Über Schwieren und Fritzen, vier plus eins, eine befleckte Empfängnis und andere Menkenke

Dieses Wochenende hat den Namen „vier plus eins“, da es aus vier Tagen und der Extrastunde durch die Umstellung auf Winterzeit geprägt ist. Herrlich! Vier Tage frei und zusätzlich hell am frühen Morgen und immerzu das Gefühl, es ist noch Zeit übrig.

Das bedeutet allerdings auch, dass seit Freitag die REWEs und NETTOs der kleinen Stadt, in der ich lebe, zu Holfixen (Holfix – DDR-Name für einen Lebensmitteldiscounter – gekennzeichnet durch leere Regale und Angebotsverknappung) mutieren, weil, besser man bevorratet! Wer weiß, wann der Laden wieder aufmacht und ob es dann noch was gibt! Dieses: „Es gibt was!“, das muss man verstehen. Menschen, vor 1980 geboren im Honeckerstaat, kennen das noch. „Es gibt Niethosen!“, „Es gibt Frotteehandtücher!“, „Es gibt Nudossi!“, und schon rannten sie alle los. Eingeholt (wir gingen einholen, nicht einkaufen, wirklich, das hieß so) wurde, was es gab, nicht, was man brauchte. Standen irgendwo an einem Geschäft mehrere Leute in Schlange davor, stellte man sich besser mit an. Wer weiß, was es gerade gab?! Entweder fragte man die Personen in der Schlange vor einem („Ich weiß auch nicht genau, habe aber gehört, die hätten Blousons aus der Jugendmode in Berlin geschickt bekommen, besser, wir stellen uns mal an!“), oder wartete, bis man dran war und fragte die Fachverkäuferin, ob sie noch was unterm Ladentisch hätte, egal was. Brauchte man das nicht gerade selber, konnte man das gut eintauschen. Meistens war die Bückware aber auch gerade dann alle, wenn man dran war. Unter diesem Gesichtspunkt verstehe ich sogar, dass sie alle losrennen, wenn Gefahr besteht, dass durch einen oder zwei glücklich (oder unglücklich) gelegene Feiertage die pausenlose Konsumgüterversorgung, an die man sich in den vergangenen dreißig Jahren gewöhnt hat, unterbrochen wird. Ich habe Angst vor den Vorweihnachtstagen, ganz ehrlich. Dann wird das wieder ganz ganz schlimm. Die haben dann alle auch Laune! Alle so PMS-ig drauf. Ich erwäge, noch einen oder zwei Kühlschränke anzuschaffen und entsprechend eines Menüplanes jetzt schon einzukaufen (pardon, einzuholen) und zu stapeln, zu horten. Besser, man bevorratet! Letztes Jahr dachte ich ja kurzzeitig, ich sei besonders schlau. Nämlich, als ich beschloss, den Kampf outzusourcen (to outsource se Kampf um se Fressen). Ich orderte bei REWE online, die bringen! Ja, die bringen auch tatsächlich, aber was die so bringen, Alter! Pfirsiche waren aus, also Mandarinen in der Dose, ist ja das gleiche. Rohen Schinken gabs auch nicht mehr, wollen sie Gekochten dafür? Und so weiter. Das ist keine Alternative. Also extra Kühlschränke. Gestern habe ich im übrigen beim Aufräumen noch zwei Pakete Klopapier auf dem Dachboden gefunden, aus Coronazeiten, wisst ihr noch? Obwohl, es sollen ja schon wieder (Oder immer noch?) Coronazeiten sein. Stell dir vor, es gibt Corona, und keiner dreht durch. Wenn mir das jemand vor vier Jahren erzählt hätte…

Jetzt machen wir mal einen Absatz hier rein, mir wird schon selbst ganz blümerant beim Lesen.

Was noch. Ach ja, die Carolin Kebekus ist schwanger, wusstet ihr das?! Ja, nein? Egal? Ja, das stimmt, eigentlich völlig egal, aber. ABER! Das kann man sich nicht ausdenken, ich wünschte, ich hätte mir das nur ausgedacht. Seitdem Frau Kebekus mit ihrem nunmehr sichtbaren Zeichen der Empfängnis auf „Der Fötus in mir“-Tour ist, häufen sich diese Kommentare, die mir im Duktus doch noch sehr bekannt sind von der „Causa Caroline Beil“. Es kommen die üblichen Dreckssachen in Hinblick auf das Alter der werdenden Mutter und die Frage, ob das denn habe sein müssen in diesem Alter noch! Also wirklich. Aber dann: Wusstet ihr, die hat doch mit dem, dabei hat der doch schon eine Frau und vier Kinder, ja wirklich, ich weiß es genau, fremdgegangen ist die, dabei ist doch doch eigentlich zusammen mit dem da, aber das Kind ist von diesem Dingsda, der, ja genau der, wirklich eine Schande, eine schöne Feministin ist das! Wirklich eine schöne Feministin! Wer weiß, wo die sich an Silvester rumgetrieben hat und mit wem, eine wie die, das weiß man ja… und sowas nennt sich Feministin!

Was die Schwangerschaft und die Wahl des Paarungspartners von Frau Kebekus mit Feminismus zu tun hat, weiß ich nicht. Was aber diese Kommentare und dieser Dreck im Internet damit zu tun haben, das weiß ich ganz sicher. Viel Arbeit liegt vor uns, sehr viel Arbeit. Ach, und wenn Carolin einen Rat annehmen möchte, ich würde das Bühnenprogramm umbenennen in: „Der öffentliche Uterus“. Ich wünschte wirklich, das wäre lustig. Carolin, du liest das nicht, aber ich wünsche dir eine tolle Schwangerschaft, völlig egal, ob die komplette Freiwillige Feuerwehr von Bottrop als Vater infrage kommt.

Weil wir gerade bei Fruchtbarkeit sind. Neulich sagte ich zu Andrea in einem unsere WhatsApp Sprachnachrichten in Podcastlänge, die wir uns so zuschicken, am schlimmste nerve mich an den plöten Wechseljahren das abwechselnde Schwieren und Fritzen. Und ich finde, das könnte sich ruhig etablieren als Begriff. Ich habs jetzt aufgeschrieben, jetzt ist es also „gebräuchliche Mundart“.

Apropos Schreiben. Ich schreibe mir ja immer so Stichworte in meine Kladde, zu denen ich euch was erzählen will. Dann vergehen Tage, Wochen, Jahreszeiten und ich schaue dann auf diese Stichworte und frage mich, was ich mir wohl damit sagen will. Also heute zum Beispiel lese ich: Anke Engelke, Torsten Sträter, Majo, Hand, Ärzte, Menkenke, Rabusche, Gogelmosch. Die letzten drei Begriffe sagen mir durchaus etwas, könnten sie doch allein meine Persönlichkeit beschreiben, aber der Rest? Fehlanzeige. Zum Glück liest das hier ja keiner…

Logbucheintrag viertausenddreihundertachtzig. Blogs, auch so was. Liest das noch jemand? Blogs sind tot, das sage ich selbst oft. Reels, Storys, TikTok, Podcasts, Broadcasts, die fastfood-artigen schnellverdaulichen Formate sprießen in dem Internet, schneller als ein Puffpilz nach einer Regennacht (nein, ich meine keine Geschlechtskrankheit, sondern den harmlosen Bovist). Ich lese Blogs, aber ich lese ja auch noch Bücher und höre keine Hörbücher. Ich bin vielleicht bald ein Internetrentner, kann sein. Aber guckt mal, Rena und Anke bloggen auch immer noch. Ja, die schreiben auch Bücher (sehr empfehlenswerte im übrigen), aber es gibt noch immer Menschen, die sich dem geschriebenen Wort verschrieben (Ha!) haben, das macht mich fröhlich. Danke euch, hört niemals auf, ich lese das! ❤

Und ich muss jetzt auch mal los, einholen, weil morgen ist schon wieder zu und wer weiß, was es alles gibt im bunten Einkaufsladen. Und dann dekorieren für Halloween, und die Weihnachtskisten schon mal ein Stück aus der Kammer rausziehen, weil quasi übermorgen schon mit der Produktion von Weihnachtsgebäck begonnen werden muss. Wusstet ihr, dass wir in der DDR kein Orangeat hatten? Nein? Doch, das stimmt, damals wurden Gemüsestücke getrocknet, aromatisiert, eingefärbt und mit dem Namen Kandinat versehen, weil man Zitrusfrüchte einfach nicht in dem Maße importieren konnte. Der berühmte Dresdner Christstollen bestand also zu Teilen aus Karotten und Sellerie, wohl bekomms.

Wem etwas zu Torsten Sträter und Majo einfallen sollte (mir fällt nur ein, dass „Majo“ in Sachsen ein gebräuchlicher Vorname war in den Siebzigern; geschrieben wurde er „Mario“), der kann sich gern melden.

Schwangere Seniorinnen oder: Mein Bauch gehört mir!

Frage: Wie nennt man den Uterus einer älteren Frau? A) Gebärmutter B) Gebäroma C) Eine Frau über fünfundvierzig hat keinen Uterus und keine Vagina! Eine alte Frau hat keinen Sex und auf gar keinen Fall involviert sie sich in den Fortpflanzungsprozess außerhalb der ihr angedachten Rolle als Großmutter mit praktischem Kurzhaarschnitt und in geschlechtslose beige Polyestergewänder gehüllt. Frag das Internet!

Caroline Beil ist schwanger. Das könnte mir egal sein, ist es mir generell auch. Ich finde das so interessant, wie eben jemand eine derartige Meldung spannend findet, wenn er den betreffenden Menschen (so wie ich in Frau Beils Fall) gar nicht kennt.

Aber Caroline Beil ist fünfzig und schwanger und da wird es interessant! Also nicht auf eine gute Art, weil zum Beispiel herausgefunden wurde, dass der Verzehr von zwei Litern Schokoladeneis pro Tag die Fertilität (also Fruchtbarkeit) unterstützt.

Nein! Interessant auf eine erschreckend gruselige Art wurde es, weil die werdende Mutter sich einem Shitstorm ausgesetzt sieht, ihre Schwangerschaft betreffend. Während George Clooney, Sigmar Gabriel und wie die neuen Väterhelden im öffentlichen Raum auch heißen mögen, Fan-Zuspruch und Klicks erhalten, wird Caroline (die im übrigen jünger als die beiden genannten ist) als „Mumie“ beschimpft und das Ungeborene bereits bedauert.

Was ist so anders zwischen George Clooney mit seiner Amal und Caroline Beil mit ihrem neuen Freund? Genau genommen gar nicht so viel! Beide Paare haben einen Altersabstand von circa sechszehn Jahren und beide Paare bekommen Nachwuchs 2017. Und bei beiden Partnerschaften ist ein Elternteil in den Dreißigern und eines über fünfzig. Und dennoch bekommt das eine Paar Herzchen und Zuspruch und Likes und das andere die Hasstiraden.

Mir kriecht das Entsetzen den Nacken hoch, wenn ich bedenke, dass der Großteil der Kommentatoren weiblich sein soll. Echt jetzt, Mädels? Ungläubiges Staunen, Unverständnis. Einer Zwanzigjährigen sehe ich all das nach. Auch einer Dreißigjährigen. Die wissen nichts über die Gefühlswelt einer Fünfzigjährigen. Und das ist ok! Aber Beschimpfungen gehen gar nicht. Und wisst ihr warum? Weil es noch gar nicht so lange her ist, dass Frauen mit dem Slogan „Mein Bauch gehört mir!“ auf der Straße demonstrierten, um jedem Mädchen und jeder Frau das Recht auf freie Entscheidung einzuberaumen. Das Recht, sich gegen ein Kind entscheiden zu dürfen! Das Recht, eine ungewollte Schwangerschaft straffrei abbrechen zu dürfen. Die entsprechende Gesetzesänderung gilt nach wie vor als Meilenstein in der Geschichte der Frauenrechte. Und beinhaltet dieses Recht auf freie Entscheidung nicht auch das Recht, sich frei „für“ ein Kind zu entscheiden? In meiner Wahrnehmung schon!

Ich habe es schon mal an anderer Stelle (hier) geschrieben: Von jeher bekamen Frauen ihre Kinder bis zum Eintritt in die Wechseljahre. Nur das uralte Hebammenwissen und später die moderne Medizin haben dafür gesorgt, dass alte Mütter für eine Zeit aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwunden sind. Und ja, die Wahrscheinlichkeit einer intakten Schwangerschaft nimmt mit dem Alter der Mutter mehr und mehr ab. Aber generell funktioniert es unter Umständen! Und selbst wenn – wie in Carolines Fall – der Onkel Doktor nachhilft, was ist daran derart verwerflich, dass sich Leute verbal entgleisen und die werdende Mutter attackieren und beschimpfen? Und im Anschluss auf George Clooneys Instagram-Account ein Herz dalassen?!

Wann ist man alt? Wie lange jung?

Ich weiß es nicht. Ich bin in der Mitte meines Lebens und ich verstehe nicht, was an diesem „Jungsein“ überhaupt so toll sein soll. Ich will nicht noch mal jung sein! Ich führe jetzt das Leben, das ich mir als ganz junge Frau immer gewünscht habe! Alle Möglichkeiten liegen dir zu Füßen, alle Türen offen, wenn du jung bist? Am Arsch! Jetzt habe ich alle Möglichkeiten und trete jede Tür auf, durch die ich hindurch will! Jetzt ist die beste Zeit meines Lebens! Und ja, es fühlt sich toll an, noch mal ein kleines Kind zu haben. Jetzt. Und ich bin eine tolle Mutter, jetzt, mit siebenundvierzig!

Willkommen bei Nieselpriem, ihrem geriatrischen Befruchtungsblog! Wer versehentlich hierher gelangt ist, bekommt an der Kasse sein Geld zurück.

Ja, ich bin eine alte Rollator-Mutti und das ist genau mein Ding. Ich bin #teamcaroline. Das muss nicht für jede(n) passen, für mich passt es. Und ich hätte nicht mit zwanzig die Mutter abgegeben, die ich jetzt sein kann! Mit zwanzig hätte ich selber noch einen Erziehungsberechtigten gebraucht… andere sind da anders und haben andere Entscheidungen getroffen. Auch prima!

Dieses Analysedingsbums in der Blogsoftware hat mir mal ausgespuckt, dass der durchschnittliche Nieselpriem-Leser zwischen dreißig und fünfunddreißig Jahren alt ist und weiblich (Ich weiß, es lesen auch ein paar Männer hier. Torti, Nils, ich winke!). Wenn ich mich also mal ganz weit aus dem Fenster der Realität lehne, bedeutet das wohl, dass sich hier Frauen angesprochen fühlen von meinen Worten, die gut und gern fünfzehn Jahre jünger sind als ich. Bedeutet das vielleicht weiter, dass die „alte“ Frau, die hier schreibt,  mit ihren Meinungen und Ansichten gar nicht so weit weg ist von denen der „jungen“ Frau, die das liest. Dass uns optisch zehn bis fünfzehn Jahre trennen, aber im Fühlen möglicherweise kaum etwas. In dem, was uns als Mütter umtreibt.

Ich könnte jetzt noch mit dem demografischen Wandel um mich werfen, damit, dass wir immer älter werden und dass Frauen aus Gründen (und auch die füllten wieder Seiten des Internets) oft bis weit in ihre Dreißiger knietief in der Karrierearbeit stecken und deshalb immer später Kinder gebären, all das ist richtig, führt jetzt aber zu weit.

Ich denke, in den kommenden Jahrzehnten wird die Zahl der über Vierzigjährigen Gebärenden immer mehr zunehmen und vielleicht auch die der über Fünfzigjährigen. Ich bin dafür, dass wir nicht nur die Errungenschaft der freien Entscheidung gegen ein Kind in jedem Alter feiern sollten, sondern auch die freie Entscheidung für ein Kind in jedem Alter! Auch das ist Frauenrecht. Mein Bauch gehört mir, in jeder meiner Entscheidungen. Und dir deiner. Das gilt im übrigen auch für Meinungen. Jeder darf seine eigene haben und jeder einzelne löffelt die Suppe seiner Entscheidungen für sich aus.

Nachtrag: Spontan hatte ich überlegt, Caroline unseren Hartan zu spenden, der steht ja noch bei uns in der Garage. Ich habe mich aber dagegen entschieden, ich bin ja noch nicht mal fünfzig! Und falls noch einmal ein faltiges Ei meine runzligen Eileiter passieren sollte, setze ich mich hin und schreibe ein Buch. Mögliche Arbeitstitel wären: „Stillend durch die Wechseljahre“, oder: „Elternzeit statt Altersteilzeit – Eine Chance für Senioren“. Bleiben sie gespannt. Und vor allem: Entspannt!

Und jetzt entschuldigt mich, ich muss die Bauchfotos von Caroline Beil herzeln gehen, aus Solidarität.