus eigenem Erleben kenne? Reicht es aus, sie mit Liebe zu überschütten und immer präsent zu sein, wenn sie es denn wünschen? Oder mache ich dann womöglich schon wieder zu viel? Verliere ich vielleicht meine eigenen Interessen dabei?

Letztere Frage treibt mich sowieso immer mal um. Mit einem „besonderen“ Kind ist der Abnabelungsprozess ein ganz anderer. Er ist sehr fixiert auf uns Eltern und macht auch heute als Vierzehnjähriger nichts allein. Er braucht ganz viel Aufmerksamkeit und Präsenz. Und weil er als seltsam wahrgenommen wird, habe ich ein starkes Schutzbedürfnis und noch immer meine Schwingen über ihm ausgebreitet. Auch wenn er mittlerweile in der Mauser ist und kaum noch drunterpasst.

Mein Kleinster wird mit dem Bewusstsein aufwachsen, dass Omas und Opas die Leute sind, welche an Ostern, Weihnachten und zu Geburtstagen hier sind und Geschenke mitbringen. Feiertagsfamilie nenne ich das. Ich habe gelernt, das zu akzeptieren. Eine andere Familie haben wir nicht! Und ich weiß, es gibt auch junge Familien, die vor Elterngräbern stehen und die vermutlich sagen werden: Na, du hast gut reden!

Und doch: Manchmal wäre es schön, wenn es außer uns zwei Eltern noch jemanden gäbe, mit dem wir diese Obhut teilen könnten. Manchmal wäre es schön, wenn ich die mir vollkommen abhanden gekommene Spontaneität wiederfinden könnte und mal für ein Wochenende Hand in Hand alleine mit meinem Mann an einem Strand entlangspazieren dürfte (Kein Berg! Auf gar keinen Fall Berge! Dann bleib ich lieber hier!). Ihr wisst schon, was ich meine… Dass mal jemand stolz mit dem Baby ausfährt um den Block oder mit dem Großen zu Mc-en geht. Der Urlaub ist ja nur ein Platzhalter in dieser Geschichte.

Wenn ich dann diese Bilder und Berichte sehe, dann wünsche ich mir das auch für mich, für uns. Und mehr noch, dass Euch klar ist, dass ihr da etwas habt, das besonders ist. Und kostbar. Und nicht selbstverständlich.

 

 

 

 

 

 

Jetlag

Alles beim Alten mit dem Alten. Er ist wieder da. Seit einer Woche, um genau zu sein.

Und seitdem haben wir Jetlag.

Alles begann mit gewohnt euphorischem Chaos. Flüge wurden verpasst, Küsse geküsst, vier Tonnen „Spezialwäsche“ flach atmend durch mich gewaschen, der Andendreck aus den Bergstiefeln geklopft, Geschenke ausgepackt.

„Was soll ich dir mitbringen?“, fragte der Beste vor einigen Wochen und ich höre mich deutlich antworten: „Ein Armband wäre schön! Und es muss wirklich nichts Folkloristisches sein! Ehrlich. Gold, Bronze oder Platin reicht.“. Nun sehe ich aus wie Wolfgang Petri. Jute. Bunt. Anscheinend war ich wohl doch zu subtil. Na, wenigstens ist mir warm um die Handgelenke.

Dann wurde noch der eingeschmuggelte südamerikanische Darmvirus in die Familie eingeführt: „Virus, Familie. Familie, Virus!“. Freut mich überhaupt nicht, dich kennenzulernen! Namentlich ist er uns noch nicht bekannt, das Labor züchtet noch ein paar Tage an nicht näher zu benennenden Proben meines Ehemannes herum. Dieser regiert einstweilen vom Klo aus die Welt.

Anstrengend ist dieser Familien-Jetlag: Hier leben jetzt vier Personen mit vier Tagesrhythmen. Oder wenigstens drei. Ferien und Resturlaub tun ihr übriges.

Wenn ich morgens aufstehe, wird es mit Glück bald hell. Die Familien-Lerchen versuchen sich ruhig zu verhalten, was bedeutet, die eine Lerche trägt die andere Lerche die ganze Zeit herum und stopft das Lerchenmäulchen mit Küssen und Keksen, damit kein Laut herausdringt. Und im ersten fahlen Licht des jungen Morgens schlurft dann die eine Lerche mit der anderen Lerche draußen in der Gegend herum. Gegen halb zehn werden unter großen Anstrengungen die Eulen der Familie geweckt, Frühstück steht auf dem Tisch. Um elf haben sie es dann meistens geschafft zu frühstücken, da stehe ich dann schon wieder am Herd und koche Mittagessen. „Waaaas?! Schon WIEDER essen? Wir haben doch eben erst gefrühstückt!“. „Irrtum, Schatz! Du. Ich habe bereits vor fünf Stunden gefrühstückt. Und das Baby will irgendwas Warmes. Oder auch nicht. Aber von mir wird erwartet, dass ich es wenigstens anbiete!“. Ich koche also und das Baby isst für gewöhnlich nichts. Dafür ich dann die kleinkindgerecht zermöllerte Nahrung.

Kaum habe ich die Küche wieder gesäubert, Auftritt Kind Nummer 1. Steht da und verkündet: „Hunger!“. „Ja, mein Kind. Der Hunger ist eine unangenehme körperliche Empfindung, die Menschen und Tiere dazu veranlasst, Nahrung aufzunehmen. Auch als Familienname ist Hunger weiter verbreitet als du vielleicht annimmst. Dein lieber Vater hieß mit Mädchennamen so. Wobei ich in seinem testosteronstrotzenden Fall gar nicht genau weiß, ob `Mädchenname`der zutreffende Begriff ist.“. Währendessen hole ich wieder die Töpfe hervor und bereite dem Kind was zu essen.

Eine Stunde später, ich bin bereits auf Käsekuchen, Buttercremetorte und Kekse konditioniert, Auftritt des Ehemanns: Er schlendert in die Küche, eine Hand meist leger auf die Magengegend gelegt, schaut unschuldig interessiert auf Tisch und Arbeitsflächen. Öffnet vielleicht als Ablenkungsmanöver den Kühlschrank, um dann freundlichst zu fragen: „Schatz, haben wir was zu essen?“. „Selbstverständlich! Mehrere Sorten Reis, Mehl, Zucker, Kartoffeln, Milchprodukte, Gemüse und sogar solch exorbitante Sachen wie Quinoa und Lavendelsalz.“. Unnötig zu erwähnen, dass ich diejenige bin, die das „irgendwas zu essen“ dann zubereitet.

So geht das weiter. Wenn der erste bereits wieder zum Nachtschlaf sich herniederlegt, wird der letzte endgültig wach. Und ich werde als zweites müde, stehe ich doch auch als erstes auf. „Bist du schon wieder müde?“, „Ich möchte mal wissen, wovon du schon wieder müde bist!“, „Andere Leute machen abends noch was zusammen, ich kann dir beim schlafen zugucken.“ und so weiter. Höre ich jeden Abend. Und fühle mich wie ein Spielverderber.

Jetzt noch die Zeitumstellung. Ich glotze grenzdebil auf alle Uhren und peile mal wieder nicht, welche denn nun die richtige Zeit anzeigt! Bin ich nun 5:50 Uhr aufgestanden oder 4:50 Uhr?

Heute Morgen um acht stand Wolfgang Petri alleine mit einem Baby im Tragesack vorm dunklen Bäckerladen, der doch eigentlich halb acht öffnet. Verdammt, wie spät ist es denn nun?!

Scheiß Jetlag.

 

 

 

Elternsprech

Ich bin ja ein großer Freund von „Managersprech“ und „Bullshitbingo“. Also früher. Die größte Perle in meiner Erinnerung hat ein ehemaliger Kollege abgeliefert in einem Meeting: „Das müssen wir mehr visible machen, warum die Sub-IDs nicht geclosed worden!“. Jaja, lang ist´s her.

Jetzt erfreue ich mich an den Wortschätzchen meiner Muttikolleginnen und sammle fleißig. Zum Beispiel sowas hier:

Facebookfoto von Mutter mit Kind und darunter: „Wir vermissen unseren Papi!“. (Aha. Na sowas, ihr seid also Geschwister?)

„Wir zahnen!“ (Okay, in deinem Alter eher ungewöhnlich, oder?)

Für mehr habe ich auf die Schnelle keine Zeit, wir machen jetzt nämlich „Mam mam“! Mahlzeit.

Ein Wunder bitte!

Wie lange habe ich auf dich gewartet. Wie viele Wochen, Monate, Jahre.

Als ich deinen Bruder bekam, glaubte ich mit der Arroganz und Unsterblichkeit meiner Jugend noch an die Großfamilie, von der ich immer geträumt hatte. Es war schwierig, die gesundheitliche Prognose eher schlecht als optimal, aber he! Da war er ja! Auch Ärzte irren schliesslich manchmal.

Er wurde so schnell groß.

Wie oft habe ich mir später alte VHS-Kassetten angeschaut, das Baby bestaunt, das er einmal gewesen ist. Wie er da goldig und süß mit seinem Windelpopo durchs Bild stolperte. Und ich, eine lächelnde, jüngere Version meiner selbst. Und ich fragte meinen Mann: Haben wir damals gewusst, wie scheißglücklich wir waren? Wie oft saß ich da, mit einem Kloß im Hals, und wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen. Diese Momente noch einmal erleben. Aufsaugen. Festhalten. Mir bewusst machen, wie flüchtig sie doch sind! Meinem jüngeren Ich die banalen Sorgen ausreden, die mich damals ablenkten zu sehen, was ich da hatte! Nie wieder würde ich das Kind aus meinen Bett wegschicken, wenn es schlaftrunken sein verschwitztes, nach Apfelessig duftendes Köpfchen an mich kuscheln wöllte. Wie kurz, gemessen an einem Menschenleben, war die Zeit, in der er mir so nah war? Wann habe ich das letzte Mal die Hand meines Kindes halten dürfen? Ich wünschte, ich könnte mich daran erinnern und mich davon verabschieden. Eine kleine, weiche Hand in meiner. Ein winziger Mensch, der neben mir geht und zu mir hochschaut. Ach, könnte ich das doch noch einmal erleben!

Wie oft lag ich nachts wach, feilschte mit dem Schicksal und der Vorsehung, die Hände auf meinen Unterleib gepresst. Ich zündete in jeder Kirche eine Kerze an, hoffte. Und wartete. Vergebens.

Mit ihrer Vorgeschichte… Die Mediziner waren deutlich. Die letztmögliche Chance riss ich an mich! Wenigstens versuchen wollte ich es! Wir schauen mal… sagte der Arzt. Und viele Stunden später als es für diese kleine Routineoperation üblich war, erwachte ich und blickte in sein sorgenvolles Gesicht. Also, ich muss ihnen sagen… mit so einem schweren Befund hatten wir hier nicht gerechnet… Ich kann ihnen nicht vorschreiben, was sie tun sollten, aber dringend abraten von einer künstlichen Befruchtung… bei ihrer Prognose…sie haben doch schon ein Kind…genießen sie das… das grenzt doch schon an ein Wunder… Mir fiel die alte Frau mit den Kreuzen ein aus dem Monty-Python-Film und ich meinte sie kreischen zu hören: Jeder nur ein Wunder! Ich aber wollte ein zweites. Ich sehnte mich so sehr danach!

Also keine künstliche Befruchtung. Die letztmögliche Option ungenutzt vorüberziehen lassen…

Ich war mittlerweile einundvierzig Jahre alt und hatte mich in meinem Leben schon von vielem verabschieden müssen. Von Menschen, Gewohnheiten, Träumen. Mich von dir zu verabschieden war ein bisschen wie sterben.

Was sollte ich mit der zweiten Hälfte meines Lebens anfangen? Sah ich mich doch immer nur in einem Haus voller Kinder. Reisen, Sprachen, Hobbies. Ja…hm. Das Leben genießen. Worthülsen. Sinnentleert für mich.

Es war schwer für mich, dich loszulassen. Ich hasste die Babybauchangeber auf der Straße, die Kinderwagenschieber. Wussten die, was für ein Glück sie da hatten? Mein Glück! Mein Herz krampfte bei jeder Ankündigung: Schwanger! Im Freundeskreis. Ich heuchelte Freude und konnte mich doch nicht freuen.

Die Zeit heilt alles. Irgendwann…

Und irgendwann habe ich nur noch selten an dich gedacht. Versucht, mein Leben zu genießen und das lebendige Wunder, das ich schon hatte. Die Momente, die jetzt waren, bewusst zu erleben. Mit Freude und Liebe zu füllen.

Und dann kamst du. Einfach so. Und hingst wie Chuck Norris an der Eiger-Nordwand meiner zerklüfteten Gebärmutter und keiner weiß, wie du da hinkamst. Wir wollen verhalten optimistisch sein, sagte meine Ärztin und schien jeden Monat aufs Neue überrascht, dass du noch da warst. Mein Kämpferkind! Du warst gekommen um zu bleiben. Ein Wunder! Ein zweites.

Und jetzt bist du ein Jahr bei uns. Du Wundervoller. Du schenkst mir Wunder! Durch dich weiß ich wieder, wie schön sich rieselnder Sand zwischen den Fingern anfühlt. Und die Oberfläche eines Gänseblümchenblattes. Die Perspektive auf die Welt aus achtzig Zentimetern Höhe. Und deine Hand in meiner… weich und klein und fordernd. Dein klopfendes Herzchen an meiner Brust.

Ich werde jeden Moment mit dir bewusst erleben, nichts ist selbstverständlich. Nichts banal. Ich freue mich so sehr über dich! Jeden Tag. Mama, das schönste Wort der Welt. Und nun aus deinem Mund…

Happy Birthday, mein Kleinster, mein Liebchen! Wie schön, dass du geboren bist, wir haben dich so sehr vermisst!

Ordnung

Ordnung

Sonntag morgen, kurz nach Sonnenaufgang.

Ich bin allein zu hause und putze heimlich das Kinderzimmer des Kronsohnes. Diese Aussage bedarf sicherlich einer Erklärung: Das Kind Nummer 1 ist ein sehr ordentlicher Mensch. Prinzipiell und nach den Maßstäben eines Teenagers sowieso. Bereits als Fünfjähriger faltete er abends sorgfältig seine Sachen, bevor er sie in den Schmutzwäschekorb legte. Ordnung ist für Menschen mit einer Autismusspektrumstörung das A und O. Dinge haben einen Platz, Abläufe sind definiert. Essen gibt es immer zu einer bestimmten Zeit. Das ist immens wichtig. In einer Welt, in der du nicht „verstehst“, warum dieses oder jenes passiert, sondern immer wieder „lernen“ musst, dass etwas so oder so funktioniert und Menschen dieses oder jenes meinen, wenn sie so oder so gucken bzw. etwas sagen, was aber etwas ganz anderes bedeutet, dann wird deutlich, dass Ordnung der Dinge einen ganz wichtigen Stellenwert einnimmt. Quasi als Gerüst einer volatilen, sich permanent verändernden Umwelt. Und Veränderungen sind schlecht! Die Unflexibilität, sich daran anzupassen, ist sprichwörtlich autistisch. Dinge, die zum ersten Mal erlebt werden, werden in ihrem Ablauf als „Ordnung“ eingestuft. Die Enttäuschung im Gesicht meines Kindes, was seine Lieblingssuppe mit den Worten „Die schmeckt aber gar nicht!“ zurückschiebt und meine erfolglosen Bemühungen, ihm zu erklären, dass eine Suppe jedes mal in Nuancen anders schmeckt weil es einfach unmöglich ist, exakt immer das gleiche Geschmackserlebnis zusammenzukochen. Darauf gibt es nur eine mögliche Antwort seinerseits: „Und warum?“. Ja, warum.

Foto 4

Eigentlich ist die autistische Denkweise leicht zu verstehen: Es gibt nur die Zustände 1 und 0, true und false. Wie bei einem Computer. Und den nehmen wir ja auch als logisch wahr. Insofern, und weil das Kind mit seinen Besonderheiten nun schon eine Weile bei uns wohnt, kann ich mich dem anpassen.

Dazu gehört, dass ich verstehe, dass ihn der Staub in seinem Zimmer zwar stören mag, aber die Vorstellung, dass ich im Zusammenhang mit dem Staubwischen seine Dinge verschiebe, verrücke, ihren Platz verändere und somit seine Ordnung, das versetzt ihn in eine Stresssituation. Deshalb mache ich das stets während seiner Abwesenheit und in dem Bemühen, alles wieder so hinzustellen und zu legen, wie es war. Was natürlich nicht klappt! Denn ähnlich wie ein Computer bemerkt er Abweichungen, die ich so nie sehen würde! Ein Zettelblock verkehrtherum zum Beispiel.

Aber auch er lernt, dass kleine Veränderungen und Abweichungen nicht zwangsläufig bedeuten, dass die Welt einstürzt.

In kleinen Schritten.

Er bewohnt nach wie vor ein „Kinderzimmer“. Auf die Ankündigung, ein cooles Jugendzimmer daraus zu machen, kam prompt: „Auf keinen Fall!“. So schläft er in seinem Hochbett, ein Foto aus Kindertagen mit einem Nachbarskind steht seit Jahren unberührt auf einem Regalbrett, ebenso eine Flöte, die er gar nicht benutzt. Aber das gehört eben zur Ordnung.Foto 2

Seltsam mag in diesem Zusammenhang anmuten, dass er kein Strukturempfinden hat für notwendige Dinge „von außen“. So gibt es Plakate und Zettel, auf denen steht, was Morgens, Nachmittags, Abends, Sonntags… gemacht werden muss. Der Tagesablauf wird durch piepende Timer bestimmt. Und immer wieder nachkontrollieren. Auch die Schrittfolge mancher Handlungen werden oft nicht eingehalten. Das ist, wie wenn du jemanden beobachtest, der sich die Zähne mit Wasser putzt und im Nachhinein Zahncreme auf die Bürste macht und diese in den Becher stellt. Aber das ist eben so. Dieses Kind, dieser junge Mann, ist eben so. Erklären, zeigen, erklären. Und irgendwann ist der Ablauf als Ordnung abgespeichert. Vielleicht.

Das kann einen frustrieren. Tuts auch. Aber manchmal bringt das ungeahnte Denkanstöße. Was, wenn das, was wir „Gesunde“ als Ordnung kennen, ein Chaos ist? Keiner logischen Ordnung entspricht? Ist das denkbar? Wenn Autisten wie Computer ticken, dann ist ihr Verhalten möglicherweise das Logischere?

Oftmals zumindest ist seine Sicht auf die Welt erfrischend gesünder und manchmal auch belustigend. Physik fällt aus? Statt dessen gibts Bio in der ersten Stunde? Er steht auf und verlässt den Raum. In seinem Plan steht Physik, er hat jetzt kein Bio…

Foto 1

Und in einem Gespräch über Selbständigkeit versuchte ich ihn zu überzeugen, er müsse lernen, die Waschmaschine zu bedienen. Er meinte, er hätte später eine Freundin, die das könnte. Ich erklärte ihm, Frauen wöllten aber nicht als Hausmädchen gesehen werden sondern auf Händen getragen werden. Darauf er: „Das kann ich! Ich bin stark! Ich trag sie zur Waschmaschine.“

 

Verzeihung, sprechen sie Babyisch?

Der Babylino ist nächste Woche elf Monate bei uns. Es klappt auch alles soweit ganz gut.

Vom Status einer „Rumkugel“ hat er sich zu einem „Stehrum“ entwickelt. Wankend wie ein Matrose mit dreiacht auf dem Turm steht er breitbeinig rum und rüttelt an den Gitterstäben seines Lebens. Gern gefolgt mit „Neineineineineineinein!“-Rufen, besonders, wenn es sich um die Gitterstäbe des Kinderbettchens handelt. Ich sehe das mit Wohlwollen, Ja-Sager gibts schon genug.

Trotzdem mache ich mir langsam ein wenig Sorgen. Wir haben augenscheinlich ein Kommunikationsproblem!

Die ersten Monate der nonverbalen Kommunikation verliefen problemlos. Hände an den Ohren=müde, planloses Rumsaugen=Hunger. Das war einfach. Mittlerweile sind wir zur mündlichen Kommunikation übergegangen und das klappt nicht. Beide Parteien verstehen immer nur ´Bahnhof ´.

Das Baby sperrt sich zum Beispiel mit Vorliebe in irgendwelchen Zimmern ein. Rummmms! Eine Tür knallt, das Baby ist drinnen. Ich draußen. Er patscht von innen gegen die Tür und will möglicherweise, dass ich reinkomme. Ich klopfe von außen und habe eigentlich denselben Wunsch, aber denkst du, ich krieg dem begreiflich gemacht, dass er wegkriechen muss von der Tür? So stehe ich dämlich davor und rede mit Engelszungen vernünftig auf das Türbrett ein. Mehrmals täglich. Auf seinen Namen hört das Kind nicht, auf „NEIIIIN!“ dreht er träge sein hübsches Köpfchen in meine Richtung und lutscht weiter am Kaminbesteck…

„Der kommt nach dir. Besonders helle brennt das Licht bei dem nicht!“, konstatiert der Beste.

Wobei wir uns ja wirklich Mühe geben, alle beide. Das Baby spricht seit einigen Tagen eindringlich immer wieder auf mich ein: „Hedate! Hedate!“. Ich habe keine Ahnung, was das bedeutet. Google hat auch nur den unbrauchbaren Hinweis auf einen türkischen Energielieferanten gebracht und ich bezweifle stark, dass das Baby mich auf Ungereimtheiten im Energiesektor hinweisen will.

Wenn man Babies im Rudel beobachtet, merkt man schnell, dass die sich untereinander sehr wohl verstehen. Das ganze sabbernde Gequietsche hat schon Kommunikationszweck. Nur mir erschliesst der sich leider nicht! Jetzt könnte ich mich entspannt zurücklehnen und denken: Typisches Erwachsenenproblem, aber! Vor einigen Tagen im Fleischbällchenrestaurant beobachtete ich eine Mutter, die ein Kind ähnlichen Alters fütterte. Das Kind reckte missmutig die Faust in die Höhe und verlangte nölend: „Mgölp!“, daraufhin erklärte die Mutter ruhig und besonnen: „Den Fruchtzwerg gibts erst, wenn du das Gemüse aufgegessen hast!“. Ich war sprachlos! Das war, wie wenn Steffi, die Frau aus unserem Navi, im Ausland vollkommen emotionslos ansagt: „In einhundertfünfzig Metern rechts abbiegen auf die Ulitza Djejnasswabaschdenia.“, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.

Also bemühe ich mich. Noch mehr.

Heute Nachmittag klettert der Stehrum auf meinen Schoß, schaut mich eindringlich an und verkündet mal wieder: „Hedate! Hedate!“. Ich schaue  eindringlich zurück und erwidere: „Hedate! Hedate!“. Daraufhin quietscht er erfreut los, patscht mir ins Gesicht und quäkt: „Hedda! Hedda!“.

Wir haben uns so eine Weile unterhalten. Ich glaube, es war ein gutes Gespräch. Ich habe allerdings keine Ahnung, worüber…

 

 

Der Elternzeitpraktikant

Dass ich mich hier so rar mache, war nicht beabsichtigt. Die Umstände haben sich geändert. Meine persönliche Situation. Ich habe seit letzter Woche einen Praktikanten und der generiert sehr viel Arbeit und bindet alle freistehenden Ressourcen meinerseits.

Der Beste hat nämlich Erziehungsurlaub und wir müssen da jetzt durch. Ich wusste, dieser Tag würde kommen. Irgendwann. Nicht so schnell allerdings.

Ich versuchte kurzzeitig, ihm glaubhaft zu machen, dass „Erziehungsurlaub“ bedeuten würde, dass Väter an die gestiegene Komplexität der von ihnen erwarteten Leistungen und Kompetenzen ranerzogen werden sollen. Erfolglos.

Er freut sich schon seit Anbeginn der Einnistung des kindlichen Eies auf diese zwei Monate. Nichts kann ihm das versauen! Und was er für Pläne schmiedet! Und was wir alles unternehmen! Und wie toll das für uns zwei werden wird! Oder uns drei. Oder vier. Ganz toll wird das! Zwei Monate frei! Menschenskinder!

Meinen Einwurf, dass „frei“ es ja eigentlich nicht treffen würde, überhört er geflissentlich. Auch hat er mal wieder den Jackpot geknackt, denn da ich ja auch noch daheim bin, sieht das alles aus wie ein langer Sommerurlaub für ihn. Oder, um es aus meiner Warte zu beschreiben: wie ein nicht enden wollendes Wochenende (Ich bemerkte mal unter Freundinnen, dass ich die fünf Wochentage bräuchte, um mich von den Anstrengungen des Wochenendes zu erholen und erntete erstaunlicherweise verständnisvolles Nicken. Geht außer mir also noch zwei anderen so.).

Der Baby-Blondino ist jetzt zehn Monate bei uns und ich bin total verknallt wie am ersten Tag. Ich cruise glücklich in meinem Babyversum und liebe die Tage mit dem Hosenscheißer. Morgens, wenn die beiden großen Jungs das Haus verlassen haben, hauen wir uns noch mal ins Bett und gucken uns verliebt an, kuscheln, schlafen vielleicht noch mal und haben´s ansonsten schön. Termine versuche ich mir tageweise versetzt zu legen, damit so was wie Hektik gar nicht an uns ran kommt. Wenn ich am Rechner sitze, dann hockt der neben mir, kaut auf einem Kuli oder einer Wäscheklammer, guckt interessiert und gibt kluge Kommentare, wenn er gefragt wird: “Da! Da!“ (Genau, er spricht russisch. Das war nicht beabsichtigt, er ist einfach so hochtalentiert. Er spricht auch schwedisch. Alles, was er in die Hände nimmt, wird mit einem freundlichen „Hej!“ begrüßt. Deutsch spricht er im Übrigen nicht. Wir werden schwedisch lernen müssen und russisch kann ich übersetzten. Aber das nur am Rande. Zugegeben, ein längerer Rand, aber wer hier öfter mitliest weiß ja bereits, der heiße Brei ist meine Wohlfühlzone.). Wo war ich? Ach so, ja, also alles voller Geigen. Zumindest montags bis freitags. Am Wochenende habe ich manchmal das Gefühl, als ob wir eine achtköpfige Familie wären oder die Hottentotten bei uns eingefallen sind. Gebrülle, Gelärme, Gerenne, Hektik, Gezanke, Dreck und Unordnung. Nasse Sportklamotten vom Joggen, nasse Sportklamotten vom Radfahren, nasse Sportklamotten vom Squash, dazwischen nasse Sportklamotten, die schon gewaschen waren. Aber wer weiß das schon so genau. Ständig muss ich irgendwem der Brut irgendwas zu essen machen und komme gefühlt erst am Montagmorgen wieder aus der Küche raus.

Und das wird jetzt zwei Monate so sein. Denn justament fällt die Elternzeit des Besten in die Sommerferienzeit vom Kind Nummer eins! Jippieh! All inclusive für mich! Wer zum Henker hat das denn bestellt?

Am ersten Tag des Erziehungsurlaubs sprang der Beste hochmotiviert halb sieben aus dem Bett, um dem Großen das Frühstück zu richten und ließ mich bis um sieben weiterschlummern (Dann brauchte das Baby eine neue Windel!). Bereits am zweiten Tag blieb er liegen und stellte sich tot, ich hatte also wieder Frühschicht. Als das Kind Nummer eins mich halb acht fragte, ob es den Papa wecken dürfte, sagte ich fatalerweise ohne Nachzudenken: “Ja!“. Großer Fehler. Ein verschlafener, zerknautschter Ehemann steckte seinen missmutig dreinblickenden Kopf ins Kinderzimmer und schnauzte: „Und warum genau soll ich jetzt eigentlich aufstehen?!“.

Beim sich deshalb eher als gedacht notwendig erweisenden Mitarbeitergespräch zeigte er sich reumütig, aber wenig selbstkritisch: „Ich muss mich erst an die neue Situation approximieren!“. Aha.

Er kommentierte dann auch jeden seiner Handgriffe lobheischend und erwartete wohlwollende Bemerkungen über seine Leistungen im Kinderzimmer, denn noch niemals hatte ein Baby jemals einen derartig grünen, dünnen Riesenschiss gemacht und noch niemals hatte ein Vater auf der ganzen Welt und im Universum derartig versiert irgendeinen Hosenscheißer davon befreit!

Genau dreißig Minuten. Dann überlegte er wohl, dass die Praktikantenrolle nichts für ihn sei und es mal Zeit würde, dass mir hier jemand sagt, wie man das alles am besten macht. Und wer könnte das besser als er? Eben.

So stand er dann auch mit verschränkten Armen breitbeinig vor mir und konstatierte: „Schleppst du den etwa den ganzen Tag rum? Das ist ja kein Wunder, dass du immer Rückenschmerzen hast! Das wird jetzt anders! Der bleibt jetzt hier sitzen! Wird Zeit, dass der lernt, sich alleine zu beschäftigen!“. Auch das Baby bekam sein Fett weg. Beim Füttern: „Baby, jetzt ist aber Schluss! Hör auf mit den Armen zu fuchteln! Sofort! Du verschmierst den ganzen Brei! Rike, komm her! Ich brauche noch zwölf Zewa-Tücher! Dein Sohn ist überhaupt nicht kooperativ! Wie kann man ein kleines Baby innerhalb so kurzer Zeit derart verziehen! Den kann man nicht füttern! Baby, sitz still oder du bekommst gar nichts! Rike, komm zurück! Ich brauche einen Schnaps! Und tupf´ mir die Stirn ab!“.

Oder so ähnlich.

Abends, ich bin völlig fertig, mäandert der an mich ran und fragt allen Ernstes: „Und? Hab ich dir heute nicht schön geholfen?“.

Bestimmt ist er eine große Hilfe, ich muss mich wahrscheinlich auch erst an die neue Situation approximieren…Sind ja nur ZWEI MONATE!

 

 

 

Eine erotische Kurzgeschichte

Es waren einmal zwei Königskinder, die konnten nicht zueinander finden. Zwar lebten sie im gleichen Königreich, ja, manchmal befanden sie sich sogar zur selben Zeit im gleichen Schloss…aber es war kompliziert! Immer hatte die Prinzessin mindestens einen kleinen Wächter an ihrer Seite.

Eines Tages begab sich aber folgende glücksverheißende Situation:

„Du Schatz, sag mal, sehe ich das richtig: Kind Nummer eins ist nicht da, Kind Nummer zwei schläft, du und ich sind wach?!“

„Hm.“

„Hey! Ho! Hose runter, Bumsnudel raus, geht los! Lass uns in die Kissen springen!“

„Nee Frollein, so bestimmt nicht!“

„Ach komm, ich hab sogar was vorbereitet.“

„Du hast doch nicht etwa eine Kerze im Schlafzimmer angezündet?“

„Spinnst du? Ich habe die Bügelwäsche vom Bett geräumt!“

„Du bist echt so romantisch wie eine abgelaufene Parkuhr.“

„Schatz, das hast du lieb gesagt! Wo willst du hin?“

„Ins Bad, mich frisch machen.“

„Mensch, mach hinne! Das wird doch keine Hochzeitsnacht! Hopp hopp! Wir haben noch vier Minuten, wenns gut läuft! Drei, zwei…“

…Etwas später:

„Oh.“

„Ah.“

„Oh.“

„Ah.“

„Uwäääääääh! Uwäääääääh!“

„Was?! Was ist los?!“

„Ich war das nicht. Das Baby heult. Lass mich mal los, ich muss zu dem.“

„Nein, nein, mach weiter! Der hört gleich wieder auf!“

„Hört er nicht!“

„Doch!“

„Uwäääääääh! Uwäääääääääääääh!“

„Scheiße!“

„Scheiße.“

Und wenn sie nicht gestorben sind, so schläft die Prinzessin weiterhin jeden Abend tief und fest, egal, wie dolle der Prinz an ihr rüttelt und tagsüber wird sie von den kleinen Wächtern bewacht. Und der Prinz legt die Bügelwäsche zusammen.

Gute Nacht!

Die schönste Zeit des Jahres

Wir sind nicht urlaubskompatibel, der Beste und ich. Der eine schreit „Meer!“, der andere „Berge!“ (oder allenfalls „Mehr Berge!“). Und diese Affinitäten sind bei uns auch noch extrem ausgeprägt.

Egal wo wir sind, wenn irgendwo am Horizont ein Hügel sichtbar ist, am besten noch mit einer schneebedeckten oder qualmenden Kuppe: „Oh! Das ist aber schön! Da will ich hin!“ (Er). Ein Maulwurfhügel im Garten und er steigt ganz sicher drauf: „Erstbegehung!“.

Mich zieht´s zum Wasser. Ich bin meersüchtig. Ich kenne zwar ein paar Weltmeere (vom Strand aus), aber mein Lieblingsmeerchen ist ganz klar die Ostsee. Wenn ich denn mal da bin, stolpere ich glückstaumelnd an den Strand wie ein Wüstenwanderer in eine Oase, schmeiße mich in den Sand, streichle den wundervollen Untergrund, starre grenzdebil aufs Wasser…und tauche ein in Transzendenz! Ich brauche nichts, ich denke nichts, ich atme, ich bin, ich bin vollkommen seelig… Bis ein Schatten meinen Blick verdunkelt: „Hier isses langweilig! Kein Berg! Nicht mal´n Hügel! Und was is´n das für Zeug in dem Ikea-Beutel?! Steine?! Vierzig Kilo Steine? Oh nein, sag mir nicht, das willst du mitnehmen! Unser Zuhause sieht jetzt schon aus wie Stonehenge!“.

Urlaubsfoto von ihr

Urlaubsfoto von ihr

Ich habe im Gegenzug für ein paar Steine vom Strand ungezählte Urlaube in den Bergen hinter mich gebracht, adrenalinbesoffen und stinkend vor Angstschweiß an mindestens fünfzig Zentimeter hohen Abgründen entlanggehangelt, hysterisch schreiend, der Arschlochvater solle gefälligst das Kind mit seinem Gürtel sichern und in abrissreifen Bruchbuden („Sie haben eine wahnsinnstolle Sicht auf die Berge!“) mit einem verbeulten Topf ohne Henkel und einem rostigen Wok Essen gekocht. Ich habe mich zwölftausendmal verlaufen mit dem Bergsüchtigen, der behauptet, er könne Karten lesen. Oder „aus Versehen“ das Navi vergessen hat mitzunehmen um den Challenge-Charakter des Ausfluges zu erhöhen. Bin mit Wurstschnitten im Rucksack durch Wälder, Gebirge und Steinshaufen gekraxelt um den wundervollen, anbetungswürdigen Mann, den ich geheiratet habe, glücklich zu machen. „Wenn ich hier jemals lebend aus diesem gottverfluchten, verfickten Scheißwald rauskomme lass ich mich scheiden! An der nächsten Wegkreuzung!“.

Wir verreisen jetzt getrennt. Nicht immer, aber öfter.

Alle zwei Jahre packt der Beste seinen Rucksack und seine Kumpels und dann stapfen die durch irgendwelche Dschungel am anderen Ende der Welt. Steigen auf Vulkane oder Gletscher, schlafen in Zelten auf Bergen oder in finstren Gegenden, reisen und speisen wie die Einheimischen und wechseln drehen nur alle paar Tage ihre „Schlübber“ auf links.

dirk2

Urlaubsfoto von ihm

Und ich finde das wundervoll! Wenn er nach ein paar Wochen im Nirgendwo und genug Bohnensuppe intus, um meine überragenden Kochkünste wieder schätzen zu können, heimkommt…dann habe ich Herzklopfen! Muffensausen wie eine Siebzehnjährige!

Zum Flughafen schaffe ich einen Schreibtischtäter mit zarten Händen und empfindlicher Haut und ein paar Wochen später spuckt mir der Flughafen einen braungebrannten, vollbärtigen Weltbezwinger aus mit Pranken zum Bärentöten und einem Blick, der sagt, dass er das auf der Stelle tun würde, sollte jetzt ein Bär auftauchen und sich zwischen ihn und mich und den heißesten Kuss der Welt stellen! Und wenn wir irgendwann aufgehört haben zu knutschen, zeigt er mir Bilder und Videos und seine Begeisterung schwappt rüber zu mir und mein Stolz auf ihn rüber zu ihm…und so geht das hin und her. Das ist wie eine Frischekur für unsere Ehe. Während der Trennungszeit schreiben wir uns Liebesbriefe (Na gut! Mails!) und sehnen uns nach einander. Ich mag Vermissen! Zumal das Sehnen mit dem Vergessen der Macken des anderen einhergeht. Je länger er weg ist, umso toller und Superman-mäßiger wird er.

Es gibt allerdings Stimmen im Umfeld, die offen sagen, sie fänden das indiskutabel! Der Mann hat Familie! Und Verantwortung! Wie kann der seine Frau mit den Kindern wochenlang alleine lassen um seinen Spaß zu haben (Und wie kannst du als Frau derartige Faxen unterstützen?! Wenn das nun alle machen wöllten!).

Richtig. Er hat Verantwortung! Und zwar in erster Linie für sich und sein Wohlbefinden. Genau wie ich. Uns gefällt die Idee einer Partnerschaft, in der Individualbedürfnisse nicht hinter dem Kollektivbedürfnis zurückstecken müssen. Ich kann das machen, WEIL ich mit dir zusammen bin und du meine Träume unterstützt. Auch wenn es nicht deine Träume sind. Träume haben wir alle und auf vielen Sinnspruchkarten steht gern auch der Wunsch nach …Mut, sie zu verwirklichen… Ist es nicht schön, wenn man nicht nur den Mut dazu hat, sondern auch jemanden an der Seite, der einen nicht bremst sondern bestärkt? Wenn man dadurch lernt, dass Träume keine Schäume sondern Pläne in einer Grobkonzeptionsphase sind? Und dass dieser Mensch auch stark genug ist zu sagen, ich brauche dich, aber in erster Linie möchte ich, dass du glücklich bist! Tu, was dafür nötig ist und sag mir, wie ich dich unterstützen kann.

Und er träumt nun mal von Semeru, Krakatau, Nanga Parbat und Machu Picchu (Gesundheit!). Ich will da nicht hin! Aber warum sollte er das dann lassen?! Im Gegenzug nimmt er Urlaubstage und fährt babysittend mehrmals täglich durch die Stadt um mir das Kind zum Stillen zu bringen, weil ich mir zum Beispiel in den Kopf setze, im Wochenbett noch eine Ausbildung mit unklarer Zukunftsperspektive beginnen zu müssen. Und zwar selbstverständlich!

Ich träume ganz bestimmt bald wieder von der Ostsee. Und von Steinen. Einem Ikea-Beutel voller Strandgut. Da muss er dann durch. Immerhin könnte es durchaus schlimmer kommen: Ich könnte ja schließlich auch von einem Trantra-Seminar auf Goa träumen oder ein Sonnenstudio eröffnen wollen oder eine Agentur für männliche Nacktputzer. Oder mit ihm einen Walzerkurs belegen wollen…

Und ihr, macht mit euren Träumen was ihr wollt! Und habt die schönste Zeit des Jahres. Am besten jetzt.

Call me Tigermom!

Call me Tigermom!

Als Kind im Nieselpriemhaushalt zu leben, ist echt beschissen. Zumindest wenn du knapp vierzehn bist. Als Baby mag´s gehen, da kannst du noch machen, was du willst, aber später… das reinste Bootcamp!

Unser Kind Nummer eins hat es schwer mit uns. Rigide Regeln, wohin du schaust. Prinzipiell findet das Kind ja Regeln gut und braucht die auch ganz dringend, aber die von uns aufgestellten sind echt zu heavy…

Computer- /Fernsehzeit ist auf siebzig Minuten am Tag begrenzt, am Wochenende zweimal eine Stunde mit langer Pause. Wir Bootcamp-Verwalter halten uns da (gelockert) an die vom Bundesministerium für Gesundheit erstellten Richtlinien. Es dürfen nur Spiele und Sendungen konsumiert werden, die FSK 12 sind. Heute in zwei Wochen dann Spiele mit FSK 14. Keinen Tag eher, denn dann isser ja noch nicht vierzehn! Hausaufgaben und Pflichten müssen vorher erledigt sein. Voll ätzend, oder? Alle in der Klasse sind so lange am Rechner, wie sie wollen, kein anderes Kind hat in diesem, seinem Alter so strikte Lernzeiten und ALLE spielen Spiele ab sechzehn oder sogar achtzehn und gucken Splatterfilme!

Das höre ich regelmäßig. Mir egal, dem Besten sowieso. Wir sind nicht die Eltern von „alle“. Ausnahmen funktionieren bei unserem Großen leider nicht, trotzdem gibt es die. Na klar schauen wir auch mal einen Film zusammen, gehen ins Kino oder es ist gerade Fußball-WM. Dann stellt niemand die Eieruhr, um auf die begrenzte Mediennutzungszeit hinzuweisen. Ansonsten: Siehe oben.

Außerdem hat er voll wenig Taschengeld, darf nur drei Liter Limo und eine Tüte Chips pro Woche zu sich nehmen. Habt ihr sowas schon mal gehört?

Tja, ich finde, er findet kein Maß, also bekommt er eines vorgegeben. Punkt. Zu allem Genannten muss ich sagen: Es ist auch für mich hart. Ehrlich! Genöle, Gemaule, Gemotze den ganzen Tag. Wenn ich ihn machen ließe wie er wöllte, Mann, das wäre eine Ruhe hier! Alle paar Stunden käme er mal aus seiner Höhle um zu pinkeln oder Nachschub an Limo und Chips zu besorgen, aber ansonsten bekäme ich nicht viel von ihm zu sehen. Aber das geht nicht. Ich weiß, es gibt Kinder, die sich irgendwann selbst regulieren, sich Hobbies und Freunde suchen (und auch finden), das ist leider nicht zu erwarten in unserem Fall. Ergo nichts mit Selbstverwaltung des Jugendlichen. Er muss sich verwalten und reglementieren lassen. Und ich muss das Genöle weiterhin aushalten.

Aber der Knaller kommt jetzt:

Das Kind wird zum Sport gezwungen! Insgesamt hat er an durchschnittlich drei Tagen circa sechs Stunden Sport zusammen. Ohne Schulsport, zu dem zwingen ihn ja andere Mächte, das lassen wir jetzt mal außen vor.

Montags Gerätetraining, da geht er noch relativ gern hin („Mann, ich hab keen Bock auf den Scheiß!“ und latscht trotzdem los). Muss er auch, hat Skoliose und jeden Tag einen sauschweren Schulrucksack. Also hatte er die Wahl zwischen Rückentraining und Trolley… Er hat sich entschieden.

Während der Wintersaison spielen die Jungs sonntags Squash, da geht er auch beinahe freiwillig mit („Orrr, MÜSSEN wir wieder Squash spielen?! Wie öde!“).

Samstags wird bei uns gelaufen. Wir laufen alle und irgendeinen Sport zusammen zu machen finden wir altmodischen Spießer irgendwie dufte. Das wochenendliche in-der-Gegend-Rumgerenne erzeugt schon mehr Protest („So eine Scheiße! Ich mach das nicht! Könnter vergessen! Immer zwingt ihr mich! Joggen ist soooo assi! Nö! Ich mach das nicht! Werdet ihr ja sehen!“). Er läuft. Natürlich.

Am Schlimmsten aber ist für das Kind, dass wir ihn seit nunmehr sechs Jahren zwingen, freitags zu Karate zu gehen. Wir gucken oft zu, wir motivieren, wir loben. Wurscht. Jeden (!) Freitag bildet er eine Krankheit aus um das Training zu vermeiden und motzt: „Ich HASSSSSE Karate! Schon IMMER! Ihr könnt mich dort nicht gegen meinen Willen hinschicken! Püh! Ich gehe nicht dort hin!“. Hat er auch schon mehrmals durchgezogen. Das kam raus, als der Beste das Kind mal vom Training abholen wollte und feststellen musste, es war gar nicht dort! Was für eine Aufregung! Im Nachhinein stellte sich heraus, der Junge hatte sich einfach (und das schon mehrmals) in der Städtischen Bibliothek versteckt und gelesen, bis es Zeit war, wieder den Heimweg anzutreten. Fortan hatte er einen Fahrdienst.

Natürlich hätte man (wir) in diesem Moment nach einer Alternative suchen können, zusammen mit dem Kind. Von ihm selber kommt da leider nichts und außer Computerspielen gibt’s ja auch keine Hobbies! Auf Musikinstrument hat er noch weniger Bock. Der Karateverein ist (aus Elternsicht) das Beste, was ihm passieren konnte. Tolle kinderliebe Trainer, die mit Herzblut und Konsequenz unbezahlt unsere Gören schinden und nicht nur Gummibärchen verteilen und „Du bist toll!“-Plaketten, sondern auch mal Arschtritte als Motivationshilfe. Es wurde nicht diskutiert.

Ich habe gegoogelt.

Kinder zum Sport zu zwingen ist nicht gesellschaftlich akzeptiert. Das macht man nicht. Aber es gibt außer uns wohl noch so fiese Eltern, denn Google spuckt unzählige Treffer aus von Foreneinträgen a la „Können mich meine Eltern zum Handball zwingen?“ et cetera. Überall der gleiche Antwortsound: Nein. Können sie nicht. Sollten sie nicht. Und gute Eltern machen sowas auch nicht! Die suchen nach Alternativen oder akzeptieren die Wünsche des Jugendlichen.

Manchmal (besonders nach Konsum derartiger Forumslektüre) werde ich schwach und gehe mit dem Besten ins Gespräch. Tun wir das Richtige?

Ich habe als Kind Sport geliebt und zwar genau zwei Sportarten: Rhythmische Sportgymnastik und Geräteturnen. Erst das eine, dann das andere. Passt auch thematisch irgendwie. Ich war kreuzunglücklich, als irgendwann klar wurde, mein Talent reicht einfach nicht, um im DDR-Kader irgendeine Rolle zu spielen. Aber trotzdem: Mich musste niemand zum Training zwingen und es ist noch nicht mal jemand zugucken gekommen um mich zu loben! War damals eben so. Jeder machte halt irgendeinen Sport.

Obwohl, irgendeinen… Der Beste hat etwa dreißig Sportarten probiert, wobei ich da nur rate, ich bekomme unmöglich alle zusammen. Und genau das macht er jetzt als Konterargument geltend! Er habe gar keine Liebe für eine Sportart entwickeln können, weil er beim kleinsten Missfallen problemlos die Mannschaft, die Sportart oder den Verein wechseln konnte. Und es gab natürlich auch keine Erfolge! Wo sollten die auch herkommen?

Hm. Da ist was dran.

Und dann guck ich auf das motzende Sport-ist-blöd-Kind. Samstags nach dem Laufen ist er tiefenentspannt für mehrere Stunden. Er läuft für sein Alter eine Superzeit und hat sogar schon an Läufen teilgenommen (Was ihm nichts bedeutet.). Wenn die im Schulsport „Langstrecke“ laufen, ist er der Beste (Das bedeutet ihm was!). Wenn er vom Karatetraining kommt, sagt er immer, es sei schön gewesen. Oder toll. Oder scheißanstrengend. Wichtig ist: Er wirkt zufrieden! Immer. Er ist sogar ziemlich gut, aber das bedeutet ihm (natürlich) nichts. Wir zwingen ihn nicht an Wettkämpfen teilzunehmen, aber zum Training. Jede Woche erneut.

Dieses Wochenende war mal wieder „Tribünenwochenende“, das heißt: Gürtelprüfungen. Alle zwei Jahre etwa bei uns.

Und diese Woche war irgendetwas anders: Der Junge hatte Lampenfieber! Schon Tage vorher.

Es war super, er war super. Mir ist das Herzel übergelaufen! Dieses Unruhebündel dort unten zu sehen, wie er hochkonzentriert, ruhig, kraftvoll und wunderschön seine Leistung abgeliefert hat. Belohnung: Ein „A“ (entspricht einer Schul-Eins) und der grüne Gürtel.

Eins dieser Kinder wird zum Training gezwungen :)

Eines dieser Kinder wird zum Training gezwungen 🙂

Im Auto dann: „Spätestens wenn ich achtzehn bin, habe ich den schwarzen Gürtel. Und dann mach ich weiter. Ich will auch einen Meistergrad erreichen!“. Aus dem Mund meines Kindes.

Vor lauter Vorfreude lockerte ich schon das Korsett. Brauche ich ihn jetzt etwa nicht mehr zu zwingen? Und würde der Rest dann auch unkompliziert laufen? Irgendwann?

Heute Abend fragte er dann allerdings , ob er denn zur Feier des Tages ein Spiel ab achtzehn spielen dürfte? Ich hatte mich wohl zu früh gefreut und die harten Bandagen abgelegt. Aber ganz ehrlich, wenn Erziehungsarbeit Spaß machen würde, würde es Erziehungsspaß heißen.

Also, alle Mann wieder in den Ring! Es geht weiter!

 

 

 

 

 

 

Normalnull

Seit Tagen schiebe ich Formularzeugs auf meinem Schreibtisch hin und her. Immer liegt es mir irgendwie im Weg und brüllt „FRIENDLY REMINDER!!!“.

Ich tu mich schwer, aber ich tu jetzt. Zumindest darüber reden, warum es so schwer ist, das Gelumpe auszufüllen.

Unser Großer ist ein „besonderes“ Kind, immer schon. Bereits seit Eintritt in die Sozialisierungsanstalten wurde sein Verhalten thematisiert: Spielt nicht mit anderen oder weist andere permanent auf „falsches“ Spielen hin, will alles in einer bestimmten Ordnung haben und ausführen, kann sich nicht an Regeln und Anweisungen halten. Wir haben uns zu diesem Zeitpunkt keine Sorgen gemacht. Das „Problem“ hatten nur die anderen.

Er wuchs heran. Zu hause hatten wir ein wildes, aber fröhliches Kind. Probleme zeigten sich immer, wenn Vergleichsoperatoren anwesend waren. Andere Kinder, andere Eltern. Dann war offensichtlich, hm, der ist nicht wie die. Er stand immer bei den Erwachsenen und wollte sich mitunterhalten. Ein kleiner Junge, der mit großen Kulleraugen altklug in einer eloquenten Altherrensprache auftritt, amüsiert vielleicht noch, aber das ändert sich, wenn der Kulleräugige größer wird. Ein Zwölfjähriger, der nicht nur gegenüber allen Kindern, sondern auch allen anwesenden Erwachsenen alles besser zu wissen scheint, nervt nur noch.

Schulpsychologische Begutachtung bereits in der Grundschule, Psychologenkonsultationen, Sozialkompetenztrainings…wir haben alles gemacht. „Sie müssen ihm klaren Grenzen aufzeigen!“, „Ihr Junge verweigert Regeln! Sie müssen als Eltern dort konsequenter sein!“. Haben wir, waren wir, versuchten wir.

Er wurde größer und älter und die Umwelt nahm immer mehr Abstand von ihm. Für uns war er und ist er aber nach wie vor unser lieber, fröhlicher Junge, an dem einfach NICHTS auszusetzen ist. Klar haben wir unsere Reibereien und die nehmen auch mit dem Alter immer mehr zu. Aber meine Grundhaltung ist eine zutiefst subjektive! Und das macht alles umso schwerer. Alles, das heißt, zu sehen, was dort wirklich ist. Ich sehe doch ein anderes Bild von meinem Kind als alle anderen! Und weil er mein erstes ist, ist er auch mein „Normalnull“. Ich kann ja nicht vergleichen und sagen: „Hm, also bei dem und dem war das aber anders!“.

Mittlerweile ist die Diagnose klar: Autismusspektrumstörung (Asperger Syndrom) und ADHS. Manches ist durch die Diagnose leichter, manches schwerer.

Es gibt an ihm Besonderheiten, mit denen gebe ich gerne an. Darf ich?

Es war unglaublich, ihm zuzusehen, wie er Lego baute. Also nicht so spielerisch wie bei anderen Kindern, das hat ihn nie gereizt. Angefixt war er immer nur von einem GROßEN Karton, zugeschweißt. Am besten für Jugendliche, extrakompliziert. Dann blieb mir der Mund offen! Ein Blick auf die Bauanleitung (die oftmals so dick wie ein Lustiges Taschenbuch war) und dann hat er das Lego-Bagger-Irgendwas aus dem Kopf zusammengebaut. In einem Affenzahn! Mit Mechanik/Hydraulik, was auch immer dabei war. Er liebte das. Und ich das Zusehen.

Als er eine Zeit lang in einer Klinik war, kam er samstags alleine vom Bahnhof mit der Straßenbahn. Die haben da so ein Straßenbahn-Fernsehen. In den sechs Minuten, die die Bahn brauchte bis zu uns, hat er die Nachrichten in dem Straßenbahn-Fernseher gelesen und mir dann daheim wortwörtlich wiedergegeben. Spart die Tageszeitung! Gedichte, Lieder, einmal gelesen/gehört kann er auswendig. Das langweilt manchmal, weil er zu Filmnacherzählungen neigt, die dauern manchmal länger als der Spielfilm selber, weil JEDES Detail erwähnt werden muss. Gähn!

Nur. Aber. Es nützt ihm im Alltag nichts. Er ist klug. Mit Attest klug. IQ irgendwas zwischen Null und Einstein. Physik, Mathe langweilen ihn entsetzlich. Einserschüler mit Langeweile. Aber. Der Praxistransfer ist quasi unmöglich! Gespeichertes abrufbereites Wissen ohne Anwendungsbezug.

Für alltägliche Verrichtungen braucht er S-T-U-N-D-E-N. Schleifen binden: Ein Hasenohr, zweites Hasenohr. Länge der Hasenohren vergleichen. Noch mal neu machen, weil ein Hasenohr kürzer ist. Also ein Hasenohr, zwei Hasenohren. Überkreuzen, Schlaufe binden. Fest ziehen. Richtig fest. Ruckeln, ob´s auch richtig fest ist. Vergleichen, ob beide Schlaufen gleich lang sind. Eventuell noch mal von vorn… (Du, das fetzt, wenn du morgens los musst!).

Strukturen sind das A und O und werden leider auch da gesehen, wo gar keine sind („Wir essen Samstag IMMER Nudeln!“). Mein most wanted: Er lümmelt gelangweilt abends neben mir auf der Couch und ich sage, er möge doch schon duschen gehen, wenn ihm so langweilig ist. „Nein, ich gehe immer 20:10 Uhr duschen, jetzt ist es erst acht Minuten nach acht!“. Die Liste ist unendlich erweiterbar…

Mit Gleichaltrigen kommt er mittlerweile gar nicht mehr zu Rande, Freundschaften sind nicht möglich und ich verstehe da auch schmerzenden Herzens die ablehnenden Kinder. Schulalltag auf einer Regelschule ist nur möglich, weil wir Hilfe vom Jugendamt bekommen haben (Frau B., wenn sie das lesen: Ich liebe sie für alles, was sie für uns tun!) in Form eines Schulintegrationshelfers, der ihn begleitet und unterstützt.

Worauf ich aber eigentlich hinauswill: Dass manche seiner Verhaltensweisen skurril sind, war mir schon immer klar. Aber das ist mein Kind und mein erstes, mein Liebstes, meine gelebte Normalität. Ich nehme vieles gar nicht mehr als absurd oder speziell wahr, weil ich mich in den vierzehn Jahren des Zusammenlebens einfach den Besonderheiten und Bedürfnissen angepasst habe.

(Was war denn nun mit den Papieren, von denen sie am Anfang geschrieben hat?! Immer dieses Rumgeschwurbel! Nie kommt die off´n Punkt!)

Schwerbehindertenausweis beantragen. Hab ich gemacht. Widerspruch einlegen gegen Bescheid. Habe ich gemacht. Neuen Grad der Behinderung einklagen. Erledigt. Immer noch nicht optimal, wobei optimal bedeutet: vergleichsweise ähnlich. Also muss ich wieder neu schreiben. Pflegestufe beantragen („Machen sie das, das steht ihrem Sohn zu!“). Da kommt nächste Woche irgendwer, um uns zu begutachten! Das wird was werden… Und ich muss im Vorfeld ein Pflegetagebuch schreiben…ich kann das nicht. Das ist doch gar nicht messbar! Und für die behinderte Behindertenstelle wieder ein Pamphlet aufsetzen und schreiben, was er alles NICHT kann und warum ihm dies und das auch noch zusteht…ich will das nicht. Ich bin doch nicht wegen Betteln vorbestraft! Mir ist das soooo unangenehm! Und ich sehe doch auch vieles gar nicht mehr an ihm als behindert an. Und ich WILL das auch eigentlich gar nicht sehen. Ich bin seine Mami, ich will weiterträumen, dass sich das alles irgendwie verwächst und alles gut wird! Und wenn mir detaillgetreu die Unzulänglichkeiten meines Kindes und seine niedergeschriebene offensichtliche Lebensunfähigkeit an die Mutterbrust springen, dann liege ich heute Nacht wieder wach mit angstklopfendem Herz!

Aber ich muss. Weil es nicht um mich geht und auch nicht um meine Gefühle und Ängste. Er kann ja nicht für sich selber kämpfen, deshalb muss ich das soziale Netz und den doppelten Boden so dicht und sicher spinnen für ihn, wie es eben möglich ist. Ich habe zwar vor, ewig zu leben, aber irgendwann muss ich das Kind ja auch loslassen. Und er soll weich fallen, wenn er schon fallen muss…

Deshalb setze ich jetzt den Helm auf, schnalle mir die Knieschützer um und stürze mich in die Schlacht mit den Behörden.

Und ich werde dieses Scheißtagebuch führen und irgendwie dem Kind erklären können, was dieser Mensch da nächste Woche von uns will bei der Pflegebegutachtung (Wie? Keine Ahnung, mir wird was einfallen.).

Bis dahin ruht hier still der See.

Ich würde lieber weiter an dem lustigen Text „Die schönste Zeit des Jahres“ schreiben, aber der wird noch warten müssen.

Und ihr auch. Ich hoffe…Bleibt mir treu. Und Daumendrücken schadet bestimmt auch nicht.

Verdauungs-Tourette

Neulich war aus der Küche zu hören: „ROOAAARPPP!“. Das Baby giggelt. “RÜÜLLLPPS!“ (eine Oktave höher, offensichtlich ein anderer Klangkörper). Das Baby quietscht vor Freude!

Meine Anwesenheit sah ich als dringend erforderlich. „Was macht ihr hier?“. Da saßen sie, flankierten den Kleinsten, grinsten und sprachen unisono: „Nichts!“.

Von wegen. Seit sie zu dritt sind, benehmen sie sich wie die Affen!

Dabei bin ich diesbezüglich einiges gewöhnt. Mein Vater war Bergsteiger. Wenn die Männer sich auf zu den Gipfeln machten und die Frauen am Fußes des Berges sich die Klamotten vom Leib rissen um in der Sonne zu bräunen, dann dauerte es meist nicht lang bis der der erste „RÜLLLPPPPS!“ durch die Stille schallte, gefolgt von weiteren (je nach Stärke der männlichen Seilschaft). Das war so ein Ritus, die Frauen wussten: Aha, jetzt ist Meiner heil auf dem Gipfel angekommen. Auch kenne ich das sonderbare Gebaren von männlichen Bergsteigern, unter dem Einfluss von Radeberger Exportbier gern mal die Wohnungstür zu öffnen, den Allerwertesten nach draußen zu recken und genüsslich und möglichst laut einen in die Nachbarschaft zu entlassen (natürlich nur in männlicher Gesellschaft, die die Heldentat dann auch gebührend grölend bejubelt).

Wie gesagt, ich bin da einiges gewöhnt und somit seit frühester Kindheit ein Ausbund an Toleranz gegenüber jedwedem menschlichem Verdauungsverhalten.

Wenn der Beste und ich in Wäldern und Auen lustwandeln, weiß ich, es dauert nicht lange bis das Gespräch über Politik, Umweltschutz und zeitgemäße Kindererziehung kurz ins Stocken gerät „…Warte…warte…(Augen zusammengekniffen, eine Arschbacke angehoben)…Gleich…Aaaah! Das tat gut! Wo waren wir stehengeblieben?“. Ich stehe mit verleierten Augen daneben und schäme mich zutiefst, aber wir sind ja draußen. Außerdem wird der Beste nicht müde mir zu erklären, das sei doch natürlich und sogar die Frau Merkel habe Verdauung! Dabei kann er das ja gar nicht wissen!

Jetzt sind sie zu dritt (also in der absoluten Überzahl) und verlagern ihr degeneriertes Verhalten nach drinnen. Seit ein Hosenscheißer mit Lizenz zum Furzen bei uns wohnt scheinen sie anzunehmen, das sei jetzt gestattet. Und ich WUSSTE, es war ein Fehler, wochenlang das Bäuerchen des Kleinsten zu beloben! Jetzt wollen sie alle gelobt werden! Und WIE die Bäuerchen machen!

Ich muss das eindämmen! Dabei habe ich doch eigentlich alles richtig gemacht: Die Badezimmer sind weibisiert, überall Duftfläschchen und Deckchen und Bilderchen und Chichi. Trotzdem werden die Toilettenzeiten der Herren immer länger. Wir haben zwei Badezimmer, eines im Ostflügel, eins im Westflügel. Man konnte mich schon hilflos in der Mitte des Flures stehen sehen beim Versuch, die lauten Anstrengungsgeräusche von links und die genüsslichen Entspannungsgeräusche von rechts auszublenden. Die zelebrieren das! Was kommt als nächstes? Im-Stehen-Pinkeln? Sich öffentlich die Cochones kratzen?

Wann immer ich versuche, ein kritisches Gespräch zu einem beliebigen Thema zu führen, kommt ein: „Warte einen Moment, ich muss erst mal aufs Klo.“ Und der jeweilige Kerl verschwindet mit dem jeweiligen Tablet unter dem Arm. Toilettengänge als Gesprächsverweigerung?! Funktioniert leider! Und ich kann nichts dagegen machen und das wissen sie genau (Was die noch nicht wissen: Ich habe rosa Babywolle rausgesucht und häkel jetzt Klodeckelbezüge und Hüte für die Klopapierrollen. Vielleicht auch Häkelbezüge für die Klopapierhalter. Mal sehn, wie wohl sie sich dann noch dort fühlen!).

Überhaupt scheint das Tablet auf´m Klo die Tageszeitung abglöst zu haben, was mich dazu verleitet anzunehmen, dass derartige Verhaltensmuster schon seit Generationen bestehen und auch typisch männlich sind. Da gibts doch Bildchen von: ein Kerl mit Zigarette im Mundwinkeln, runtergelassener Hose sitzt bequem und genüsslich lesend auf der Schüssel. Ich habe noch nie von einer auf dem Klo Zeitung lesenden Frau gehört! Ihr?

Heute morgen sitze ich mit dem Babylino auf dem Schoß am Küchentisch und schaue dem Mutantenkind beim Schaufeln seiner Cornflakes zu, als: „ROOOOAAAARPPPP!“ ein Laut die Stille zerreißt. Vor Schreck hätte ich fast das Baby fallen gelassen! „Sag mal, spinnst du?!“, „Mama! Ich kann doch nichts dafür! Ich habe VERSUCHT, den Mund zu zu lassen!“.

So, jetzt reicht es!

Am Ende der Woche werde ich mein Taschengeld fürstlich aufgebessert haben oder der Rest der Familie benimmt sich zivilisiert, beziehungsweise furzt und rülpst heimlich (Wie ich. Und Frau Merkel. Obwohl, so genau kann ich das ja nicht wissen.).

glas

Ansichten einer Kindergärtnerin

Ansichten einer Kindergärtnerin

In der aktuellen „Brigitte MOM“ ist ein Interview mit einer Kita-Leiterin abgedruckt. Ich habe mich sehr über den Artikel gefreut. Gerade, weil ein ehrlicher Austausch darüber, wie die andere Seite verschiedene Dinge sieht, im Alltag so nicht möglich ist. Irgendjemand ist ja immer in seiner „Rolle“.

Nach dem Lesen des Artikels saß ich mit Herzklopfen da.

Ich habe den allergrößten Respekt vor der erzieherischen Tätigkeit, sei es in einer Krippe, als Kindergärtner, Horterzieher oder Tagesmutti. Und bin der Meinung, wer diesen psychisch und physisch anstrengenden Beruf erwählt folgt einer Berufung. Aber ich bin auch der Ansicht, dass den beruflichen Betreuern durch die permanente Konfrontation mit vielen Eltern und vielen Kindern auf Dauer der Blick auf die Individualität jedes Einzelnen verloren geht. Eine „Betriebsblindheit“ entsteht. Meiner Erfahrung nach ist das Verhältnis zwischen Mutter und Erzieherin ein völlig anderes, wenn die Erzieherin selbst auch kleine Kinder hat und nicht längst erwachsene. Mir hat die Erzieherin meines Sohnes in der Grundschule einmal erzählt, seit ihr eigener Sohn die Schule besuchen würde und sie ständig antraben müsste, weil er sich nicht regelkonform verhält, sähe sie die Kinder in ihrer Klasse mit ganz anderen Augen.

In Zeiten, wo Mütter ständig mit dem Vergleichs- und Optimierungswahn konfrontiert werden, von dem wir uns doch ALLE so gern befreien würden, auch noch von professionelle Seite zu hören, dass „normale“ Kinder mit zweieinhalb trocken sind, nicht mit vier Jahren im Buggy sitzen und ihre Hausschuhe selbst anziehen können in der Früh…ja, dann ist Hilflosigkeit und/oder Wut auf Elternseite vorprogrammiert. Denn wir wissen doch alle, wie selten sich Kinder um genormtes Verhalten scheren. Ich erinnere mich an die mehrmals getätigte Aussage: „Wenn ihr Sohn nicht BALD trocken ist, darf er NICHT in den Kindergarten und muss bei den Krippenkindern bleiben!“ Und wer kennt denn nicht die Situation, vor einem trödelnden Kind zu stehen und zu überlegen, ob man die Telefonkonferenz um acht dann im Auto führen will oder schnell das Kind ruckizucki selber umzieht um es noch ins Büro zu schaffen.

Stichwort große Kinder im Buggy. Oft musste ich mir anhören, er sei mit fast vier zu alt um kutschiert zu werden. „Normal“ war es, dass die Kinder im Autositz angeschnallt vor der Kita abgeliefert wurden! Wo da der Unterschied sei, konnte mir die Erzieherin nicht sagen, zumal ich argumentierte, dass mein Kind wenigstens morgens schon zehn Minuten an der frischen Luft gewesen sei. Das Buggyfahren am Morgen hatte den Reiz, dass wir sowohl anhalten konnten um eine Katze zu bestaunen, ich aber die Entscheidung treffen konnte, wann und in welchem Tempo wir uns wieder auf den Weg machen. Und am Nachmittag sind wir zu Fuß nach hause gebummelt… Aber das wurde nicht gern gesehen und ich durfte dann auch den Buggy nicht mehr in der Garage der Kita abstellen, die sei für die Kinderkrippenwägen. Als ich dann später wie alle anderen auch mein Kind im Auto zur entsprechenden Einrichtung fuhr, verhielt ich mich genormt und es gab keine Beanstandung meines elterlichen Verhaltens.

Geschluckt habe ich beim Lesen der Bemerkung, dass die Kindergärtnerin das Zuspätkommen der Eltern als „Respektlosigkeit“ ansieht. Ich unterstelle einmal, dass die Muttis nicht vom Frisör kommen sondern von der Arbeit. Vielleicht vom anderen Ende der Stadt oder sogar aus einer anderen Stadt, einen außerplanmäßigen Stau oder ein Kundentelefonat nicht verhindern konnten und deshalb ihr Kind zu spät abholen. Ich habe jahrelang aus demselben Grund die Kita-Nummer stets im Kurzwahlspeicher gehabt und mehrfach zehn bis fünfzehn Minuten nach Schließzeit mit hängenden Armen und schweren Herzens mein „Bummelkind“ abholen müssen. Respektlos gegenüber der Erzieherin habe ich mich nie gefühlt und hatte wohl auch Glück, dass keine Erzieherin das jemals so gesehen hat (oder zumindest nicht ausgesprochen). Die fühlte Zerrissenheit von berufstätigen Müttern ist regelmäßig Gesprächsthema und gerade in solchen doch sehr unangenehmen Situationen geradezu greifbar! Dahinter ist keine Respektlosigkeit oder Vorsatz zu sehen, auch glaube ich nicht, dass eine Mutter die Zeit „vergisst“ und deshalb zu spät kommt. Oft genug sind die Trennungen am Morgen so schmerzhaft und hallen bis in den Mittag nach, sodass man es kaum erwarten kann, den kleinen Menschen endlich wieder an die Brust drücken zu können.

Die Kindergärtnerin ärgert sich weiter über das Verhalten bestimmter Eltern, die durch seltsame Methoden für ihr Kind einen persönlichen Vorteil generieren wollen. Ja, die gibt es und auch die anderen Eltern ärgern sich darüber! Aber trotzdem, ist das nicht auch verständlich? Wir bekommen immer weniger Kinder und somit haben diese wenigen Kinder einen ganz anderen Stellenwert in unserem Leben. Wir vertrauen der Kindergärtnerin morgens das Liebste an, das wir haben um im schlechtesten Fall von allen mit zerrissenem Gefühl („Muss ich denn wirklich so viel/ so lange/ überhaupt arbeiten?!“) unserem Tagwerk nachzugehen. Möchte ich dann nicht unbedingt und mit allen (wie auch immer) Mitteln sicherstellen, dass mein größter Schatz bestmöglich umsorgt wird bis ich das wieder selber tun kann? Und wird nicht derartig manipulatives Verhalten noch befeuert, indem Eltern schon in der Antrags- und Vergabephase zum Kitaplatz genötigt werden, durch Kuchenbacken, regelmäßige Besuche/ eMails („Schöne Grüße von Emilia! Sie würde sich seeeehr freuen, ab Mai auch ein Kindergartenkind zu sein in ihrer schönen Kita!“) , Präsenz zu jedweder Aktion (Säuberung der Außenanlagen, Streichen irgendwelcher Gerätschaften, etc.) ihre unbedingte Einsatzsatzbereitschaft und somit ihre Tauglichkeit für den Kitaplatz zu signalisieren?

Sollten nicht beide Seiten versuchen, sich respektvoll auf Augenhöhe zu begegnen und mehr Verständnis für die jeweils andere Situation aufzubringen?

Ich für meinen Teil werde das auf jeden Fall versuchen und der Artikel hat mir sehr geholfen die Sichtweise auf der anderen Seite besser zu verstehen. Ich wünsche mir für die Kitazeit des Kleinsten, dass wir einen Erzieher oder eine Erzieherin haben, die nachfragt bevor sie urteilt und sich auch in einer Beratungsrolle sieht. Denn auch eine erfahrene Mutter kann oft genug einen Rat gebrauchen und auch dankbar annehmen. Genauso wie Verständnis und Respekt. Das brauchen wir alle!

 

Die neue MOM ist wie immer lesenswert und jetzt im Handel erhältlich oder hier zu bestellen.

Das katalogisierte Kind

Kaum ist so ein kleiner Mensch auf der Welt, wird er vermessen und bewertet. Skalen und Kurven werden befüllt um die Erfüllung von Standards zu dokumentieren. Das kennt die Mutti schon, denn der Vermessungswahn beginnt mit Einnistung des Eies und beschränkt sich zwar die ersten Monate noch auf den Wirtskörper, aber dann!

Im Internet und bei allen U-Untersuchungen kann die fleißige und um Standarderfüllung bemühte Mutti sich informieren, was das Kind denn wann so zu können/ zu erbringen/ auszuscheiden/ essen und trinken können sollte. Freundlicherweise immer mit dem Hinweis versehen, dass es sich um eine „Richtlinie“ handelt. Na danke schön. Genau so geht Verunsicherung!

Gott sei Dank steckte das Internet noch in den Kinderschuhen, als ich (mehr Hubschrauber-Armada als simple Helicopter-Mom) mit dem Erstlingswerk losstolperte. Damals gab es zwei oder drei Foren mit relativ harmlosen Themen. Ansonsten ebay und Schlecker online für mich. Sonst gab´s nicht viel zu gucken. Zum Glück! Ich kann nur mutmaßen, aber wäre ich heute eine Erstgebärende, ich hätte in jedem Verunsicherungsforum einen Premiumaccount, wäre Superuser bei allen Medizin-Online-Portalen und würde beim Kinderarzt zweimal wöchentlich reindonnern mit den Worten: „Lassen sie mich durch! Ich bin…Patient!“

Jetzt kann ich mich entspannt zurücklehnen.

Das Kind Nummer zwei ist acht Monate alt und hat keinen Zahn im Mund. Sitzt nicht, krabbelt nicht und brabbelt nicht. Er ist ein „Rumlieger“. Er liegt rum und die Laute, die aus seinem Mund kommen, erinnern mich an die Töne, die Wolfsjunge oder kleine Hunde so von sich geben (Ich gucke manchmal Tiersendungen…). Laut Babykatalog sollte er sich an Möbeln hochziehen, Luftküsschen verteilen, krabbeln und Laute nachahmen (Um Rückfragen vorzubeugen: Nein, wir haben keinen Wolf. Auch keinen Hund aktuell). Der Kinderarzt befragte mich beim letzten großen „U“, ob der Babylino schon flüstern würde. Im Ernst! Flüstern! Wo soll er denn DAS herhaben?! Bei uns flüstert niemand. Wir sind eine Familie von Lautsprechern und der Kleinste von allen soll flüstern können? Wozu das denn, dann hört ihn ja niemand! Auch alles andere nicht nach Baby-DIN: Brei findet er blöd, Fruchtzwerge würden aber gehen. Da lässt er sich herab. Ansonsten gerne stündlich eine Milchflasche. Und rumtragen! Und wenn du nicht machst, was ich will, dann soll mich der Uwe abholen. Wo ist der eigentlich?! „UWÄÄÄÄH! UWÄÄÄÄÄH!“.

Nichts davon beunruhigt mich. Da ich mittlerweile langjährige Erfahrung mit einer Sonderedition von Kind habe, einer Spezialanfertigung quasi, einem Liebhaberstück, wirft mich das Fehlen der zu erwartetenden Kernkompetenzen im jeweiligen Lebensabschnitt überhaupt nicht aus der Bahn.

Das Kind Nummer eins saß mit sechs Monaten. Und saß wo es saß. Mit sieben Monaten fing er an zu sprechen: „Papa!“, „Autu!“, „Bemmi!“ (Damit war unser Hund gemeint, der eigentlich Benni hieß). Das war´s. Immer wenn ich „M-A-M-A!“ zu ihm sagte, guckte der mich an, als wöllte er sagen: ´Hältst du mich für Plemplem?! Ich weiß doch, dass du das bist, aber wozu sollte ich nach dir rufen? Du stehst doch direkt vor mir!`. Er krabbelte nicht, er lief nicht. Er saß und quatschte. Mit einem Jahr erkletterte er sein Bobbycar und ging vom Sitzen quasi direkt in die automatisierte Fortbewegung über. Mit dem Ding cruiste er von A nach B und möglicherweise würde er heute noch nicht laufen, hätten wir ihm das Teil nicht mit fast zwei Jahren weggenommen. Er verbat sich auch jedwede Einmischung in sein Ausscheidungsverhalten und die staatliche Erziehungsanstalt prophezeite mir bereits, sie würden keinen Dreijährigen nehmen, der in die Windel macht. Kurz vorm dritten Geburtstag erklimmte das Kind dann den Thron im Badezimmer ohne Umwege über Topf und Kinderbrille. Und ohne Probleme.

Momentan bin ich wie Teflon. Mich stören noch nicht mal die Angebermuttis, die ungefragt ausspeichern: „Meins kann schon das und das!“, „XYZ schäft von dannunddann bis dannunddann!“, „Und mein unglaublicher ABC macht schon diesunddas.“. Das langweilt mich. Wenn mich dieses Geschwurbel nicht so müde machen würde, würde ich antworten: „Wisch dir den Geifer ab, Mutti, und setz dich. Du musst jetzt ganz stark sein. ALLE können das irgendwann! Wirklich! Dein Dingsbums ist nichts Besonderes. Oder kennst du einen Zehnjährigen, der in die Windel macht, einen Schnuller trägt oder am Daumen lutscht und mit dem Bobbycar in der Gegend rumfährt? Na also. Und niemand überreicht dir einen Blumentopp und kürt dich zur Mutti des Jahres. Also erzähl mir was Lustiges oder halt die Klappe!“. Sag ich aber nicht, ich gähne nur laut und herzhaft.

Ich kenne mich aus mit Standards. Weil das Kindchen Nummer eins da noch nie reinpasste. Konnte keinen Ball kicken und keinen Purzelbaum, aber vierstrophige Lieder nach einmaligem Hören auswendig. Das interessierte aber nicht, ich sollte gefälligst den Purzelbaum üben mit dem! Und so weiter und so fort. Jedes Jahr was anderes, was er nicht konnte. Wir erfüllten einfach nie den Kompetenzkatalog. Na und? Ich bin noch nie in einem Vorstellungsgespräch gefragt worden, wann ich denn sauber gewesen sei („Wissen sie, wir nehmen nur Mitarbeiter, die unter einem Jahr trocken waren!“). Und als es darum ging, das bestmögliche Männchen zu Fortpflanzungszwecken zu suchen, habe ich als Auswahlkriterium weder „war kein Daumenlutscher“ noch „lief mit zehn Monaten“ auf der Liste gehabt.

Pfeif auf Standard, es lebe die Spezialausführung. Und wenn das Kind Nummer zwei seinen ersten Geburtstag feiert, werde ich ihm ein Bobbycar hinstellen. Der wird schon wissen, was er damit machen soll.

Männer haben Krankheiten, Frauen haben Wehwehchen

Ich war mir eigentlich sicher, dass ich nie, nie, niemals einen Artikel derartiger Coleur schreiben würde. Niemals! Aus Respekt und Achtung. Aber nach dieser Steilvorlage heute Morgen…

Alles begann damit, dass der Beste mich ermahnend im Lehrmeisterton davon in Kenntnis setzte, dass die Mango, die er mir auf meine Aufforderung hin vor ein paar Tagen kaufen sollte, nun vor sich hingammeln würde.

Daraufhin erlaubte ich mir einen sprachlichen Faupax: „Darf ich dich erinnern, dass ich eine außerplanmäßige Weisheitszahn-OP hatte und deshalb nicht in der kaulichen Verfassung war, so was zu beißen?! Es tut mir sehr leid. Um die Mango und um die Mühe, die du beim Kauf hattest!“. „MOMENT!“ ,belehrte er mich, „MIR wurden die Weisheitszähne rausoperiert! DIR wurde nur ein Weisheitszahn GEZOGEN! Du hast ja bereits am nächsten Tag wieder gegessen und konntest rumlaufen! So schlimm war es also gar nicht.“.

Hatte er mir da gerade zum Vorwurf gemacht, dass ich ohne zu jammern unter Ibuprofen-Einfluss bereits am nächsten Tag eine zermatschte Banane zu mir nehmen konnte, schubkarrenweise Schutt und Geröll im Garten gewuchtet hatte und sogar nuschelnderweise in der Lage war, mich an einem Gespräch zu beteiligen? Offensichtlich! Eine Frechheit.

Um es vorweg zu nehmen, ich halte mich selber für eine Schissbuchse und bin kein Held im Schmerzenaushalten. Ich hätte mich sehr gern ins Bett zum Leiden gelegt, nur hätte mir das schlichtweg überhaupt nichts gebracht! Meine zwei großen Männer hätten nach fünf Minuten mit dem kleinsten Mann auf dem Arm in der Tür gestanden und verkündet, ich solle mich doch nicht so haben und sie hätten jetzt aber großen Hunger. Und: Was gibt’s zu essen?

Männer leiden stärken, das sei wissenschaftlich bewiesen, wie ich mir von meinem hauseigenen Wissenschaftler gerne und regelmäßig anhöre. Und ja, mit drei Männern im Haus bin ich da einiges gewöhnt. Wenn einer Schnupfen hat, dann hat er nicht Schnupfen, sondern akute Sinusitis. Muss Bettruhe halten, vierundzwanzig Stunden am Tag überwacht und gepflegt werden, die Klingel muss abgeschaltet sein und im zwei-Minuten-Takt sollten Erfrischungstücher, Hühnersuppe und Streicheleinheiten angeboten werden. Und Lob! Denn, obwohl ich bereits das rote Kreuz an der Tür aufhängen musste und das Haus in Quarantäne setzen, weil nicht sicher ist, ob es der Patient diesmal überleben wird, muss das tapfere Röcheln aufmunternd belobt werden.

Unvergessen bleibt mir, als ich einmal während einer Krankheitsphase in zeitliche Bredouille geriet und anstatt ein Bio-Huhn vom Biofleischer stundenlang mit Bio-Gemüse zu einer Bio-Brühe voller Liebe zu zerkochen, Fertigbrühe zubereitet hatte und Hähnchenbrust aus dem Supermarkt reingeschnitten. Der Blick! Unvorstellbar. Als hätte ich ihn gezwungen, mit seinem Krankenlager in den zugigen Keller umzusiedeln!

Ja ja, ich weiß. Männer leiden stärker.

Ich bin aus diesem Grund auch für ein generelles Männerverbot in Kreißsälen. Beim ersten Besuch in dieser Einrichtung wurde der ursächlich für unser beider Anwesenheit Verantwortliche nach vielen Stunden von der kompetenten Fachfrau mit den Worten hinausgeworfen: „Wenn sie jetzt nicht verschwinden, kommt dieses Kind nie raus!“. Ich war bis dahin vollumfänglich damit beschäftigt, dem Mann neben mir Saft einzuflößen, den Puls zu überprüfen und die Stirn zu tupfen. Ich hatte gar keine Zeit, mich um etwas anderes zu kümmern!

Beim zweiten Besuch zögerte ich die unvermeidliche Anwesenheit so lange es ging hinaus. Günstigerweise war ich zu diesem Zeitpunkt schon interniert im Krankenhaus. Nachts um eins begannen die Wehen und ich meterte die Gänge entlang. Wie man das eben so macht. Morgens um sechs fragten die Geburtsfacharbeiterinnen zum zwölften Mal, ob sie denn nicht endlich mal meinen Mann anrufen sollten?! „Nein nein, lassen sie den ausschlafen!“, war meine Antwort jedes Mal. Und in Gedanken fügte ich stumm hinzu: „Das ist für uns alle das Beste!“. Er kam dann auch ausgeschlafen und frisch geduscht (eine Augenweide, das muss ich an der Stelle mal erwähnen) gegen halb elf Mittags und ich versuchte, das Unterhaltungsprogramm so abwechslungsreich wie möglich für den Mann zu gestalten. Und lobte ihn natürlich! Er hat das auch sehr schön gemacht und mir immer wieder vorgemacht, wie ich denn nun atmen soll. DANKE an der Stelle noch mal!

Im Kreißsaal wurde er dann doch kurzzeitig blass, als eine Frau im Nachbarsaal völlig unpassend sehr laute und unschöne Geräusche von sich gab. Ich versicherte ihm tröstend, dass auch ich das total übertrieben fand und nicht vorhätte, mich derart zu entgleisen! Er war beruhigt. Als es dann scharf zur Sache ging, habe ich ihn listig hinausgeschickt mit der Aufforderung, das Großkind anzurufen und die Facharbeiter instruiert, ihn AUF GAR KEINEN FALL wieder in den Kreißsaal zu lassen! Ich habe mich auch sehr beeilt, damit ihm nicht langweilig vor der Tür wird. Dann habe ich mit der Hebamme schnell noch das Kind gesäubert und den Tatort geputzt (ich hätte auch ein Blümchen aufgestellt, aber konnte auf die Schnelle keines finden) und dann durfte er wieder rein.

Es ist alles gut gegangen. Ich habe ihn sehr gelobt für sein Engagement und er war sehr tapfer, das muss ich sagen! Allein hätte ich das niemals so hinbekommen. Niemals.

Ja, Männer leiden. Frauen haben nur Wehwehchen.

Das ist aber überall so. Das weiß ich, denn wir Frauen lästern analysieren mit Vorliebe das Krankeitsverhalten unserer Männer. Und ich habe noch Glück!

Der Mann einer Freundin lag eines Tages schwerkrank mit Schnupfen auf der Couch und röchelte vor sich hin. Die Gute brachte im einen Teller mit Obstschnitzen. Mit letzter Kraft hob er ein Augenlid um den Teller zu begutachten und röchelte: „Du musst mir das aber auch schälen! SO kann ich das in meinem Zustand nicht essen!“.

In diesem Sinne: Gute Besserung!

 

Ein Kaffee für Frau Nieselpriem

Hat Dir dieser Beitrag gefallen? Dann lade mich doch gern auf einen virtuellen Kaffee ein als Dankeschön.

€2,00

Mütter unter sich

Mütter unter sich

„Nackt unter Wölfen“ hätte der Artikel auch heißen können. Oder „Mit Platzwunde im Haifischbecken“.

Wer in den letzten Wochen etwas anderes zu tun hatte, als alle Blogs und Facebookbeiträge zum Thema „Mütter“ zu lesen, für den fasse ich noch mal kurz zusammen: Mütter, die einen Kaiserschnitt hatten, haben nicht selbst geboren. Mütter mit Wunschkaiserschnitt sind Egoisten. Mütter, die nicht stillen, sind Egoisten. Mütter, die ihre Kinder zu Hause erziehen, sind zu faul zum arbeiten. Mütter, die ihre Kinder in die Kita bringen, sind karrieregeile Egoisten.

Zu jedem Punkt gibt es eine ganze Allianz von Müttern, die ihre Meinung ungefragt in die Welt posaunen und ihre Lebensmaxime als alleingültige proklamieren. Mit welchem Recht? Keine Ahnung, die Mütterrolle scheint für manche Frau leider die einzige Möglichkeit, sich persönlich zu profilieren. Ich finde das sehr bedauerlich. Für alle Beteiligten! Ich bin ja ein ganz großer Verfechter der „Die Welt ist groß und bunt“-Theorie und dass wir uns alle verbrüdern und verschwestern sollten. Und gemeinsam für eine neue Frauenbewegung kämpfen. Und Gehältergerechtigkeit! Und friedliche Koexistenz! Und faltenfreie Haut für alle!

Aber erst ab morgen.

Denn, um es vorweg zu nehmen: Ich bin keinen Deut besser! Zwar tangieren mich die oben genannten Themen schlichtweg überhaupt nicht (dafür habe ich nur ein müdes Lächeln übrig), aber ich habe natürlich auch meine „Feindbilder“ an der Mütterfront. Und heute darf ich noch mal vom Leder ziehen.

Die Tofu-Mutti
„Natürlich“ ist die Devise der Tofu-Mutti. Geboren wird im Geburtshaus oder zu Hause auf dem Juteteppich. Jeglichen medizinischen Eingriff in die „natürliche“ Geburt wertet sie als persönliches Versagen. Das Kind der Tofu-Mutti wird gestillt, bis es alt genug ist zu vermelden: „Du Mutti, ich hätte eigentlich lieber ein Bier!“ und schläft im Familienbett bis zu seinem Auszug mit zweiundzwanzig. Die Tofu-Mutti erkennt man an der natürlichen Achsel- und Beinbehaarung, den Jutesandalen (im Winter mit Schafwollsocken darin), einem meist verhärmten Aussehen (fehlendes tierisches Eiweiß?!) und dem unverwechselbaren Duft von Dinkelpups. Meist einher geht mit dieser Attitüde die Konjunktiv-Erziehung: „Friedrich, würdest du bitte aufhören, den Jungen zu schlagen? Du möchtest doch bestimmt auch nicht, dass man dich schlägt?“, auch ist sie eine Verfechterin der frühkindlichen Involvierung in komplexe Grundlagendiskussionen. Mit Eintritt der Kinder in die Sozialisierungsanstalten (wenn sie nicht gleich zu Hause unterrichtet) engagiert sie sich sehr zum Leidwesen aller anderen Eltern als Klassensprecher, Elternberater etc. und schreibt ellenlange eMails, um das Schulsystem und die Essensversorgung zu reformieren. Am liebsten würde sie alle Unterrichtsstunden hospitieren um dem Lehrer im Anschluss konstruktiv Feedback zu geben. Die Tofu-Mutti hält mir gerne ungefragt Vorträge über vegane Kleinkindernährung und dass ich mit meiner getönten Tagescreme aus dem Chemielabor das Grundwasser verpeste und mit dem Plastikspielzeug meine Kinder vergifte…
Ich möchte ihr mit Mettwurstbrötchen den Mund stopfen und sie in einen Schönheitssalon zwangseinweisen lassen!

Die Cakepop-Prinzessin
…ist immer im letzten modischen Chic gekleidet und ihr steht es selbstverständlich besser als den Models in den Hochglanzmagazinen. Ihr Teint ist ebenmäßig, nie verirrte sich eine Pore oder Falte darin (Aber anstatt schwesterlich die Telefonnummer des Facharbeiters rauszurücken und einen Gruppenrabatt auszuhandeln, behauptet sie selbstverständlich, das käme nur vom Schlaf und vier Litern Quellwasser pro Tag!). Seidigweiß glänzende Zähnchen blitzen aus dem ewig lächelnden, perfekt in angesagtem Himbeer bemalten Mündchen. Sie trägt immer eine stylische Frisur und nicht nur Haare, wie ich. Selbstverständlich ist sie groß. Ihre Beine enden dort, wo mein Hals beginnt. Sie sieht auf mich herab und sagt Sachen wie: „Du bist so…klein! Wie süüüüß!“ (ich überlege oft, ihr in die Knie zu beißen). Am perfekten Body mit dem perfekten BMI baumelt immer die angesagte Handtasche der Saison. Sie betreibt natürlich einen Blog mit achtzigtausend Abonnenten, die sie in jedem Beitrag mit „Hallöle ihr Süßen!“ persönlich begrüßt. Und dort kredenzt sie herzallerliebste Backrezepte in einer herzallerliebsten extra für sie designten Küchenschürze und dekoriert sogar mit ihren eigenen, herzallerliebsten, perfekt lackierten Fingerchen die Zuckerkügelchen einzeln auf den herzallerliebsten Cakepops. Und dabei lächelt sie fröhlich! Außerdem gibt es wegen der hohen Nachfrage viiiiele professionelle Fotos von ihr… im Sonnenuntergang, im Sonnenaufgang, im herbstlichen Blätterwald. Mal versonnen-mädchenhaft lächelnd, mal Lebensfreude ausstrahlend mit ausgebreiteten Armen. DAS wollen die Leser sehen!
Und weil so ein Kind als modisches Accessoire heutzutage dazugehört, hat sie natürlich auch eines. Ein ganz besonders hübsches selbstverständlich! Und hochbegabt!
Das Cakepop-Prinzessinnen-Verhalten im sozialen Umfeld kann ich in zwei Kategorien unterteilen: Entweder „würde“ sie sich ja sehr gern an Diesem oder Jenem beteiligen, ist da aber auf einem Event in Hamburg, dann jettet sie noch mit dem Til (dem Schweiger) nach Berlin und ja, nächste Woche ist da ein Shooting für ihr Kochbuch… Leider! Die andere Variante ist nicht weniger ätzend: Sie macht das alles in Personalunion! Und winkt mit dem manikürten Händchen nonchalant ab und behauptet, das hätte doch alles ÜBERHAUPT keine Arbeit gemacht. Bevor sich eine Normalo-Mutti aus der Schlafanzughose geschält hat, ist die Cakepop-Prinzessin schon mit der Frühschicht fertig und hat für alle Kinderlein Tütchen gebastelt mit neckischen Obstschnitzereien, die sie in der Kita dann an die Haken hängt, damit die anderen Kinderlein auch mal sowas Nettes zu essen bekommen wie ihr süßes, süßes Cakepop-Prinzessinnen-Kind. Die gucken nämlich immer ganz traurig, wenn der Legolas-Phinneas seine Obstschnitzereien und Kuchen in Form seines Namens morgens auspackt… Und das hat sie doch so gern gemacht! Und das hat ÜBERHAUPT keine Arbeit gemacht! Und zum Geburtstag vom Legolas-Phinneas sind alle Kinderlein eingeladen in die Barbie-und-Ken-Villa der Cakepop-Prinzessin und der Justin (der Bieber) kommt vielleicht auch und die einhundert Kinderlein bekommen dann alle eine zwölf Kilo schwere Give-away-Tüte geschenkt mit den Backbüchern der Prinzessin (mit Autogramm) und vielen schönen Fotos. Von ihr. Das Kind ist aber wahrscheinlich auch irgendwo mit drauf. Im Sonnenaufgang, im Sonnenuntergang, im herbstlichen Blätterwald…
Ich wünsche ihr einen ekligen Ausschlag an den Hals! Und Herpes. Und dass, wenn sie abends in ihren Spiegel schaut und diesen befragt: „Spieglein, Spieglein an der Wand. Wer ist die Schönste im ganzen Land?“, dieser ehrlich antwortet: „Ihr, Prinzessin, seid die Schönste hier. Aber die Rike hinter den sächsischen Bergen, die Königin der drei Zwerge, die ist tausendmal sympathischer als ihr!“. Ätsch Bätsch!

Aber ab morgen wird alles anders! Dann gehe ich auf die Straße und kämpfe für eine neue Frauenbewegung. Mit der Tofu-Mutti und der Cakepop-Prinzessin (wenn die Zeit hat).

Nachlese zum Welt-Autismus-Tag

Nachlese zum Welt-Autismus-Tag

Ich habe heute am Universitätsklinikum Dresden im Rahmen des Öffentlichkeitstages einen Vortrag gehalten, es ging um „Schule für alle!“. Begonnen habe ich mit den Worten: „Ich bin aufgeregt, weil ich ihnen in den nächsten Minuten einen wunderbaren Menschen vorstellen darf!“ und endete mit den Worten: „Mein Sohn ist besonders. Und zwar besonders toll!“.

Ganz besonders toll waren die Reaktionen im Anschluss für mich. Der Hörsaal war voll, viele Mediziner und Therapeuten, Pädagogen und ganz viele Eltern. Nicht nur aus Dresden, aus dem Umland, teilweise mehrere Hundert Kilometer angereist. Ganz viele Menschen haben im Vorbeigehen meine Hand gedrückt und „Danke!“ gesagt, „Sie sprechen mir aus der Seele!“. Ein älterer Herr meinte, er hätte geweint. Ich kenne seine Geschichte nicht. Mich hat das tief berührt.

Horst Wehner, selber Rollstuhlfahrer, hat in seiner Eröffnungsansprache sehr deutlich gemacht, wie schwer der Umgang mit „unsichtbaren“ Behinderungen ist. Das ist auch mein Empfinden: Wenn mein Sohn dem Fahrkartenkontrolleur seinen Behindertenausweis hinhält, erntet er stets ein verblüfftes Gesicht!

In Dresden gibt es derzeit sechsundachtzig Schulkinder im Alter von sechs bis neunzehn Jahren, die unter Autismusspektrumsstörungen (ASS) leiden. Das klingt nicht viel. Hinzu kommen die Kinder, die „in der Warteschleife“ hängen, die lange auf einen Termin zur Diagnostik warten, deren Diagnostik noch läuft oder wo der unendlich komplexe Prozess der „Klärung des sonderpädagogischen Förderbedarfs“ noch im Procedere ist. Hinter jedem Kind steht eine Familie. Eine Familie, die Odysseen an Therapeutenbesuchen und Gesprächen hinter sich hat und sich nicht selten jahrelang die Haare rauft und fragt, was nur stimmt nicht mit meinem Kind?

Und selbst wenn die Diagnose steht und Dinge wie „Nachteilsausgleiche“ zum Beispiel geregelt sind, dann hört die Odyssee nicht auf. Nicht, wenn das Kind schulpflichtig ist. Bei geringfügigen (Es tut mir weh, das zu schreiben!) Störungen vermag das Kind vielleicht, durch erlernte Strategien und Kompensationsmechanismen irgendwie seinen Alltag alleine in einer Regelschule zu meistern. Was aber, wenn nicht? Ja, es gibt Förderschulen und das ist auch gut so! Aber was, wenn die Förderschule sagt: „Wir können ein Kind mit den kognitiven Eigenschaften wie ihres nicht adäquat bei uns beschulen! Es müsste auf ein Gymnasium!“ und die Gymnasien sagen: „Wir sind voll! Wir haben keinen Platz für ein Integrationskind! Und seinen Betreuer!“.

Ich habe heute viele Fachvorträge gehört, und sehr viel Gutes und Wünschenswertes und Ausbaufähiges war dabei. Hoffentlich folgen den schönen Worten Taten.

Und heute ging es ja „nur“ um den Schulalltag. Die Familien, die ich kennengelernt habe, sorgen sich ja nicht nur um zehn, zwölf Jahre. Hinzukommen die Fragen wie: Wird er/sie jemals einen Beruf ausüben können? Alleine einen Haushalt führen können? Familie haben? Jemals einen Freund finden? Wer beschützt sie/ihn, wenn ich es nicht mehr kann? Es wäre wirklich wichtig, dass diesen Eltern wenigstens die Sorge um die Schuljahre genommen wird!

Und ja, ich bin eigentlich nur zum Spaß hier und am liebsten bringe ich euch zum Lachen! Aber es ist wichtig, auch mal den Mund aufzumachen, um ernsten Dingen einen Raum zu geben. Morgen können wir wieder Spaß zusammen haben, heute drücke ich in Gedanken die Hände aller Eltern, die sorgenvoll auf die Zukunft ihres besonderen Kindes schauen.

 

Ich habe Superkräfte!

Vergangene Woche habe ich meine Prüfung zum „Systemischen Businesscoach“ bestanden. Ich wollte diesen Lehrgang unbedingt machen, das Timing war allerdings ganz großer Mist. An einem Dienstag im September wurde ich mit dem neuen Baby aus dem Krankenhaus entlassen, kurz darauf saß ich schon in der Schulung und verfluchte mich und meine eigene Überheblichkeit („Hey, wie schwer kann das sein?! Stille ich halt zwischendurch! So´n Wurm liegt ja eh nur rum!“).

Nun gut, ich hab das durchgezogen, irgendwie. Denn wer will, findet Wege. Wer nicht will Gründe.

Überhaupt bin ich ja der ganz große Sprücheklopfer. Mein Lebensmotto habe ich dem alten Immanuel abgeluchst: „Ich kann weil ich will was ich muss.“ Heißt in meiner ganz eigenen Interpretation: Ich muss nur das machen, was ich will!

Jedenfalls habe ich am Prüfungssamstag mit zermatschtem Kopf morgens um fünf über meinen Unterlagen gesessen und überlegt, ob ich noch schnell die Vita vom Ausbildungsleiter auswendig lerne oder sonst wie im blinden Aktionismus irgendwas reißen kann um meine überdimensionale Inkompetenz zu verschleiern… Da mir nichts einfiel, habe ich Fleiß vorschützend ein Bild meiner vor mir ausgebreiteten Bücher etc. bei Facebook gepostet.

Wenn ich das geahnt hätte! Ungewollt habe ich den Eindruck erweckt, Baby und Haushalt und nebenbei-Schulung, Blog und kreative Heimarbeit ganz laissez faire aus dem Handgelenk zu schütteln. Ich bin nun offensichtlich in Erklärungsnöten!

Mache ich tatsächlich den Eindruck, dass Alicia Keys jeden Morgen neben meinem Bett steht und für mich „Superwoman“ singt zum Wachwerden?! Und mir die Weste mit dem „S“ auf der Brust reicht?! Bin ich die leibhaftige Persiflage der von mir so abgrundtief verhassten Mutti geworden, die in Seide und Kaschmir gehüllt flötend die Kita betritt und dreierlei vegane, laktose- und glutenfreie Muffins unter dem Arm hat, die sie mal eben schnell zwischen drei und vier Uhr in der Früh noch zubereitet hat und ihr Burberry-Kind mit Seidenschal und Seitenscheitel adrett auf dem Kita-Bänkchen platziert?! Die bei allen anderen Müttern den schalen Geschmack der Unzulänglichkeit hinterlässt?! Eine Cakepop-Prinzessin mit Sechzigerjahre-Superhausfrauen-Image?!

Leute, nun aber mal halblang!

Ich zieh jetzt die Hose runter für euch. Jetzt kommen sie, die ultimativen Geheimnisse der schlampigen Anti-Superwoman-Hausfrau!

Der perfekte Haushalt. So gehts:

1. Feuchte Reinigungstücher
Das absolute must have für mich. Damit feudel ich vom Kaminglas über Toilettensitze, Fensterbänke bis hin zu Baby´s Schnute alles ab, während ich links noch die Kaffeetasse halte! Also, nur das, wo ich bei meiner Körperhöhe von 1,57m so rankomme. Ich weiß natürlich, dass jedes Möbel oberhalb 1,70m eine Fellmütze aus Staub trägt, aber das ist mir wurscht!

2. Bescheißen beim Fensterputzen
Oberlichter putzen? Spar ich mir, indem ich die Jalousie auf Halbmast ziehe. Merkt keine Sau. Bis jetzt.

3. Microfaser-Flauschsocken
Mit diesen Socken an den Füßen immer schön durch die Wohnung rutschen, ruhig auch mal Schlittschuhlaufen simulieren (gut für die Fitness)und verwegen im Vorbeigehen mal mit den bestrumpften Füßen über die Scheuerleisten fahren. Macht Staubsaugen überflüssig. Abends dann die Socken mit den 300g Staubflusen ausschütteln und ab damit in die Wäsche!

4. Wäsche-Management
Irgendwann hatte ich mal begonnen, beim Wäschesortieren für jedes Familienmitglied einen Korb zu bestücken. Nun ist es aber so, dass alle, die zu faul oder noch nicht in der Lage sind, die Klamotten in ihren Schrank zu sortieren (quasi alle Familienmitglieder), ihren Korb einfach so stehen lassen und sich morgens irgendwas Sauberes rausziehen. Praktisch! Ich schmeiß das Gewaschene einfach wieder obendrauf. Gut, an den Anblick von vollen Wäschekörben in der Behausung musste ich mich erst mal gewöhnen, aber das ging relativ schnell. Ich erwäge mittlerweile, unsere Kleiderschränke komplett abzuschaffen…

5. Ordnung
Oft muss ich mir anhören, bei mir wäre es so verdammt ordentlich! Irrtum, ich habe nur gut schließende Schranktüren. Dahinter verbirgt sich das Grauen. Ich vermute, dass ich mittlerweile jedes Kleidungsstück in Form und Farbe viermal besitze, weil ich das immer wieder kaufe mit dem Gedanken: „Ach, das ist ja hübsch! Sowas wollte ich schon immer!“. Ich find es dann nur leider nicht wieder, weil in meinem Chaos alles vor mir Verstecken spielt hinter den Schranktüren.

6. Die Listenschummelei
Ich bin ja auch ein großer Freund von Listen. Sie strukturieren meinen Tagesablauf und identifizieren die Projekte, die ich unbedingt mal angehen müsste. Und ich finde das so beruhigend! Wenn ich mir selber einen todo-Zettel schreibe, auf dem steht: „Gewürzregal auswischen und die einhundertdreißig Töpfchen und Gläschen auf Haltbarkeitsdatum überprüfen“, dann habe ich ja immerhin schon einen Anfang gemacht! Und ehrlich, ob ein Gewürz schlecht ist, merkt man ja, wenn beim Benutzen tote Fliegen aus der Öffnung fallen!

7. Gesund kochen
Ganz wichtig! Ich esse auch sehr gerne. Und sehr gerne gut! Aber momentan wird bei uns jeder, der in der Lage ist, eine Tiefkühlpizza in den Ofen zu schieben, als Koch eingestellt. Na, und? Wer sich beschwert, darf an den Herd!

Und wenn alles wirklich mal selbst für meine Augen schlimm aussieht: Das Haus verlassen! Mit Abstand betrachtet, ist das größte Chaos gar nicht so schlimm! Frische Blumen kaufen und vor den Abwaschberg stellen (lenkt das Auge ab) hilft auch.

Und auch vor mir selbst mache ich nicht Halt, nein, da wird runteroptimiert, wo´s nur geht:
Die perfekte Frisur…ist die Bettina-Wulff-alltime favourite-red carpet-Schnipsgummi-Frise. Muss nicht gefönt werden und hält am zweiten Tag noch mit Trockenshampoo am Ansatz und Wachs in den Seiten. Das perfekte Makeup…besteht aus BB-/CC-Abrakadabra-Teintverjüngungscreme und das aufwendige Augen-Makeup wird durch eine Ganzgesichts-Sonnenbrille obsolet. Und Riesenschals kaschieren Kotzflecken auf der Schulter anmutig. Am besten gleich Klamotten in der Farbe von Babykotze tragen!

Also, wer den Mut zur imperfekten Behausung mit Maggifix-Tüten in der Haute Cuisine-Kombüse hat wie ich, der hat wirklich viel Zeit um allerlei Quatsch nebenbei zu machen.

Apropos nebenbei: Ich war heute Morgen in der Firma, weil ich dort was zu erledigen hatte und kam mit zwei Kolleginnen ins Gespräch. Wie das so ist, Blick in den Kinderwagen und das Erinnerungskino springt an. Die eine, zwei kleine Kinder, einhundert Kilometer Fahrweg jeden Tag zur Arbeit und zurück. Die andere erzählte von den zwei schweren ersten Jahren mit einem chronisch kranken Kind. Und dem Schmerz, morgens ein weinendes Kind in der Kita zurücklassen zu müssen, um seinen Mann zu stehen auf Arbeit. Nicht zu vergessen die Frauen, die das alles alleinerziehend „nebenbei“ wuppen müssen.

Stehen da wie aus dem Ei gepellt, schön und standhaft und Eine sagt bescheiden, es sei ja nicht immer alles Gold was glänzt…Dabei habe ich die Weste gesehen. Die mit dem „S“ auf der Brust. Unsichtbar vielleicht, aber sie alle hatten sie an!

Und während ich im Sonnenschein nach Hause in meinen goldig glänzenden Erziehungsurlaub spazieren durfte, dachte ich nur: Chapeau Mädels, ihr seid für mich die Größten!

Für alle Sindy´s, Nici´s, Andrea´s, Franzi´s, Bea´s und Christine´s dieser Welt: Carpe diem!

Und jetzt alle laut mitsingen:

 

 

Das besondere Kind

Das besondere Kind

t1Am 2.April ist Welt-Autismus-Tag. Er wurde von der UNO 2007 ins Leben gerufen und wird mit zahlreichen Aktionen wie lightitupblue jedes Jahr von Betroffenen und Angehörigen genutzt, um für Toleranz und Verständnis zu werben.

„Bei dem Wort “Autismus” denken die meisten Menschen zunächst an das “Kind unter der Glasglocke”, das ohne Kommunikation mit der Umwelt ganz in seiner eigenen Welt lebt. Das stimmt aber mit dem, was wir heute über die vielfältigen Formen von Autismus wissen, nicht mehr überein.
Bei einem Kind mit Fähigkeiten im Normalbereich, das fliessend spricht und sehr gute Kenntnisse auf besonderen Spezialgebieten hat, denkt man zunächst nicht an Autismus. Es ist auffällig in seinem sozial ungeschickten Auftreten, es hat keine Freunde, lebt am Rande der Gemeinschaft. Im täglichen Umgang ist dieses Kind schwierig, ohne dass man erkennen kann, warum das so ist. Es ist möglicherweise begabt auf einzelnen Gebieten, trotzdem stimmt etwas Fundamentales nicht.t3t2
Hans Asperger beschrieb 1944 eine Gruppe von Kindern, die intellektuell nicht beeinträchtigt waren, ein gutes Sprachvermögen hatten, aber deren gesamtes soziales Verhalten merkwürdig war.
Insbesondere fiel ihm Folgendes auf:
• Störungen im Blickkontakt, Körpersprache, Gestus und Sprachgebrauch
• im normalen alltäglichen Umgang mit anderen keine natürliche, altersgemäße Kommunikation
• Körperhaltung und Gesten nicht im Bezug zur Situation
• motorische Ungeschicktheit, die künstlich oder seltsam wirkt, Tonfall und Wortwahl auffällig
• gut entwickelte sprachliche Kompetenz aber monotone Sprachmelodie oder eine “erwachsene” Ausdrucksweise
• Schwierigkeiten bei spontaner verbaler Kommunikation
• Diskrepanz zwischen Intelligenz und Gefühlsleben
Er nannte sie “autistische Psychopathen”, heute sprechen wir vom Asperger-Syndrom.PENTAX DIGITAL CAMERA
Als erstes fällt an diesen Kindern, die zunächst völlig gesund wirken, ihre emotionale Distanz und ihre ausgeprägte motorische Ungeschicklichkeit auf. Sie verfügen über eine normale Intelligenz, in Teilbereichen eine intellektuelle Frühreife, ein gutes Sprachvermögen und kommen mit dem normalen Schulstoff zurecht. Die Kernsymptome für Autismus sind alle vorhanden, allerdings sind sie nicht so stark ausgeprägt, wie bei Kindern mit Kanner-Syndrom. Das bedeutet aber nicht, dass die Beeinträchtigungen geringfügig oder unbedeutend sind.
Die Eltern dieser Kinder vollführen eine “Gratwanderung” zwischen Fördern, Fordern und Überfordern. Sie sorgen sich sehr um ihr Kind und haben oft große Angst, dass es als Erwachsener kein selbständiges Leben führen kann, da ihm viele praktische und soziale Fähigkeiten fehlen, die im Alltagsleben benötigt werden. Auf der anderen Seite müssen sie sich häufig Vorwürfe anhören, sie seien nicht fähig, ihr Kind richtig zu erziehen.HPIM2068

Aufgrund ihrer veränderten Wahrnehmung sind autistische Kinder in allen Lebensbereichen beeinträchtigt, das gilt auch für Kinder mit Asperger-Syndrom. Sie aber gehen häufig unerkannt in ganz normale Schulen, wo von ihnen auch “ganz normales” Benehmen erwartet wird. Und spätestens hier fallen sie vor allem durch ihr merkwürdiges Sozialverhalten auf.
Denn im Gegensatz zu Kindern mit Kanner-Syndrom werden Kinder mit Asperger-Syndrom erst relativ spät – manchmal erst im Verlauf des Schulalters – diagnostiziert, da sie auf den ersten Blick recht normal wirken und die Auffälligkeiten zunächst den verschiedensten Ursachen zugeschrieben werden können. Häufig wird ihre Störung nicht ernst genommen. So werden an diese Kinder Anforderungen gestellt, die sie nicht erfüllen können. Das auffällige Verhalten wird oft fälschlicherweise als “Nicht-Wollen” angesehen, als Ausdruck des Wunsches, im Mittelpunkt zu stehen, schlimmstenfalls als Bösartigkeit.

HPIM2085
Diese Kinder verfügen über ein hohes Sprachniveau und eine normale bis überdurchschnittliche Intelligenz, deshalb nimmt man an, dass sie auch alles verstehen. Aber oftmals erkennen sie nicht das Wesentliche in einer Aussage sondern halten sich mit subjektiven Details auf, ohne den Inhalt richtig zu erfassen.
PENTAX DIGITAL CAMERAKinder mit Asperger-Syndrom können von sich aus kaum altersgemäße Beziehungen zu anderen Kindern herstellen. Die Kontaktaufnahme geschieht verstandesmäßig, die Gefühle anderer werden nicht wahrgenommen. Die Kinder wirken auf ihre Klassenkameraden fremd und beunruhigend und werden daher oft Opfer von Ausgrenzung und/oder Mobbing. Sie merken bald, dass sie anders als ihre Klassenkameraden sind. Mit zunehmendem Alter kommt dann die Erkenntnis, dass sie niemals so sein werden, wie diese, auch wenn sie sich noch so sehr anstrengen.
Werden sie mit damit allein gelassen, ist die Gefahr einer Depression sehr groß. Dies kann sich dahingehend auswirken, dass sie entweder Aggressivität zeigen oder sich völlig zurückziehen. Manche wollen gar nicht mehr leben.

DSCN0185
Durch das große Wissen auf dem Gebiet ihrer Spezialinteressen und die Hartnäckigkeit, mit der sie diese Interessen verfolgen, können Kinder mit Asperger-Syndrom hier hervorragende Leistungen erbringen. Überhaupt sind ihre hervorstechenden Eigenschaften: Genauigkeit, Perfektion, stark ausgeprägter Gerechtigkeitssinn, absolute Wahrheitsliebe, logisches Denken. Wenn diese Eigenschaften gefördert und in die richtigen Bahnen gelenkt werden, können aus Kindern mit Asperger-Syndrom sehr gewissenhaft und genau arbeitende Angestellte, aber auch hervorragende Wissenschaftler, Erfinder oder Künstler werden.
Kinder mit Asperger-Syndrom sind – gemessen am autistischen Spektrum – relativ “leicht” betroffen. Dennoch benötigen sie besonderes Verständnis und Hilfe, aber es muss die richtige Art von Hilfe sein. Mit der entsprechenden Anleitung können sie soziale Verhaltensweisen lernen. Dann sind die Chancen, dass sie einen Beruf ausüben und ein weitgehend eigenständiges Leben führen können, recht gut.“
(Quelle: http://www.autismus-nordbaden-pfalz.de)

 

 

 

 

 

 

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus… und zurück

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus… und zurück

Frühjahr in Sachsen. Zeit der Jugendweihen, seit Jahrzehnten und immer noch. Nächstes Jahr ist das Großkind dran. Unglaublich! Letzte Woche eingeschult und nun schon bald erwachsen. Das Leben mit Kindern verläuft in beängstigender Weise im Zeitraffer, oder?

Seit Monaten beschäftigen mich bereits die tragenden Themen rund um den denkwürdigen Tag (Was ziehe ich an? Wo feiern wir? Mit der Klasse zusammen oder alleine? Was ziehe ich an? Wen laden wir ein? Was schenken wir? Was ziehe ich an? Die Dingsbums hat ihren Zwillingen letztes Jahr eine Rundreise durch Florida geschenkt, oh Gott! Ich muss nachziehen! Hubschrauberrundflug?! Was ziehe ich an? Und um das Lokal muss ich mich auch langsam kümmern, sonst wird’s nur der Späti an der Ecke… Was ziehe ich an?).

Heute habe ich einen Artikel gelesen auf SPON, der leider vollkommen zu Unrecht verrissen wurde, und der mich zum Schmunzeln brachte und meine Erinnerung angefeuert hat. Alte Leute reden ja immer gern von früher…

Um die Jugendweihe wurde ein großes Brimborium gemacht in den Achtzigern.

Am Tag nach der Jugendweihe mussten dich alle mit „Sie“ ansprechen und „Fräulein“. Hat sich niemand dran gehalten. Mein Kind Nummer eins wurde in die Grundschule eingeschult, in der ich zehn Jahre beschult wurde (damals war es eine „polytechnische Oberschule“ und ging von Klassenstufe 1-10). Irgendwie schien die Zeit still gestanden zu sein, denn meine Deutschlehrerin von einst wurde des Kindes Klassenlehrerin und duzte mich selbstverständlich nach wie vor! Wenn ich beim Elternabend in dem schmalen Stühlchen saß, hatte ich immer das Gefühl, ich müsste mich besonders anstrengen und gleich würde sie sagen: „Also Henrike, von dir habe ich eigentlich mehr erwartet! Ach, und von deinem Sohn im Übrigen auch!“.

Zurück nach neunzehnpaarundachtzig. Die Klamottenfrage war dramatisch. Viel Spielraum gab es ja nicht und die Sorge, dass ich am GROßEN Tag in den gleichen Sachen wie Ines, Grit und Kerstin dastehe, war durchaus berechtigt. Wenn es in der Jugendmode eine Lieferung Blusen gab (ein Modell, drei Größen, zehn Stück…oder so ähnlich), wurde im volkseigenen Betrieb der Lötkolben weggeschmissen und etwa vierundachtzig ehrbare weibliche Mitglieder des Arbeiter-und Bauern-Staates stellten sich artig in einer Reihe vor dem Geschäft auf und hofften wider besseren Wissens, dass die zehn gelieferten Blusen für alle Jugendweihe-Töchter der anstehenden vierundachtzig Mütter reichen würden.

In meiner Verzweiflung band meine Mutter mir ein weinrotes Samtband um den beblusten Hals (als kleine persönliche Note und damit man wusste, wo mein Hals war. Oder damit sie mich wiederfand, ich weiß es nicht). Sie schnitt mir ordentlich die Haare und selbst da hatte ich Glück: anstatt des sonst üblichen Mireille Mathieu-Topfschnittes bekam ich etwas, was einem Herrenhaarschnitt nicht unähnlich war (Exkurs: Meine Mutter schnitt der kompletten Familie die Haare und sie gab sich sehr viel Mühe. Gut, meist hatten mein Vater, meine Schwester und ich dasselbe „Modell“, aber hey, es wächst ja wieder!). Gewandet wurde ich in einen blauen Polyesterrock mit Rüschen und weißen Pünktchen, knielang. Weiße Strumpfhosen, weiße Bluse mit Puffärmeln und dem genannten roten Samtband. Und leuchtend rote Schuhe. Die waren der Kracher. Wie Kinderschuhe so rundgelutscht vorn und mit Riemchen um den Knöchel. Also, stellt euch hellrote Lauflernschuhe für Mädchen vor, aber in Größe 37! Ich sah nicht nur fetzig aus, sondern urst schnieke (Ich kann mir vor lauter Lachtränen kaum in Ruhe das Foto ansehen). Die Sorge um Nachahmung war im Nachhinein unbegründet: Niemand außer mir trug diese modische Kombination!

Das Initiations-Ritual und die unendlich lange Feierstunde fanden mit allen Jugendweihe-Anwärtern meines Jahrganges im großen Saal des Kulturpalastes statt. Es wurde viel über Verantwortung geredet, jeder bekam ein klassenkampfkonformes Buch, das niemand las, den ich kenne. Und dann endlich feiern und Geschenke!

Hach, das war schön! Wir waren mit Omas, Opas, Tanten und so weiter richtig schick essen… in einer Gartenspartenkneipe.  Wir waren die einzigen Gäste dort. Ich muss mal bei Gelegenheit fragen, ob meine Mutter von dem Ereignis überrascht wurde (Uups! Die Rike hat morgen Jugendweihe!) oder ob die Gartenspelunke der ganz heiße Tipp war… Ich weiß nicht mehr, was es zu essen gab, vermutlich Schnitzel mit Mischgemüse. Bestimmt hat es sehr lecker geschmeckt, ich will hier auch nicht undankbar erscheinen (Aber für alle Fälle geh ich jetzt schon mal in die Spur für die Jugendweihe meines Sohnes im nächsten Jahr und 2020 wird das Kind Nummer zwei eingeschult, ich sollte schon mit dem Listenschreiben beginnen…).

Die angesagten Geschenke damals waren: Kasettenrekorder, Moped, Geld. Ich bekam eine Quarzuhr von einem Onkel, der war sofort mein Lieblingsonkel. Einen gebrauchten „Stern“-Rekorder, mit dem ich ab sofort unter der Bettdecke DT64 hören konnte. (Wir haben im Tal der Ahnungslosen keinerlei Westsender empfangen können, die Auswahl des Campingplatzes für den Sommerurlaub wurde danach getroffen, ob man dort Westfernsehen gucken konnte und ich kann mich erinnern, dass ich meinen Vater mal aus dem Wohnwagen habe rufen hören: „Kommt schnell rein! Die Werbung fängt an!“. Das war das Größte: Kinderriegel im Fernsehen. Ich schweife schon wieder ab…).

Außerdem bekam ich Sachen für die Aussteuer geschenkt, im Ernst. Handtücher, Bettzeug, Nachtwäsche. Nichts davon besitze ich noch. Wahrscheinlich glaubten meine Verwandten, bei meiner Schönheit bin ich mit achtzehn unter der Haube und brauche dringend Handtücher! Aus gutem Frottee! Vom VEB Frottierwaren Elsterwerda.

Abends wurde beim Kunne gefeiert. Der Kunne war mein On/Off- Freund, wie man heute sagen würde und wir haben wild geknutscht seit der siebten Klasse. Das machten alle, in Ermangelung einer anderen Freizeitbeschäftigung. Kein Computer, kein DS, nicht mal´n Gameboy oder Fernsehprogramm! Aber Sportvereine an jeder Ecke. Für die Unsportlichen blieb nur das Fummeln.

Jedenfalls saßen ein paar Jugendliche beim Kunne und haben auf seinem neuen Kassettenrekorder Musik gehört und es gab Bowle mit Mischobst und ganz wenig Sekt. Mir hat es nicht geschmeckt.

Abends sollte mein Vater mich dort abholen um die ordnungsgemäße Heimkehr der Jungfer zu gewährleisten, die womöglich volltrunken ihren Eintritt in die Welt der Erwachsenen feiert. Er hat sich dann von Kunnes Eltern irgendwie in die Küche locken lassen, wo er genötigt wurde, mit ihnen beim Alkohol den Abschied von der Kindheit der Kinder zu betrauern.

Wir sind dann Arm in Arm nach Hause gegangen, das erwachsenen Fräulein (Schon an diesem Abend ein große Stütze der Gesellschaft!) und ihr Vater. In der Mitte der Straße sind wir gelaufen, damit wir nicht an die Laternen anstoßen.

So war das damals im letzten Jahrhundert. Und nächstes Jahr stehe ich schon auf der Seite der augenfeuchten Oldies.

Da fällt mir ein: Was ziehe ich an?

Warum ich nur noch Fastfood esse

Warum ich nur noch Fastfood esse

Bei mir ist seit Monaten Schnellimbiss angesagt.

Bedeutet: Morgens Banane im Gehen. Zehn Minuten später die nächste Banane, weil ich vergessen habe, wo ich die angebissene von eben hingelegt habe. Banane beim Spazieren am Morgen. Mittags die Reste vom Babybrei. Nachmittags die Reste vom angebissenen, vertrockneten Schulbrot des Kronsohnes. Eventuell noch eine Packung Kekse im Gehen. Abends, wenn wir alle zusammen am Tisch sitzen und die einzige gemeinsame Mahlzeit des Tages zu uns nehmen, gibt’s was Anständiges zu essen. Also für alle anderen. Ich sitze derweilen neben dem Babybett und singe zum zwölften Mal „LaLeLu“. Wenn ich fertig bin, ist das Abendessen vorüber.

In jeder Schwangerschaft habe ich dreißig Kilo zugenommen. Manchmal habe ich zwischen den Fress-Attacken meinen Körper glücklich grölen gehört: „Das gibt’s nur einmal, das kommt nie wieder! Das ist zu schön, um wahr zu sein!“. Kuchen, Torten, Häagen Dasz im 500l-Eimer, Milchreis in Familienpackungsgröße. Und alles am besten auf der Couch. Hinterher noch 300g Milka Vollnuss (wegen der gesunden Nüsse).

Mütter sollen gesund essen. Wegen dem Stillauftrag, der Nachtschichten und der körperlichen Belastung. Nur wie? Und wann? Und wie soll ich mir einarmig was Gesundes zubereiten? Oder einarmig den Babynator beruhigen, der sich in Restaurationen jedweder Art unwohl fühlt, während ich mit der anderen Hand einarmig versuche, einen gesunden, vitaminreichen Döner in den dafür vom Hersteller vorgesehen Körperöffnungsschlitz zu schieben. Klappt nicht.

Ich erwäge manchmal, mir selbst ab und zu eine Glukoselösung intravenös zu verabreichen, habe allerdings Angst vor Spritzen…

Essen auf Rädern wäre auch eine Variante! Da könnte ich mich schon mal an Seniorenportionen mit farb-und geschmacksfreiem Brei rantasten. Aber davor schrecke ich (noch) zurück.

Die Schwangerschaftspfunde purzeln rasant, ich verzehre mich quasi von innen. Mittlerweile sehe ich einem Shar Pei nicht ganz unähnlich (im Übrigen auch im angezogenen Zustand: Dann eben das Gesicht eines Faltenhundes mit einem Stoffüberwurf über dem runzeligen Körper).

Nachts (also wenn ich mal schlafe) träume ich vom Essen und denke manchmal an den Ausspruch meiner Mutter: „Essen ist der Sex des Alters.“. Stimmt. Wenn ich wählen müsste: Ein Wochenende mit Brad Pitt und Joaquin Phoenix nackig im Whirlpool oder eingeschlossen in einer Mc Donalds-Filiale mit einem persönlichem Burgerbrater…ganz einfache Entscheidung!

Ich geh jetzt Pastinakenbrei aufwärmen für das Baby und mich. Na dann, Prost Mahlzeit!

 

Mein neues Projekt

Mein neues Projekt

So, der „Neue“ ist jetzt sechs Monate alt und es wird frühgefördert, was das Zeug hält! Ich will ja nicht, dass mir jemand das Jugendamt auf den Hals schickt.

Gut, das meiste wird in Personalunion durch mich frühgefördert, aber der gute Wille, Engagement und Einsatzbereitschaft sind vorhanden. Bei mir. Der Kurze findet eigentlich alles blöd, was nicht mit füttern oder rumtragen zu tun hat. Baden, singen, turnen quittiert er…mit Heulen.

Für das gesellschaftliche Leben des „Neuen“ habe ich schon vorgeburtlich gesorgt. So habe ich es praktischerweise eingerichtet, dass im Abstand von drei Monaten in unserem Haus drei Hosenscheißer das Licht der Welt erblickten. Das haben wir Mamis uns gut ausgedacht. Krabbelgruppe, Hausaufgabenbetreuung, Schuleinführungen, Jugendweihen… alles wird im Kollektiv abgefrühstückt. Nun gut, wenn ich das anbetungswürdige Produkt meiner Lenden auf eine beliebige Krabbeldecke im Haus lege, damit er sich mit seinen Kollegen austauscht und gegenseitig im Gesicht des anderen rumpopelt… heult er!

Hm.

Also recherchiere ich Krabbelgruppen. Irgendwie muss er ja in die Gesellschaft eingeführt werden. Und ganz klar: ich habe hohe Ansprüche! Also das Erstbeste kann es nicht werden! Ich drucke das gesamte Internet aus und mache eine Liste mit Krabbelgruppen, Konzepte, Termine, Lage. Synchronisiere den Familienkalender und erstelle einen Projektplan. Gelernt ist gelernt. Ich werde mich sukzessive von der Familienbehausung aus den Radius vergrößernd durch alle Krabbelgruppenangebote der Stadt mäandern. Und euch dann einen dezidierten Erfahrungsbericht liefern! Einer muss das ja mal machen.

Heute Morgen sind wir losgezogen. Nicht weit, Pieschen ist das neue Familienmekka. Kitas und Familienzentren an jeder Ecke. Wir könnten also praktisch das Testing in Hausschuhen absolvieren.

Wir kamen nur eine Stunde zu spät (Was ziehe ich an? Was zieht der Hosenscheißer an? Brauche ich Gläschen? Geld? Wechselwindeln? Nerven?).

Hach, das war nett! Nette Muttis, es duftete nach frisch gebackenen Vollkornbrötchen, nettes Frühstück auf dem Tisch, drei Räume mit allerlei Gedöns zum Spielen, sauber. Niemand hat mich gefragt, wie alt ich bin, ich wollte schon von alleine damit anfangen! Programm? Dreimal Krabbeln in der Woche, dienstags noch Basteln für die Muttis, damit die auch mal was zu tun kriegen für die Hände. Kindersachenbasare, Elternkurse, Kinderturnen am Donnerstag. Namentliche Diversifikation wurde nicht geboten: zwei Emmas, zwei Emils, zwei Karls (zumindest heute Morgen). Gesungen und mit Hölzchen im Takt geschlagen wird auch. Das hatten wir verpasst, wir waren noch auf der Suche nach Mutters Nerven…

Und der Kurze? Hat nicht geheult, sondern fröhlich auf den Tisch gehauen, getrillert und alle vollgesabbert.

Ich muss da am Donnerstag noch mal hin. Und am Freitag. Und wahrscheinlich nächste Woche auch.

Falls jemand immer schon mal einen gut recherchierten Erfahrungsbericht über Krabbelgruppen in Dresden machen wollte, ich hab da schon mal was vorbereitet und einen Projektplan in der Schublade.

Ich hab dafür jetzt leider keine Zeit mehr! Ich habe drei mal in der Woche Krabbeln!

Das familienunfreundliche Land

Einen Job hat ja heute kaum noch einer, alle haben Karriere! Und in diesem Land ist es ganz duster mit Karriere, wenn du Mutter oder Vater bist! Zappenduster! Alles ganz, ganz übel…konnte man in einschlägigen Artikeln in der letzten Zeit lesen. Im Intro stets der Ruf nach mehr Ganztagesschulen und Kitas mit angepasster Betreuungszeit, das ist nicht neu.

Aber dann: „Wir sind die erste Generation, die Emanzipation live lebt!“, war da zu lesen. „Daher kommen die Probleme, die wir jetzt haben!“ (Ach, daher kommen die Probleme. Bloß gut, dass das mal einer erkannt hat…).  „Die Arbeitswelt ist nicht mehr zeitgemäß! Büros und Bürozeiten gehören abgeschafft! In der heutigen Zeit muss es doch möglich sein, in Teilzeit bei flexibler Arbeitszeitgestaltung einen Konzern zu leiten!“ (Na klar, mit 20 Stunden pro Woche aus dem Home Office einen Konzern leiten, das ist wirklich ein realistischer Vorschlag und nicht zu viel verlangt. Und die Kommunen, Frau Merkel, die EU und der liebe Gott sollen jetzt gefälligst endlich mal… ja, äh was? Ach ja, Teilzeit bei doppeltem Lohn und gratis Ganztagesbetreuung des Nachwuchses ermöglichen. Das ist doch wirklich nicht zu viel verlangt! Ich habe schließlich ein Recht auf Karriere!).

Ein Autor meinte unerwartet reflektiert, er glaube, die Kritiker kämen allesamt aus der gutsituierten, bildungsnahen Mittelschicht. Warum, wusste er auch nicht.

[Ich vermute, Ines, Kassiererin im Drogeriemarkt mit Zweitjob als Putzfrau und Udo (Straßenbauer) sind abends einfach mal platt von ihren Jobs und ihrem Kampf ums kleine Glück. Vereinbarkeit von Familie und Karriere ist nicht ihr Thema! Die machen einfach, schließlich wollen sie in zehn Jahren die Anzahlung für ein kleines Häuschen zusammenhaben und Ines würde so gerne mal wieder eine Woche nach Mallorca. Wie in den Flitterwochen. Damals…]

Für alle anderen habe ich da mal ein Konzept erarbeitet.

Okay, das ist gar nicht von mir…aber wenn hier alles so unmöglich ist, warum nicht mal was „Altbewährtes“ probieren?

In der DDR wurde über Emanzipation gar nicht geredet, dort war klar: Alle gleich. Gleiche Arbeit, gleiche Bezahlung, gleiche Rechte, gleiche Pflichten. Und gleiche Klamotten. Okay, Chancengleichheit gab es nicht, aber aus anderen Gründen. Da müsste das Konzept noch mal modifiziert werden.

Kinderbetreuung: Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, wo (normalerweise) der komplette Republiknachwuchs fremderzogen wurde in Ganztageseinrichtungen. Und zwar von morgens um sechs bis nachmittags um fünf. Und das bereits im zarten Alter von sechs Wochen bis zum Eintritt in die Pubertät. Mensch, die Eltern hatten vielleicht Zeit, Karriere zu machen! Und wem das noch nicht reichte, es gab auch Wochenkrippen: da gab man die Kinder (ab sechs Wochen alt) am Montag ab und holte sie am Freitag wieder.

In den Ferien fuhren alle Kinder in Ferienlager und wenn sie alt genug waren, in „Lager für Arbeit und Erholung“. Da konnten sie gleich mal mit auf der Kolchose arbeiten und sich nützlich machen für den Arbeiter-und Bauern-Staat. Und ihre Eltern hatten viel Zeit für Karriere!

Und ob, wie lange und zu welchen Zeiten ein Kind gestillt werden sollte und wann es welchen Brei gibt, das wurde auch alles schön vorgegeben. Vielleicht wäre das ja auch was für euch? Diese ganze Entscheidungsfreiheit scheint ja nicht gut zu bekommen. Immer diese hitzigen Diskussionen in den Foren und Blogs!

Und diese ganzen Vergleiche (meins kann das, und meins kann jenes schon) untereinander werden auch wieder abgeschafft. Die Kinderlein werden alle in der Kinderfabrik (äh Krippe) von Tante Ingeborg erzogen, alle mit acht Monaten zu bestimmten Zeiten auf den Topf gesetzt bis was drin ist, dann sind alle mit zwölf Monaten trocken! So macht man das!

Gut, den Business case habe ich nicht durchgerechnet auf die Schnelle. Aber wenn wir das so machen wie die Ossis kommen wir vierzig Jahre klar mit dem System. Heißt: alle eine Sorte Hose, zwei Modelle an Oberbekleidung. Antrag stellen und zehn Jahre warten auf Luxusgüter wie eigene Wohnung, Schrankwand, Urlaubsreisen in die Slowakei usw.

Brauchst du aber dann sowieso nicht! Bist ja eh nie zu Hause. Die Kinder werden fremdversorgt und du bist im Betrieb und kannst ENDLICH in Ruhe Karriere machen.

Rot Front! Sport frei Genossen!

Ich stell schon mal vorsorglich einen Ausreiseantrag…

Mutanten – Sie sind unter uns!

Das Kind Nummer eins und mich verbindet etwas ganz besonderes. Es ist, als sei die Nabelschnur zwischen uns nie durchschnitten worden.  Wenn wir „Wer bin ich?“ spielen, können wir nie für einander die Personen auswählen. Weil ein tiefer Blick in die Augen des anderen meist genügt, um lapidar festzustellen: „Ich bin Angela Merkel, stimmts?“, „Und ich Sheldon Cooper?!“. It´s magic!

Überhaupt dieses süße, süße Geschöpf mit einem Duft, als würde Apfelkuchen in ihm backen und Augen, riesengroß wie bei Bambi und von der glänzenden Farbe einer guten Zartbitterschokolade (mit 75% Kakao!). Wenn du da zu lange hinguckst, überfällt dich eine Heißhungerattacke. Das Größte für ihn ist, früh wie ein Tornado in mein Bett geschossen zu kommen (wenn er nicht schon als blinder Passagier drin liegt), mich wie ein Krake zu tentakeln und in meinem Arm wach zu werden. Jahrelang  habe ich ihm morgens das „Küsschen-Lied“ von Monika Ehrhardt vorgesungen oder schief und krumm „Summertime“ aus Porgy und Bess, wenn er mal krank war. Zwischen uns passt kein Blatt Papier. Er ist die größte Liebe meines Lebens.

Irgendwann ist er ausgezogen. Ohne Vorwarnung. Ohne Nachsendeadresse.

Stattdessen hat er sein Zimmer und den Platz an unserem Esstisch untervermietet an ein „Dingsbums“, ein schlechtgelauntes, knurriges, tentakeliges Mutantenwesen. Es ist fast größer als ich, die Arme und Beine sind momentan so lang, als wöllte er sich als Spiderman-Double bewerben. Das Gesicht sieht man selten, weil Sommer und Winter trotz teurer Coiffeur-Frisur unter einer Mütze versteckt (Entschuldigung! Beanie.).

Wenn ich klopfend das Ex-Kinderzimmer meines Ex-Kindes betreten will, wird mir als Willkommensgruß oft ein leidenschaftliches „RAUS!!“ entgegengerufen. Einmal war ich nachts drin. Leute, hab ich mich erschreckt! Schnarchgeräusche, ich schwöre, wie bei einer armenischen Bauarbeiterbrigade nach feuchtfröhlicher Feierabendgestaltung. Keine Ahnung, wo aus diesem spindeldürren Körper derartige Laute herkommen!

Und der Geruch! Von wegen Apfelkuchenduft… Man sagt ja, Säugetiermütter erkennen ihre Jungen blind am Duft. Also diesem Test möchte ich mich momentan zu meiner eigenen Sicherheit nicht unterziehen. Es wäre durchaus denkbar, dass ich mit einem ausgewachsenen Puma nach Hause gehen würde.

Es spricht auch ausländisch. Beim letzten Versuch einer Konversation kam aus seinem Mund etwas Sinngemäßes wie: „Ich kann jetzt mit Shader spielen ohne FPS zu loosen, weil ich mir eine Mod installiert habe, die die FPS oben hält.“ Ich verstand Bahnhof und teilte das in meiner Hilflosigkeit auch so mit. „Ey Ma, du bist so ein peinlicher noob!“ war seine Antwort. Sicherheitshalber beschränkte ich meine weiteren Kommentare auf „Hm.“s.

Manchmal möchte ich das Wesen schütteln und anschreien: „WER BIST DU UND WAS HAST DU MIT MEINEM KIND GEMACHT???!“.

Ich weiß schon, was ihr jetzt sagen wollt: Das ist die Pubertät. Das ist normal.

Nix da! Von wegen normal! Ich sag euch, was normal ist! Wenn ich darüber lese oder das anderen passiert. Das ist normal! Aber doch nicht mir, und nicht diesem süßesten Kind von allen. Ich fand das perfekt! Was für eine grausame Natur zerstört Perfektion durch Metamorphose?!

Das ist ganz, ganz schlimm. Auf einmal bist du nicht mehr der wichtigste Mensch in seinem Leben, die Sonne seines Universums. Und nichts und keiner bereitet dich darauf vor. Egal, wieviele Bücher du liest.

Und jetzt soll ich mich gedulden…riesengroße Stärke von mir! Und vertrauen! Ihm, und darauf, dass die Samen, die ich gepflanzt habe, aufgehen werden. Was für ein Blödsinn!

Ich komme mir vor wie in einem Chemieexperiment! „Na, mal sehn, ob´s Gold wird oder Meißner Porzellan…oder nur stinkt und uns allen um die Ohren fliegt.“.

Aber zum Glück habe ich meine Schatzkiste.

Wenn es brennen würde, würde ich mir unter jeden Arm ein Kind klemmen und mit den Zähnen dieses Kästchen retten.

Die gesammelten Liebesbriefe meines Kindes an mich. Wenn ich diese Schachtel öffne, dann ist er wieder da. Bei mir.

tim

Ich muss Schluss machen, ich rührseliges altes Ding. Tempos holen…

Das Trödel – Baby

Es ist Samstag Vormittag und das Baby strampelt aufgeregt mit den kurzen Beinchen. Ich weiß, was das bedeutet: Es will…auf den Flohmarkt!

Floh

Der Beste guckt etwas besorgt, als ich die „Mutti-Handtasche“ aus dem Schrank hole, aber ich beruhige ihn: „Keine Angst, Schatz, ich will nichts kaufen. Vielleicht fahre ich dann noch kurz auf dem Wochenmarkt vorbei und kaufe zwei Pastinaken und drei Petersilienwurzeln!“. Bei der Erwähnung von Gemüse schaltet er sofort das innere Meerrauschen ein.

Das Baby und ich, wir ziehen los.

Aber es ist immer dasselbe. Schon beim zweiten Händler fängt der Kleine an zu betteln. Ich versuche streng zu sein: „Nein, wir kaufen nichts! Wir gucken bloß!“. Irgendwann gibts kein Halten mehr. Das Baby hat einen wurmstichigen Stuhl entdeckt. „Babylein, nein! Wirklich! Was willst du denn mit diesem räudigen Ding?!“. Es guckt mich knopfäugig an und spricht (stumm. Babies können das, und Mütter verstehen diese stummen Monologe.): „Na, ich dachte, du streichst mir den. Ich sehe da ein helles blau-grau vor mir. Und als Bezugsstoff vielleicht einen von den schönen Siebzigerjahrestoffen. Rot?! Mit Kirschen eventuell?!“. Dann feilscht er noch gerissen mit seinen Knopfaugen und bekommt einen unschlagbaren Preisnachlass von zwei Euro. „Dein Vater wird AUSFLIPPEN! Immer schleppst du irgendwelchen Trödel an! NEIIIIN habe ich gesagt!“.

Aber er ist stärker als ich. Immer.

Stuhl

Schatz, wenn du das jetzt liest: Ich habe den Stuhl vor dir in der Garage versteckt. Du verstehst das sicher!

Kinder und Haustiere

Ich wollte unbedingt eine Katze. Ich durfte nicht. Meine Mutter behauptete, eine Katzenhaarallergie zu haben. Außerdem noch Asthma.

Ich machte jedes Jahr den Belastungstest mit ihr: im Frühjahr schleppte ich ein Katzenbaby an, was ich einem Bauern in Pappritz abschwatzte und dann in meinem Zimmer versteckte (einmal sogar in meinem Schrank). Dann passierte immer das Gleiche: meiner Mutter schwollen innerhalb von Minuten die Augen zu und unter Atemnot japste sie: „Wo-ist-die-Katze?“.

Später hatten wir Wellensittiche. Viele. Die genaue Anzahl kennt wahrscheinlich nur meine Mutter. Alle waren sie hellgrün, und alle hießen Bubi. Aus irgendeinem Grund überlebten die nicht lange bei uns und meine Mutter, selbsternannte Wellensittich-Be und –Entsorgerin, war der Meinung, wir merken nicht, wenn der Vogel neu war! „Mutti, das ist nicht unser Bubi! Wo ist der hin?“, „Pscht! Nicht so laut! Das muss deine Schwester nicht hören. Ich musste den einschläfern!“, „Was? Wie?“, „Nagellackentferner und Wattepad.“ Irgendwer hatte ihr diesen todsicheren (böses Wortspiel) Tipp gegeben.

(Exkurs: Meine Mutter ist ein kleines, fragiles Wesen mit der Physiognomie einer Elfe, die ohne mit der Wimper zu zucken bei der Aussicht auf einen schönen Braten einem lebenden Fasan den Hals umdrehen könnte und meines Wissens nach sogar mal einen halben Hirsch in ihrem Keller nicht fachmännisch, aber sehr engagiert, zerhackt und zersägt hat. Ich habe Angst vor ihr.)

Wir hatten einen Frosch in Pflege, der verschwand und wurde mumifiziert im Staubsaugerbeutel gefunden. Zwei Wasserschildkröten, ebenfalls Pflegekinder, überlebten unsere Pflege zwar, mordeten aber während des Ferienaufenthalts den in ihrem Bassin bis dahin friedlich nebenher lebenden Wels. Übrig von ihm blieb nur die blutige Brühe, in der dann die meuchelnden Schildkröten schwammen.

Das Kind Nummer eins hatte kurzzeitig eine Amphibienphase: es köcherte monatelang in der Rothermund (einem kleinen Fluss nahe der damaligen Familienbehausung) und brachte eimerweise lurchiges Getier ins traute Heim. Was natürlich binnen Tagen jämmerlich einging, egal, wie sehr wir uns mühten. Jedes Frühjahr hatte ich ein riesiges Gurkenglas in der Küche stehen, in welchem Kaulquappen zu Fröschen herangezogen werden sollten. Der schwarze Grund an toten Quappen in dem Glas wuchs binnen Tagen zu einem derart ekelerregenden Leichenbrei, dass ich mich weigerte, in ein und demselben Raum mit dem Froschleichenglas zu kochen!

Irgendwie haben wir die Ich-will-ein-Haustier-Phase beim Kind Nummer eins überlebt, er will jetzt nur noch: mehr Speicher, mehr Grafikkarten, mehr Computerzeit…

Und wenn das Kind Nummer zwei anfängt, nach einem Haustier zu krähen, habe ich mir schon den passenden Spruch parat gelegt: „Warte, bis du in die Schule kommst. Dann bekommst du Läuse! Versprochen!“

Warum es toll ist, einen Buggy zu schieben

Zum Beispiel: Ich kann endlich wieder Enten füttern gehen! Wobei „Enten“ als Überbegriff für sämtliches urbanes, vollgefressenes, charakterlich verzogenes Federvieh herhält, was sich so am Elbestrand der Großstadt dümpelnd aufhält.

Denn welche gesellschaftlichen Randgruppen trifft man beim Füttern an? Mütter mit Buggies und ältere Damen mit Fönwelle, Gesundheitsschuhen und beigefarbener Einheitstracht. Genau deshalb bin ich froh, endlich wieder einen Buggy schieben zu können. Jetzt kann ich wieder mitmachen!

Ich liiiebe das! Ich könnte stundenlang am dreckigen Ufer auf und ab gehen, das träge und auf gar keinen Fall artgerecht ernährte Federvieh beobachten, welches sich mehr walzend als gehend auf der Suche nach dem prallsten aller Brotbeutel zwischen den anwesenden Fütterern bewegt. Ich rede auch manchmal mit denen, aber nur ganz leise (glaube ich zumindest):

„Guck mal, wie du aussiehst! Bewirb dich bei The biggest loser! Und du? Schau nicht so unschuldig! Meinst du, ich hätte nicht gesehen, dass du der Ente dort drüben vorhin grundlos in den Sterzel gehackt hast?! Ja, du! Hier, zur Strafe kriegst du das Vollkornbrot. Sollst schon sehen, was du davon hast! Daran verdaust du noch heute Abend. Ab, geh dich schämen! Naak naak naak, kommt zur Mami… naak naak naak…“.

Wie? Das Kind füttern lassen? Neiiin! Ich hab doch so viel Spaß damit! Außerdem schmeißt das Kind ja eh immer alles daneben!

Also gut, ihr habt mich erwischt: in Wahrheit bin ich eine freundliche ältere Dame mit beiger Einheitstracht, Gesundheitsschuhen und Fönwelle…

ente

Gute Gene

Kinder, nehmt euch ein Kissen und macht’s euch bequem, die Mutti erzählt euch eine Geschichte!

Als ich klein war, musste mir ständig jemand „was von früher“ erzählen. Ich konnte nie genug von diesen Erzählungen bekommen! „Oma, wie habt ihr euch noch mal kennengelernt?“ Und ich fand es wundervoll, wenn Oma dann das dicke Fotoalbum mit den porösen schwarzen Pappseiten rausholte, in dem fein säuberlich die sepiafarbenen und schwarzweißen Fotos eingeklebt waren. Ordentlich standen sie da in Reih und Glied, mit sauberen Schuhen und gestärkter Schürze, die Protagonisten meiner so geliebten Geschichten. Kleine Jungen mit Schiebermütze und Kniestrümpfen unter kurzen Lederhosen, freundlich guckende ältere Leute, aufgereiht zum Fototermin anlässlich einer Kirmes oder Hochzeit. Ich habe mich immer gefragt, was haben sie wohl gedacht, als das Foto entstand?  Wie war ihr Tag bis dahin verlaufen, hatten sie Sorgen, weil der Sohn im Krieg war und die Feldpost auf sich warten ließ, die Lieblingskuh kurz vorm Kalben stand?!

Noch heute faszinieren mich alte Fotos und ich ersinne Geschichten, wenn ich sie sehe. Selbst alte Fotografien von völlig Fremden üben einen Reiz auf mich aus, dem ich mich nicht entziehen kann.

Leider sind Fotos heute nicht mehr wertvoll, sie werden gelöscht, zerrissen (da war der mit Ex drauf, dort sieht man meine Reiterhosen…). Verwandte und Nachbarn der Verwandten und Bilder eine Kirmes in Fotoalben zu kleben? Heute? Nahezu undenkbar.

In Zeiten der Möglichkeit der vielfältigsten Bildbearbeitung besinne ich mich oft an diese alten Alben meiner Großeltern.  Ja, und auch an die Geschichten, die unweigerlich damit verknüpft sind. Und ich möchte sie aufschreiben. Für euch, meine Jungs!

Martha & Richard

Eure  Ur-Urgroßmutter Martha wurde vor über hundert Jahren geboren und lebte in einem Dorf in Schlesien. Wie sie den Ur-Uropa kennenlernte? Also es gibt die Geschichte, dass die Martha als junges Ding auf den Tanz ging und dann mit einem feschen Burschen im Heu landete. Einige Wochen später fiel der Mutter von der Martha (Ja, Kinder, noch ein Ur mehr…) auf, dass das Heu wohl seine Spuren hinterlassen hatte… und sie begaben sich auf die Suche nach dem Verursacher! Blöde war bloß, dass der aus einem anderen Dorf kam und so richtig namentlich auch der Martha nicht bekannt! Nun gut, die Ur-Ur-Uroma war wohl eine Frau der Tat und so nahm sie die Martha und klapperte die Nachbarsdörfer ab nach dem Schwerenöter. Er wurde auch dingfest gemacht, und wie damals so üblich, wurde kurzer Prozess gemacht und die beiden verheiratet. Ach, halt! Wie sich herausstellte, war der jugendliche Casanova noch nicht mal volljährig. Aber auch dafür gab´s im Schlesien des vorigen Jahrhunderts eine pragmatische Lösung: die Papiere vom Richard wurden kurzerhand gefälscht, er mit der Martha verheiratet und eure Uroma Else kam in geordneten Verhältnissen zur Welt.

Martha und Richard hatten zwei Kinder und waren bis zu ihrem Tod glücklich verheiratet. Und ja, Ur-Uropa Richard lebte den Rest seines Lebens mit einem gefälschten Ausweis.

 Else & Gerhard

Eure Uroma Else wuchs in dem schlesischen Dorf auf, was ihr nun schon kennt. Sie lebte mit der Ur-Uroma, dem Ur-Uropa, einem Hund, einer Ziege und ich glaube auch ein paar Hühnern im Haus der Ur-Ur-Uroma. Sie hat diese sehr geliebt! In unserer Familie spielten die Großmütter immer schon eine tragende Rolle, und diese erste mir bekannte Großmutter hat, wie alle weiteren Großmütter in unserer Familie nach ihr, ihre Enkeltochter sehr liebevoll erzogen und behütet.

Die Else wurde groß und verliebte sich. Nein, das war noch nicht der Uropa. Es kam der zweite Weltkrieg und der Auserwählte der Uroma schenkte ihr ein Halstüchlein zum Abschied und versprach zu schreiben und zurückzukommen. Er wurde nie wieder gesehen. Das Halstuch und das einzige Foto des schmerzlich Vermissten hat später euer Uropa vor Eifersucht rasend verbrannt (der hatte ein südländisches Temperament, aber dazu später mehr). Die Uroma war jedenfalls in Trauer. Da kam die Ilse, Uromas Freundin und erzählte ihr entflammt, dass sie einen schmucken Wehrmachtsoffizier namens Gerhard kennengelernt hatte, der in Schlesien stationiert war. Sie wollte ihn der Else unbedingt vorstellen. So ein Bild von einem Kerl! Schwarzes Haar, lodernde Augen, Else, den musst du gesehen haben! Ilse war hin und weg, wollte aber nicht alleine zu dem Fest hingehen, auf dem sie diesen Gerhard wiederzusehen hoffte. Else war nicht nach feiern, aber der Ilse zuliebe ging sie mit hin.

Zur selben Zeit verlor der Gerhard eine Wette gegen einen Kollegen, weshalb er ebenfalls auf genanntes Fest ging. Denn, er wollte partout nicht! Wie er erzählte, wurde er von einer Ilse buchstäblich verfolgt, die ihn jungmädchenhaft anschmachtete, ihn aber überhaupt nicht reizte (also, so wurde später erzählt!).

Der Rest ist Geschichte, nämlich die unserer Familie. Die Else bekam der Gerhard, die Ilse blieb bis zu ihrem Tode ihrer beide Freundin und unverheiratet! Noch als beide schon graue Omis waren, meinte die Uroma, die Ilse wäre halt nur einmal verliebt in ihrem Leben gewesen…

Gerhard stammt aus Dresden. Die Familie hatte eine große Gärtnerei, die aber dem Suff, dem Wahnsinn des Ur-Uropas, der Inflation oder den spanischen Genen zum Opfer fiel. Nach dem dritten Kirschlikör wurde bei euren Urgroßeltern gern mal erzählt, ein spanischer Seemann hätte sich irgendwann in dem Stammbaum von Gerhards Familie verewigt. Und in der Tat kommen aus der Linie von Uropa Gerhard auffallend viele schöne, südländisch anmutende Menschen mit Glutaugen und einem „Caramba Olé, wo ich bin ist vorne!“-Temperament. Gerhard hatte eine Schwester, soviel ich weiß, und auch einen Bruder. Aber aufgrund des überbordenden Temperaments der gesamten Familie und der Tatsache, dass De-Eskalationsmanagement noch nicht erfunden war, waren bald alle untereinander verstritten und keiner sprach mit irgendwem mehr ein Wort. Diese traurige Tradition hat leider auch nachkommende Generationen ereilt. Die spanischen Gene! Was willste da machen…!

Else machte sich in den letzten Kriegstagen mit einem Flüchtlingstreck von Schlesien auf nach Dresden zu Gerhard und dessen Familie. Sie bekamen vier Kinder (das zweite war euer Opa) und lernten dort mehr oder weniger notgedrungen irgendwann auch Charlotte und Herbert kennen. Und das war was! Der eine ein „brauner Hund!“, der andere eine „rote Socke!“, kriegten sich die Männer bei jeder Gelegenheit in die Haare, sodass eure Großeltern irgendwann die Feiertage aufteilen mussten: an einem kamen Else und Gerhard, an einem anderen Charlotte und Herbert. Aber immer der Reihe nach!

Charlotte & Herbert

Eure Uroma Charlotte Josephine hatte außer einem wunderschönen Namen noch feuerrotes Haar, war „so breed wie hoch“ und die älteste von sieben Töchtern einer Dresdner Familie. Ihr Vater fiel im ersten Weltkrieg und so heiratete Ur-Uroma Margarete erneut. Dem neuen Mann im Haus war Charlotte ein Dorn im Auge, wurde er doch durch den feuerroten Schopf eurer Urgroßmutter immer daran erinnert, dass vor ihm bereits ein anderer Mann bei Margarete war. „Der Rotschopf isst nicht mit an meinem Tisch!“ ist ein überlieferter Ausspruch von ihm. Charlotte wurde darauf hin nach Oschatz zu ihrer Großmutter geschickt, bei der sie aufwuchs. Eure Uroma war gebildet und hatte viele Talente, sie schrieb Tagebuch auf Französisch, weil das außer ihr niemand lesen konnte. Und sie war künstlerisch unglaublich begabt. Sie hat wundervoll gemalt und riesige Gobelins bestickt, ohne Anleitung, oder die hat sie vorher selber gezeichnet.  Sie war eine Dame durch und durch. Niemals wäre sie in einer Schürze aus dem Haus gegangen, obwohl das bis in die Achtzigerjahre eine vollkommen legitime Frauenbekleidung in der DDR war! Egal, wie hart die Zeiten waren (und die waren später hart für sie), sie trug Seidenblusen mit Kamee-Brosche. Sie wusch sich niemals die Haare selber, einmal in der Woche lies sie sich vom Friseur ondulieren und später, als sie ihr ausfielen, trug sie ein Seidenkopftuch (aber nicht wie eine Omi unterm Kinn verknotet, sondern wie ein Hollywoodstar der Zwanziger!) und einen Hauch von „Tosca“ am Hals. Was muss, das muss!

Es waren die späten Dreißigerjahre des letzten Jahrhunderts und jedes Mädchen musste „in Stellung“ gehen zu der Zeit. Charlotte ging von Oschatz nach Dresden und arbeitete in einem Handarbeitsgeschäft auf dem Altmarkt.

Am Wochenende ging sie in den „Schillergarten“, weil da Musik aufgespielt wurde und man konnte beim „Dässchen Heeßen“ den Schiffen auf der Elbe zuschauen.

Herbert und Herta sind auch im „Schillergarten an einem Wochenende.

Uropa Herbert kam aus einer Dresdner Arbeiterfamilie. Herberts Mutter arbeitete als Köchin in einer Fabrik und hatte somit eine richtige Anstellung, was eine echte Seltenheit im Deutschland der Zwanziger und Dreißiger Jahre war. Herta, Herberts Schwester, hat sich später das Leben genommen. Man sagt,  wegen einer unglücklichen Liebe zu einem verheirateten Mann. Herbert hat sie sehr geliebt.

Herta bedrängt den Herbert: „Herbert, geh mal rüber zu der kleinen Rothaarigen und fordere die zum Tanzen auf! Die hat eine tolle Bluse an, ich muss wissen, ob die mit Kreuzstich oder Plattstich bestickt wurde! Und ob das Muster von Burda ist! Herbert! Geh da jetzt hin!“. Und Herbert geht artig und tanzt mit der kleinen Frau, die ihm nicht mal bis zur Brust reicht. Und stellt sie der Herta vor, und diese kann ENDLICH ihre drängenden Fragen bezüglich der Bluse stellen! Man findet sich sympathisch und verabredet sich für einen Nachmittag im Freibad „Wostra“. Charlotte bietet sich an, Kartoffelsalat zu machen. Herta will Kuchen mitbringen… und Herbert.

Am verabredeten Tag sitzt sie im Freibad und wer nicht kommt, ist Herbert. Voller Enttäuschung (und wahrscheinlich auch voller Kartoffelsalat, denn sie aß für ihr Leben gern), macht sie sich auf den Heimweg und da sieht sie Herbert und Herta! „Wo warst du denn?! Wir warten seit Stunden!“. Und siehe da, sie hatten sich nur verfehlt. Na, so haben sie sich doch gefunden am Ende.

Charlotte und Herbert waren bis zu ihrem Tod sehr glücklich verheiratet und hatten zwei Kinder (eins davon ist eure Oma).

Die Oma sagt immer, die Uroma Charlotte sei eine kühle Frau gewesen, ich habe ganz andere Erinnerungen.

Charlotte hat alle meine Puppen eingestrickt und eingehäkelt und mich auch. Solange ich denken kann, bin ich in meiner Kindheit als Ganzkörperhandarbeit herumgelaufen. Und ich trug nicht nur handgestrickte Pullover, nein, sie wurden auch extra mit aufwendigen Stickereien versehen! Keinen Wunsch konnte sie mir abschlagen. Ich durfte ihre Alpenveilchenbank als Puppenküche missbrauchen, auf einem Hocker stehend neben dem Herd ihren Kochkünsten huldigen und mit dem Finger alles naschen, was ich wollte. Uropa Herbert  war eine Seele von Mensch, der vor lauter Liebe zu uns allen ganz nah am Wasser gebaut war, krumpelige Laubsägearbeiten für mich machte und mit dem steifen Bein, das er vom Krieg mitgebracht hatte, hinter mir auf dem heißgeliebten Rummel herhumpelte, auf den er mich immer von dem bisschen Rente was die beiden hatten einlud, sobald die Karussells aufgebaut wurden.  Einige der Schwestern der Uroma Charlotte lebten im Westen und versorgten die Verarmte mit dem „Nötigsten“. Es gab immer Pril und Tosca und amerikanische Zigaretten, von denen Uropa Herbert später stets die Hälfte abzählte und in einem Zigarrenetui für mich reservierte. Einmal, als Charlotte und Herbert von einem Besuch im Westen zurückkehrten, erzählte Charlotte, dass die Nachbarn der West-Schwestern die komplette Garage mit Klamotten und Zeug zugestellt hatten für die Ost-Schwestern und deren Familien. Sie meinte, sie hat vor Scham nicht ein Teil anrühren können. Ich bin gerast vor Entrüstung!!! Man stelle sich vor, ich wäre in den frühen Achtzigerjahren in den Besitz einer echten Levis gekommen! Oder Wrangler! Oder eines Samtpullovers!!!! Oma, wie kannst du nur!!! Ich werde nie den Blick vergessen, den Uroma Charlotte mir zugeworfen hat und wie sie zu mir sagte: „Kind, irgendwann wirst du das verstehen.“. Sie hat Recht behalten.

Sie war eine Dame durch und durch. Wenn ich mir die wenigen kostbaren Fotos ansehe von den beiden, habe ich den Eindruck, sie entstammen einer völlig anderen Zeit: Uroma Charlotte mit ihrer nonchalanten Ausstrahlung und ihren Seidenblusen, Müffchen, neben Uropa Herbert  im Anzug mit Hut, Weste und der goldenen Uhrenkette.

Uroma Charlotte war eine echte Dame. Und doch: die größte Freude konnte man ihr machen, wenn man genussvoll stöhnend den Teller abgeleckt hat nach dem Essen und sie wusste einen herzhaften Furz durchaus zu schätzen! Sie konnte hemmungslos einen fahren lassen und selbstbewusst mit den Worten kommentieren: „Ah, das tat gut!“

Uropa Herbert ist gestorben, als ich siebzehn Jahre alt war. Charlotte hat sich auf ihre Couch gelegt und sich dort nicht mehr wegbewegt. Sie ist an meinem achtzehnten Geburtstag gestorben.

Ich vermisse sie sehr!

Uroma Charlotte schwärmte mir immer von der Torte in der Konditorei „Kreuzkamm“ am Altmarkt vor. Da ging sie als junge Frau einmal pro Woche schmausen. Als die Mauer fiel und beide schon lange tot waren, bezog die Konditorei „Kreuzkamm“ wieder Quartier am Dresdener Altmarkt. Ich war einmal dort, für Charlotte,  und habe schluchzend die Torte auf meinem Teller vollgeheult.

Meine Kindheit ist geprägt durch die Erlebnisse mit meinen Großeltern. Ich war als kleines Kind in keiner Kita. Wenn meine Mutter zur Arbeit ging, holte mich morgens eine meiner Großmütter ab und nahm mich mit zu sich. Genau, die fuhren dann vorher mit der Straßenbahn durch die halbe Stadt dafür. Oder ich blieb gleich länger dort! Bei Oma Else gab es immer ein eingerichtetes Kinderzimmer. Bei Oma Charlotte schlief ich in der Besucherritze, und wenn ich mich trotz dreier Daunendecken divenhaft über die Arschkälte im großelterlichen Schlafzimmer beschwerte, sagte sie stets: „Mach einen Pups, dann wird’s gleich wärmer unter der Decke!“.

Als Kind rief meine Mutter stets besorgt: „Kind, pass auf deine Figur auf! Du kommst nach Oma Charlotte!“. Heute sag ich stolz: Na, das wäre doch schön!

Und nun seh ich euch an. Du, mein Großer, hast die wundervollen Reh-Augen von Uropa Herbert und ja, auch das „Caramba Olé!“-Temperament von Uropa Gerhard! Und du, mein Baby, du kommst wirklich nach Charlotte mit dem rötlich schimmernden Haar und den wasserblauen Augen aller Rothaarigen. Und du bist „so breed wie hoch“, genau wie Charlotte. Nur, was das angeht, da hoffe ich, du entwächst deinen Genen noch. Aber lass dir Zeit!

Namen, mehr als Schall und Rauch

Ich sollte Falk heißen. Gott sei Dank haben sich meine Eltern das dann doch anders überlegt. Falk hätte wirklich nicht zu mir gepasst! Als ich dann da war, wurde Friederike erwägt als Label für das schrumpelige neue Kind. Ich kannte mal eine Friederike, die wurde Fritti gerufen! Ich hatte kein Mitspracherecht, aber auch dieser Kelch ging an mir vorüber… Nicht, dass ich mit meinem Vornamen zufrieden gewesen wäre! Oh nein, scheußliche Abkürzungen und namentliche Verhunzungen säumten meinen menschlichen Werdegang.

Auch der beste Ehemann von allen hat es nicht optimal getroffen. Eine Silbe (ein Vokal,  vier Konsonanten), man meint, damit liegt man auf der sicheren Seite. Weit gefehlt! Sein Vorname wird in Sachsen eigentlich niemals so ausgesprochen, wie er geschrieben wird. Wir Sachsen können diese Buchstabenkombination irgendwie nicht lautieren! Es klingt, als würde man einen Frosch würgen: Dörg…

Als das Kind Nummer eins sich auf den Weg in unser Leben machte, war uns beiden Eltern in spe klar: Auf gar keinen Fall sollte der Name Potential für Häme und Verschandelung bieten! Less is more, wir entschieden uns für: eine Silbe, ein Vokal, zwei Konsonanten. In der Zukunft sollte sich herausstellen, dass drei Buchstaben zu wenig für das Kind sind. So hängt noch heute jeder, der ihn kennt, einfach ein „i“ hintendran. Das Kind scheint an sich zufrieden mit unserer Auswahl.

So, das hatten wir ja schon mal gut hinbekommen!

Als das Kind Nummer zwei seine Ankunft voraussagte, hatte ich entschieden: Jetzt wird geklotzt! Florentina Charlotte Josephine würde es heißen. Der Beste schüttelte besorgt den hübschen Kopf und meinte, das ginge nicht. Das wäre ungerecht dem Kind Nummer eins gegenüber. Der hat ja nicht mal ne zweite Silbe, geschweige denn einen zweiten Vornamen! Diesem Argument konnte selbst ich mich nicht verschließen.

Dann kam die folgenschwere Ankündigung der Frauenärztin: „Es wird een Gerlschn!“. Das Kerlchen bekam als Arbeitsnamen: Garlschn. Denn wir konnten uns nicht entscheiden! Jeder für sich schon, aber auf einen gemeinsamen Nenner kamen wir nicht. Ich steckte in der namentlichen Zwickmühle.  So kam es, das Kind. Und die resolute Hebamme steht neben mir, steckt die Hände in die kräftigen Hüften und fragt: „So, hast du dich entschieden?! Wie soll das Karlchen denn nun heißen?“. Dass das so schwer gewesen war, ist rückblickend nicht mehr zu begreifen. Er hatte ja schon die ganze Zeit einen Namen!

Tja Leute, was soll ich sagen? Eine Silbe, ein Vokal, drei Konsonanten. Und man kann super ein „i“ dranhängen.