Schwangere Seniorinnen oder: Mein Bauch gehört mir!

Frage: Wie nennt man den Uterus einer älteren Frau? A) Gebärmutter B) Gebäroma C) Eine Frau über fünfundvierzig hat keinen Uterus und keine Vagina! Eine alte Frau hat keinen Sex und auf gar keinen Fall involviert sie sich in den Fortpflanzungsprozess außerhalb der ihr angedachten Rolle als Großmutter mit praktischem Kurzhaarschnitt und in geschlechtslose beige Polyestergewänder gehüllt. Frag das Internet!

Caroline Beil ist schwanger. Das könnte mir egal sein, ist es mir generell auch. Ich finde das so interessant, wie eben jemand eine derartige Meldung spannend findet, wenn er den betreffenden Menschen (so wie ich in Frau Beils Fall) gar nicht kennt.

Aber Caroline Beil ist fünfzig und schwanger und da wird es interessant! Also nicht auf eine gute Art, weil zum Beispiel herausgefunden wurde, dass der Verzehr von zwei Litern Schokoladeneis pro Tag die Fertilität (also Fruchtbarkeit) unterstützt.

Nein! Interessant auf eine erschreckend gruselige Art wurde es, weil die werdende Mutter sich einem Shitstorm ausgesetzt sieht, ihre Schwangerschaft betreffend. Während George Clooney, Sigmar Gabriel und wie die neuen Väterhelden im öffentlichen Raum auch heißen mögen, Fan-Zuspruch und Klicks erhalten, wird Caroline (die im übrigen jünger als die beiden genannten ist) als „Mumie“ beschimpft und das Ungeborene bereits bedauert.

Was ist so anders zwischen George Clooney mit seiner Amal und Caroline Beil mit ihrem neuen Freund? Genau genommen gar nicht so viel! Beide Paare haben einen Altersabstand von circa sechszehn Jahren und beide Paare bekommen Nachwuchs 2017. Und bei beiden Partnerschaften ist ein Elternteil in den Dreißigern und eines über fünfzig. Und dennoch bekommt das eine Paar Herzchen und Zuspruch und Likes und das andere die Hasstiraden.

Mir kriecht das Entsetzen den Nacken hoch, wenn ich bedenke, dass der Großteil der Kommentatoren weiblich sein soll. Echt jetzt, Mädels? Ungläubiges Staunen, Unverständnis. Einer Zwanzigjährigen sehe ich all das nach. Auch einer Dreißigjährigen. Die wissen nichts über die Gefühlswelt einer Fünfzigjährigen. Und das ist ok! Aber Beschimpfungen gehen gar nicht. Und wisst ihr warum? Weil es noch gar nicht so lange her ist, dass Frauen mit dem Slogan „Mein Bauch gehört mir!“ auf der Straße demonstrierten, um jedem Mädchen und jeder Frau das Recht auf freie Entscheidung einzuberaumen. Das Recht, sich gegen ein Kind entscheiden zu dürfen! Das Recht, eine ungewollte Schwangerschaft straffrei abbrechen zu dürfen. Die entsprechende Gesetzesänderung gilt nach wie vor als Meilenstein in der Geschichte der Frauenrechte. Und beinhaltet dieses Recht auf freie Entscheidung nicht auch das Recht, sich frei „für“ ein Kind zu entscheiden? In meiner Wahrnehmung schon!

Ich habe es schon mal an anderer Stelle (hier) geschrieben: Von jeher bekamen Frauen ihre Kinder bis zum Eintritt in die Wechseljahre. Nur das uralte Hebammenwissen und später die moderne Medizin haben dafür gesorgt, dass alte Mütter für eine Zeit aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwunden sind. Und ja, die Wahrscheinlichkeit einer intakten Schwangerschaft nimmt mit dem Alter der Mutter mehr und mehr ab. Aber generell funktioniert es unter Umständen! Und selbst wenn – wie in Carolines Fall – der Onkel Doktor nachhilft, was ist daran derart verwerflich, dass sich Leute verbal entgleisen und die werdende Mutter attackieren und beschimpfen? Und im Anschluss auf George Clooneys Instagram-Account ein Herz dalassen?!

Wann ist man alt? Wie lange jung?

Ich weiß es nicht. Ich bin in der Mitte meines Lebens und ich verstehe nicht, was an diesem „Jungsein“ überhaupt so toll sein soll. Ich will nicht noch mal jung sein! Ich führe jetzt das Leben, das ich mir als ganz junge Frau immer gewünscht habe! Alle Möglichkeiten liegen dir zu Füßen, alle Türen offen, wenn du jung bist? Am Arsch! Jetzt habe ich alle Möglichkeiten und trete jede Tür auf, durch die ich hindurch will! Jetzt ist die beste Zeit meines Lebens! Und ja, es fühlt sich toll an, noch mal ein kleines Kind zu haben. Jetzt. Und ich bin eine tolle Mutter, jetzt, mit siebenundvierzig!

Willkommen bei Nieselpriem, ihrem geriatrischen Befruchtungsblog! Wer versehentlich hierher gelangt ist, bekommt an der Kasse sein Geld zurück.

Ja, ich bin eine alte Rollator-Mutti und das ist genau mein Ding. Ich bin #teamcaroline. Das muss nicht für jede(n) passen, für mich passt es. Und ich hätte nicht mit zwanzig die Mutter abgegeben, die ich jetzt sein kann! Mit zwanzig hätte ich selber noch einen Erziehungsberechtigten gebraucht… andere sind da anders und haben andere Entscheidungen getroffen. Auch prima!

Dieses Analysedingsbums in der Blogsoftware hat mir mal ausgespuckt, dass der durchschnittliche Nieselpriem-Leser zwischen dreißig und fünfunddreißig Jahren alt ist und weiblich (Ich weiß, es lesen auch ein paar Männer hier. Torti, Nils, ich winke!). Wenn ich mich also mal ganz weit aus dem Fenster der Realität lehne, bedeutet das wohl, dass sich hier Frauen angesprochen fühlen von meinen Worten, die gut und gern fünfzehn Jahre jünger sind als ich. Bedeutet das vielleicht weiter, dass die „alte“ Frau, die hier schreibt,  mit ihren Meinungen und Ansichten gar nicht so weit weg ist von denen der „jungen“ Frau, die das liest. Dass uns optisch zehn bis fünfzehn Jahre trennen, aber im Fühlen möglicherweise kaum etwas. In dem, was uns als Mütter umtreibt.

Ich könnte jetzt noch mit dem demografischen Wandel um mich werfen, damit, dass wir immer älter werden und dass Frauen aus Gründen (und auch die füllten wieder Seiten des Internets) oft bis weit in ihre Dreißiger knietief in der Karrierearbeit stecken und deshalb immer später Kinder gebären, all das ist richtig, führt jetzt aber zu weit.

Ich denke, in den kommenden Jahrzehnten wird die Zahl der über Vierzigjährigen Gebärenden immer mehr zunehmen und vielleicht auch die der über Fünfzigjährigen. Ich bin dafür, dass wir nicht nur die Errungenschaft der freien Entscheidung gegen ein Kind in jedem Alter feiern sollten, sondern auch die freie Entscheidung für ein Kind in jedem Alter! Auch das ist Frauenrecht. Mein Bauch gehört mir, in jeder meiner Entscheidungen. Und dir deiner. Das gilt im übrigen auch für Meinungen. Jeder darf seine eigene haben und jeder einzelne löffelt die Suppe seiner Entscheidungen für sich aus.

Nachtrag: Spontan hatte ich überlegt, Caroline unseren Hartan zu spenden, der steht ja noch bei uns in der Garage. Ich habe mich aber dagegen entschieden, ich bin ja noch nicht mal fünfzig! Und falls noch einmal ein faltiges Ei meine runzligen Eileiter passieren sollte, setze ich mich hin und schreibe ein Buch. Mögliche Arbeitstitel wären: „Stillend durch die Wechseljahre“, oder: „Elternzeit statt Altersteilzeit – Eine Chance für Senioren“. Bleiben sie gespannt. Und vor allem: Entspannt!

Und jetzt entschuldigt mich, ich muss die Bauchfotos von Caroline Beil herzeln gehen, aus Solidarität.

Doktor Google

Rückblende. Siebenundzwanzigster Dezember zweitausendzwölf.

Ein Tag „zwischen den Jahren“ wie in jedem anderen Jahr auch. Irgendwie fühlte ich mich blümerant und anstatt mich ins Wartezimmer eines überbuchten Arztes zu setzen konsultierte ich vorm Weltempfänger Dr.Google. Der hatte bald auch den richtigen Riecher:

Sind sie eine Frau? Ja. Sind sie älter als fünfundvierzig? Nein. Fühlen sie sich in den letzten Wochen schlapp und grundlos abgespannt? Ja. Leiden sie unter Schlafproblemen und Kopfschmerzen? Ja. Sind sie übellaunig und plagen sie Stimmungsschwankungen? Ja, und wie! Quälen sie Hitzewallungen, vorallem nachts? Ja. Ist ihre Periode unregelmäßig geworden? Ja.

Diagnose: „Mit großer Wahrscheinlichkeit sind ihre beschriebenen Probleme Anzeichen der Wechseljahre. Ihr Gynäkologe oder ihre Gynäkologin kann ihnen helfen, die Nebenwirkungen des Klimakteriums durch Medikamente abzumildern. Machen sie am besten frühzeitig einen Termin!“.

Machte ich, ich bekam aber keine Medikamente.

Und jetzt kann ich auch nicht weiter mit euch plaudern, denn das Klimakterium ist eben wach geworden und ruft nach mir…

 

 

Geburtstage

Geburtstage

Während die Erwachsenengeburtstage und selbst der des großen Kindes ja grundsätzlich Tage sind, an denen der Jubilar gefeiert wird, ist es bei dem des Kleinsten irgendwie ganz anders… sie katapultieren mich in die Vergangenheit.

Schon zum zweiten Mal. Bereits viele Tage vor „dem“ Datum, schlurfte ich feuchtäugig und seufzend in der Gegend rum. Und dann traf es sich auch noch, dass meine Wege durch das Uniklinikum an der Frauenklinik vorbeiführten. Und da hörte ich es: „Aaaaaaaah!“, in diesem ganz besonderen Tonfall. Keine drei Sekunden später erneut: „Aaaaaaaah!“. Meine Schritte verlangsamten sich automatisch und meine winzige, schrumpelige Gebärmutti krampfte sofort solidarisch mit.

Eine Stunde später musste ich immer noch an die Frau denken. Ich legte Wäsche zusammen und seufzte schon wieder. Sie würde nun glückstaumelnd und verheult ein rosiges Menschlein, schlafend und zusammengekrümmt wie ein Engerling oder mit ganzer Babykraft wütend ausgestreckten Gliedmaßen und lauthals die Welt anbrüllend, unterhalb der linken Schulter liegen haben. Auf ihrem Herzen. Seufz.

Am letzten Augusttag dann (dem errechneten Geburtstag des Kleinsten) lief ich breitbeinig in der Gegend rum und hoffte auf Blähungen, um noch mal Bewegung in mir spüren zu können. Und benahm mich auch sonst so, als bräuchte ich dringend Hilfe!

Wenn ich abends liebestaumelnd über dem Gitter des Babys hänge und den warmen kleinen Rücken streichle, habe ich jetzt schon manchmal das Gefühl, ich muss ganz schön ausholen mit dem Arm. So von ziemlich weit links bis rechts. Wieso ist der schon so lang? So groß? Zwei Jahre. Warum geht das alles so schnell? Noch zweimal zwinkern, dann rasiert der sich im Schritt, sagt: „Tschüss Mutti!“, und zieht mit einer unsympathischen Söhnestehlerin von dannen (Ich hasse sie jetzt schon. Alle!).

Zwei Jahre soll das schon her sein? Meine Erinnerungen sind so präsent, als sei es gestern gewesen. Und das müssen sie auch bleiben, denn wenn ich das alles wirklich niemals wieder erleben darf, dann muss das für ein Leben lang reichen. Diese Erinnerungen.

Wie ich in der Klinik Meter für Meter die Gänge ablatsche, nachts. Und jede Nachtschwester auf einen Bohnenkaffee anschorre (und keinen kriege). Und wie ich dann viele Stunden später alle im Kasernenton darüber informiere, dass jetzt gefälligst der Anästhesist geholt werden soll. „Nee, Leute, ihr macht mir nichts vor! Natürliche Geburt? Hatten wir schon. Danke, kenn ich. Brauch ich nicht. Her mit dem Stöffchen! Volle Pulle, doppelte Dosis, alles! Vollnarkose extra. Nehm ich auch! Und lasst euch ja nicht einfallen, mich hier hinzuhalten. Und dann sagt ihr, ach, schon neun Zentimeter?! Jetzt ist es zu spät und ich würde den Rest ja auch noch schaffen, so suuuuper wie ich das bisher machen würde! Pah! Ich kenne euch Volk! Ich bin nicht zum ersten Mal hier! Mich trickst ihr nicht aus. Wann kommt denn endlich der Typ mit dem Betäubungsgewehr?“ (Diese Frage stellte sich das Entbindungspersonal selbst auch öfter während meiner Anwesenheit.).

Der Typ kam dann auch irgendwann und ich riss ihm den Belehrungszettel aus den Händen. „Blabla, Querschnittlähmung, Inkontinenz, mir egal. Her mit dem Scheißstift! Und jetzt mach das Ding rein, Doktorchen! Aber dalli! Warte…. Oh oh… Uuuuuuuuuih! Pffffffffff… Jetzt geht’s wieder. Mach hinne, Mensch! Sonst blas ich den Scheiß hier ab und geh runter in die Chirurgie und lass die Jungs mit dem Skalpell ran. Mir reichts jetzt langsam!“.

Dann schlafen. Ausstrecken. Herrliches Ausruhen.

Drei Minuten etwa. Dann war Schichtwechsel am Nachmittag und die Nachmittagshebamme, welche mich schon kannte, fragte streng: „Wasn hier los? Wieso hastn du ne PDA?“, „Geh weg, ich will schlafen!“, brummte ich sie an. „Nüscht. Hier wird ni gepennt. Gar keene Wehen hast du mehr! Das Ding kommt jetzt ab.“ Zum Protestieren war ich zu müde. PDA ab, Wehentropf dran und ab ging die Lucie.

Der Große kam 17:05 Uhr an einem Donnerstag zu mir, mein Kleinstes 15:50 Uhr an einem Mittwoch. Auch wenn ich von der Geburt des Großen nur noch weiß, dass es sich anfühlte, wie von einem Zug überrollt zu werden, so bleibt doch dieses Gefühl des ersten Blickes als Erinnerung wie in mein Herz tätowiert. Als die Hebamme den Großen hochhob, angezogene Beine, geschlossene Augen, mürrischer Mund. Und ich dachte: Ja! Das ist mein Kind! Mein Kind! Und der Kleinste auf meinem Bauch. Das Gefühl, ihn das erste Mal hochzuheben um ihn an mein Gesicht zu halten. Mürrischer Mund, zusammengekniffene Augen. Mein Kind!

Ich weiß, alle Mütter haben diesen Gefühlsrausch. Alle erzählen gern von ihren Geburten (oft auch gegen den Publikumswillen). Irgendwann lässt das allerdings nach. Der Gefühlsrausch verblasst vielleicht, so genau weiß ich es nicht. Dieses Mal will ich mich für immer erinnern. Ich will nichts vergessen! Die Vorstellung, dass diese Erinnerungen für den Rest meines Lebens halten müssen, dass ich das niemals wieder erleben werde, das ist ein wehmütiges Gefühl. Wisst ihr noch, diese Rentnerin im letzten Jahr? Die aufgrund der Vierlingsschwangerschaft in der Presse war? Alle haben sich den Mund zerrissen. So was Egoistisches auch! Ich war still, nichts habe ich dazu gesagt. Ich kann die Frau verstehen. Nicht die Handlung an sich, aber die Beweggründe. Die Sehnsucht. Kinderwunsch ist immer egoistisch. Man wünscht es für sich.

Nichts auf der ganzen Welt lässt sich vergleichen mit Schwangerschaft und Geburt und diesen magischen ersten Momenten. Dieser unglaublichen Liebe. Nichts! Das ist nicht, wie wenn man irgendwem erklärt, Bungeejumping sei wie Achterbahn, nur schneller. Für dieses Erlebnis gibt’s einfach gar keinen Vergleich. Und ich will das festhalten. Muss.

Halle Berry hat mit siebenundvierzig ihr zweites Kind bekommen. Annie Leibowitz und Gianna Nanini waren beide über fünfzig, oder? Ist ja auch egal. Es hört bei manchen einfach nicht auf, dieses Sehnen. Neulich meinte ich zu dem Bärtigen, ich wöllte noch mal sowas zu Weihnachten. Und zeigte auf das süße, unschuldige, goldschimmernd behaarte, weichhäutige und duftende „sowas“ (Okay, ja, man muss die auch behalten, wenn die nicht mehr so dufte(-nd) sind und nur rumdiskutieren und Türen knallen und so, aber das verdränge ich ja in solchen Momenten erfolgreich.).

Der Bärtige nicht. Er machte „dieses“ Gesicht und begann das Gespräch mit: „Henrike, …“. Bei solchen Gesprächen schalte ich bereits beim ersten Komma das innere Meerrauschen ein und rolle nur ab und an genervt mit den Augen, damit der Mann denkt, ich würde zuhören. Es geht immer um sowas wie Konsequenz und Verantwortung und Betriebswirtschaft und Nerven. Also alles Dinge, von denen ich sowieso keine Ahnung habe!

So ist das hier bei Nieselpriems.

Und er zweite Geburtstag des Kleinsten ging ins Land. So wie die unzähligen fünfzehn Geburtstage des großen Kindes. Fünfzehnmal Kerzen anzünden, fünfzehn Feiern, die ich gar nicht mehr alle zusammenbekomme. Eine Masse an Jahren und Ereignissen, komprimiert und eingedampft zu einem Erinnerungspuzzle in meinen Gedächtnis. Nur am Leben erhalten durch tausende Fotos, durch VHS-Kassetten. Wo sind all die Jahre hin? Und werden die Jahre des Kleinsten auch in diesem gierigen Schlund der Zeit verschwinden?

Ich versuche, dem erwachsen zu begegnen. Also im Rahmen meiner Möglichkeiten. Gestern meinte der Bärtige, er wöllte mit dem Kleinsten mal auf Vater-Kind-Kur fahren. Ich begrüße das selbstverständlich und habe ihn darüber in Kenntnis gesetzt, dass er mir mein Baby erst von der Brust reißen kann, wenn ich ein neues kriege.

Also total erwachsen eben. 😉

Ein Wunder bitte!

Wie lange habe ich auf dich gewartet. Wie viele Wochen, Monate, Jahre.

Als ich deinen Bruder bekam, glaubte ich mit der Arroganz und Unsterblichkeit meiner Jugend noch an die Großfamilie, von der ich immer geträumt hatte. Es war schwierig, die gesundheitliche Prognose eher schlecht als optimal, aber he! Da war er ja! Auch Ärzte irren schliesslich manchmal.

Er wurde so schnell groß.

Wie oft habe ich mir später alte VHS-Kassetten angeschaut, das Baby bestaunt, das er einmal gewesen ist. Wie er da goldig und süß mit seinem Windelpopo durchs Bild stolperte. Und ich, eine lächelnde, jüngere Version meiner selbst. Und ich fragte meinen Mann: Haben wir damals gewusst, wie scheißglücklich wir waren? Wie oft saß ich da, mit einem Kloß im Hals, und wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen. Diese Momente noch einmal erleben. Aufsaugen. Festhalten. Mir bewusst machen, wie flüchtig sie doch sind! Meinem jüngeren Ich die banalen Sorgen ausreden, die mich damals ablenkten zu sehen, was ich da hatte! Nie wieder würde ich das Kind aus meinen Bett wegschicken, wenn es schlaftrunken sein verschwitztes, nach Apfelessig duftendes Köpfchen an mich kuscheln wöllte. Wie kurz, gemessen an einem Menschenleben, war die Zeit, in der er mir so nah war? Wann habe ich das letzte Mal die Hand meines Kindes halten dürfen? Ich wünschte, ich könnte mich daran erinnern und mich davon verabschieden. Eine kleine, weiche Hand in meiner. Ein winziger Mensch, der neben mir geht und zu mir hochschaut. Ach, könnte ich das doch noch einmal erleben!

Wie oft lag ich nachts wach, feilschte mit dem Schicksal und der Vorsehung, die Hände auf meinen Unterleib gepresst. Ich zündete in jeder Kirche eine Kerze an, hoffte. Und wartete. Vergebens.

Mit ihrer Vorgeschichte… Die Mediziner waren deutlich. Die letztmögliche Chance riss ich an mich! Wenigstens versuchen wollte ich es! Wir schauen mal… sagte der Arzt. Und viele Stunden später als es für diese kleine Routineoperation üblich war, erwachte ich und blickte in sein sorgenvolles Gesicht. Also, ich muss ihnen sagen… mit so einem schweren Befund hatten wir hier nicht gerechnet… Ich kann ihnen nicht vorschreiben, was sie tun sollten, aber dringend abraten von einer künstlichen Befruchtung… bei ihrer Prognose…sie haben doch schon ein Kind…genießen sie das… das grenzt doch schon an ein Wunder… Mir fiel die alte Frau mit den Kreuzen ein aus dem Monty-Python-Film und ich meinte sie kreischen zu hören: Jeder nur ein Wunder! Ich aber wollte ein zweites. Ich sehnte mich so sehr danach!

Also keine künstliche Befruchtung. Die letztmögliche Option ungenutzt vorüberziehen lassen…

Ich war mittlerweile einundvierzig Jahre alt und hatte mich in meinem Leben schon von vielem verabschieden müssen. Von Menschen, Gewohnheiten, Träumen. Mich von dir zu verabschieden war ein bisschen wie sterben.

Was sollte ich mit der zweiten Hälfte meines Lebens anfangen? Sah ich mich doch immer nur in einem Haus voller Kinder. Reisen, Sprachen, Hobbies. Ja…hm. Das Leben genießen. Worthülsen. Sinnentleert für mich.

Es war schwer für mich, dich loszulassen. Ich hasste die Babybauchangeber auf der Straße, die Kinderwagenschieber. Wussten die, was für ein Glück sie da hatten? Mein Glück! Mein Herz krampfte bei jeder Ankündigung: Schwanger! Im Freundeskreis. Ich heuchelte Freude und konnte mich doch nicht freuen.

Die Zeit heilt alles. Irgendwann…

Und irgendwann habe ich nur noch selten an dich gedacht. Versucht, mein Leben zu genießen und das lebendige Wunder, das ich schon hatte. Die Momente, die jetzt waren, bewusst zu erleben. Mit Freude und Liebe zu füllen.

Und dann kamst du. Einfach so. Und hingst wie Chuck Norris an der Eiger-Nordwand meiner zerklüfteten Gebärmutter und keiner weiß, wie du da hinkamst. Wir wollen verhalten optimistisch sein, sagte meine Ärztin und schien jeden Monat aufs Neue überrascht, dass du noch da warst. Mein Kämpferkind! Du warst gekommen um zu bleiben. Ein Wunder! Ein zweites.

Und jetzt bist du ein Jahr bei uns. Du Wundervoller. Du schenkst mir Wunder! Durch dich weiß ich wieder, wie schön sich rieselnder Sand zwischen den Fingern anfühlt. Und die Oberfläche eines Gänseblümchenblattes. Die Perspektive auf die Welt aus achtzig Zentimetern Höhe. Und deine Hand in meiner… weich und klein und fordernd. Dein klopfendes Herzchen an meiner Brust.

Ich werde jeden Moment mit dir bewusst erleben, nichts ist selbstverständlich. Nichts banal. Ich freue mich so sehr über dich! Jeden Tag. Mama, das schönste Wort der Welt. Und nun aus deinem Mund…

Happy Birthday, mein Kleinster, mein Liebchen! Wie schön, dass du geboren bist, wir haben dich so sehr vermisst!

Der richtige Zeitpunkt

Foto 2-3

„Darf ich sie mal fragen, wie alt sie sind?“

„Und ich, darf ich sie mal fragen, wie blöd sie eigentlich sind?“

Seit ich eine alte Mutter bin, bin ich eine Person des öffentlichen Interesses. Die Bäckersfrau reicht mir mein Brot über die Theke mit den charmanten Worten: „War wohl´n Unfall, was?!“ und meint das rosige Baby im Tragesack.

Seit jeher bekamen Frauen bis zum Eintritt in die Menopause Kinder. Nur entschieden sie sich (als sie es dann konnten) oft dagegen. „Man“ bekam die Kinder mit Anfang Zwanzig und war froh, wenn die aus dem Gröbsten raus waren. Ich erinnere mich an eine Begebenheit in den späten Siebzigern, als eine Kollegin meiner Mutter ungewollt schwanger wurde, mit Ende dreißig, und diese Schwangerschaft ziemlich spät realisierte. Diese Frau war so verzweifelt über die skandalöse Situation, dass sie am liebsten „ins Wasser gegangen“ wäre. „Was sollen denn die Leute sagen?! Sowas in meinem Alter!!“. Ihr damals schon erwachsener Sohn gab ihr daraufhin zur Antwort: „Mutti, erzähl denen einfach, das sei meins!“. Es war „normaler“, dass der Sohn mit achtzehn Vater würde, als seine Mutter mit knapp Vierzig erneut Mutter.

In der öffentlichen Meinung sind Mütter über Vierzig momentan gern karriereorientierte Frauenzimmer, die sich im schlimmsten Fall mit einer Eizelle aus Polen und einer Samenspende aus Schweden in Dänemark haben künstlich befruchten lassen, um ihren egoistischen Kinderwunsch fünf vor zwölf noch umzusetzen. Und jede(r) hat dazu neuerdings eine Meinung!

Dabei kenne ich sehr viele Frauen, die beziehungs- oder entwicklungstechnisch jahrelang in Sackgassen verharrten oder deren Eierstöcke ein Eigenleben zu haben schienen: „Kinder?! Och nö. Wir dachten, wir machen erst mal Karriere.“.

Junge Mütter bekommen für ihre Augenringe Mitleid und Hilfe angeboten, ich bekomme zu hören: „Na, DAS hast du ja so gewollt!“.

Männer machen sich interessanterweise überhaupt keine Gedanken über das Bild, was ich abgebe. Frau mit Kind. Punkt. Was soll da schon groß sein?!

Und ihr? Mädels, was ist los mit euch?!

Ich sehe, wie ihr mich beobachtet, wenn ich mit dem Kinderwagen auf dem Spielplatz aufkreuze oder vor euch an der Kasse stehe im Supermarkt. Ich kann eure Gedankenblasen sehen, ähnlich wie in einem Comic: ´Ist das die Mutter? Wie alt wird die sein? War bestimmt ne IVF. Wenn das Kind in die Pubertät kommt, ist die doch Rentnerin…armes Kind! Die kommt doch mit dem Rollator zur Schuleinführung!`

Verpackt klingt es auf dem Spielplatz dann oft so: „Naja, ich habe mir bei der Kinderplanung ja was gedacht. Den Jean Luc habe ich mit fünfundzwanzig bekommen, und nun, sechs Jahre später die Shakira Chantal, dann bin ich daheim, wenn der Jean Luc in die Schule kommt. Und die Kinder sind ja froh, wenn sie junge Eltern haben, mit denen sie was unternehmen können!“. Währenddessen nippt sie an ihrer hippen Latte und schaut auf ihr Smartphone. Der Jean Luc lässt sich zwischenzeitlich den Sand schmecken oder verkloppt einen Spielplatzkollegen.

Ja, in einem Alter, in welchem andere Erwachsene auf der Aida im Mittelmeer rumschippern oder Abenteuerurlaub machen, habe ich mich für ein ganz anderes Abenteuer entschieden. Und genau: Ich habe das so gewollt!

Am Ende ist es doch ganz einfach: Wir sind die besten Mütter, die unsere Kinder je haben werden. Und unser  Alter spielt dabei überhaupt keine Rolle!

Wenn ich jemanden kennenlerne, interessiert mich: „matcht“ das mit uns, haben wir Gesprächsthemen, ist mir der Mensch sympathisch? Andersherum: Sobald mich jemand mit Baby kennenlernt, hibbelt mein Gegenüber oft, bis es endlich die offensichtlich alles entscheidende Frage stellen kann: „Du, darf ich dich mal fragen, wie alt du eigentlich bist?“

Ehrlich: das nächste mal, wenn ich eine grauhaarige Omi auf dem Spielplatz treffe, könnte sich womöglich folgender Dialog ergeben:

„Das ist aber ein süßes Kind! Sohn oder Tochter?“

„Waaaas?! Um Gottes Willen! Das ist doch mein Enkel!!“

„Ach wirklich?! Das hätte ich gar nicht gedacht, bei ihrem jugendlichen Aussehen!“.