Der richtige Zeitpunkt

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„Darf ich sie mal fragen, wie alt sie sind?“

„Und ich, darf ich sie mal fragen, wie blöd sie eigentlich sind?“

Seit ich eine alte Mutter bin, bin ich eine Person des öffentlichen Interesses. Die Bäckersfrau reicht mir mein Brot über die Theke mit den charmanten Worten: „War wohl´n Unfall, was?!“ und meint das rosige Baby im Tragesack.

Seit jeher bekamen Frauen bis zum Eintritt in die Menopause Kinder. Nur entschieden sie sich (als sie es dann konnten) oft dagegen. „Man“ bekam die Kinder mit Anfang Zwanzig und war froh, wenn die aus dem Gröbsten raus waren. Ich erinnere mich an eine Begebenheit in den späten Siebzigern, als eine Kollegin meiner Mutter ungewollt schwanger wurde, mit Ende dreißig, und diese Schwangerschaft ziemlich spät realisierte. Diese Frau war so verzweifelt über die skandalöse Situation, dass sie am liebsten „ins Wasser gegangen“ wäre. „Was sollen denn die Leute sagen?! Sowas in meinem Alter!!“. Ihr damals schon erwachsener Sohn gab ihr daraufhin zur Antwort: „Mutti, erzähl denen einfach, das sei meins!“. Es war „normaler“, dass der Sohn mit achtzehn Vater würde, als seine Mutter mit knapp Vierzig erneut Mutter.

In der öffentlichen Meinung sind Mütter über Vierzig momentan gern karriereorientierte Frauenzimmer, die sich im schlimmsten Fall mit einer Eizelle aus Polen und einer Samenspende aus Schweden in Dänemark haben künstlich befruchten lassen, um ihren egoistischen Kinderwunsch fünf vor zwölf noch umzusetzen. Und jede(r) hat dazu neuerdings eine Meinung!

Dabei kenne ich sehr viele Frauen, die beziehungs- oder entwicklungstechnisch jahrelang in Sackgassen verharrten oder deren Eierstöcke ein Eigenleben zu haben schienen: „Kinder?! Och nö. Wir dachten, wir machen erst mal Karriere.“.

Junge Mütter bekommen für ihre Augenringe Mitleid und Hilfe angeboten, ich bekomme zu hören: „Na, DAS hast du ja so gewollt!“.

Männer machen sich interessanterweise überhaupt keine Gedanken über das Bild, was ich abgebe. Frau mit Kind. Punkt. Was soll da schon groß sein?!

Und ihr? Mädels, was ist los mit euch?!

Ich sehe, wie ihr mich beobachtet, wenn ich mit dem Kinderwagen auf dem Spielplatz aufkreuze oder vor euch an der Kasse stehe im Supermarkt. Ich kann eure Gedankenblasen sehen, ähnlich wie in einem Comic: ´Ist das die Mutter? Wie alt wird die sein? War bestimmt ne IVF. Wenn das Kind in die Pubertät kommt, ist die doch Rentnerin…armes Kind! Die kommt doch mit dem Rollator zur Schuleinführung!`

Verpackt klingt es auf dem Spielplatz dann oft so: „Naja, ich habe mir bei der Kinderplanung ja was gedacht. Den Jean Luc habe ich mit fünfundzwanzig bekommen, und nun, sechs Jahre später die Shakira Chantal, dann bin ich daheim, wenn der Jean Luc in die Schule kommt. Und die Kinder sind ja froh, wenn sie junge Eltern haben, mit denen sie was unternehmen können!“. Währenddessen nippt sie an ihrer hippen Latte und schaut auf ihr Smartphone. Der Jean Luc lässt sich zwischenzeitlich den Sand schmecken oder verkloppt einen Spielplatzkollegen.

Ja, in einem Alter, in welchem andere Erwachsene auf der Aida im Mittelmeer rumschippern oder Abenteuerurlaub machen, habe ich mich für ein ganz anderes Abenteuer entschieden. Und genau: Ich habe das so gewollt!

Am Ende ist es doch ganz einfach: Wir sind die besten Mütter, die unsere Kinder je haben werden. Und unser  Alter spielt dabei überhaupt keine Rolle!

Wenn ich jemanden kennenlerne, interessiert mich: „matcht“ das mit uns, haben wir Gesprächsthemen, ist mir der Mensch sympathisch? Andersherum: Sobald mich jemand mit Baby kennenlernt, hibbelt mein Gegenüber oft, bis es endlich die offensichtlich alles entscheidende Frage stellen kann: „Du, darf ich dich mal fragen, wie alt du eigentlich bist?“

Ehrlich: das nächste mal, wenn ich eine grauhaarige Omi auf dem Spielplatz treffe, könnte sich womöglich folgender Dialog ergeben:

„Das ist aber ein süßes Kind! Sohn oder Tochter?“

„Waaaas?! Um Gottes Willen! Das ist doch mein Enkel!!“

„Ach wirklich?! Das hätte ich gar nicht gedacht, bei ihrem jugendlichen Aussehen!“.

9 Kommentare zu “Der richtige Zeitpunkt

  1. Sehr erheiternd 🙂 aber ju8nge muddis bekommen nicht nur mitleid für die augenringe sondern ebenfalls sprüche wie „war wohl ein unfall“, „waaaas? jetzt schon ein kind“ oder noch besser – ein besorgtes „gibts denn auch nen vater dazu?“ Du siehst, die menschheit ist sich nicht ganz sicher, ob mannun jung oder alt mutter werden sollte. 😀

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  2. Klasse,
    zumal ich drei Monate vor meinem 43. Geburtstag selbst noch mal Mutter geworden bin. Ich muss sagen es fühlt sich nicht anders an als damals, als die beiden großen zur Welt kamen. Die waren immerhin 15 und 17 als unsere Nachzüglerin geborgen wurde. Naja, in meinem Freundes und Bekanntenkreis gibt es natürlich niemanden mehr mit Kleinkind. Und mir ist klar, dass wir gerne Thema waren, so spät noch ein Kind zu bekommen. Und dumme Fragen bzw Kommentare von Ungefragten kenne ich auch. Einer meiner liebsten ist „Also ich wollte kein Kind mehr mit über 40″. Nun was fängt man mit solchen Kommentaren an.
    Ich komme mir jedenfalls nicht seltsam vor und falls ich doch mal zweifle, versichern mir meine großen Mädels, dass das Quatsch ist.
    In der Schwangerschaft dachte ich immer, du musst jetzt jung aussehen immerhin fährst du bald mit Kinderwagen durch die Gegend. Mittlerweile sehe ich das so: Es ist wie es ist, du bist so alt wie du bist, das ist nun mal Fakt. Ich bin jetzt 45, eine alte Mutter und ich bin es gerne.
    Wie sagst du so schön:“ Wir sind die besten Mütter, die unsere Kinder je haben werden“ 🙂
    Ich bin seeeeeeehr froh diesen Blog entdeckt zu haben!!!!!!!!!
    Bei „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“ hab´ ich Tränen gelacht.
    Deinen Post „Zeit“ fand ich auch ganz toll!!!!!!!! Und viele andere mehr.
    Liebe Grüße!

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  3. Hallo Rike,

    ich habe heute in der Brigitte Mom deinen Artikel zum späten Babywunder mit Deinem zweiten Kind gelesen und mich gefreut zu lesen, das Wunder möglich sind. Mit Deinen Gedanken hast Du mir aus der Seele gesprochen. Mein Sohn ist jetzt 7,ich bin 41 und habe auch Endometriose und wir versuchen bereits seit 6 Jahren erfolglos unsere Familie zu vergrößern. Wie hast Du es bloß geschafft das Thema so loszulassen das es mit der Schwangerschaft geklappt hat? Hast Du einen Tip für mich? Hast Du darüber noch mehr geschrieben?
    LG Sophie

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    • Liebe Sophie,
      danke Dir für Deine Zeilen und das Vertrauen. https://nieselpriem.com/2014/08/28/ein-wunder-bitte/
      hier gehts zur Originalversion des Textes, weniger Medizin, mehr Gefühle. Einen anderen Text habe ich über die Kinderwunschzeit nicht geschrieben, es ist ja für uns ganz wunderbar ausgegangen!
      Leider habe ich keine ultimative Lösung. Was gut funktionieren soll (und auch bei uns schlussendlich hat), ist die regelmäßige „Renovierung des Kinderzimmers“, sprich: Ausschabung, Herde entfernen etc. Außerdem habe ich ein pflanzliches Gelbkörperhormon (agnus castus) genommen. Auch schon bei Kind Nummer eins. Mir egal, was die Schulmediziner sagen. Es hat geklappt!
      Was den Kopf angeht: wir haben uns als Pflegeeltern registrieren lassen und hätten sicher so unsere Kinderliebe gestreut, wenn es nicht anders gekommen wäre.
      Wenn Dir nach Schreiben ist, schreib mir ruhig wieder! Ich verstehe genau, wie Du Dich fühlst. nieselpriem.blog@gmail.com

      Alles Liebe wünscht Dir
      Rike

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      • Liebe Rike,

        vielen Dank für Deine Antwort. Dein Text „Ein Wunder bitte“ hat mich sehr berührt und ist toll geschrieben. Interessant das Du Dich letztlich auch gegen eine IVF entschieden hast. Ich kämpfe immer noch mit mir, ob ich diese Option mit der dazugehörigen Mini Chance nutzen sollte, aber meinem Gefühl widerstrebt das und ein wenig einfühlsamer Arzt sagte mir das in meinem biblischen Alter die Chance ohnehin verschwindend gering ist. Agnes Castus nehme ich schon seit einiger Zeit und es tut mir gut. Es ist wirklich sehr schwer sich von diesem Wunsch zu lösen, beinahe unmöglich ohne mich selbst zu belügen. Geschichten wie Deine machen mir Mut an ein Wunder zu glauben, auch wenn ich weiß dass es nicht heißt das es dieses Wunder für mich geben muss. Ich danke Dir jedenfalls.

        Herzlichst Sophie

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  4. Sehr schön geschrieben, konnte mich in jeder Zeile wiedererkennen. Hab meine Tochter mit 43 bekommen. Und ja, es war die KollegIN, die mir mit dramatischem Augenrollen sagte: ich bin so froh, meine Söhne so jung bekommen zu haben! Ich kann mit denen noch in die Disko! (hieß damals so). Heute ist meine Tochter 18 und wir sind uns sowas von einig: mit Muttern in den Club?! Never! Nur über eine (meine) Leiche.
    Ansonsten gab es nie krittelnde Sprüche. Allerdings fragte mich mal ein kleines Mädchen auf dem Spielplatz: „bist du die Oma?“ Blankes Entsetzen bei mir, da war er, der lang erwartete Satz. Ich riss mich zusammen, verneinte die Frage und wollte dann wissen, wie die Kleine darauf kam. „Weil du eine Brille trägst!“ – ok, damit konnte ich leben. Die nächste Frage war dann auch: „Ist der Papa tot?“ „Nein, warum?“ „Weil er nicht hier ist!“
    Der lag, 13 Jahre jünger als ich, erschöpft auf dem Sofa daheim.
    Meine eigene Mutter war auch fast 44 bei meiner Geburt. Damals recht normal, denn Verhütung war nicht so sicher wie heute. Ich war allerdings das vierte Kind… und Bemerkungen gab es nie.

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