„Einmal dasselbe, aber anders, bitte!“

Das Blondchen ist mittlerweile in seinem neunten Lebensjahr angekommen, in der zweiten Klasse der Grundschule, in allerhand Abenteuern und jeder Menge Ärger…

Das holde Jünglein mit dem güldenen Haar, das zweite Blümchen aus dem Garten, den der Bärtige und ich vor nunmehr fünfundzwanzig Jahren angelegt haben, wächst, reckt sich, bildet Dornen und wilde Blüten aus. Wenn wir die florale Metapher mal noch ein bisschen weiter strapazieren wollen: er sieht für manche Menschen aus wie ein wildes Unkraut, ein Busch, der zurechtgestutzt gehört, eine Distel, ein Löwenzahn. Also bei uns früher hat es das nicht gegeben!

Für mich ist er – wenn schon Unkraut – eine leuchtende Mohnblume. Ein zarter Stängel, zerbrechlich fast, ein großer Kopf, leuchtend, Alarm Alarm!, auffallend in jedem Beet, auf jeder Wiese, möglicherweise gefährlich, zart, weich, wunderschön und wild. Mohn wächst, wo er will und niemals dort, wo er soll.

Dieses Mohnblumenkind wird zum Schuljahresende die Schule wechseln müssen und das kam so:

Wer hier länger mitliest weiß, dass auch dieses Kind zu auffälligem Verhalten neigt, was für uns Eltern quasi bedeutet, alles wie immer! Kennen wir schon! Hatten wir schon mal! Prinzipiell sind die Eigenarten wirklich nahezu identisch zwischen den Söhnen. Klar, ich finde jede Menge Unterschiede, der eine blond, der andere dunkelhaarig, der eine sportlich, der andere schlaksig, der eine stets bemüht, zu gefallen um jeden Preis, dem anderen ist die Meinung anderer Menschen über seine Person vollkommen wurscht. Der eine neigte früher immer zum Opfersein, wurde gehänselt, seine Sachen oder er selbst mitsamt seiner Sachen landeten oft im Papiercontainer vor der Schule. Der andere läuft mit geballten Fäusten durch sein Leben und boxt sich durch, im wahrsten Sinne des Wortes. Beide haben sie eine nachgewiesene Höherbegabung, der eine im sprachlichen Bereich, der andere im mathematisch-logischen. Und dennoch, es ist ein bisschen wie in einem Zerrspiegel, so ähnlich sind die Seltsamkeiten in ihrem Verhalten.

Anders ist dieses Mal, dass wir Eltern ja nun schon prozesserprobt sind. Anders ist auch, dass im Jahr 2022 der behördliche Dschungel und der Zugang zu Hilfen und Information deutlich barrierefreier sind. Allerdings ist alles noch immer ein unfassbar schwurbeliger und komplexer Prüfungsdiagnostikbewertungsdingsbumshierunddaundnochmalvonvorn- Prozess.

Alles begann bei uns vor zwei Jahren. Da hatte ich noch ein Kindergartenkind mit Integrationsstatus. Heute nun, zwei Jahre später, liegen endlich alle Befunde, alle Gutachten und ein rechtskräftiger Bescheid vor. Bis dahin wurde das Kind von vier verschiedenen Amtspersonen (Sozialamt, Jugendamt, Kinder-und-Jugendpsychiatrie, jemand von der Schulbehörde) hospitiert im natürlichen Habitat eines jeden Schulkindes, wir waren bei unzähligen Gesprächen, die alle immer gleich abliefen: „Beschreiben sie die Schwangerschaft! War [hier Name des betreffenden Kindes einfügen] ein Wunschkind? Wie war das erste Lebensjahr? Wann hat er die ersten Worte gesprochen?…“, haben aufgrund der Annahme, es läge ganz klar auch wieder eine Autismusspektrumstörung vor, insgesamt zweimal den wirklich umfangreichen Diagnostikteil durchgemacht. Einmal bei der Autismusambulanz und dann noch einmal bei der KJP, die dann alles andere diagnostizieren durfte, außer einer Autismusspektrumstörung! Das wurde dann auch gleich anfangs geklärt, dass wir darüber nicht mehr sprechen und jaja, jeder Mensch habe autistische Anteile und nein, wir schauen jetzt nur auf alle anderen Auffälligkeiten, weil die unfehlbaren Koryphäen in diesem Thema haben ja nach eingängigem Streitgespräch darüber, ob das Blondchen ein ASS-ler sei, sich dann dagegen entschieden, denn das Kind zeige doch schon deutlich Kommunikationswillen und könne Blickkontakt halten (was mich sehr überrascht hat, denn bislang war mir das gar nicht aufgefallen, dass der Blickkontakt halten kann, aber ich kenn den eben auch nicht so gut)! Jedenfalls, es dauerte. Mo-na-te-lang hatten wir in der Regel zwei Termine pro Woche, wo das Kind auf dem Prüfstand stand oder wir Eltern die immergleichen Fragen beantwortet haben. Wo Blut angenommen, ein EEG geschrieben, ein Motoriktest, ein Intelligenztest, ein Konzentrationstest, eine Familiendiagnostik, ein Dings und ein Bums gemacht wurden. Und alles doppelt, weil wir haben das ja zweimal machen dürfen…

Dann, endlich, waren wir damit durch und das Kind hat nun zwei Diagnosen. „Diagnosen sind Urteile!“, nölt der Volksmund, ich habe das anders erlebt. Diagnosen sind Schutzschilder, die du vor dein sonderbares Kind halten kannst, fertig! Wenn mal wieder jemand zu mir kommt mit den Worten: „IST DAS IHR KIND, DAS DA GERADE…!“, kann ich sagen, ja, ist es, es kann nichts dafür, es hat einen Zettel, wo das draufsteht. Klingt jetzt lustig und so, als ob ich den alleine irgendwo rumrandalieren ließe, während ich auf der Bank mit einem koffeinhaltigen Getränk säße, never ever, wir kommen noch darauf zurück.

Man braucht mindestens ein belastbares „F. irgendwas“, um eine Integrationshilfe, einen Schulbegleiter genehmigt zu bekommen. Und einen Nachteilsausgleich auch, wenn das beim Schulalltag helfen könnte.

Nahezu die gesamte Zeit sind wir vom Jugendamt betreut worden. Das Jugendamt ist auch die Stelle (zumindest in Sachsen), die die Hilfen wie einen Schulintegrationshelfer bezahlt am Ende. Durch den Bubi und nun auch wegen dem Blondino arbeiten wir seit mittlerweile zehn Jahren mit dem Jugendamt zusammen, zwei verschiedene Ämter, drei verschiedene Personen. Ich hätte gerade während der letzten sechs Monate manchmal das Handtuch hingeschmissen, wenn ich nicht eine kämpferische, zuversichtliche und super engagierte Betreuerin vom Jugendamt an meiner Seite gewusst hätte! Bei allem, was man sonst so hört („Das Jugendamt hat mir die Kinder weggenommen!“; RTL2 lässt grüßen) sag ich dir, wenn du einen Partner brauchst und Hilfe für dein Kind und gar nicht weißt, wo du zuerst hingehen sollst, geh zuerst zum Jugendamt! Die kennen sich aus, die sagen dir, welche Schritte als nächstes gegangen werden müssen. Dort bekommst du Hilfe oder zumindest einen Fahrplan.

Dank des Engagements dieser Betreuerin hat das blonde Jünglein nun seit einiger Zeit nicht nur eine Schulintegrationshelferin, sondern auch eine Hortintegrationshelferin. Insgesamt bekommt der Blonde von morgens acht Uhr bis Nachmittag um drei Unterstützung an die Seite, und zwar Montag bis Freitag! Das ist nicht nur super umfangreich und super teuer, leider ist es auch super notwendig.

Dennoch nehmen die Probleme leider nicht ab. „Ihr Kind hat…“-Anrufe, „Ihr Kind hat…“-Gespräche beim Abholen, Anrufe, dass das Kind eher abgeholt werden müsste, weil Gefahr für sich selbst und andere bestünde, Elterngespräche, bei denen uns erzählt wurde, die Eltern würden mobil machen gegen unser Kind. Ja, doch! Kindern wurde der Umgang verboten mit unserem Kind.

Ich bin da wie Teflon. Kurz schütteln, dann gehts wieder. Also, wenn es nur mich betrifft. Aber wenn ich merke, dass das an meinen Sohn selbst herangetragen wird, er abgelehnt und vor allem abgewertet wird, dann steppt meine innere Lucy! Und das ich-muss-mein-Kind-beschützen-Protokoll fährt hoch, code red.

Jetzt muss ich dazu sagen, an einer Privatschule erlebt man mitunter so Eltern, die meinen, mit dem Schulgeld auch gleich die Schule und vor allem die Lehrer mitgekauft zu haben, und die produzieren sich dann entsprechend. Und wenn dann das Fortpflänzchen mal nicht so tut, wie es soll und nicht so performt wie erwartet, wird der Fehler außen gesucht, zum Beispiel bei dem Verrückten in der Klasse! Weil, der stört ja immer alle und wegen dem ist dieses nicht möglich und jenes schwierig! Der ist schuld, sonennklar.

Ich verstehe das. Ja, ich kann das verstehen! Ich habe mir eine Erinnerung bewahrt, die ist schon fast zwanzig Jahre alt. Damals war der Bubi als „normales“, also neurotypisches, Kind in einer integrativen Kindergartengruppe und dort war auch ein Mädchen mit Mehrfachbehinderung, nennen wir sie mal Paula. Paula war ein fröhliches Kind mit einer Menge Handicaps und die Erzieherinnen bemühten sich nach Kräften, den Alltag so inklusiv wie möglich zu gestalten, damit Paula mit den anderen Kindern in der Regelkita bleiben konnte und nicht in einer Einrichtung für „Menschen mit Behinderung“ untergebracht werden muss. Nun ist eine Gemeinschaft nur so stark wie ihr schwächstes Glied, und ich sehe mich bei einem Elternabend zwischen meckernden Eltern, die maulten, es wäre alles so ungerecht! Immer geht es nur nach Paula! Wo bleiben die Bedürfnisse unserer Kinder! Nie macht ihr einen Ausflug! Unsere Gruppe geht als einzige nie in den Zoo, nie in den Park, nie macht ihr irgendwas Schönes! Alles wegen Paula! Ich war eine von ihnen.

Diese Begebenheit habe ich mir bewahrt, weil sie wichtig ist! Wir alle treffen unsere Entscheidungen aus Liebe, wir alle wollen das Beste für unsere Kinder. Wir alle stehen dort, wo wir stehen aufgrund der Erfahrungen, die wir gemacht haben, und das sind ganz unterschiedliche. Jetzt und heute bin ich die Mutter von Paula. Damals nicht.

Und als diese Mutter folge ich zusammen mit dem Bärtigen der Empfehlung des sonderpädagogischen Gutachtens und ab September wird das Blondchen eine Förderschule besuchen, eine Schule für Kinder wie ihn. Mit einem besonderen Rahmen, in einer klitzekleinen Klasse.

Das war schwer für mich. Ich habe mich auch gefragt, was das bedeutet. Ich habe alles Mögliche möglich gemacht, wir sind doch Inklusionsexperten! Wir haben es doch schon mal unter super widrigen Umständen bravourös hingekriegt! Aber. Aber damals war es ein anderes Kind, es war die Oberstufe, nicht die Grundschule, es gab den Paul, alles war anders. Ich musste jetzt verstehen lernen, dass Inklusion ein diffiziles Unterfangen ist, bei dem so viele Menschen „mitmachen“ müssen, bei dem so viele Faktoren stimmen müssen, dass es eigentlich ein Vabanquespiel bleiben muss. Rumgemenschel, infrastrukturelle Engpässe in den Schulen, zu wenig Aufklärung, zu wenig Briefing und Unterstützung der Lehrer („So, bitte, hier ist jetzt der Integrationshelfer für A. Der braucht einen Platz in ihrem Klassenzimmer!“), Inklusion als Menschenrecht, aber ohne die Bedingungen wirklich zu schaffen, die es braucht mitunter, kann nur holprig werden. Mitunter klappt das alles ganz wunderbar, wir haben das ja selber erleben dürfen, jetzt müssen wir hier die Reißleine ziehen. Vorerst.

„Sie haben das Ende der Inklusion erreicht, alle aussteigen!“

Ab September also dann Behindertenfahrdienst anstatt SUV-Schubsen auf dem Elternparkplatz der tollsten Schule der Stadt.

Ich bin immer noch ein großer Fan dieser Schule, ich habe ganz wunderbare Menschen kennengelernt, nicht jeder hat meinen Sohn „asozialer Rüpel“ geschimpft, nur wenige. Ich hoffe, das wird gut werden. Wir alle treffen unsere Entscheidungen aus Liebe. Ich will, dass das Kind an einem Ort lernen kann und Lernen lernen, wo man seine Fähigkeiten sieht und fördert, wo nicht immer nur sein Verhalten thematisiert wird, als wäre er nichts weiter als „das Kind, das immer Ärger macht“. Das ist er nicht.

Er ist feinfühlig und trampelig, er ist lustig und zornig, er brüllt Schimpfworte, wenn er sich freut, genauso, wenn er sauer ist, einfach immer, wenn er aufgeregt ist. „Los, du furzender Affenpimmel!“ zu einem potentiellen neuen Freund zu sagen als Antwort auf eine Spieleinladung funktioniert nicht und beendet die zarte Freundschaft unter Umständen sofort, aber das wird er lernen. Vielleicht muss ich eines Tages nicht mehr jeden Spielplatzbesuch begleiten oder Zeiten auswählen, zu denen dort eh niemand spielt, damit wir nicht so auffallen. Wahrscheinlich ist es aber nicht. Alles wie immer.

Neulich fragte mich eine Freundin mitfühlend, wie das so sei, mit zweien von der Sorte. Ich konnte nur sagen: „Normal!“, weil es das ja ist. Ich weiß nicht, wie andere Eltern mit ihren Kindern leben, ich kenne nur meine Kinder und die sind ganz offensichtlich so wie sie sind, ein wenig seltsam eben. Dann dachte ich noch, dass es schon gut ist so, denn wenn eines meiner Kinder eingeschränkt wäre und das andere nicht, fiele dann nicht die Einschränkung umso mehr auf und käme man nicht automatisch in die Verlegenheit, das Kind ohne Einschränkung besonders zu loben für Dinge, die es kann und das andere überhaupt nicht fertigbringen kann, egal, wie es sich abmüht?

Manchmal sticht es mir im Herz, wenn die Frisörin zum Beispiel an meinen Haaren rumfummelt und dabei erzählt, ihr achtjähriger Sohn käme kaum noch zum Abendessen heim, weil er nach der Schule selbständig zum Fußball gehe und danach oft noch zu einem Freund und dort essen würde und am Wochenende übernachtet er entweder bei der Oma oder bei einem Freund. Ich kenne nichts von alledem.

Aber ich kenne dafür einen wilden blonden Hitzkopf, der neuerdings einen Schneckenzoo bewirtschaftet und ein fürsorglicher Tierpfleger für Gary, Brian, Henry und June ist. Der zum Entspannen nur eine lange Autofahrt braucht und Klangkarussell im Radio dazu, alle Komponenten auf dem Teller einzeln essen wird bis zum Sanktnimmerleinstag, in sechs Tagen dreiundachtzig Pokemons abgepaust, ausgemalt, ausgeschnitten, eingeklebt und somit sein eigenes Pokedex gebastelt hat. Und die besten Liebesbriefe aller Zeiten schreibt.

Fußball, Oma, alleine nach hause gehen, pff…

einhundert

einhundert

Als der Blondino klein war, kleiner, habe ich regelmäßig zu seinem Monatsgeburtstag gebloggt, Liebeserklärungen in types gegossen quasi. Von seinem süßen Duft geschwärmt, von den schlaflosen Nächten berichtet, seinen überragenden Fähigkeiten und von seiner zweifelsfrei bewiesenen Außergewöhnlichkeit und Wunderbarheit und Allerschönstheit sowieso. Hach, wie süß der war…

Ich bin so froh, diesen Blog zu haben und nachlesen zu können. Klar könnte ich auch Tagebuch schreiben, aber mal ehrlich, das hätte ich so in der Form nie durchgehalten. Und dennoch ist das mein Antrieb noch immer: Festzuhalten, die Momente, im kleinen, im großen, das flüchtige wandelbare, mir durch die Finger rinnende Leben mit meinen Söhnen. Hier kann ich nachlesen, wie das so war, als das Kleine noch ein Kleines war. Das ist so schön, so anrührend, ich selbst mitunter so naiv in meiner Glückseligkeit. Ja, und auch das ist schön!

Als ich dachte, nie wieder würde ich ein Kind empfangen, halten, stillen, trösten, an der Hand durchs Leben begleiten, da beschwor ich die Zeit, die grausame, mir meine Erinnerungen zurückzugeben an die Zeit mit meinem Großsohn, die schon so lange zurücklag. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal seine Hand gehalten hatte auf der Straße und dachte dabei, das müsste ich doch! Mich erinnern, wann diese unwiederbringlich beendete Ära vorbei war! Wann war es das letzte Mal? Wie hat sich das angefühlt? Wann hatte ich ihn das letzte Mal auf dem Schoß sitzen, seine Ärmchen um meinen Hals? Wie verflucht schnell sind diese Zauberjahre voller Küsse vorbei. Vorbei. Aus und vorbei.

Alles anders machen wollte ich diesmal. Alles festhalten, konservieren. Ihr glaubt nicht, wie viele Erinnerungskisten ich schon gehortet habe mit Dingen, die dem Blondino gehören oder gehörten, Kisten voller Zeug, das einen emotionalen Wert für mich hat, nicht für ihn. Dinge, die mir helfen sollen gegen das Vergessen, die die Momente zurückholen sollen. Denn die Zeit, mein ärgste Feindin, sie ist auch diesmal gegen mich. Alles fliegt nur so vorbei. Die Tage sind lang, aber die Jahre kurz.

Dazu kommt jetzt noch der Umstand, mit dem ich mich – und alle anderen Elternblogger:innen ebenso – schon länger konfrontiert sehe: dem Recht des Kindes auf Privatsphäre. Was kann ich schreiben, welche Bilder veröffentlichen? Den Großen konnte ich immer fragen und ihn um Gegenlesen bitten, da bin ich okay in allem. Aber: Wie findet der kleine Blondino das später, wenn er diese Zeilen liest? Ich musste das alles für mich beantworten und manches davon gefällt mir nicht, weil es mich sehr einschränkt in meinem Ziel, möglichst situationsgenau meine Gefühle und Erlebnissen einzufrieren, zu konservieren. Ich denke, das ist auch der Grund, warum so viele bloggende Menschen, deren Geschichten ich so gern gelesen habe, irgendwann nicht mehr über Kinder geschrieben/ nicht mehr über ihre eigenen Kinder geschrieben oder überhaupt nicht mehr geschrieben haben. Irgendwann kommt die Zeit, da wandelt sich das Gesicht und die Persönlichkeit des Kindes nicht mehr gefühlt stündlich, Ecken, Kanten, Macken werden sichtbar. Und bleiben. Und über diese möchte ganz sicher kein Kind später lesen. Das ist oft der Zeitpunkt, an dem bloggende Eltern still werden.

Ich möchte das nicht. An dem Spagat übe ich noch.

Was bei aller Veränderung aber bleibt, konstant und beständig und dabei dennoch einem Wandel unterlegen, ist die Liebe und Bewunderung, die ich meinen Kindern entgegenbringe, ein so komplexes Gefühlkonglomerat aus Herzklopfen, Hitze, Kopfschmerzen, Überforderung, Zweifel, Gewissheit, Kribbeln, Dankbarkeit und Überforderung, sagte ich schon Überforderung? Und Schlafmangel, ja natürlich, das hört nie wieder auf…

Ich habe mir gestern Abend „Frau im Dunkeln“ angesehen. Den Roman dazu kannte ich nicht, aber der Film hat mich regelrecht umgehauen. Das ist sicher nichts für einen Pärchenabend und ich bin auch nicht sicher, ob jede (ich denke, hier fühlen sich hauptsächlich Mütter angesprochen) diesen Film so fantastisch findet wie ich, aber Dramaturgie, Regie, alles ist so on point, so besonders, und die Geschichte, oder besser ein kleines Fragment einer langen Geschichte, so eindrücklich dargestellt, dass ich lange nicht einschlafen konnte, obwohl die Geschichte der Frau oder Frauen gar nicht meine ist. Nicht im Detail, dennoch sind mir diese Gefühle nicht fremd. Auch die gesellschaftlich nicht akzeptierten.

Heute ist ein besonderer Tag. Heute ist der Blondino einhundert Monate alt. Alles anders machen wollte ich bei diesem Kind. Geduldig bleiben, mich immer für die Spielzeit entscheiden und gegen das Putzen, wenn das Haus dreckig ist. Ich entscheide mich immer noch meistens fürs Putzen, ich bin immer noch ungeduldig, immer noch und schon wieder kann ich selten im Moment das Schöne und Unwiederbringliche sehen, immer erst danach, wenn der Moment vorbei ist.

Happy Monatsgeburtstag, mein Kleinchen, mein Wunder, mein Krawallo! Dass es Wunder wirklich gibt, hast du mir gezeigt. An dem Abend vor deiner Geburt wehte auf einmal aus dem Nichts ein Sommersturm und heulte und rüttelte an allem. Dieser Sturm hat dich angekündigt, du bist wie dieser Sturm. Du bringst mich an die Grenzen alles Fühlbarem und Spürbarem. Du forderst mich, du bringst mich mehr zum Lachen als jeder andere Mensch auf der Welt. Ich will für immer deine Ärmchen um meinen Hals spüren, auch wenn du schon lange nicht mehr dasselbe willst. Jede Nacht, die ich als Gast in deinem Zimmer schlafen darf, in deinem Duft, dein liebes kleines Gesicht bestaunend, ist ein Geschenk, das ich als solches erkennen kann. Deine Hände, nicht mehr schmal und zart, sondern langsam stark und kraftvoll, passen schon jetzt nicht mehr als Faust in meine Faust. Ich bin gespannt, was unsere gemeinsame Reise noch für Überraschungen bereit hält für mich. Du bist das beste Kind, was mir das Universum als spätes Geschenk hat schicken können, das weiß ich. Du fragst mich gerne, für wie viel Geld ich dich hergeben würde, eine Trillionade?! Nein, nichts, natürlich nichts! Bleib bei mir, lass dir Zeit mit dem Wachsen und bleib bei mir.

Zwischen den Phasen

Die Babyphase ist die anstrengendste aller Phasen, das wissen alle Eltern ganz genau. Also dann, wenn sie sich mittendrin befinden. Du kannst nicht schlafen, wirst angeheult, ausgesaugt, vollgekübelt, angekackt, belagert und gebraucht von früh bis spät. Hunger, Durst, Kacke, Zähne, Fieber, Weltschmerz, irgendwas ist immer. Und du bist verantwortlich. Kümmere dich darum! Kümmere dich um mich! Sofort! WÄÄÄÄÄÄH! WÄÄÄÄÄÄH!

Ich fand das eigentlich schön, muss ich gestehen. Ich mochte dieses krasse Abhängigkeitsgefühl, ging auf in der aufopfernden Haltung gegenüber meinen Kindern, die kleinen Gesichter neben meinen, ihre feuchten Händchen überall auf mir, Oxytocin bis zum Abwinken. Ich fand das super, am liebsten hätte ich sie nach dem ersten Geburtstag mittels einer „Freeze“-Taste so gelassen, als Einjährige. Ich vermisste irgendwann ganz schrecklich das Stillen, das Geräusch des Schnullerschmatzens, den Geruch ihres Morgenatems, ihrer Halsfalte. Das Gefühl dieser süßen Schwere, wenn sie mir auf der Hüfte saßen und sich an meinen Haaren festhielten. Ich wusste schon während ich die Zeit versuchte anzuhalten, dass ich das vermissen würde! Unzählige Liebeserklärungen hier auf dem Blog verklären diese ersten Zauberjahre in den schnulzigsten Tönen. Müde war ich, ja, mein Gott, aber all die Liebe! So viel Liebe! So viele schnodderige Küsse, so viel Nähe, die Nabelschnur unsichtbar und dennoch stark zwischen uns pulsierend. Ich bin süchtig nach diesem Gefühl, gewesen und immer noch. Dass ich mich lange Zeit nicht als alleinstehender Mensch fühlte, sondern als Teil eines symbiotischen, fast siamesisch anmutenden Menschgebildes, das störte mich nie. Das kam meinem Gefühl von Liebe und dem damit verbundenen Bedürfnis des Einswerdens sehr nahe. Näher, als das in einer Erwachsenenbeziehung je möglich wäre! Aber, alles ist endlich, alles hat seine Zeit. Ich habe den Freeze-Button nicht gefunden. You know.

Die Pubertät ist die schlimmste aller Phasen, das wissen alle Eltern auch ganz genau. Und ja, nämlich genau dann, wenn sie mittendrin stecken. Gemaule, Gemotze, Gestank, Gebrüll, Fressattacken („Wo sind die acht Schnitzel hin, die für morgen Mittag gedacht waren? Und wer hat die ganze Erdbeertorte gegessen? Und hatten wir nicht gestern noch drei Toastbrote?!“). Das Bad ist immer blockiert, und „blockiert“ ist auch ansonsten das Leitthema für die Pubertät. Du kannst mit den Kindern nicht reden, sie verstehen nicht, sie hören nicht, sie wollen nicht. Und du auch nicht! Was soll nur aus dieser undankbaren stinkfaulen Brut werden.

Die Pubertät habe ich immer gut verstanden. Für mich selbst waren das schreckliche Jahre. Vielleicht deswegen. Ich habe mich hässlich, fett, ungeliebt, nirgends zugehörig und entsetzlich wertlos gefühlt. Ich habe das nie vergessen. Ich war in Träumen gefangen, die mich weit weit weg von allem Realen trugen, verlor die Bodenhaftung, den Blick für Gefahren. Ich hatte keine Anker, keine starken Arme, die mich hielten. Ich erinnere mich ganz genau, was ich so vermisste. Verstanden sein, angenommen werden, begleitet sein. Und immer wieder bewunderndes Lob und Vertrauen.

Als der Bubi in die Pubertät kam, hob der Mann die Arme und sprach, er sei raus! Er kam gar nicht mehr klar mit dem. Da kam ich auf den Plan. Alles, was vorher nie abgefragt wurde und ich gut liefern konnte, war jetzt groß in Mode. Zuhören, Mut zusprechen, trösten, motivieren, absoluten Unsinn und abstruse Fantasien geduldig anhören. Ich konnte den jungen Mann gut begleiten, mit gehörigem Abstand natürlich, ich habe ihn immer unterstützt, egal, wie blöd der sich aufgeführt hat, mir fiel das nicht schwer, das konnte ich gut von mir als Person trennen. Ich wusste ja noch, wie Scheiße Pubertät sich anfühlt. Den ersten Liebeskummer haben wir dann als Eltern zu zweit überwacht am Bett des Jungens, der glaubte, er würde sterben. Sein Herz bräche und weiterleben sei nicht nur sinnlos, sondern sogar unmöglich. Der Mann rollte mit den Augen, ich aber wusste genau, was das Kind fühlte und sah sofort die Gesichter von Thomas K und Tilo B vor mir und war in dem Moment sechzehn wie er. Ich fühlte mit und sagte ihm nicht: „Ach, so schlimm ist das nicht! Daran stirbst du ganz sicher nicht!“, sondern, dass ich wüsste, wie weh das täte und dass ich ihm aber versichern könne, so weh wie jetzt wird ihm nie wieder etwas tun (was natürlich auch gelogen war, aber das erste Mal Liebeskummer ist wirklich eine Grenzerfahrung, da sind wir uns wohl alle einig). Die erste Pubertät haben wir überstanden, vor der nächsten habe ich keine Angst, ich kann das.

Die Phase zwischen den Phasen, dort hänge ich jetzt fest.

Diese Phase ohne Namen, ohne reißerische denglische Begrifflichkeit samt Ratgeberstapel. Dieses Alter zwischen fünf und elf, ich hasse das! Doch, ja, dieses starke Tunwort ist hier angebracht. Ich hasste es schon beim ersten Sohn, ich fürchtete mich schon Jahre jetzt beim zweiten und nun bin ich mitten drin. Das ist für mich die schlimmste aller Phasen. Ich komm nicht klar mit dem. Alles was ich kann, wird vollmundig in schlauen achtsamen Büchern aufgeschrieben: Kommunizieren, auf Augenhöhe, eigene Gefühle ansprechen, Ich-Botschaften, klare Regeln, Lob und Wertschätzung. Allein, ich könnte genauso gut Suaheli sprechen. Ich komme nicht durch. Ich bin nichts wert aktuell. Ich werde zum Kochen und Nägelschneiden und Kotzschüssel halten gebraucht, ansonsten kann ich abtanzen.

Vielleicht ist das die Quittung für die so innige Beziehung der ersten Jahre, das denke ich mir manchmal, dass die Söhne sich so vehement und geradezu brutal von mir lösen in diesen darauffolgenden Jahren. Wenn die Pubertät klopft, bin ich wieder die wichtigste Bezugsperson, jetzt bin ich abgemeldet und jede Bitte, jeder Wunsch, jede Handlungsanweisung wird ignoriert, ich werde vollgemault, angenölt, weggebissen. Ich bin zu blöd zum Spielen, zu uncool, um Minecraft zu kapieren oder dass man mit mir spielt. Der Papa ist der Größte, der Held, ich bin ich hier der Privatidiot von allen.

Die sind in diesem Alter nicht erreichbar durch gefühlsbasierte Ansprache, die reagieren nur auf Befehle und knappe Aufforderungen, gern gespickt mit „Wenn du nicht, dann du nicht…!“, Tablet, Fernsehzeit etc. Das nervt mich unendlich. Ich will das nicht! Und ich kann das nicht! Das ist, als müsste ich mich komplett verbiegen und verstellen, bis ich wieder begleiten darf. Erziehen kann ich nämlich nicht.  Der Mann weiß das auch. Der Mann bedauert mich und streichelt mir über den Kopf und sagt: „Dass gerade du zwei solcher Exemplare bekommen musstest…“, und dass er mich liebt, gerade weil ich so weich wie ein Muttibauch sei. Das ist lieb von ihm, ändert aber nichts daran, dass er ER im Moment alleinerziehend ist und ich alleingelassen.

Manchmal ruft das Kind mich säuselnd: „Mäusel, wo bist du?“, ebenso wie der Mann es tut, und dann muss ich lächeln. Oder er sagt, ich sei zwar die älteste Mama, die er kenne, aber keine sei schöner und sogar meine Falten seien schön. Und meine Fürze niedlich. Und dass er unter meinen Pulli kriechen will und sich an mich schmiegen, als wäre er noch in meinem Bauch. Es würde so gut riechen dort. Diese Momente genieße ich innig und versuche nicht, sie mir selbst zu versauen, indem ich sauer bin, dass er zehn Minuten vorher noch rotzfrech war und Mundfürze gemacht hat oder widersprochen.

Denn meistens sind sie extrem selten und extrem kurz, die innigen Momente. Am letzten Wochenende waren wir zu dritt im Park Bumerang schießen. Den zu kaufen war meine Idee, meine Umsetzung und auch die ersten Lernversuche habe ich alleine mit dem Blondino gemacht. Dann aber im Park, schlurft der an mir vorbei, blickt zu mir hoch und sagt: „Du kannst jetzt wieder gehen! Du spielst nicht mit!“, latscht weiter. Zack, und lässt mich in etwa so zurück:

 

Sieben ist er jetzt. Noch fünf Jahre bis zur Pubertät. Noch fünf Jahre die schlimmste aller Phasen. Ich brauche einen Hund oder einen Skorpion oder irgendwas anderes zum Liebhaben. Und einen Einführungskurs in Kindererziehung, bei den Navy Seals am besten.

Saul Goodman

Ihr kennt sicher die Netflixserie mit selbem Namen, und wenn nicht, es geht um einen Anwalt, der – neben vielen spektakulären Kawenzmännerdingens in und außerhalb des Gerichtssaales- seinen Namen ändert von James McGill in Saul Goodman, was jedem Menschen auf der Suche nach einem Rechtsbeistand Vertrauen vermittelt. Wenn man das hört. Also mir. Außerdem kennen wir diesen Saul Goodman alle schon aus „Breaking Bad“, und wenn dir das auch nichts sagt, dann, also dann weiß ich auch nicht, was das noch mit dir werden soll… dann musst du nachsitzen und nachschauen, alles!

Saul Goodman. It´s all good man.

Also. Ich habe mich in Sachen verhunzte Abiturprüfung vor einiger Zeit (ganz genau am sechsten Juli) in juristisch bewanderte Hände gegeben. Im Vorfeld fand ich spannend, dass es (besonders) eine Kanzlei gibt, die bundesweit vertreten will und explizit damit wirbt, Abitur- und andere Prüfungen anzufechten. Sinngemäß steht da, war es zu heiß, zu kalt, der Lehrer war gemein zu dir, sprich mit uns! Natürlich steht da nicht, dass man dann seine Prüfung anfechten kann! Natürlich nicht, das sind Anwälte, aber der juristisch unterbelichtete Laie könnte es so auffassen.

Ich wollte einen Saul Goodman. Einen, bei dem ich mich in Dresden Vorort an einen Schreibtisch setzen kann um die Sachlage zu erörtern. Ich fand in Dresden zwei Kanzleien für Verwaltungsrecht (das ist die relevante Sparte). Einer der beiden Anwälte hat außerdem vor Jahren eine Schule mitbegründet (das konnte ich in der Vita lesen) und hat eine autistische Tochter, die kurz vorm Abitur steht (was ich später im Gespräch erfuhr). Volltreffer! Weil er ja dadurch abseits von Gesetzestexten auch persönlich  irgendwie in das Thema involviert war, was mich hier umtrieb. Abitur plus Inklusion plus Kacke alles. Dieses Thema. Ich dachte irgendwie so bei mir, puh, jetzt ist es auf dem seinem Schreibtisch und jetzt wird alles gut. Jetzt macht der das! Natürlich nur gegen kontinuierlichem Einwurf kleiner Münzen, versteht sich. Ich will euch berichten, wie das so war.

Alles startete mit einer Rechtsberatung zum Thema, der Bubi und ich waren anwesend und Saul Goodman hat das Vorgehen erörtert. Wir haben einen Vertrag geschlossen und für diese erste Rechtsberatung zweihundertfünfzig Euro bezahlt. Er hat uns das weitere Vorgehen erklärt und uns auch informiert, dass es im ersten Schritt  – also bis es zu einem Gerichtsverfahren käme – um die eintausend Euro kosten könnte. Er würde aber kostentransparent arbeiten, sodass wir keine Überraschungen zu erleben hätten. Wir hatten ein gutes Gefühl und waren (sind) außerdem rechtsschutzversichert. Lessons learned: Die Rechtsschutzversicherung (also unsere) greift in so einem Fall erst ab den Gerichtskosten. Alles, was außergerichtlich mit anwaltlichem Beistand zu klären ist, bezahlen wir aus eigener Tasche.

Dann flossen viele, sehr viele Mails hin und her. Im ersten Schritt hat Saul Goodman die Schule informiert, dass wir Einsicht in die Prüfungsunterlagen fordern. Das läuft auf privaten Schulen anders als bei öffentlichen, habe ich mir sagen lassen. Bei öffentlichen Schulen findet da wohl ein Sichtungstermin bei der Schulbehörde statt, bei uns war es direkt in der Schule. Wir mussten nicht dabei sein. Saul Goodman hat die Prüfungsbögen des Bubi, die Aufgabenstellung und auch die Lösungsbögen bekommen und konnte Kopien machen. Ziemlich zeitnah legte Saul Goodman vorsorglich Widerspruch gegen diese eine Prüfung ein, bei der Schule. Wir hatten uns auf die durchgefallene schriftliche Mathematikprüfung fokussiert, es hätte auch die mündliche Nachprüfung sein können (auch durchgefallen), aber die Erfolgschancen standen bei „schriftlich“ irgendwie glänzender am Horizont.

Danach bekamen wir diese Kopien und sollten überprüfen, ob wir einen Ansatzpunkt für einen Widerspruch finden. Das war schwierig. Zum einen dachte ich naiv, der Anwalt hätte da irgendwen am Start oder selbst Expertise um das zu bewerten und zum anderen, ich meine, Leistungskurs Mathe?! What? Ich habe gar nichts verstanden! Und die Lösungsbögen waren ebenfalls kryptisch. Als Laie blickt man nicht durch das Benotungssystem, das kann ich euch sagen. Was da mit wieviel dreiviertelhochachtzehn Punkten bewertet wurde, puh. Abhilfe schaffte zum einen die Aufklärung über das Benotungssystem, die eine befreundete Lehrerin übernommen hat und der Bärtige als einziges Familienmitglied mit höherem Mathematikverständnis hat dann tagelang über den Seiten gebrütet mit dem Ziel, nicht bewertete Extrapunkte zu finden oder Ungereimtheiten.

Der Mann kam zum Schluss, dass mindestens ein Punkt mehr gegeben werden müsste. Danach brauchten wir noch einen Experten von außerhalb, da wir uns nicht in der Lage sahen, das alleine zu begründen. Ein Mathelehrer musste her! Nun war es so, dass wir den auch selbst suchen mussten. Es ist nämlich (leider) nicht so, dass eine Sache, einmal in anwaltliche Hände gegeben, dann auch von selbst läuft. Nein! Ich dachte im Vorfeld, so ein Fachmensch hat da einen Stab an Experten im Telefonbuch, die er entsprechend der Anforderung einfach so zu Rate zieht. Und uns das dann nur in Rechnung stellt. Nein, Eigeninitiative war wirklich an der Tagesordnung.

Der unabhängige Mathelehrer hat sich das dann auch noch mal angeguckt (gegen einen Obolus von 150,00€) und ebenfalls einen Punkt gefunden, der unter Umständen noch bewertet werden müsste.

Nun war es allerdings so, dass dieser eine Punkt den Bubi nicht bis zur Mindestpunktzahl von fünf katapultiert hätte. Man muss es nicht umschreiben: Diese Matheprüfung strotzte vor Minderleistung. Das Perfide war ja, dass er mit wirklich guter Vornote in die Prüfung gegangen war und nicht rekapitulieren kann, was da los war, warum er an diesem Tag das nicht zeigen konnte. Für diejenigen, denen die Vorgeschichte nicht geläufig ist, hier kann das noch mal nachgelesen werden.

Was wir gefunden haben, war eine zum Teil absurde Umsetzung der geforderten Aufgabenadaption, die – laut Anwalt – eine gute Aussicht auf Klageerfolg hätte. Wir haben uns dagegen entschieden. Ich erkläre das gleich. Gewünscht hätten wir uns etwas wirklich profanes wie zwei bis drei Ansätze hinsichtlich der Benotung. Dann hätten wir über die Schule oder Bildungsagentur relativ zeitnah eine Wiederholung erreichen können, bei einer Klage ist das anders. Wenn wir klagen, dann muss das bei Gericht eingereicht werden. Dann wird irgendwann ein Termin festgesetzt, dann muss vorgetragen, bewiesen etc. werden, irgendwann wird darüber dann entschieden. Selbst wenn zu unseren Gunsten, wann wäre das denn? Das kann keiner sagen. Denn es ist ja nun so, dass unser Sohn sich um eine Ausbildungsstelle bewerben wird. Stell dir vor, er bekommt dann für Sommer nächsten Jahres einen Nachprüfungstermin, ist aber zum Einen schon aus dem Stoff raus und zum anderen, was bedeutet das dann für den Ausbildungsplatz? Wegschmeißen und sich schnell noch auf einen Studienplatz bewerben, wenn er denn bestünde? Nein, das funktioniert nicht für uns. An dieser Stelle endete das für uns. Also wirklich. Eine Ausbildung mit Abitur ist jetzt hier im Gespräch bei einem Bildungsträger, der viele junge Menschen mit Autismusspektrumstörung ausbildet. Darauf arbeiten wir nun hin.

Ich muss auch noch erwähnen, dass ich sehr wohl die erschwerenden Aspekte mit dem Saul Goodman diskutiert habe: Corona, manche Länder vergaben sogar Extrapunkte, kein Schulintegrationshelfer, unklare Tutorbegleitung. Das ist alles nicht schön, das fand er auch, allerdings hat er mir sehr ernst klar gemacht, dass ich mich SOFORT und in der Situation des Eintretens beschweren hätte müssen und Abhilfe fordern. Nun, im Nachgang, nach verhunzter Prüfung, lässt das kein Richter mehr gelten. Warum haben sie denn nichts gesagt?! Na, ganz einfach, weil alle immer gesagt haben, ich bräuchte mir keine Sorgen zu machen. Und das habe ich dann auch getan – mir keine Sorgen gemacht. Das hat man nun davon.

Im übrigen sind alle Schritte, die wir gegangen sind, bis zur Klageeinreichung bei Gericht ohne anwaltlichen Beistand zu bewältigen. Ich hätte schlichtweg nicht gewusst, wie. Das ganze hat uns etwas über eintausend Euro gekostet. Wenn ihr in so einer Situation seid, wisst ihr nun, Einsicht in alle Unterlagen ist Bürgerrecht. Und Widerspruch kann jeder durchgefallene Abiturient formal selber stellen (oder der gesetzliche Vertreter). Danach braucht ihr jemanden, der das beurteilen kann und dann geht ihr mit dem Ergebnis zur Schule zurück und die kann „dem Widerspruch stattgeben“, das heißt, Fehler in der Prüfung eingestehen und das setzt dann irgendwie einen neuen Prüfungsversuch in Gang, oder sie sagt, „nicht stattgegeben“, und dann muss das vor Gericht, wenn ihr das wollt. Und dann braucht ihr zwingend einen Anwalt, der mit euch die Erfolgsaussichten klärt und auch, wie lange sich sowas hinziehen kann. Es ist ja so, wie Annett Louisan schon sang: … So viele Dinge bekommt man erst dann, wenn man sie nicht mehr gebrauchen kann. Im übrigen entbehrt das Lesen keiner Rechtsberatung, ich habe keine Ahnung, ich gebe nur wieder, was ich erlebt habe und was mir gesagt wurde. Immerhin könnt ihr euch gegebenenfalls tausend Euro sparen wenn euch zumindest der Prozess bekannt ist. Vielleicht wusstet ihr das alles auch schon oder habt das BGB gelesen und verstanden. Anderenfalls war es hoffentlich eine nette Lektüre! 😉

Wir schauen optimistisch in die Zukunft und ich bin friedlich, was das Thema angeht. Ich habe Frieden geschlossen. An dieser Stelle ist jetzt und hier alles gekämpft. Der Sohn will nie wieder einen Fuß in diese Schule setzen, muss er nicht. Er macht jetzt ein freiwilliges Jahr, was ihm gut gefällt und wo alle ihn mögen, was ihm außerdem sehr guttut und im nächsten Jahr dann halt Ausbildung. Und wer weiß schon, was danach ist. ich weiß noch nicht mal, was nächstes Jahr ist! Kleine Schritte und annehmen, was ist, das sind die Lektionen von 2020. Wer weiß, ohne Corona würde ich vielleicht anders aufgestellt sein. Jetzt ist es so, wie es ist. Ich hab den Sohn gefragt, was willst du?! Sollen wir weitermachen? Er meinte, nein. Er wird sich also nun 2021 mit seinem Abiturzeugnis ohne Abschluss um eine Ausbildung bewerben und wenn die Entscheider dort lesen können und wollen, sehen sie recht passable Leistungen aus drei Jahren Gymnasium, das ist doch was.

Ach so! Wenn ihr mich tatsächlich nach einem Rat fragen würdet nach dieser Sache, dann möchte ich den Bubi selbst zitieren, der meinte zu mir: „Wenn ich noch mal von vorn anfangen könnte, würde ich niemals Mathe/Info als Leistungskurs nehmen! Nicht, weil mir das nicht liegen würde, sondern, weil es die allerschwerste Prüfung ist mit dem meisten Stoff. Ich würde Englisch wählen oder etwas, was leicht zu schaffen ist, wo man leicht Punkte einsammeln kann.“. Damit hatte der Bubi hier das letzte Wort und das Kapitel ist nun abgeschlossen. It´s all good, man!

 

 

Ein Kaffee für Frau Nieselpriem

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Haustiere und andere Unberechenbarkeiten

Wir hatten neulich Lebensmittelmotten in der Behausung. Da das unser erster Angriff war, waren wir nicht nur vollkommen naiv („Guck mal, da fliegt was! Hm, komisch. Naja, wird sich schon wieder verziehen!“), sondern auch überfordert.

Alles fing damit an, dass wir den jungen Mann allein ließen, während wir anderen drei auf Sommerurlaub fuhren. Er war ausgestattet mit dem notwendigen Wissen, allerlei Fertiggerichten und einem Kochbuch für Studenten.

Als wir wiederkamen, hatten wir Myriaden von Flieggetier in Küche und Wohnzimmer. Der Langbeinige erklärte, er habe extra die Balkontür geschlossen gehalten, damit nicht noch mehr hereinkämen! Mir schwante schon, dass die vermutlich nicht von draußen kamen. Nach einer Inspektion der Küche stellte ich fest, dass weder der Biomüll in den vergangenen vierzehn Tagen geleert worden war (den Eimer muss man nicht öffnen, wenn man sich zwei Wochen lang von Tiefkühlpizza ernährt) und der Brotschieber offensichtlich auch nicht (aus demselben Grund). Nachdem ich alles mit Essigwasser ausgewischt hatte und die biologischen Experimente entsorgt, verschwand die Hälfte der Tierpopulation.

Jedoch, es blieben welche, und die schienen sich zu vermehren. Maden kreuchten an den Wänden – es war ekelhaft! Einmal fiel eine von der Decke dem Mann ins Trinkglas. Ich warf sämtliche Gewürzmischungen weg, überprüfte alle Vorräte, ich fand weder das Nest noch angefressene Lebensmittel. Dass es sich um Trockenobstmotten handeln musste, hatte Google Lense zwischenzeitlich erkennungsdienstlich ausgespuckt.

Erleichterung fanden wir letztendlich nur in Schlupfwespenfallen – ich hatte wirklich alles versucht- und dann auch das Nest: Die Ungeziefer und Ungezieferinnen waren in einer Tüte Erdnüsse mit Schale ins Haus eingezogen. Diese Nussschale hatte ich im Vorfeld bestimmt schon zwölf Mal untersucht und keine Spuren gefunden! Erst nach mehreren Wochen fand ich Staub und Fraßlöcher in den Nussschalen. Ein Scheißdreck, sag ich euch!

Nun zieht diesbezüglich langsam Ruhe ein. Es gibt noch vereinzelt Motten, die umherfliegen und den Ausgang suchen. Wir wedeln und klatschen nach ihnen, es ist schon fast ein Reflex, und der Mann läuft ständig mit dem Handsauger umher und saugt die letzten ein.

Neulich jagte das Kleinste ein Mottentierchen und wir feuerten ihn dabei an. Dann erwischte er es und  – Klatsch!- mit der Fliegenklatsche ans Fenster geditscht! Da stand das Kind kurz wie versteinert. Danach brach es in herzzerreißendes Geheul aus: „Die arme Motte! Die arme Motte ist tot! Ich hab die Motte getötet! Die arme Motte!“. Ursache-Wirkung-Prinzip. Seitdem dürfen wir keine Motte mehr erschlagen, wir müssen sie einfangen, sonst gibt es Ärger mit dem Wutzwerg. Er hat ja sonst keine Haustierfreunde.

Anfang September fanden wir einen Igel im Garten. War das eine Aufregung! Wir servierten sofort einen Apfel, denn sieht man nicht auf Bildern in Kinderbüchern ständig Igel mit Äpfeln umherlaufen? Jetzt sind wir schlauer. Igel laufen nur mit Äpfeln auf dem Rücken umher, wenn sie ein Nickerchen unter einem Apfelbaum gemacht haben und ihnen einer auf Kreuz geklatscht ist. Wie soll sich so ein Igel den Apfel wieder aus dem Pelz ziehen? Genau.

Also bequatschten wir „Pieksi“, wie er/sie nun mittlerweile hieß und stellten Wasser auf. Und wirklich, Pieksi hatte sich eine Wurfhöhle gebaut neben unserem Treppenaufgang und mehrere Wochen sahen wir sie (wir wussten nun, es war eine Mami) mit ihren vier Jungen. Wir belasen uns und erfuhren dabei, dass Igelkinder nur etwa drei Wochen gesäugt werden und nach sechs Wochen den Bau verlassen, da Igel Einzelgänger sind. Wir stellten Katzenfutter und Igeltrockenfutter auf (Katzenfutter wurde lieber angenommen; gekochtes Ei verschmäht und rohes Fleisch haben wir nicht ausgelegt). Nach einer Weile sahen wir die Igel nicht mehr tagsüber, was ein gutes Zeichen sei, sagt das Igel-Internet. Denn Igel treiben sich nur tagsüber umher, wenn sie hungrig/durstig/in Not sind.

Nun gingen wir abends umher, mit Handytaschenlampen bewaffnet um die Igelchen zu sehen. Besonders der Bärtige zeigte ein über-igel-mäßiges Verhalten. Er lief abends das Grundstück ab und bequatschte die Igelkinder, was sie denn am Zaun suchen würden, sie sollen wieder zurück gehen ins sichere Versteck und auch sonst benahm er sich komisch. Er fragte mich dann täglich, ob ich schon unsere Igelkinder gefüttert hätte! Oder er formulierte es als einen Vorwurf: „Du hast unsere Igelkinder heute noch gar nicht gefüttert!“. Als ob die nicht bautechnisch dafür vorgesehen wäre, sich Nacktschnecken zu suchen! Und der Mann nicht in der Lage wäre, selbst was hinzustellen! Aber so ist das.

Wir hatten auf einmal fünf Pieksis. Dann waren es nur noch vier. Eins der Kinder wurde bei Nachbars auf der Wiese gefunden, alle vier Beinchen nach oben gestreckt. Es wurde amtlich beerdigt und wir waren alle furchtbar traurig. Seitdem wurde es still und oft sagte ich, ich dächte, es wäre nur noch einer da. Man sähe immer nur einem am Futter! Als ob ich drei Igel von einander unterscheiden könnte. Außerdem wurde kurz erwägt, alle Schlupflöcher im Zaun abzudichten, damit keines mehr rauskäme und dadurch in Gefahr. Das wurde dann aber aufgrund unserer DDR-Erinnerungen verworfen. Wer Freiheit sucht, stürzt sich in noch halsbrecherische Abenteuer, baut einen Fallschirm aus einer Katzenfutterdose oder was weiß denn ich.

Jetzt ist es still. Die letzte Schale heißbegehrtes Katzenfutter (Marke: „saftiges Huhn“) habe ich heute in den Müll geworfen, drei Tage stand es unangerührt da. Mir ist das Herz schwer. Der Mann denkt, die Igel haben sich unter die Treppe verzogen in den Winterschlaf. Dabei ist es noch nicht mal kalt nachts. Ich bin traurig. Der Mann ist traurig.

Immer öfter kommt deshalb das „Hundethema“ auf den Plan.

Nun muss man wissen, dass ich komplett durch bin war, was dieses Thema angeht, ich habe sogar hier schon mal berichtet.

Was in dem Beitrag völlig fehlt, ist der Umstand, dass wir durchaus wissen, wie es ist, mit einem Hund zusammenzuleben. Das ist auch der Grund, warum wir niemals leichtfertig die Entscheidung treffen würden, uns wieder einen „anzuschaffen“.

Ich hatte Eva, einen Bullterrier, bevor ich den Mann kennenlernte. Ein kluges, sensibles und vollkommen verstörtes Wesen, das aus einem Kofferraum an der tschechischen Grenze gerettet wurde. Zerbissen und vollgekackt war sie dort zwischen zig anderen Welpen eingepfercht gewesen. Sie war gerade vier Wochen alt, als sie zu mir kam. Die Zeit, die ihr zur Zivilisation fehlte bei ihrer Mutter in ihrem Rudel, die haben wir nie aufgeholt.

Dann kam der Mann und Benni. Benni hieß Olaf und war ein DSH-Mix unschätzbaren Alters, als er zu uns kam. Benni saß im Tierheim als Wiederholungstäter. Mindestens dreimal wurde er wieder zurückgebracht. Er sei in das Kinderbett gesprungen, man befürchte, er wolle das Baby beißen, hieß es zum Beispiel von ehemaligen Besitzern. Nun erkennt jeder Mensch, der sich mit Hunden ein wenig auskennt, was das Verhakten eigentlich sagen soll: Ihr habt ein neues Baby, das bekommt ganz viel Aufmerksamkeit, ich will auch Aufmerksamkeit!

Benni durfte sein Altenteil bei uns fristen. Er war liebevoll, immer bei unserem Bubi, der später dazukam, hat den Kinderwagen bewacht und den Schlitten gezogen im Winter (das waren damals noch Winter, in denen man einen Schlitten brauchte). Bennis Halsband liegt noch immer bei uns im Keller in einer Schachtel. Bei jedem Umzug nehmen wir es mit, selbstverständlich. Als wir Benni einschläfern mussten, hat der Mann so sehr geweint, dass ich dachte, er würde an gebrochenem Herzen sterben. Es war klar, niemals wieder kommt ein Hund zu uns, denn Hunde werden nun mal nicht älter als maximal dreizehn Jahre. Und große schon gar nicht.

Denn wenn wir uns manchmal (theoretisch) über einen neuen Hund unterhalten, wird klar, unter fünfundzwanzig Kilo wird es nicht werden! Rhodesian Ridgebacks, Viszlas, Weimeraner, das sind die Rassen, die uns gefallen. Erstaunlich finden wir dabei immer wieder, dass es sich dabei dann später um Moderassen handelte. Einen „ungarischen Vorstehhund“ kannte vor zehn Jahren kaum einer. Heute weiß fast jeder, wie ein „Viszla“ aussieht.

Wir sprechen oft darüber, wie schön das wäre, einen Hund im Haus zu haben. Was das für die Kinder für ein toller Zugewinn wäre. Dass es diesmal ein Welpe sein dürfte, weil wir beide schon unser Soll an traumatisierten, kranken Hunden erfüllt hätten und ob man denn so egoistisch sein dürfe. Und die „Zuchtfabriken“! Und was ist mit den Straßenhunden?! Wir reden.

Und immer mehr wird klar, der Mann will. Jetzt, nicht erst im hohen Rentenalter. Die Kinder wollen sowieso, denen wäre komplett egal, was das für ein Viech wäre! Die nähmen sogar begeistert irgendein Reptil auf, das sich einen Scheiß um uns schert und süße Gerbels verfüttert bekommen müsste, lebendig. No way.

Ein Hund steht also zur Disposition (das mit der Schlange wurde von meiner Seite nur ganz kurz tatsächlich erwogen).

Die Argumentation dafür ist außerhalb der emotionalen (da sind sich alle einig) eher organisatorischer Natur und zielen darauf ab, dass ich a) im Home Office arbeite und mich deshalb b) ja darum kümmern könnte. Natürlich können anders als damals der neue Hund in die nahe gelegene Hundetagesstätte gebracht werden (von mir), allerdings wäre ich dann dennoch dafür hauptverantwortlich. Morgens stehe ich als erster Mensch auf. Zu wem würde wohl der Hund kommen, um zu signalisieren, er wöllte raus? Nachmittags sind das Kind und ich zugange, und der Hund. Der Mann muss ja zum Arbeiten weit weg und ist zehn Stunden aushäusig. Was ist mit einkaufen? Wo bleibt dann der Hund? Was, wenn ich mal zum Arzt muss? Ein Welpe ist im Handling ja auch noch mal anders. Nachts raus, teilen wir uns das? Wie ist das, wenn ich nachmittags noch mal los muss, um Schulkram zu besorgen oder mit dem Kind zum Sport? Wie soll ich das machen? Kann ich das organisieren und besser: Will ich?

Das, was da gefühlsmäßig meine Bedenken flankiert, ist im Großen und Ganzen das blöde mental-load-Thema, das ich so überhaupt nicht für mich in Anspruch nehmen will. Weil es weh tut! Weil es dort zwickt, wo sich Gewohnheit und Bequemlichkeit Fahrspuren für den Alltag gefräßt haben. Weil wir dann ganz schnell nicht mehr über ein Haustier sprechen, sondern über Allgemeinplätze und wer wann was und am meisten macht. Ich will das nicht.

Unberechenbarkeiten. Vor fünfundzwanzig Jahren und zwanzig Jahren kamen die Hunde eher zufällig in mein Leben. Ich habe damals nicht groß nachgedacht, wie das werden könnte. Ich habe mein Leben darum herumorganisiert. Heute nun gehe ich alle Eventualitäten in Gedanken durch und versuche, theoretische Lösungen zu erarbeiten für noch nicht eingetretene Situationen! Weil die Verantwortung gestiegen ist. Weil ich nicht mehr nur für mich und mein Leben verantwortlich bin, das ist es.

Am besten wäre, uns würde ein Hund zulaufen, dann wäre das entschieden. So wie die Igel. Oder die Motten. Könnte mir bitte einer einen Weimeranerwelpen ans Tor bringen, mit einem Schild um den Hals: „Ich bin zugelaufen! Ich wohne jetzt hier!“?

 

 

 

Vom Leben mit Schulkind

Der Herbst steht auf der Leiter und wirft von dort oben Eicheln mit Vorhaut nach uns. So benennt der Hauptakteur dieses Posts zumindest die Früchte der Eiche.

Vier Wochen Schule liegen nun bereits hinter und. Höchste Zeit, ein erstes Resümee zu ziehen.

Eichel mit Vorhaut

Alles fing an, wie sowas immer anfängt. Mit Aufregung nämlich. Vor der Schuleinführung stand der Familienurlaub, bei dem der Bärtige beim Anreisetag aus der Familienkutsche stieg und verkündete, er könne sein linkes Bein nicht mehr bewegen – Fazit: Bandscheibenvorfall S1/L5 und das wäre ein guter Scherz, wenn es denn lustig gewesen wäre. Bandscheibenvorfall aufgrund einer mittellangen Autofahrt in einem bequemen PKW der Komfortklasse. Aber das war nicht lustig, hauptsächlich für den Mann natürlich, aber wir waren alle betroffen von der Krankenstation am Urlaubsort. Ich meine, am ersten Urlaubstag? Echt jetzt, Karma?!

Danach wurde der Kleine notwendigerweise mini-operiert, es galt neben der Schuleinführung auch noch den siebten Geburtstag inklusive Kindergeburtstag zu planen, der in die erste Schulwoche fiel (warum ich nicht vorher (!) auf die Idee gekommen bin, dass das ein bescheuerter Plan sein würde und stressig für alle und aus diesem Grunde in diesem Jahre doch besser ausfallen sollte, das frage ich mich noch heute).

Aber jetzt zum Eigentlichen:

Die Schuleinführung war schön, es wurde viel geheult (von mir) und meine drei Jungs sahen besonders schnieke aus. Vor der Festveranstaltung saß der Delinquent auf den Stufen und blickte mit gefalteten Händen auf seine Schuhe, während die anderen Kinder Blödsinn machten, weinten oder umhertobten. Das war´s dann mit dem schönen Leben, das stand in der Gedankenblase über seinem hübschen Kinderköpfchen. Er rührte mich sehr, ich stellte mich deshalb gleich zu der Gruppe mit den Heulern. ich heulte eigentlich durch, bis es endlich Mittagessen gab. Weil die Veranstaltung so ergreifend war, die Kinder so schön gesungen haben, weil der Blondino so groß aussah auf der Bühne, weil der Blondino so klein aussah auf der Bühne, weil wegen allem!

Die Schultüte für den Blondino habe ich bei Anja bestellt. Es ist eine Rakete mit Astronat. Mittlerweile ist es ein Kuschelkissen. Zugebunden wird die Rakete mit Zackenlitze, an der gesteppt die Buchstaben des Namens hängen.

 

Nun heißt „Schule unter besonderen Bedingungen“, unter anderem, dass man seine Fortpflänzchen an der Schultür abgeben muss. Okay soweit. Bereits in Woche zwei stand dann im Muttiheft: „Könnten sie bitte ihr Kind eher zur Schule bringen, er kommt immer erst beim letzten Klingeln ins Klassenzimmer, danke.“. Moment, dachte ich. Ich gebe ihn halb acht ab und winke durch das Fenster in die Garderobe. Um acht fängt der Unterricht. Frage: Was passiert in der Zwischenzeit?

Die Antwort ergab sich mir dann beim Abholen irgendwie aus der Situation heraus. Also beispielhaft quasi, aber lasst mich berichten: Ich komme und melde mich beim Anmeldebeauftragten des Hortes an, danach suche und finde ich das Produkt meiner ungezügelten Leidenschaft im Lego-Zimmer. „Hallo Kind, blablabla, komm bitte, ich warte vorn am Eingang, denn ich darf hier nicht sein, also komm doch bitte zum Eingang!“. Ich warte. Am Eingang. Irgendwann nach fünf bis zehn Minuten (wer schaut schon auf die Uhr) schlurft das Kind heran. „Kind, geh bitte nach oben und hole deinen Ranzen aus dem Spind!“, Kind trabt ab. Ich warte. Am Eingang. Sehr lange. Nach einer Viertelstunde gehe ich zum Hortbeauftragten und vermelde das Fehlen des erwartenden Kindes. Ich darf ausnahmsweise nach oben zum Suchen. In der zweiten Etage angekommen, lugt ein Ranzengurt des Sohnes aus dem Spind, kein Sohn in Sicht. Ich also wieder runter und vermelde, der Sohn fehle! Ich laufe das ganze Haus und umliegendes Gelände ab und finde ihn dann auf dem Spielplatz, in Hausschuhen und vollkommen schuldunbewusst! Er ist wohl zur Treppe hoch, an seinem Spind („Hole bitte deinen Ranzen aus dem Spind!“) vorbei, an der hinteren Treppe wieder runter und ab auf den Hof. Na klar. Danach wird noch jedes Kleidungsstück einzeln gesucht und dann können wir auch schon. Abholzeit an diesem Tag in Minuten: Fünfundvierzig. Macht ja nichts, ich hab ja Zeit! Ich ahne, wie das morgens so sein könnte. 

Am letzten Freitag regnete es. Ich weise das Kind an, Gummistiefel zu tragen und eine Regenjacke. Nachmittags komme ich, da steht jemand, der aussieht wie mein Kind, in riesengroßen Boxershorts ohne Socken, Hosen, Jacke in Hausschuhen auf dem Hof. Ich erfahre, dass der Blonde exzessiv in die Pfützen gesprungen sei (weil, er hat ja Gummistiefel an), bis das Wasser nicht nur bis zur Oberkante der Gummistiefel stand, sondern die Hose, die Jacke, die Unterhose, einfach alles, voller Wasser war. Man habe ihm notgedrungen ein Hose von irgendwem gegeben und ob wir die bitte morgen wieder mitbringen könnten?

Elternabend war mittlerweile auch schon. Eine Erziehungsperson im Elternverband der Klasse 1c meldete sich auch ganz aufgeregt und berichtete, dass Chiara-Chantal bereits fünfzig Seiten des „Lies mal“-Buches durchgelesen hätte und das halbe Mathebuch auch und ob man ihr das nun verbieten solle zu Hause, was meinen sie, was solle man tun mit so einem hochbegabten Kind?! (Ich meine dazu nur: Die Zeiten, als ich die Augen nur innerlich rollte an Elternabenden, sind endgültig vorbei, so viel kann ich dazu schon mal sagen.)

Als es um die Wahl des Elternsprechers ging, hatte die Erziehungsperson von Chiara-Chantal bereits den Arm oben, da war die Frage noch gar nicht gestellt. Ich war im übrigen dann gegen zweiundzwanzig Uhr die einzige, die sich nach dem Elternabend auf den Heimweg machte. Alle anderen hatten persönliche Fragen an die Lehrerin, die zwar auch vier Kinder hat und deshalb bestimmt gerne nach Hause gegangen wäre an einem Mittwochabend, wo doch am nächsten Morgen wieder früh die Glocke bimmelt, aber man hatte eben noch eine Frage. Oder zehn. Und das Klassenzimmer wöllte man auch noch mal besichtigen.

Schlafen ist auch so ein Thema. Nun hatten wir den Blondino endlich so weit, dass er auch mal bis sieben oder halb acht pennte, muss er nun sechs Uhr fünfzehn aufstehen – ein Drama! Fünf Tage lang zerre ich morgens ein vollkommen verschlafenes Kind in die Küche: „ich bin sooooo müde! Lass mich doch einfach in Ruhe!“, dann ist Wochenende und er hat es dann irgendwie verinnerlicht: Sechs Uhr fünfzehn wird er wach. Kein Scheiß. Ich bin vollkommen runter mit den müden Nerven und erkläre ihm, bis die Uhr um sieben anzeigt, bleibst du liegen! Das üben wir Samstag, das üben wir Sonntag und wann hat er es dann? Genau, Montag! Es ist nicht zum Aushalten. Ich werde nie wieder wach sein…

Aufstehzeit, irgendwann zwischen zu früh und viel zu früh

Hausaufgaben hat das Kind die erste Zeit total verweigert, wie eigentlich das ganze Konzept „Schule“. Nach zwei Wochen teilte er mit, er habe sich jetzt dort abgemeldet für ein Jahr oder so und wölle nun wieder in die Seesterngruppe gehen! Er habe es sich überlegt und so würde es jetzt werden.

Schulkind bei Hausaufgaben; ebenso im Bild: Anreize

Mittlerweile geht es, wenngleich das alles spielerisch und mit Anreizen passieren muss (ob du da als Elternteil nun Bock drauf hast, darum geht es jetzt nicht; also die nächsten – hier zweistellige Zahl ausdenken –  Jahre).

Was gut funktioniert ist, dass wir Nachmittags Scrabble spielen, das Kind und ich. Damit lernen wir Lesen und Schreiben. Gut, „horny“ kann ich nicht legen, auch wenn ich bei optimaler Position bestimmt dreißig Punkte machen würde, aber da will ich jetzt mal nicht kleinlich sein. Wichtig ist, ihn zu motivieren, außerhalb der Schule noch Schule zu machen. Er ist eben nicht wie Chiara-Chantal. Und mir macht es wirklich Spaß, seine Fortschritte zu beobachten, ohne Scheiß, auch wenn mir das den Nachmittag endgültig schrottet. Er wird dann auch bald die Zettel lesen können, die ich überall aufhänge: RÄUM DEIN ZIMMER AUF! ZIEH HAUSSCHHE AN! Das schont mir meine zarten Stimmbänder.

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Ich habe neulich auch eine sich auflösende Banane aus den frühen Septembertagen geborgen – in meiner Tasche! Und als der Familienwandertag anstand, suchte ich verzweifelt die Einladung dazu, denn ich wusste zwar noch wann (nämlich am vergangenen Samstag), aber weder die Uhrzeit noch den Treffpunkt. Und so begab es sich, dass der Bärtige einen Waschbären vermutend, abends aus dem Haus tritt und mich vorfindet, wie ich neben der ausgeschütteten Papiertonne inmitten von Zettelchen und Pappfetzchen hocke um die Einladung zu suchen. Diese verfluchte Einladung! Am nächsten Morgen wiederholte sich das Spektakel in aller Herrgottsfrühe zwischen der Restmülltonne und mir ein zweites Mal. Die Einladung blieb verschwunden. Es war aber neun Uhr, ich sei mir sicher, besprach ich den Mann. Da es nicht soooo viele Treffpunkte an der Dresdner Heide gibt, fuhren wir vor neun sämtliche Treffpunkte ab – keine Klasse 1c!

Vor zwei Tagen fand ich die Einladung. Sie klebte mit einem Magneten beschwert am Kühlschrank. Ich meine, am KÜHLSCHRANK, wer konnte das ahnen. Der Wandertag startete im übrigen zehn Uhr, aber das spielt eine Woche danach nun auch keine Geige mehr.

 

Note to myself: Hausmeister aufsuchen wegen der in den letzten vier Wochen verschwundenen drei Strickjacken, zwei Brotdosen und einer Trinkflasche.

 

Die Reifeprüfung

Mein lieber Bubi,

ich soll nicht mit dir reden, hast du gesagt. Und ich solle auch keinen Brief schreiben, hast du gesagt. Ich soll dich doch bitte jetzt in Ruhe lassen.

Nun, das mit der Ruhe kann ich gerade nicht. Gar nicht. Seit Wochen hängen dein Vater und ich in einem Strudel aus Anspannung, was-wäre-wenns und Supportbestreben fest. Das ist ein Scheiß, das kannste laut sagen. Also, wenn dein kleiner Bruder gerade nicht zuhört.

Weißt du, das ist wirklich echt Kacke gelaufen heute. Und vor zwei Wochen auch schon. Ich meine, du hast wirklich passable Leistungen abgeliefert, dreizehn Jahre lang, und nur an an zwei Tagen waren die nicht abrufbar – shit happens! Tja, Abitur adé. Und dann heute die beschissene mündliche Nachprüfung – die allerallerallerletzte Chance, nur kein Druck- und wieder hat es nicht gereicht. Und dann noch diese Abwertung, dieses: „Das war gar nichts, was sie heute gezeigt haben!“, danke.

Als du den Weg zum Haus herunterkamst am heutigen Vormittag, da wollte ich dich nur in den Arm nehmen. Du wolltest das natürlich nicht, das willst du nie. Dein Gesicht, diese Enttäuschung, dich so zu sehen… weißt du, wir sind alle am Boden zerstört, heute. Aber das musst du wissen, wirklich glauben: Es hat nichts damit zu tun, dass wir dich für einen Versager halten, dass wir enttäuscht wären. Im Gegenteil! Wir sind so traurig, weil wir dir von Herzen gegönnt hätten, dass du diesen Sieg einfährst! Weil dein Vater und ich der Meinung sind, du hast das sowas von verdient, dieses alberne Blättchen mit dem Abiturzeugnis. Du hast dich dreizehn Jahre abgestrampelt unter deutlich erschwerten Bedingungen, die letzte Zeit gänzlich ohne Hilfe. Du hast nicht einen einzigen Tag geschwänzt, niemals „versehentlich“ verschlafen, du warst geradlinig bei der Sache. Das hat nicht gereicht. Leider.

Seit Ende letzten Jahres musstest du ohne Schulintegration auskommen, weil der letzte Integrationshelfer krank wurde und in der ganzen Stadt kein Ersatz zu finden war. Deine Schule hat bis heute keinen Integrationsbeauftragten benannt, obwohl sie nach dir in jedem Jahr mindestens einen Schüler mit Autismusspektrumstörung aufgenommen haben, das zusätzliche Geld für die Inklusion nimmt man gerne mit und niemand prüft so genau nach, ob der Auftrag denn überhaupt erfüllt wird, egal. Dann kam Corona und verbannte dich zum Alleinlernen in dein Zimmer. Tutorstunden fielen aus, Prüfungsvorbereitung nur noch im Alleingang. Du hast das wirklich bravourös gemacht! Ich habe dich eigentlich nie genervt erlebt, niemals schlecht gelaunt. Die letzten Tage der Prüfungen, da hattest du entsetzliche Muskelzuckungen, die dich um  den Schlaf brachten, du warst am Ende deiner Belastung, wir haben es alle gemerkt. Und dennoch hast du dich so wacker geschlagen, hast dich zusammengerissen (Auch wenn Autisten immer wieder gern beteuern, das sei per definitionem unmöglich!) und dich motiviert. Es hat nicht gereicht.

Mir will das Herz brechen über deinen Kummer heute, deinem Vater geht es ähnlich. Aber nur, weil wir finden, das ist so ungerecht, so kackdrecksgemein. Weil wir sehen, was du geschafft hast und wie weit du gekommen bist und dass dir wirklich niemals in den letzten dreizehn Jahren irgendwas in der Schule geschenkt wurde. Und zugefallen ist es dir schon überhaupt gar nicht. Wenn ich daran denke, dass du trotz aller Anträge im Vorfeld das Abitur ohne Nachteilsausgleich (lediglich ein paar Minuten mehr Zeit wurden dir zugestanden) ablegen musstest, will ich ein Loch in die Wand hauen! Da wird dir jahrelang zugesichert, dass du die Operatorenliste als Hilfsmittel bei Arbeiten benutzen darfst und in der Prüfungsordnung steht, der Integrationsschüler legt die Prüfungen ab unter den Bedingungen, wie der Stoff gelehrt wurde, und dann wird die für dich so wichtige Operatorenliste auf einmal abgelehnt mit dem Hinweis, das wäre ja sonst ungerecht gegenüber den anderen Schülern und alle müssten unter den gleichen Bedingungen abliefern. Hallooo?!

Chancengleichheit

(Ich bin so inklusionsagressiv, ich könnte was anzünden… )

Ich habe dir im Vorfeld gesagt, ganz egal, wie heute das Ergebnis ausgeht, ich bin stolz auf dich! Du hast dreizehn Jahre Schule gemeistert und ich schau mir deinen Zensurenspiegel an, da steht nichts von „durchgefallen“! Du hast die letzten drei Jahre Leistung abgeliefert, das steht dort. Du konntest es an den Prüfungstagen nicht abrufen, von mir aus, aber du hast es geleistet! Ich lass mir nichts anderes einreden. Du bist absolut großartig und ein fantastischer junger Mensch, den ich so gerne um mich habe.

Und ich habe dir gesagt, wurscht, was dort auf dem Papier steht, ich weiß einfach, du wirst deinen Weg finden und ich wünsche mir nur für dich – nicht für mich – dass du glücklich wirst und zufrieden und deinen Platz in dieser Welt ausfüllst. Ob du dazu als Baggerfahrer deinen Lebensunterhalt verdienst oder als Verkäufer für Tiernahrung, als Biochemiker oder Eintänzer, das ist mir wumpe, solange es deiner eignen Wahl entspricht.

Ich weiß aber auch, dass du das Meerrauschen einschaltest, wenn ich gefühlsduselig werde und liebesschnulzig. Du hast mal gesagt, das könntest du alles nicht ernst nehmen, was ich von mir geben würde, denn ich fände ja immer alles ganz toll, was du machen würdest. Das hat mich nicht gekränkt, ich verstehe, was du meintest. Aber dein Vater ist zum Glück auch noch da und darf den Part des konstruktiven Kritikers übernehmen und dir Rankhilfe sein, an der du dich festhältst und nach oben wächst. Ich muss das nicht. Ich bin der Barde mit den Lobgesängen.

Wenn ich so drüber nachdenke, weiß ich auch nicht, ob ich das super gefunden hätte mit einer Mutter wie mir. Ich weiß nur, dass ich mein erstes halbes Leben versucht habe, die Lücke zu schließen, das Loch zu stopfen, dort, wo die elterliche Unterstützung und Wertschätzung und ewiglich geschworene Liebe und Zuversicht eigentlich hingehören. Und dass ich es um jeden Preis anders machen wollte. Dass ich sowieso gar nicht anders kann, als für immer der größte Fan von dir und deinem Bruder zu sein, das ist für dieses Vorhaben natürlich überaus hilfreich.

Ich werde niemals damit aufhören, auch nicht, wenn du siebzig bist und ich hundert. Auch dann noch werde ich dir sagen, wie glücklich ich bin, deine Mutter zu sein. Und wie stolz du mich machst. Weil es eben nicht von einem Zettel abhängt, was deinen Wert ausmacht. Und noch nicht mal dein Lebensweg wurde heute entschieden, nicht im mindesten, auch wenn du das jetzt sicher denkst. Und dich fragst, was nun aus dir werden soll. Du musst nicht werden, du bist schon.

Ich erzähl dir mal was.

Wenn du jetzt nach dreizehn Jahren auf dem sogenannten „ersten“ Bildungsweg dein Abitur gemacht hättest, dann wärst du in unser ganzen Familie der erste Mensch überhaupt! Ernsthaft. Dein Opa hat die Schule nach acht Klassen verlassen und Maurer gelernt, sich danach irgendwie hochgearbeitet und Abendschule gemacht und war dann Chef von Dings und Bums. Deine Oma hat bei der Post gearbeitet, während der Lehre noch deinen Onkel bekommen und auch „irgendwie“ weitergelernt bis in ihre leitende Position. Damit will ich nicht sagen, dass eine leitende Position erstrebenswert ist, nur, dass beim Schulabschluss nicht entschieden wird, wo die berufliche Reise schlussendlich endet.

Dein Vater hat eine Ausbildung zum Schlosser gemacht und jeden Tag davon gehasst. Danach hat er sein Abitur nachgeholt und war mit dreiundzwanzig fertig damit. Mit achtundzwanzig hatte er das Studium beendet. Du warst fünf Jahre alt damals.

Und ich habe gar kein Abitur! Hab ich damals gedacht, das sei ein Manko? Natürlich. Ich habe eine verhasste Lehre gemacht unter Honecker (Elektronikfacharbeiter, damals noch ohne -in am Ende, Genderfizierung war noch nicht erfunden), danach zwei weitere Ausbildungen angefangen (Frisör, Außenhandelskauffrau) und aus unterschiedlichen Gründen abgebrochen. Erst mit fünfunddreißig (du warst schon da und ich bin täglich morgens um halb vier aufgestanden um zu lernen) habe ich meinen Abschluss als Informatikkauffrau gemacht, der mich zu meinem heutigen Job gebracht hat. Hat mich das zu einem Versager gemacht? Nein. Hatten andere Menschen in meinem Alter viel früher große Autos und schicke Häuser und einen Plan im Leben? Ja, sicher. Will ich rückblickend tauschen? Auf gar keinen Fall!

Was ich dir damit sagen will ist, dass Versagen in den seltensten Fällen wirklich Versagen bedeutet. Versagen ist nur ein Begriff der Abwertung, den du dir selbst auferlegst oder dir von anderen auferlegt wird. Nichts im Leben ist Versagen! Davon bin ich zutiefst überzeugt. Alles führt uns am Ende auf einen bestimmten Weg, unseren Weg! Und du stehst erst am Anfang deines Weges. Ob er verzweigt ist und mit Wurzeln bewachsen oder eine asphaltierte Straße, bei der du den Horizont fest im Blick hast, ich weiß es nicht. Ich hoffe, er ist mit schattigen Bäumen bewachsen und mit Blumen am Wegesrand, damit dein Blick Ablenkung erfährt und du dich nicht immer auf dein Ziel fokussierst. Und dass du immer nette Gesellschaft hast auf deinem Weg. Das ist überhaupt das wichtigste in meinen Augen, aber ich bin alt, das musst du noch nicht verstehen, jetzt mit zwanzig.

Ich möchte dich noch ein Stückchen begleiten, auch wenn ich lernen muss, dir nicht mehr die richtigen Wanderschuhe rauszustellen und dich mit Sonnencreme einzuschmieren, falls der Weg durch die Mittagshitze führt (Metaphern sind nicht so deins, ich weiß, ich schreibe das mehr für mich). Ich würde dich gern für immer behüten und beschützen und dir jede Last und jedes Arg und Weh vom Leibe halten, aber dann macht der Weg auch keinen Spaß.

Weißt du noch, als wir auf Teneriffa auf den La Guaraja gestiegen sind? Das war eine Plackerei. Aber als wir oben waren, wow. Und wie stolz wir da waren! Wir hätten natürlich auch mit der Seilbahn hoch zum El Teide fahren können und auf bequeme Weise die Aussichtsplattform erreicht – ohne Schweißvergießen, ohne Mühen – glaubst du, wir  hätten dieselben Gefühle gehabt da oben?

 

Heute willst du nicht mit mir reden, heute lass ich dich in Ruhe. Aber ich bin hier, ich habe die Ärmel hochgekrempelt und zwei, drei Reiserouten für die nächste Etappe zur Auswahl. Oder du machst erst mal Pause. Du darfst das selbst entscheiden, es ist deine Reise, auf deinem Weg. Wir, deine Eltern, sind nicht die Reiseleitung. Aber wir sind bergerfahren und schluchterfahren, wir sind schon durch Stürme und ohne Ausrüstung gegangen, und du kannst immer auf uns zählen, wenn du uns ein Stück mit dir gehen lässt. Das wird die Reise deines Lebens und sie hat gerade erst angefangen.

Deine Ma

 

The Beitrag before known as „Jahresrückblick“

*EinBlogistkeinTagebuchEinBlogistkeinTagebuchEinBlogistkeinTagebuchEinBlogistkeinTagebuchEinBlogistkeinTagebuchEinBlogistkeinTagebuch*

Hier stand bis vor wenigen Tagen ein Artikel, den ich hastig am ersten Weihnachtsfeiertag heruntergeschrieben habe. Nun ist er weg!

Ich habe ihn gelöscht. Und ja, es ging eigentlich nur darum, Informationen aus einem Drittel des Artikels vor der „breiten Masse“ zu verbergen, aber ich bin da rigoros. Die Weihnachtsbilder, ja, das ist schon schade. Baum, Erzgebirgskunst, ihr wisst, wie sowas aussieht! Kein Verlust. Dann war noch ein Foto von mir am Strand, kein Verlust.

Das mit dem Internet ist es ja so eine Sache. Ich denke zwar manchmal, wir sind hier eine große nette Familie, aber das stimmt ja nur bedingt. Die Inhalte sind halt immer auch für die Menschen zugängig, mit denen man sie vielleicht gar nicht vordergründig teilen wollte! Tja. Und dann noch diese Scheißdrecksimpressumspflicht. Danke, europäische Rechtssprechung! Hier ist ja niemand anonym, also nicht, wenn Du eventuell und möglicherweise einen Service anbieten wollen würdest, der gegebenenfalls als Produkt oder Dienstleistung und ach was weiß denn ich schon, gelabelt werden könnte. Dann musst du eine ladefähige Adresse angeben! Und wer kennt sich schon mit der Grauzone aus. Ich ja nicht. Und diese Adresse, also da fährst du ja dann auch morgens mal raus, aus der Einfahrt. Und dein Kind sitzt im Auto.

Das ist hier nicht anonym, nicht für mich. Und ja, leider!

Deshalb werde ich mich ab sofort ein wenig bremsen mit Details und auch mit Fotos. Nicht wegen mir! Denn, wer bloggt, dem ist ein voyeuristischer Wesenszug nicht abzusprechen, aber wegen meiner Familie! Ich danke denjenigen, die so herzlich kommentiert haben, sehr. Aktuell bin ich unsicher, inwieweit bestimmte Themen hier zukünftig weiter abgehandelt werden sollten. Damit keines meiner Kinder einen Nachteil hat aufgrund meiner Geschwätzigkeit. Das ist verständlich, oder? So von Mutter zu Mutter, oder zu Vater?

Peace, ihr alle und ein gutes neues Jahr für uns alle! Voller Liebe, gegenseitiger Wertschätzung und Respekt. Das wünsche ich uns. ❤

Erntedank

Nein, es geht hier nicht um Blätter und Wetter und die aktuelle Jahreszeit. Nein, das wird kein Herbstspecial. Vielmehr will ich etwas anderes erzählen, das für mich mit dem Wort „Erntedank“ zu tun hat, wenngleich im übertragenen Sinne.

Ich war die letzten fünf Wochen alleine mit meinem großen Sohn, wie ihr ja bereits wisst, und für diese Zeit bin ich so unendlich dankbar. Zwar war er dreizehn Jahre der „einzige“, weil Einzelkind und man sollte meinen, wir hätten doch in den vergangenen Jahren wirklich viel Zeit miteinander verbracht, aber das ist irgendwie anders jetzt. In den vergangenen sechs Jahren hatte er nie meine ungeteilte Aufmerksamkeit, der große Sohn, weil ich mich ja um seinen kleinen Bruder kümmern musste. Nun, da der Bärtige mit dem Blondino auf Kur weilt, sind es wieder nur wir zwei.

2006

Wer hier  schon länger mitliest, weiß, dass mein Erstlingswerk ein besonderer Junge ist, und das war und ist er wirklich. Sagen das nicht alle Mütter über ihre Söhne? Vielleicht. Hach, ich würde euch so gern ein Foto zeigen von ihm, von dem jungen Mann, der er geworden ist und ihn euch allen vorstellen! Das geht ja nun aber nicht und deshalb müsst ihr mir einfach glauben, dass er wunderbar ist! Und euch begnügen mit den Kinderfotos, die ich euch zeige.

Ich habe mal behauptet in irgendeinem Kontext, dass ich glaube, die einen haben schlimme Jahre mit ihren Kindern vor deren zwölftem Geburtstag und die anderen eben danach, wegen der ausgleichenden Gerechtigkeit. Ich weiß natürlich nicht, ob das stimmt, habe aber genau diese Erfahrung hier gemacht. Mit dem Großsohn.

Der war sein ganzes Kinderleben „komisch“, wurde abgelehnt von Bezugserwachsenen, anderen Kinder, weil er sich partout nicht „normgerecht“ verhielt und irgendwie nicht zu kapieren schien, wie das mit dem normativen sozialkompetenten Verhalten funktioniert. Ich denke, ab dem zweiten Geburtstag ungefähr ging das los. Von da an war ich permanent zu Gesprächen bei Kindergärtner*innen, Kinderspycholog*innen, Lehrer*innen und so weiter. Ich habe mir jahrelang zu Herzen genommen, was sie schlechtes über meinen Sohn sagten. Es traf mich in der Mitte, mittenrein, jahrelang. Ich ging zu Eltertrainings, bei denen ich in Rollenspielen lernen sollte, wie ich meinem Sohn Grenzen beibringe. Ich saß auf Stühlen, Hockern, Sesseln und hörte irgendwelchen Experten und Respektspersonen zu, wenn sie mir erzählten, was alles an meinem Kind nicht stimmte und wie ich (!) doch mit meiner Vorbildhaltung und meinem Erziehungsauftrag dort gegenzusteuern hätte.

Das ging zehn Jahre so. Zehn. Jahre.

Mein Sohn war ein wunderbar fantasievolles, übersprudelndes Kind, das sich mehr und mehr in sich zurückzog, da er die Ablehnung durchaus spürte und nicht wusste, was er denn tun könnte, um dazuzugehören. In all den Jahren hatte ich so viel Kummer, Herzschmerz und ich sorgte mich so unendlich. Was sollte denn nur aus diesem Jungen werden? Wird er jemals Freunde finden? Anschluss in der Gesellschaft? Was habe ich nur falsch gemacht?! Mein Leben als Mutter dieses Kindes erschien mir wie eine niemals endende Prüfung. Die Sorgen überlagerten oft die Freude, die mir dieser Junge eigentlich tagtäglich machte. Ob ich wollte oder nicht. Bei allen anderen Müttern in meiner Welt sah alles so leicht aus, so „normal“, nur bei uns war Chaos und Unverständnis, nur ich musste mich so abmühen, nur mein Sohn war so unbeliebt und ungeliebt. Außer von mir. Warum verdammt, warum?

Es waren beschissenen Jahre. Für uns alle. Und ich habe nicht vergessen, wer in meiner Familie und meinem Freundeskreis dieses Kind annehmen konnten, wie es war, und ihm Freundschaft entgegenbrachte. Es war nur eine Handvoll Menschen. Damals war das gesellschaftliche Bewusstsein noch nicht ausgerichtet auf Menschen mit anders gearteter Informationsverarbeitung, Asperger Autisten kannte keiner, ADHS wurde im gleichen Atemzug genannt wie „verzogen“ und „Kevinismus“.

2007

Es wurde besser. Tatsächlich wurde es besser, langsam erst, kaum spürbar, aber dennoch, ja.

Die Pubertät kam und während andere Miteltern aufstöhnten unter den hormonellen Verzauberungen ihrer süßen angepassten Kinder, hatte ich immer noch Sorgen ganz anderer Art. Nach wie vor erschien der Weg unseres Sohnes kaum vorhersehbar. Behindertenwerkstatt, betreutes Wohnen, dergleichen Begrifflichkeiten kamen in den Gesprächen vor, die wir Eltern führten. Gespräche, die anderen Eltern pubertierender Kinder erspart blieben. Was soll nur aus ihm werden? Wird er selbstbestimmt leben können irgendwann? Und immer wieder trotzte ich gegen die vorgegebene Norm: Mein Sohn gehört doch in keine Behindertenwerkstatt! Hallo?! Nur, weil ihr es euch leicht machen wollt mit Menschen, die im Gleichschritt neben euch marschieren? Dennoch, irgendwie wurde alles leichter während dieser viel beschriebenen, von vielen Eltern mit Schauder erwarteten, Pubertätsjahre. Mein Kind wurde erwachsen, einfach so.

Und jetzt lebe ich hier mit einem neunzehn Jahre jungen Mann, der dank Integrationshilfe im kommenden Jahr sein Abitur machen wird. Ein junger Mann, der mich neulich morgens weckte mit dem Worten, er befürchte, ich verschliefe sonst und die Kaffeemaschine habe er auch schon für mich angemacht. Ein junger Mann, der noch nie einen einzigen Tag Schule geschwänzt hat, der liebevoll und höflich gegenüber seiner Umwelt ist. Immer noch ein wenig zu sprunghaft manchmal, laut auch, aber irgendwie dennoch gereift, fertig beinahe. Jemand, der sich um Beziehungen bemüht und Freundschaften versucht zu pflegen. Der auswendig lernt, wie charmantes Verhalten geht, weil er es so gern sein möchte. Charmant, beliebt. Und dem es immer öfter scheinbar spielend leicht gelingt.

Ich sehe ihn an und das was ich fühle, versuche ich zu beschreiben, denn das ist ganz und gar wundervoll. Ich blicke auf zu ihm, er ist größer als alle Menschen in unserer Familie, sehe in seine sanften großen nahezu schwarzen Augen und denke, dass es wirklich niemanden auf der ganzen Welt gibt, den ich so sehr liebe und auf diese Weise, wie ihn. Ich bin so unendlich stolz auf ihn. Und stolz auf mich. Das ist mein Sohn! Meiner! Ich sehe einen Garten voller Blumen und Pflanzen, der gewachsen ist unter meiner Obhut und gegossen mit meinen Tränen und meiner Liebe. Dort, wo niemand fruchtbare Erde vermutet hat.

Das, was ich mir viele Jahre überhaupt nicht vorstellen konnte, ist jetzt greifbar. Ich kann mir vorstellen, was mal aus ihm werden könnte. Nämlich alles! Aus diesem Jungen, auf den kaum einer wetten wollte noch vor zehn Jahren, ist ein toller junger Mann geworden. Einfach so.

2008

Das hier geht raus an alle Kleinkindeltern, die vollkommen verzweifelt sind, weil sich ihre Kinder nicht so entwickeln, wie sie sich das vorgestellt hatten. Das hier schreibe ich für alle Eltern mit Teenagern, die scheinbar von einem Tag auf den anderen außer Rand und Band zu sein scheinen. Das hier ist für alle Mütter und Väter, die sich fragen, warum gerade bei ihnen scheinbar nichts so funktioniert, wie es in den dicken schlauen Büchern steht: Glaubt mir, alles wird gut! Und ihr werdet staunen und euch freuen, wenn ihr euren Kindern beim Wachsen und Werden zuseht. Nichts ist umsonst. Jede Aufmunterung, jedes: „Ich glaube an dich, du schaffst das!“, jedes: „Ich bin so stolz auf dich!“, und jedes: „Ich liebe dich so sehr, schön, dass du da bist!“, ist wie Dünger, Langzeitdünger für die Entwicklung eurer Kinder. Und ihr werdet es sehen, später, alles geht auf. Ihr werdet ernten, was ihr sät. Das ist das Beste, das aus Liebe entstehen kann.

„Kleine Kinder, kleine Sorgen…“, dieser Spruch war gestern. „Große Kinder, großes Glück“, das ist morgen.

 

 

 

 

Ein Kaffee für Frau Nieselpriem

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65 M

Die Zeit, als ich an jedem dritten des Monats den Monatsgeburtstag des Kleinchens gefeiert habe, ist ja nun schon ein bisschen her, also zumindest öffentlich, aber noch immer ist der dritte ein Geburts-Tag. An einem dritten habe ich geboren. Auch an einem sechsten und an einem einundzwanzigsten. Aber da der Blondino „mein Baby“ ist, muss der da jetzt durch, dass ich das so zelebriere. Das mit dem dritten.

Fünfundsechzig Monate ist er jetzt bei uns. Er ist einen Meter zehn hoch, wiegt siebzehn Kilo, sein Kopf riecht immer noch nach Griessbrei und hat ein Stimmchen wie Tweety. Und große fragende Knopfaugen.

Er fragt auch eigentlich immer irgendwas. Als ich mal versehentlich beim Spazierengehen „Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald“, sang, da war was los. „Warum will die Hexe den Hänsel fressen? Warum schubst die Gretel die Hexe in den Ofen? Und was hat de Hexe dann gemacht? Und wie hat die Gretel die Hexe in den Ofen geschubst? Und was hat der Hänsel dann gesagt? Und warum gibt es Hexen nur im Märchen? Was will die Hexe mit mir machen, wenn sie mich sieht? Und was machst du mit der Hexe, wenn sie mich fressen will? Können wir ein Pfefferkuchenhaus haben zum wohnen?“.

Auch täglich auf Wiedervorlage: „Wenn ich groß bin, kann ich dann auch Fliegen fangen mit meiner Zunge? Wie lang ist meine Zunge, wenn ich groß bin?“. Und neulich zu einem jungen Mann hinter uns an der Kuchenschlange: „Zeig mal, wie lang deine Zunge ist, meine ist nämlich am längsten, aber ich kann dir das nicht zeigen, man zeigt seine Zunge nur seiner Familie! Und wie alt bis du?! Isch bin fümf. Und mein Papa ist einundvierzig und meine Mama neunundvierzig und die hat heute Geburtstag und wie lang ist deine Zunge?! Zeig mal die Zunge!“.

Jeden Tag müssen wir bei Youtube Videos über Schlangen und Chamäleons und Frösche gucken. Weil die nämlich coole Zungen haben! Ich denke, die Dino-Phase wird durch die Amphibien und Weichwirbler, Schlabberekeltierchen abgelöst.

Der Beste frohlockt! Denn der züchtete früher Würgeschlangen. Zumindest war das der Plan, bis alle Schlangen Schnupfen kriegten und verendeten. Dann lernte er mich kennen und ich stellte klar, es wird ab sofort nur noch eine Schlange in seinem Leben geben! Nun, einundzwanzig Jahre später, sieht er in seinem Jüngsten einen Verbündeten im Kampf um ein Terrarium im Haus. Zusammen gucken sie sich die Bücher über Schlangen an, die der Bärtige seit Kindertagen hortet und die aus seinem Kinderzimmer mit bei uns eingezogen sind.

(Er wird niiiie ein Terrarium mit Schlangen haben, so lange ich hier wohne! Ich würde immer alle Futtertiere befreien und überhaupt kann ich nicht nachvollziehen, wie man ein Tier in einer Kiste halten kann, das nachweislich keinerlei Beziehung zu einem eingehen will und wird. Und so lange ich keinen Hund, nicht mal eine Katze oder einen Chinchilla haben darf – nein, auch keinen Papagei!- bin ich total fest, was das Schlangenthema angeht. Und selbst wenn ich ein, zwei Tiere haben dürfte, kriegt er keine Boa Constrictor. Sonst würde sein Tier mein Tier fressen wollen und das gäbe nur Terz hier. „Dein Tier hat…!“, „Aber dein Tier hat angefangen…!“. Nee, fällt aus. Im übrigen plane ich, mein nächstes Leben auf dem Land zu fristen und dann habe ich Hühner und Hunde und Katzen und Kaninchen und kenne definitiv niemanden näher, der mit Schlangen leben will. Ich meine, Schlangen, ernsthaft?!)

Ich sitze die Schlangenphase des Babylinos einfach aus.

Während ich das schreibe, liegt neben mir eine Gummikobra, die Eier eines „Türodacktulus“ ausbrütet.

Die weißen Bohnen, die hier die Eier sind, hat das Kindchen von irgendwo her angeschleppt und trägt die seit Tagen mit sich herum. Das sei sein Schatz, informierte mich das Kind. Jeden Tag stopfte es die Bohnen in die jeweilige Hose des Tages und holte sie immer mal hervor. Eigentlich waren es ja bestimmt zwölf oder zwanzig Bohnen ursprünglich. Ein paar befinden sich mittlerweile in den Ritzen der Couch oder in der Waschmaschine oder sonstwo. In jedem Fall werden die übrigen „Dinoeier“ ebenso diesen Weg gehen. Das ist sicher!

Ich mache ja auch jeden Quatsch mit (außer Schlangenquatsch mit echten Schlangen; und ja, Regenwürmer sind auch Schlangen, keine Diskussion!), aber neulich war echt Schluss mit lustig. Ich decke das Bett des Süßileins auf und denke, mich trifft gleich der Schlag. Unter der Bettdecke war ein Haufen Sand, breitgeklopft. Also ich meine so viel Sand, als hätte jemand eine Erwachsenenschaufel voller Sand in das Kinderbett gekippt! Hallo?! Es gab ein Riesengezeter, aber ich habe nicht herausgefunden, mit wie vielen Sandeimerchen das Kind sich an mir vorbeilaviert hat auf dem Weg nach oben, um das anzurichten, aber er machte deutlich, er bräuchte diesen Sand! Das sei nämlich Schlafsand!

Und nun weiß ich eigentlich auch, warum wir zwei seit ein paar Wochen wieder zwischen fünf und sechs aufstehen müssen. Einmal sogar zwischen vier und fünf. Das wird die Rache sein, weil ich den Schlafsand weggesaugt habe…

Wir haben nur noch selten Kommunikationsprobleme. Viele „seiner“ Worte haben wir in den allgemein gebräuchlichen Sprachgebrauch übernommen: Götterzug, Mutterboot und die Abschleppkammer selbstverständlich. Neulich aber: „Mama, ich wünsche mir zum Geburtstag Sacknaschuhe.“, „Was wünschst du dir?“, „Sacknaschuhe!“. „Ich weiß nicht, was das ist.“, „SACKNASCHUHE!“, „ICH WEIß NICHT, WAS SACKNASCHUHE SIND!“, „NA, SACKNAAAAASCHUUUUHE!“. Saugnapfschuhe. Da hätte ich wirklich alleine drauf kommen können.

Zumindest ging es diesmal schneller mit der Überwindung der Begriffsstutzigkeit. Ich habe aus der „Middelbonnie“ gelernt. Ihr erinnert euch? Das Kind verlangte, zur Middelbonnie gebracht zu werden. Tagelang. Am Ende weinte das arme Würmchen, weil ihn niemand verstehen wollte. Nach geduldigem Nachfragen (Was ist es? Wie sieht es aus? Was kann man dort machen? Wer ist dort?) erfuhren wir, es handelt sich um die Mülldeponie. Die Mülldeponie! Middelbonnie, na klar, das Kind spricht Spezial-Sächsisch.

Hoffentlich wird er für immer so niedlich und knopfäugig und neugierig bleiben und ich weiß, das wünsche ich mir umsonst. Nicht mehr lange, und er wird „ALLDER!“, sagen und „VOLL KRASS!“, und alles besser wissen wollen und mit den Augen rollen. Und ich hasse es jetzt schon. Ich frage mich, wann diese Metamorphose eintritt (Mit der Schule vielleicht?) und warum?! Ist es der „schlechte“ Einfluss von Justin und Elias? Wollen deren Mütter nicht auch, dass die süß und niedlich bleiben? Denken die, das sei unser schlechter Einfluss? Warum muss alles wachsen und sich verändern? Warum kann es nicht mal so bleiben, wie es ist? Ich zum Beispiel, ich hätte doch auch für immer dreißig bleiben können! Oder?!

In jedem Fall ist es ne Supersache, sich immer zwischendurch mal vor Augen zu führen, warum es genau JETZT so bleiben sollte, wie es ist. Es gibt immer und überall etwas, das echt jetzt mal für immer so bleiben könnte. Immer. Überall.

Wenn man genau hinguckt. ❤

 

 

 

 

 

 

Die zweiten zwölf Jahre

Ach, ich wäre manchmal gern die Mutter von Dieter.

Ihr erinnert euch?

„… Guck dir den Dieter an, der hat sogar ein Auto!“

Dieter ist sparsam und haut nicht gefühlt zweihundert Euro in zwei Wochen auf den Kopp – für Döner! Dieter weiß mit Sicherheit, dass im Dezember Weihnachten ist und seine Eltern auch irgendwann Geburtstag haben und es gesellschaftlich verbrieft ist, dass man (meint: auch Jugendliche mit Zugang zu Taschengeld, für dessen freizügige Überlassung die armen gebeutelten Eltern im Steinbruch schuften; oder in irgendwelchen IT-Buden) da ein Präsent überreicht. Eine einzelne Rose von mir aus für drei Euro, irgendwas! Aber das Geld ist ja immer alle. Außer bei Dieter.

„Junge!“

Was haben wir gelacht, wir alle, als die Ärzte 2007 diesen Song raus brachten. Was für ein Spaß! 2007 war ich Einkindmutter und das süße Frätzelchen wurde gerade eingeschult. Meine eigene Pubertät lag noch nicht so lange zurück, als dass ich mich erinnerte, dass meine Eltern einfach doof waren. Mit meinem Vater hatte ich überhaupt keine Gesprächsbasis und meine Mutter flehte mich nur immer an, ich möge doch bitte nicht so verlottert in der Gegend rumlaufen! Die Nachbarn! Das Gerede!

„… Und wie du wieder aussiehst, Löcher in der Hose, und ständig dieser Lärm (Was sollen die Nachbarn sagen?). Und dann noch deine Haare, da fehlen mir die Worte! Musst du die denn färben?“

Und so zog ich abends los mit einem Beutel. Irgendwo um die Ecke vom Neubaublock meiner elterlichen Behausung versteckte ich mich in einem Keller und zog mich um: schwarze sackartige Klamotten, aus gefärbtem Bettleinen selbstgenäht, dicker schwarzer Kajal um Augen und Mund und dann die Kernseife. Kurz anspucken und die Hände dick einseifen. Mit diesen Händen wurde dann das halblange Haar nach oben toupiert. So verkleidet ging ich dann los.

„… Nie kommst du nach Hause, wir wissen nicht mehr weiter… Junge, brich deiner Mutter nicht das Herz.“

Und nun bin ich in der gleichen Rolle wie meine Mutter vor dreißig Jahren und mache mir dieselben Sorgen! Angst vor Drogen und frühen Schwangerschaften. Angst vor Gewalterfahrung, Zukunftsängste.

„… Wo soll das alles enden? Wir machen uns doch Sorgen… Und du warst so ein süßes Kind, und du warst so ein süßes Kind. Du warst so süß…“

Ich glaube, Kontrollverlust ist das Thema, das diese Zeit aus der Gefühlswelt von uns Eltern am ehesten zusammenfasst. Über all den Gefühlen, die uns befallen, wie ein Regenschirm spannt. Die Kinder nabeln sich manchmal grausam plötzlich und rigoros ab und oft sind ihre Versuche, sich allein in der Welt zurechtzufinden für uns Alten entsetzlich naiv, gefährlich, dumm und überhaupt nicht erwachsen.
Und dann stehst du irgendwann da und sagst diesen Satz, diesen furchtbar bescheuerten Satz, den schon Generationen von Eltern vor dir sagten:

„Was haben wir nur falsch gemacht?!“

Und die Antwort ist ganz simple: Gar nichts! Das Kind hat Pubertät und da musst du nun durch. Das habt ihr alle, als Familie quasi. Und was nun? Wer tröstet dich, wer nimmt dir die Angst, die Ängste? Bücher vielleicht? Ja, das kannst du probieren. Ich habe die alle in die Ecke gepfeffert, gebe ich zu. Ich habe mich niemals verstanden, gestützt und unterstützt gefühlt nach dem Lesen eines Ratgeberbuches! Denn noch immer bin ich der Meinung: Ratschläge sind auch Schläge, ganz besonders in Erziehungsfragen und diese Bücher benutze ich allenfalls zum Stabilisieren eines kippelnden Tisches. So. Wobei ich die Autoren in Schutz nehmen muss, sie sind diesbezüglich natürlich in der ihnen vorgedachten Rolle! Ein Experte schreibt entsprechend seiner Expertise ein Buch, das in verständlichen Worten wiedergibt, woran er jahrelang geforscht und evaluiert hat und was die Grundpfeiler seiner Expertenschaft ausmacht. Nur: Mir half in der Vergangenheit nichts von alledem. Mein Sohn passte in keines der skizzierten Schemen und nirgendwo in den schlauen Büchern fand ich Trost und Hilfe.

Also habe ich mich gefragt: Was könnte denn trösten? Was könnte wirklich helfen? Nun, mich tröstet es zu wissen, ich bin nicht allein! Die Gewissheit, dass nichts, von dem, was ich an Problemen durchmache, exklusiv ist und „noch niemals dagewesen“, das tröstet mich. Mich tröstet die Ehrlichkeit einer anderen Mutter, die sich offenbart, dass sie mit (den gleichen oder ganz anderen) Problemen rund um die Pubertät an ihre Grenzen gelangt. Und Schreiben hilft mir. Das ist (für mich zumindest) eine gute Möglichkeit, sich mit Dingen zu beschäftigen und gleichzeitig Abstand zu bekommen. Wenn die Sätze geordnet über die Tastatur gegangen sind, ist vieles danach auch am Entstehungsort der Sorgen sortiert.

Blogger schreiben Blogs. Elternblogger schreiben über ihre Kinder, über ihr Leben als Eltern.

Ist euch mal aufgefallen, dass in epischer Breite alle Gefühle, Begebenheiten und das Drum und Dran der ersten – sagen wir mal – zehn Jahre der Kinder beschrieben wird?! Schwangerschaft, Geburt, Stillzeit, Kindergartenzeit, Schuleinführung. Dann werden die Berichter schmaler, die Fotos seltener. Gibt es etwas nichts mehr zu berichten von den Kindern? Läuft alles wie am sprichwörtlichen Schnürchen?

Mitnichten!

Die Stille, in die sich „die zweiten zwölf Jahre“ hüllen ist allerdings mehr als verständlich. Denn – spätestens dann – wird uns klar, das Kind hat eine eigene Persönlichkeit, die es vor öffentlichem Zugriff oder Anteilhabe zu schützen gilt (eigentlich auch schon von Geburt an, aber das klammern wir ja gern aus. Auch ich). Die Kinder haben ab einem gewissen Alter oft auch eine eigene Netzpräsenz in diesem Internet und wollen verständlicherweise nichts über sich lesen! Schon gar nicht Problematisches!

Okay, auf der einen Seite gibt es also Eltern, die verunsichert oder wütend sind und ihre Kinder nicht mehr verstehen und auf der anderen Seite Bücher von Experten, geschrieben für die große Allgemeinheit. Und dazwischen gibt es nichts. Außer Selbsthilfeforen vielleicht noch.

Wie wäre es, wenn es einen Beichtblog gäbe, einen Mitmachblog, eine Plattform, wo jeder Mensch, der sich von dem Thema angesprochen fühlt, anonym mit anonymisierten Kindernamen seine Geschichte erzählen kann. Ob Blogger oder Leser, Mutter oder Vater, Pflegevater oder Stiefmutter, ganz egal. Zwei Effekte verspreche ich mir: Zum Einen ist es durchaus denkbar, dass durch das „Aufschreiben“ für den- oder diejenige schon ein wenig der Druck „des Problems“ abfällt. Durch ermutigende Kommentare der Leser(innen) könnte eine Gemeinschaftsgefühl entstehen und möglicherweise gibt es aus den Kommentaren auch praktische Hinweise aus ähnlich erlebten Situationen. Menschen, die „nur“ lesen sollen sich verstanden fühlen in ihrer Unsicherheit in diesen Zeiten.

Das ist der Gedanke dahinter. Ob es klappt? Wir werden sehen. Wir werden sehen, ob es Eltern gibt, die von sich erzählen wollen. Ich werde (auch mit Pseudonym) etwas über unsere Probleme schreiben, aber hauptsächlich biete ich einfach nur die Plattform. Dieser neue Blog ist nicht „mein Blog“!

Ich suchte schon vor vielen Jahren nach einer Möglichkeit, mich zu Pubertätsproblemen auszutauschen. Mein ältester Sohn ist achtzehn, die Kinder der meisten Elternblogger deutlich jünger. Natürlich war ich aus diesem Grund an diesem Thema näher dran! Oder eher als andere Eltern nah dran! Denn dass wir alle irgendwann an diesem Punkt stehen und nicht mehr wissen, wie wir mit bestimmten Situationen umgehen sollen, ist sonnenklar und vorbestimmt. Von der ersten Geburtswehe an!

Ich sprach schon vor vielen Jahren mit Anna über die Möglichkeiten, das in einem Blog abzubilden. Vor kurzem dann stieß Susanne dann das Thema mit einem Blogbeitrag und einer Diskussion bei Facebook an. Nina und Séverine bekräftigten, dass diese Idee zumindest mal versucht werden sollte, und here we go.

Wir versuchen das einfach mal.

Schlaflos 2.0

Ich habe vor vielen Jahren einen Text gehört (ich meine, das war Ingo Appelt, aber Google lässt mich diesbezüglich im Stich), da konstatierte jemand- Ingo? – die Frage sei ja nicht, Kinder ja oder nein, sondern ob du ausschlafen willst oder eben nicht. Denn erst könntest du nicht ausschlafen, weil die Kinder alle furzelang irgendwas bräuchten in der Nacht. Futter, Trost, man kennt es ja. Dann könntest du nicht ausschlafen, weil du mitten in der Nacht die Handaufzuchten in irgendwelche Institutionen fahren müsstest, oder wieder abholen. Nach dieser Phase könntest du auch nicht mehr schlafen, weil du panisch wartest, dass die Kinder nachts heil nach Hause kommen und danach dann kannst du auch nicht schlafen, weil morgens der Zivi kommt um dich zu waschen…

Gut, das ist wohl wirklich ne Weile her, an dem „Zivi“ merke ich es selber.

Wie ich jetzt darauf komme? Ach, nur so.

Protokoll einer schlaflosen Nacht

22:30 Uhr – Ich schaffe meinen geriatrischen Körper in Richtung Schlafstätte, der Mann hält Wache über die reduzierte Herde, der Bubi weilt nämlich noch bei seiner Freundin am anderen Ende der Stadt. Wird aber regulär um 23:00 Uhr erwartet.

23:15 Uhr – mein Handy piept, der Mann teilt mir aus dem anderen Zimmer mit, dass die Ankunft des Sohnes sich noch verzögern wird. Ich rufe den Sohn auf seinem Handy an und schnauze in das kleine Kommunikationsgerät, dass er seinen knochigen Hintern nach Hause zu schaffen habe, denn den Tag darauf sei Schule und Klassenarbeit und überhaupt! Dann lege ich auf und bin wütend. Und wach.

1:15 Uhr – Der Mann kommt wutschnaubend ins trauliche Schlafgemach, teilt mir mit, der verlotterte Sohn sei noch immer nicht zu Hause, er aber bräuchte jetzt seinen Schlaf! Mit diesen Worten schmeißt er sich auf seine Seite der Bumshöhle und schnarcht sogleich drauflos. Ich bin jetzt noch wacher.

1:30 Uhr – Ich sitze nun im Wohnzimmer mit Blick auf die Haustüre und warte. Schreibe SMS, WhatsApp-Nachrichten an den verlustig gegangenen Sohn. Inhalt: „Wo bist du? Wann bist du da?“. Keine Rückmeldung. Ich rufe an. „Anruf fehlgeschlagen“, meldet mein Telefon.

2:30 Uhr – Ich tippe weitere Textnachrichten. Inhalt: „Drückst du mich etwa weg? Wieso kann ich dich nicht anrufen?! Was ist los bei dir? Melde dich!“. Ich nehme mein Diensthandy aus der Tasche und versuche ihn damit anzurufen. Okay, es klingelt wenigstens. Nein, er geht nicht ran. Verdammt! Oh Gott, der wurde bestimmt überfallen und liegt verkloppt im Gebüsch neben dem Albertplatz… soll ich ins Auto steigen und den suchen?!

3:00 Uhr – Ich stehe im Bademantel auf der Terrasse und rauche. Ich habe vor vierzehn Monaten aufgehört mit Rauchen.

3:15 Uhr – Ich denke an meine Mutter. Sehe sie im altmodischen Morgenmantel am Schlafzimmerfenster hocken und auf mich warten. Damals, als ich jedes Wochenende auf den Dörfern rund um Dresden zur Disco war und niemals nie die letzte Bahn kriegte und stets und jedes Wochenende wieder mit einem Dutzend anderer Dresdner Jugendlichen bis zu zwanzig Kilometer zu Fuß ging. Von Medingen, Großdittmannsdorf und Lockwitz aus nach Dresden, das dauerte. Und Handies waren noch nicht erfunden. Meine Mutter konnte nie schlafen, bis ich daheim war und hockte übermüdet jede verdammte Disconacht am Schlafzimmerfenster, während mein Vater schnarchte. Bis sie mich den kleinen Weg von der Gartenheimsiedlung anschlurfen sah… ach Mutsch, es tut mir so leid. Ich büße, glaube es mir!

3:45 Uhr – Ich überlege, ob es möglich ist, dass er noch bei seiner Freundin ist. Hm. Zumindest erscheint es mir logisch, dort mal anzurufen, bei den Eltern. Die Nummer fummle ich mit kriminalistischem Spürsinn aus irgendwelchen Kontaktlisten, die der Klassenlehrer vor Jahren mal versendet hat. Es nimmt keiner ab! Wieso gehen die nicht an das Scheißtelefon!

4:00 Uhr – Ich texte von zwei Handies aus. Inhalt: „Wenn du dich nicht sofort bei mir meldest, rufe ich die Polizei und lasse dich suchen!“. Drei Minuten später: „ICH RUFE JETZT DIE POLIZEI UND LASSE DICH SUCHEN!“.

4:15 Uhr – Ich renne kopflos durchs Haus um zu überlegen, was ich wie der Polizei mitteilen werde, wenn ich dort gleich anrufe. Da ich am besten nachdenken kann, wenn ich bügele, gehe ich in den Keller in Richtung Waschhaus und… nanu. Dort stehen die Turnschuhe des Sohnes, gleich neben seiner Jacke, die auf dem Fußboden rumlümmelt.

4: 18 Uhr – Ich reiße die Zimmertür des Vermissten auf und wecke ihn mit den fröhlichen Worten: „SAGEMALSPINNSTDUVÖLLIGWOWARSTDUWOBISTDUWASMACHSTDUIMBETTICHWARTESEITSTUNDENAUFDICH!“, um zu erfahren, das Jüngelchen wollte der Standpauke des Bärtigen entgehen und ist zur Kellertüre reingeschlichen, so gegen halb eins. Und ja, es gehe ihm gut. Ob er jetzt wohl schlafen dürfe, morgen sei Schule und Klassenarbeit und überhaupt! Sein Handy mit vierzehn Anrufen in Abwesenheit liegt derweil lautlos geschaltet auf seinem Schreibtisch.

4: 30 Uhr – Ich lege mich in mein kaltes Bett, erschöpft und müde.

4: 45 Uhr – Ich schnappe mir Kopfkissen und Decke und verziehe mich auf die Couch im Büro, weil der Mann schnarcht, dass in mir die Ohropax vibrieren.

5:30 Uhr – Das Kleinkind weckt mich mit den Worten: „Mama, aufstehen! Ich bin schon wach! War der Likonaus da?“.

 

 

 

 

Spielen mit Kindern

Ich war immer ein zartes Mädchen, das sich nicht schmutzig machen wollte, Röcke liebte und Verkleiden, mit Puppen spielte, bastelte, nicht pullern konnte, wenn jemand zusah und später niemals auf die Idee gekommen wäre, freiwillig irgendwohin zu reisen, wo man sich nicht mit fließendem Wasser und Seife hätte reinigen können. In meiner Prägungsphase hörte ich Slogans wie: „FRIEDEN! SCHAFFEN! OHNE! WAFFEN!“, oder: „MAKE! LOVE! NOT! WAR!“. Ich schleppte jedes angeditschte oder verwundete Tier, das ich fand, nach Hause um es zukünftig zu bemuttern. Zusammenfassend kann man über mich sagen: Sie ist reinlich und pazifistisch (Und noch ein wenig mehr, was aber für den Kontext dieser Geschichte keine Geige spielt).

Der Bärtige war anders. Der verbrachte seine Kindheit in der Arbeitsgemeinschaft „Wandern und Touristik“, hockte jedes Wochenende im Wald oder im Dreck und lernte, Feuer zu machen mit zwei Tannzapfen und wie man einen lebenden Bären ausweidet (das allerdings ist zugegebenermaßen meiner Fantasie entsprungen). Faktisch überliefert ist allerdings, dass er als angehender Wissenschaftler bereits im Kindesalter Experimente mit lebenden (zumindest am Anfang) Fröschen und Mäusen in der mütterlichen Küche durchführte und dazu völlig selbstverständlich auch die mütterlichen Tupperschüsseln, den Gefrierschrank und die Mikrowelle verwendete. Weiterhin ist belegt, dass er – angetan von dem Film „Fightclub“ – später zumindest kurz eine Karriere als Kneipenschläger in Erwägung zog.

Wir paarten uns, getreu dem Motto: „Gegensätze ziehn sich an“, und zwei Kindlein wurden uns geboren.

Rückblende. Wir schreiben das Jahr 2005 und das Erstlingswerk ist fünf Jahre alt. In seinem Spielzimmer befinden sich handgenähte Puppen mit Zubehör, Autos, Bauklötze, ein Strickliesel, Stifte und Bälle. Ich versuche ihn auch erfolglos an das von mir so favorisierte Konzept „Puppenhaus“ heranzuführen. Trotz all der behüteten Atmosphäre sammelt das Kind bei jedem Ausflug in die Natur Stöcke und Steine und fängt sofort an, damit zu schießen („PENG! PENG!“) oder imaginäre Endgegner zu lynchen.

Wenn wir dann heimgingen, verlangte ich stets, dass alle Stöcke, Steine und so weiter vor der Haustür abgelegt werden müssten, denn ich „Wöllte keine Waffen in meinem Haus!“. Selbstverständlich war ich der felsenfesten Überzeugung, dass ebenso jegliche Arten von Ballerspielen mit gewaltverherrlichendem Inhalt von meinem friedfertigen und liebevollem und jedem Wesen auf der Erde in Achtung zugewandtem Sein (und vor allem meinen Kindern) fernzuhalten sind.

Zeitsprung. Wir schreiben das Jahr 2018 und der Zweitgeborene ist fünf Jahre alt. Gestern dann hier so:

„Mama, spielst du mit mir mit meiner Pirateninsel?“. „Klar. Gerne!“. „Ich bin dieser Räuber hier und du kannst den Mann haben.“. „Okay, ich komme mit meinem Boot hier an… „. „… Und dann komme ich und schieße dich! Peng, peng!“. „Äh, warum? Okay, dann spiele ich jetzt eben mit diesem Männel…“. „Ich bin der Schießpistolenmann und du wirst jetzt geschossen!“. „Wieso werde ich denn immer erschossen? Das ist doch kein lustiges Spiel!“. „Weil das so ist, Mama. Und jetzt stellst du dich hier hin und ich knall mit der Kanone auf dich!“. „Gut, dann bin ich hier der gefährliche feuerspeiende Drache und du darfst mich abknallen, weil du die Insel beschützen musst vor mir. Aber nur ein mal! Aua! Du tust mir weh!“.

„PENNG! PENG! PENG!“, „So, jetzt möchte ich das nicht mehr spielen. Das macht mir keinen Spaß! Ich bin jetzt hier dieser Mann und ich grille jetzt ein Pferd hier und decke den Tisch für uns und dann können wir essen und laden noch alle anderen Playmobil-Figuren ein…“, „Und dann kommt der Pistolenschiessmann und du wirst geschossen! Peng! Peng!“.

Wir haben dann den Rest des Nachmittags mit der Nerf seines Bruders rumgeballert (ich durfte die Munition einsammeln), während die anderen Kinder – pardon – der Mann und der Großsohn an den Waffen saßen und Fall out und Borderlands spielten…

 

Epilog:

Deshalb sieht man auf Instagram von mir dauernd Fotos aus der Küche. Ich verstecke mich beim Kochen und Backen, wenn die Alternative „Spielen mit den Kindern“ bedeutet. Und ich würde mich sehr freuen, wenn ich mal zum Puppenhausspielen oder Puppenküche bespielen irgendwo anders eingeladen würde. Ich bringe auch gern aus Knete selbst gebackenes Obst mit. Und nein, ich weiß auch nicht, was ich hier falsch gemacht habe… Und nur fürs Protokoll: Zum Heer geht keiner von meinen Zöglingen! Notfalls lege ich mich nacksch als Kanonenfutter auf´s Feld.

Peace!

Kurzmitteilung

Kurzmitteilung

Heute morgen im Marsch-Marsch-wir-haben-keine-Zeit-zieh-dir-doch-endlich-die-Schuhe-an-Flow, stand das Blondchen plötzlich mit einem Weißbrot im Flur und verkündete: „Mama, ich kann nicht ohne das Brot gehen! Ich BRAUCHE dieses Brot!“. Dabei hielt er den Laib wie eine Babypuppe beschützend in den kurzen Ärmchen.

Mir gingen kurz die Anweisungen im Kopf rum, die der erziehungsverpflichtete Mann gern zum Besten gibt (Man isst nicht im Auto/ Essen ist kein Spielzeug etc.). Dann stellte ich fest, ein „man“ oder Mann war gar nicht in der Nähe und so zogen wir drei los: Das holde Kind mit Brot im Arm und ich.

Während der Autofahrt sah ich, dass das Kleinste die ganze Zeit das Weißbrot streichelte und ihm Dinge erzählte, manchmal knusperte er auch daran herum (Oh Gott, die Krümel! Wenn das der Kerl sieht!). Und er berichtete: „Weißt du, Mama, das fasst sich so schön an, das Brot. Und riecht auch köstlich! Ich nehme das Brot jetzt überall mit hin!“.

Später fand ich die Reste des Brotes auf dem Kindersitz, als ich die mütterliche Arbeitsstätte ansteuerte und kurz überlegte ich, das Brot einfach mitzunehmen. Dann hätte ich durch die Büros gehen können und fragen: „Willste mal anfassen? Oder dran riechen?“. Ich finde, jedermensch sollte Zugang zu einem Streichelbrot haben.

(Zählt die Stunden, bis sie wieder das Gesicht in den Haaren des Kindes vergraben kann. Ansonsten weitestgehend stabil.)

 

 

 

Wutprobe reloaded

Um es vorwegzunehmen: Jack Nicholson bin in diesem Szenario nicht ich – obwohl es Menschen in meinem Umfeld gibt, denen diese Besetzung durchaus logisch erscheinen mag, weil ich, sagen wir mal, „emotional maximal flexibel“ aufgestellt bin – nein, es geht um das Kleinste.

Aber zuerst muss ich ausholen (der geneigte Leser weiß es bereits, ich kann einfach nicht anders).

Der Blondino ist jetzt fünf Jahre und sechs Wochen alt und am liebsten möchte ich noch die Tage ausrechnen und hinter jeden ein rotes Herzchen setzen, ich bin immer noch total verknallt. Hach, dieses Kind ist der süßeste Schatz auf der ganzen Welt. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie süß der ist.

Wenn er mich morgens mit „Mamaaaamamaaamamaaaa!“-Rufen weckt und ich schlaftaumelnd in das dunkler Kinderzimmer tappe, umfängt mich sein unvergleichlicher Kinderduft (ein Duft-Konglomerat aus Milchreis und verschwitztem Kinderkopf) und ich mich im Dunkeln zu ihm in seine Astronautenbettwäsche kuschle, dann entfleucht ein glücklicher Seufzer meinem müden Muttikörper.

Das ist vielleicht der schönste Moment am Tag überhaupt. Dieser Geruch, dieser kleine Körper, dieses Händchenhalten im Dunkeln, Herz an Herz. Mit mir werden im Morgengrauen Geheimnisse ausgetauscht. Von Wespen hat er geträumt, aber er habe sich unter der Decke versteckt und gar keine Angst gehabt! Und weißt du, Mama, dich habe ich am allerliebsten. Und zum Geburtstag wünsche er sich einen Rasenmäherkrantraktor, der fliegen kann, aber in echt jetzt! Und wie oft noch schlafen bis Weihnachten? Und bis Mickylaus?

Gegen überhaupt gar nichts auf der Welt würde ich diese Minuten eintauschen!

Und dann gibt es Minuten, die würde ich sofort tauschen.

Das Kind zündet nämlich innerhalb von Sekunden. Soeben noch klein und süß und knopfäugig, knallt dem während eines winzigen ahnungslosen Augenblicks die Sicherung durch und das Jekyll-Hide-Baby mutiert zum brüllenden Gremlin! Inklusive Tourrette, Beißen, Spucken, in der Gegend rumfetzen, Zeug rumschmeißen, Zerstörungswut.

Auslöser sind so dramatische Situationen wie: Ich habe Butter auf seinen Toast geschmiert („ICH HASSE BUTTER! DAS IST SOOOO EKLIG JETZT!“). Ich habe Reibekäse auf seine Nudeln gestreuselt („ICH HASSE REIBEKÄSE!“). Ich habe keinen Reibekäse im Hause („ABER ICH WILL REIBEKÄSE! ICH LIIIIEBE REIBEKÄSE!“). Ich habe das Auto geöffnet („ICH MACH IMMER DAS AUTO AUF!“). Die falschen Schuhe, falschen Socken, ich finde den bestimmten Film nicht in der Playlist („ICH WILL ABER DAS MIT DEN LUSTIGEN AUTOS GUCKEN VON TOM UND SCHERRI! NEIN, NICHT DAS! DU MACHST ALLES FALSCH!“).

Ich mache nämlich alles falsch. Ehrlich gesagt, denke ich, im Moment kann ich gar nichts richtig machen und wäre er nicht fünf, sondern fünfunddreißig, würde ich ihm sagen, er solle mal klar kommen gefälligst! Und dass ja wohl offensichtlich sei, dass nicht ich das Problem bin, sondern er. Aber das kommt ja nun mal nicht infrage. Leider.

Praxisbeispiel gefällig?

Am vergangenen Freitagnachmittag gehe ich mit dem zum Drogeriemarkt. Nachmittags. Nach einem Kindergartentag voller Trubel und während außer uns noch fünfzig andere Menschen in diesem Markt sind. Ich müsste es mittlerweile besser wissen, aber offensichtlich habe ich die Lernkurve eines Einzellers und das Nachfolgende einfach verdient. Während ich das Kind noch während des Einkaufsprozesses relativ erfolgreich durch die Gänge navigiere, grätscht er mir aus, als ich den Kassenbereich ansteuere. Er wöllte jetzt aber Wasser trinken gehen! Er hätte ganz schlimm Durst! Jetzt! Ich sage ihm, gut, er solle zum Wasserspender gehen, ich würde mich anstellen einstweilen und er möge doch dann bitte zu mir zur Kasse kommen (ganz ganz schlimmer Anfängerfehler, als würde ich dieses Kind nicht kennen). Denn: Das Kind kommt nicht. Ich bin mittlerweile dran mit Bezahlen und falle unangenehm auf, weil ich schon mehrmals den Namen des Kindes durch den Markt gerufen habe. Er kommt nicht, ich sehe nur ein Stück seiner Jacke und entweder ist er spontan ertaubt oder vollkommen unbeeindruckt von meinen Rufen. Er kommt nämlich immer noch nicht. Natürlich!

Ich stehe jetzt dämlich mit unserem Klopapier und Waschmittel am Eingang rum. Alleine.

Ich sage der Kassiererin, ich müsste jetzt leider noch mal rein, ob ich die Einkäufe bitte hier…?!

Und da steht das holde Kind am Wasserspender und spielt Klavier. Ihr kennt diese Wasserspender? Zwei Tasten? Er also steht in einer Riesenpfütze, weil der Überlauf schon längst übergelaufen ist, und tippt rhythmisch die weiße und blaue Taste an. Weiß-blau-weiß-blau-weiß-blau. Ohne einen Pappbecher drunter zu halten. Weiß-blau-weiß-blau-weiß-blau. Der Wasserpender ist fast alle.

Erschrocken rufe ich: „Stopp! Hör sofort auf damit!“, und weiter kurze, unmissverständliche Sätze, hebe ihn von dem Wasserspender weg um die Pfütze irgendwie aufzuwischen, da schmeißt er sich längs mit Gebrüll. Ich sei voll gemein, eine plöte Scheißmama, das alles hier sei eine plöte Scheiße und die Leute sind alle Scheißleute und viele Tierlaute zur ausdrücklichen Untermalung. Er hört auch nicht auf, als ich ihn aufhebe und die achtzehn strampelnden Kilos zum Ausgang wuchte. Er versucht mich zu boxen, beißen, spuckt und brüllt. Er gibt was er kann!

Ich habe einen Tunnelblick und klemme mir irgendwie noch die Einkäufe unter den anderen Arm und fliehe. Keine Ahnung, wie ich das Auto aufgemacht habe, denn loslassen kann ich das Gremlin-Kind nicht. Wenn der so einen Film schiebt, geht der flitzen! Das kenne ich schon. Der rennt einfach weg. Also richtig weg.

Als ich dann im Auto saß und den Wüterich angeschnallt hatte, dann fühlte ich mich müde. Verletzt. Beschämt. So ist das immer in solchen Situationen. Was die Leute jetzt denken! Warum verdammt rastet der so?! Was mache ich nur falsch? Warum?! Ich bin so erschöpft von seiner Wut. Das Kind tobte noch eine Weile in seinem Pilotensitz auf der Rückbank, spuckte auf den Boden das Autos und sah dann ebenfalls sehr erschöpft aus…

Ist es vorbei?, frage ich dann stets und wenn das Jekyll-Hide-Kind nickt, dann gehe ich zu ihm, nicht vorwurfsvoll, sondern irgendwie nett. Ich streichle ihm den Kopf, versuche zu fragen, was denn los gewesen sei. Er kann es mir niemals erklären. Er weiß es doch selber nicht… Ich sage ihm, das mir das Herz ganz doll weh tut, wenn er mich beißt und boxt und anschreit, er guckt müde. Wir halten uns und oft entschuldigt er sich, er wöllte nicht, dass mir das Herz weh tut. Ich weiß das doch… Wir versuchen, kindgerechte Strategien zu entwickeln, die niemals funktionieren, weil das Kind von seiner Wut überrollt wird.

Wir haben Kinderbücher über Wut angeguckt, wir haben geredet. Immer wieder. Es sind ja nicht nur die oben beschriebenen Situationen. Fremde Menschen wird schon mal auf ein freundliches „Hallo!“, mit: „HAU AB!“, und, auch schon vorgekommen: „HAU AB DU PLÖTE SCHEIßE!“, entgegnet. Unbekannte Umgebung, viele Menschen, das irritiert das Kind ganz offensichtlich derart, dass er seinen Gefühlen eben nicht auf sozial angepasster Art und Weise Ausdruck verleihen kann.

Irgendwie kommt mir das sehr bekannt vor von dem großen Kind. Aber ich verweigere mich irgendwelchen frühen Diagnosen, und ich möchte euch von Herzen bitten, in den Kommentaren zu diesem Beitrag auch von Ferndiagnosen und guten Tipps zur Aufzucht Abstand zu halten. Denn, Ratschläge sind in diesem Fall wirklich oft Schläge. Gerade in der Beziehung zwischen Mutter und Kind macht – zumindest in meinem Empfinden – nichts so hilflos und vielleicht auch wütend wie ein anderer Erwachsener, der meint, er wüsste besser, wie mit deinem Kind umzugehen sei.

Nein, ich schreibe das auf, weil es eben Kinder gibt, bei denen diese Wutphase später als in irgendwelchen Aufzuchtbüchern beschrieben einsetzt. Oder länger anhält! Mein Sohn kann nicht lesen, er weiß nicht, dass dieses Verhalten Zweijährigen zugeordnet wird im Kinderwachstumsundentwicklungskatalog. Er braucht eben länger, um sich sicher genug in ungewohnten Situationen zu fühlen, dass er nicht „unpassend“ auf fremde Menschen reagiert. Und auf Stresssituationen. Der Drogeriemarkt ist eine Stresssituation gewesen und das Wasserspender-Situations-Ding eine Kompensationshandlung. Da bin ich mir im Nachgang sicher.

Und diese Sicherheit kommt bestimmt aus dem Erleben mit dem Großsohn, der sich niemals angepasst und vorhersehbar verhalten hat und so ein toller junger Mann geworden ist mit angenehmen Umgangsformen, verständnisvoll und empathisch. Also nach geltender gesellschaftlicher Norm mehr als akzeptabel. Nicht, dass das „Erziehungsziel“ gewesen sei! Nein, gerade bei diesem Jungen stießen wir Eltern sehr deutlich an die Grenzen der „Erziehung“ im herkömmlichen Sinne. Und mussten uns einlassen auf seine Sicht auf die Welt, mussten lernen, ihn zu verstehen um ihn leiten und anleiten zu können. Dieser große Junge hat mir dadurch sehr viel beigebracht.

Und nun der andere Sohn.

Ich glaube, ich muss den Umgang mit diesen Stresssituationen lernen, genau wie das Kind. Und Verständnis zeigen, trotzdem Grenzen aufzeigen, aushalten und Händchen halten. Den wütenden Kinderkopf trösten und beruhigen. Und nicht auf die Kopf schüttelnden Menschen schauen, die der Meinung sind, bei ihnen früher hätte es das nicht gegeben! Stimmt das? Nein, früher gab es Besserungsanstalten und Jugendwerkhöfe für unangepasste Kinder und Jugendliche. Früher wurde „aufmüpfigen“ Kindern mit Gewalt „Benehmen eingebläut“. Das hat bestimmt super funktioniert.

Nein, früher war nicht alles besser.

Und jetzt versucht das Kind hier mitzutippen, deshalb ist der Beitrag nun zu Ende! Und bestimmt gibt es Menschen die sich denken, ich müsste dem Jungen deutlich sagen, dass dieser Laptop gefälligst mein Tanzbereich sei und er die Finger davon zu lassen hat! Ich aber denke mir, Scheiße, ich lebe noch fünzig Jahre und habe so verdammt viel Zeit in irgendwelche Tasten zu hauen, wenn der groß ist. Nun aber ist er klein und will mit mir zusammen sein. Mit mir spielen, mit mir reden, mit mir wachsen. Das ist der schönste Teil meines Lebens, ich bin mir sicher.

Fümf

„Ich weiß nämlich schon, wie Sechs geht!“, informiert der holde Blondschopf seit vier Wochen alle Leute, und hat mit dieser Ankündigung sofort die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Erwachsenen. „So!“.

Denn nach dem Geburtstag ist schließlich vor dem Geburtstag!

Am Nationalfeiertag ist er einundsechzig Monate bei uns, das Süßilein. Fünf Jahre, die rasanter kaum vergehen konnten.

Und Leute, ganz ehrlich, ich bin so froh, dass ich mit dem Bloggen angefangen habe, als der bei uns einzog. So kann ich immer mal nachlesen, wie das so war, als der noch ein brabbelnder „Rumlieger“ war. Und nun, wenn ich in meinen eigenen alten Gedanken stöbere (oft mit Seufzern verbunden), erfüllt sich der Sinn dieses Blöggels. Tatsächlich war das der Ursprungsgedanke, dass ich irgendwie die vierte Dimension erreiche, neben Fotos und Videos auch Gefühle konservieren kann, die mit der jeweiligen Zeitspanne verbunden sind. Dieser Blog ist eine digitale Liebeserklärung an meine Kinder und bevor es noch schnulziger wird, als es jetzt schon ist, komme ich mal zur Sachebene zurück.

Der fünfte Geburtstag nämlich.

„Mama, wie lange noch schlafen, bis ich fümf bin?“, „Mit Mittagschlaf oder nur Nachtschlaf?“, waren die letzten Monate die Fragen, von denen mir täglich die Ohren bluteten.

Dann war es soweit.

Da saßen wir dann an diesem Geburtstagsmorgen zusammen auf der Couch und das Kind sah mich mit diesem besonderen Blick an und sprach: „Jetzt bin ich fümf. Und ich werde niiiiie wieder vier sein!“. Ich antwortete: „Ich weiß, mein Schatz. Und ich nie wieder dreißig.“, und dann haben wir zwei Philosophen schweigend Kaffee bzw. Kakao getrunken.

Der Kindergeburtstag war das große Ding! Also im Vorfeld, und nur für das Kind. Denn wir zwei Alten haben genug. Nach gefühlt sechzehn ausgerichteten Geburtstagsfeiern in Kinos, In- und Outdoorspielplätzen, Soccerhallen, Kletterparks und Zelten (ganz ganz schlimm) bekommen wir zwei aschfahle Gesichtszüge, wenn das Wort „Kindergeburtstag“ fällt.

Das beste überhaupt waren rückwirkend immer die Kindergeburtstage bei Mc Donalds, also früher. Wisst ihr noch? Da gab es diesen Partyraum, den man für einen schmalen Taler komplett verwüsten konnte. Für fünf Euro konnte man eine Torte bestellen und ganz früher wurde sogar ein bedauernswerter Mc Donalds-Mitarbeiter abgestellt, der Becherwerfen mit den Kindern spielen musste. Mann, war das schön! Das Bällebad komplett entleeren und Burgerweitwurf!

Also sicher nicht für die Angestellten, aber für uns war das sehr schön. Später noch unkte der Bärtige, das Konzept wurde nur wegen uns verworfen, da die Mitarbeiter immer in Tränen ausbrachen, wenn sie nur unterjährig unsereiner zu Gesicht bekamen… ich weiß es nicht. Auf den Fotos sieht das immer alles gesittet aus. Hier ein Beweis.

2003 – Kindergeburtstag bei Mc Donalds

Im Hintergrund der Bärtige mit einer Videokamera (Liebe Kinder, das benutzte man damals, es gab noch keine Fotohandies. Nein, ehrlich nicht.), und rechts im Bild der Mitarbeiter beim Aufbau des alljährlichen Becherwerfenspiels. Ich mochte das immer sehr und möchte hiermit mein Bedauern zum Ausdruck bringen, dass die frühkindliche Fixierung auf Pressfleisch und Plastikspielzeug nicht mehr unterstützt wird. (Hat irgendjemand Interesse, diesbezüglich eine Petition zu unterstützen?)

Zurück in 2018. Wir mussten uns also mal wieder Gedanken machen. Wer in die Suchmaschine „Kindergeburtstag in Dresden“ eingibt, bekommt eine unübersichtliche Anzahl von Treffern. Nicht alles ist für Fünfjährige geeignet und manches (Inddoorspielplätze zum Beispiel) nach schmerzvoller Erfahrung nicht für den Nachwuchs der Nieselpriemfamilie.

Schlussendlich haben wir im Waldseilpark Bühlau mit dem Jubilar und seinen „fümf“ Freunden gefeiert und das war toll! Wir haben die „kleine“ Schatzsuche gebucht und waren eine gute Stunde mit den Hosenscheißern im Gelände unterwegs. Danach gab es Preise und im Anschluss konnten sie noch nach Herzenslust auf dem Kinderparcours klettern. Das alles war im Vergleich lächerlich preiswert, die Veranstalter waren supernett und man hatte uns sogar einen überdachten Picknickplatz reserviert, wo wir unser mitgebrachtes Futter aufbauen konnten.

 

Der Hit war im übrigen die stinknormale Rutsche, die dort im Gelände steht (Oh Gott! Eine Rutsche! Ich habe noch niemals so eine Rutsche gesehen! Hier kann ich ja rutschen!), sie waren kaum dort wegzukriegen. Versteh einer Kinder…

Am Ende, zur Abholzeit, heulten drei von fünf Kindern herzzerreißend, und ich sah mich genötigt, zur Begrüßung die altbekannte Elterngrußformel an Kindergeburtstagen auszurufen: „Es ist nicht so, wie es aussieht! Bis eben hatten wir alle sehr viel Spaß!“.

Der Bärtige sagte abends zu mir, das sei endgültig der allerletzte Kindergeburtstag gewesen, den wir gemacht haben. Und ich sagte, ja. Also so wie das schon seit Jahren abläuft. Immerhin haben wir ja dreihundertfünfundsechzig Tage Zeit zur Akklimation. Und so lange hält kein Kindergeburtstagstrauma an. Ich kenne uns da schon ziemlich gut 🙂 .

Und nun ist er fünf. Ein Meter neun hoch, siebzehn Kilo schwer und noch immer weizenblond. Und süß. Ja. Aber es gibt Dinge, die sich verändert haben. Bis vor Kurzem dachte ich ja oft noch wehmütig, es wäre doch schön gewesen, wenn das späte Wunder aus Drillingen oder wenigstens Zwillingen bestanden hätte. Oder wenn ich im Jahr darauf (Huch, wie konnte das bloß passieren?!) noch einmal verwundert gewesen wäre. Damit ist Schluss! Denn die Wunderlinge werden alle irgendwann fünf sein und ich nie wieder dreißig, das hatten wir ja eben schon…

Der Süße raubt mir meinen letzten Nerv und ist die Liebe meines Lebens. Oder zumindest eine von dreien (falls der Mann hier mitliest). Des Kindes Wutausbrüche sind nicht von dieser Welt. „DU PLÖTE SCHEIßMAMA!“, „HAU AB DU PLÖTE SCHEIßE!“, untermalt mit Spucken, Mundfürzen und um-sich-Schlagen und es hilft kein in-den-Arm-nehmen, nur in-acht-nehmen, bis der Spuk vorbei ist. Er schmeißt Zeug, haut, brüllt und rennt wie ferngesteuert in der Gegend rum, wenn ihn der Hafer sticht. Im Durchschnitt zehn Minuten täglich und nein, ich gewöhne mich nicht daran.

Ach, Gegend. Er rennt auch weg. Also nicht zu Hause, da läuft er wie ein Entenjunges hinter mir her, auf Schritt und Tritt, aber draußen ist er fort. Aber nur, wenn es irgendwohin geht, worauf er Bock hat. Ansonsten wird sich erst mal längs geworfen und gebrüllt aus der Horizontalen, er wölle getragen oder in der Kutsche gefahren werden, denn laufen gänge in gar keinem Fall. Geht es aber irgendwohin, wo es ihm gefällt, ist er fort.

Zum Beispiel habe ich ihn mal im Kaufland gesucht, lange, mit professioneller Unterstützung. Er lag dann im Regal mit den Hochlehnerauflagen. Zwischendrin. Und ruhte sich aus. Ich gehe ab jetzt nur noch zu Aldi, da gibt es kaum Verstecke.

Aber durch das Kleinchen komme ich auch zu unerwartetem Wissen. Neulich zum Beispiel ging er – der selbsternannte Toiletteninspekteur – wie selbstverständlich seiner Oma hinterher, nur um sofort darauf angerast zu kommen und zu berichten: „Mami, Mami, weißt du was?! Die Oma hat Haare an ihrem Puller! So dick!“, und zeigt mit den Ärmchen einen Abstand von circa vierzig Zentimeter. Dank des Kindes weiß ich also nun, dass meine Schwiegermutter ihre Rente ganz offensichtlich mit dem Schmuggeln von Perücken aufbessert. Danke Kind!

Und heute morgen, dann endlich, kam sie wieder, die Frage aller Fragen: „Mami, wie lange noch schlafen, bis ich sechs bin? Mittagschlaf auch, oder nur Nachtschlaf?“.

 

 

Der Sound meines Lebens

Ich sitze mit dem Bubi gebeugt über meine beachtliche (und eingestaubte) CD-Sammlung und komme mir vor wie eine Omi, die ihrem Enkel alte Schelllackplatten mit den greatest hits von Marika Röck andrehen will.

Kein Mensch hört heute noch CDs, noch nicht mal ich! Internetradio in der Küche und im Auto, Streaming hier und Download da, wozu sich also irgendne Scheibe reinstecken? In ein Scheibenreinsteckgerät? CD-Player, pffff, haben die jungen Leute nicht mehr. Die haben nur winzige Telefone, aus denen die ganze Musik der weiten Welt in ihre riesigen Kopfhörer gelangt.

Es wird also Zeit, dass ich dem jungen Mann ein musikalisches Vermächtnis hinterlasse! In Scheibenform. Irgendwie muss der ja auch mal was anderes hören als seinen seltsamen Dubstep.

Ich versuche ihm zu erklären, wie toll sich das anfühlt, auf das neues Album eines Künstlers zu warten und sich dann mit den zusammengesparten Kröten die eingeschweißte CD im Laden zu holen. Meins! Er guckt mich höflich-verständnislos an.

Kurz schweife ich sogar ab und erzähle, wie damals zu DDR-Zeiten manch ein privilegierter Jugendlicher die Hit-Parade bei DT64 auf seinem SKR700-Kassettenrecorder aufnahm und die Kassetten zu horrenden Preisen verscherbelte, aber da stieg er aus. Kassettenrecorder? DDR? Ich sah es an seinem Blick, die Omi mit den Schelllackplatten musste ein paar Jahre vorspringen. Wobei, Leute, ich habe Knutschen gelernt bei der Schuldisco, zu Klängen von Spandau Balett und wisst ihr was? Es gibt keine Schuldiscos mehr! Ist das zu fassen?! Nein! Was soll nur aus der Jugend werden?

Egal. Wer hat meinen roten Faden? Ach hier, danke.

Ich sortiere dem Jungspund ohne Schuldisco-.Erfahrung meine Queen-CDs aus. Blur, Green Day, The Cranberries, Björk. Den Soundtrack zu Trainspotting, er kennt nicht nur keinen der Künstler, er kennt nicht mal den Film! Clockwork Orange, ebenso unbekannt, Musik und Film (Oh Gott, ich habe kulturell komplett versagt!). Depeche Mode kennt er, aber die CDs nehme ich mit ins Grab, Finger weg! Rosenstolz? Ein wenig schäme ich mich, aber nur heimlich, denn als die noch neu und unverbraucht waren, fand ich die echt großartig und das waren sie auch. Wir reden hier über die Neunziger Jahre, als die noch in Kneipen spielten.

Irgendwann war der Rock dann abgerockt oder ich zumindest. Ich tat mich jemandem zusammen, der Marusha geil fand und regelmäßig zur Love Parade fuhr. Damals. Musikalisch waren der Mann und ich noch niemals kompatibel. Ich meine, Techno?! Ich habe keine Techno-CDs in meiner Kiste, die ich dem Kind zur Abschreckung geben könnte.

Hier, diesen Stapel fasst du nicht an! Das ist mein Heiligtum. Eminem. Mein Gott, das war damals echt bewusstseinserweiternd für mich, seine Songs zu hören. Echt jetzt. Ich besitze, oder besaß jedes Buch, das über ihn geschrieben wurde, jedes Album (selbstverständlich), kann in „8 Mile“ als Universalkomparse eingesetzt werden und als Eminem 2003 sein einziges Konzert in Deutschland gab, hatte ich eine Karte! Ich hatte eine Konzertkarte! Dann bekam ich einen folgenschweren Brief (damals wurden noch Briefe geschrieben) mit einem Termin für ein Vorstellungsgespräch und ich habe zum ersten Mal wie ein blöder erwachsener Mensch gehandelt. Meine Freundin Sandra fuhr ohne mich nach Hamburg und rief mich aus dem Stadion an (Handies gab es schon), „KANNST DU IHN HÖREN? KANNST DU IHN HÖREN?!“. Ich hörte ihn nicht, es klang, als hörte ich zu, wie Wasser in eine Badewanne läuft. Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich geheult habe…

All das erzähle ich meinem Sohn.

Der sich offenbar entsetzlich langweilt und mittlerweile die Fanta-CDs durchforstet.

Ich weiß nicht, irgendwie stirbt doch ein Stück Kultur gerade, denke ich und höre etwas splitternd zerschellen. Vielleicht war das aber nur die alberne alte Glasglocke unter der ich gehockt habe mit meinem altmodischen Musikgeschmack. Klirr!

Hm.

Schade.

Ja klar, ich fand das auch olle peinlich, wie meine Eltern Sting gefeiert haben oder Joe Cocker, nachdem sogar eine Wiese in Dresden benannt wurde, als der darauf ein Konzert gegeben hat. Im Leben hätte ich nicht die gleiche Musik wie die gehört! Aber irgendwie ist das voll bitter, jetzt da auf diese CDs zu schauen, die die Untermalung meiner letzten dreißig Jahre waren und sich klarzumachen, das ist alte-Leute-Musik! Time to face the truth.

Eminem ist fünfundvierzig, Dave Gahan sechsundfünfzig, Prince ist tot, du lieber Gott, und wäre jetzt sechzig. Und Jamiroquai, der Berufsjugendliche, ist auch schon neunundvierzig! Das kann doch alles gar nicht wahr sein. Das einzige, auf das ich mich jetzt noch freuen kann ist, dass ich nur noch ein paar Jahre warten muss und dann wird der Soundtrack im Altersheim bestimmt von The Cure gespielt. Tschakka, bis den Enkeln die Ohren bluten!

Und zum Abschluss singt jetzt nur für mich der alte Mann, mit dem ich sofort und ohne Zahnbürste und Wechselschlübbor durchgebrannt wäre, hätte ich mich nicht für das solide Leben und den sicheren Job (den ich im übrigen noch immer habe, also eigentlich beides sogar) entschieden. Damals, 2003.

 

Integrationsstatus

„Und was ist eigentlich mit Paul?!“,

fragte neulich eine Leserin.

Ja, Paul. Das elfte Schuljahr unseres Sohnes neigt sich dem Ende und wie vor einem Jahr angekündigt, ist es nun wirklich Zeit, sich zu verabschieden von unserem besonderen Integrationshelfer.

Sechs Jahre war Paul nun schlussendlich bei uns, eine kleine Ewigkeit. Für ihn sind die Koffer gepackt, er zieht nach Hamburg um dort in einer WG zu wohnen und ein neues soziales Projekt anzunehmen. Wir werden uns wiedersehen, so wie man Freunde wiedertrifft, die die Stadt verlassen haben. Unsere Erziehungspartnerschaft aber endet (und diesmal endgültig) mit dem scheidenden Schuljahr.

Ich denke oft, wie viel Glück wir hatten mit Paul, dem unkonventionellen Kindergärtner, der nicht mal Sozialpädagogik studiert hatte, aber in all den Jahren einfach intuitiv „das Richtige“ machte. Der sich unter den Lehrern als Kollege etablierte und unter den Schülern als cooler Typ, der immer mit dabei war und den man besser zum Freund hatte.

Was wird sich ändern? Wir werden auch im nächsten Jahr Schulintegrationshilfe haben. Die Genehmigung ist quasi bereits erteilt (für Interessierte: Zu beantragen sind derartige Leistungen beim jeweils zuständigen Jugendamt, ASD – „Abteilung Soziale Dienste“). Unser Bubi besucht aktuell die elfte Klasse eines beruflichen Gymnasiums und wird laut Plan nach Klasse dreizehn sein Abitur machen. In Klasse zwölf jetzt wird das Kurssystem eingeführt und der Klassenverband, wie ihn der Junge bis dato kannte, aufgelöst. Das birgt ganz sicher noch einige Hürden und Herausforderungen. Aus diesem Grund bin ich froh, dass wir noch ein weiteres Jahr die Hilfe genehmigt bekommen.

Was macht so ein Integrationshelfer denn eigentlich, fragt sich womöglich manch ein lesender Mensch hier. Ich denke, ein guter guckt immer, wo und an welchen Stellen das Kind im Schulalltag Unterstützung braucht. Das können von Klient zu Klient ganz unterschiedliche Arbeitsbereiche sein, denke ich. Genauso, wie diese Arbeitsbereiche sich verändern mit höherer Klassenstufe und Alter des Schülers. Unser Paul hat den Bubi im Unterricht begleitet für zwanzig Stunden pro Woche und Probleme nachbereitet. Außerdem war er mit den Lehrern im Gespräch, besonders natürlich mit denjenigen, wo unser Junge im Unterricht Probleme bekam aufgrund des Unterrichtes. Das sind Fächer, in denen Analysefähigkeiten im sozialen Bereich, Meinungsbildung und Austausch, Diskussion erforderlich waren. Ethik, Gemeinschaftskunde, auch Geschichte zum Beispiel. Bei „klaren“ Fächern wie Mathe oder Chemie gab es niemals Probleme. Allenfalls bei der Methode zur Lösungsfindung…

Bei all den Themen hat Paul gecoacht, interveniert und moderiert. Es gab regelmäßig Auswertungsgespräche zwischen den beiden, Wochenziele und grafische Erfolgsmessungen. Einmal wöchentlich ein Wochenreport mit uns Eltern.

Die beiden waren ein gutes Team und wenn ich sehe, wohin wir gekommen sind und mit welchem Ergebnis, kann ich sagen: Und ein erfogreiches!

Jetzt wird jemand neues kommen. Wir haben ein bisschen kämpfen müssen, aber nun schlussendlich jemanden erfahrenes von der Autismusambulanz Dresden zugesagt bekommen. Es werden deutlich weniger Stunden geleistet werden können und ganz sicher arbeiten diese Sozialpädagogen anders als unser Paul, aber wir haben beschlossen, dass wir genau das gut finden werden! Denn zum Einen kommt da noch mal jemand zu uns, der einen anderen, unverstellten Blick auf uns, auf unseren Jungen, hat und dadurch andere Aspekte oder Entwicklungspotentiale sieht und zum anderen hat ja Integrationshilfe den Anspruch, dass sie irgendwann obsolet ist, sich erfüllt hat. Ich gehe im Moment davon aus, dass Ziel sein wird, diese auszuschleichen im kommenden Jahr. Wir werden sehen. Und ich werde es euch erzählen!

Wir haben noch ein sehr positives Erlebnis gehabt im vergangenen Schuljahr, Integration betreffend. Und zwar galt es, das zweite Schülerpraktikum zu absolvieren und Vorgabe war für die Schüler der Informatikklasse, es musste ein IT-Unternehmen sein! Nun gibt es glücklicherweise im Dresdner Umfeld jede Menge IT-Buden, ich sah da kein Problem für die paar Kinder. Oha.

Es hagelte bei allen jede Menge Absagen, am Ende musste die Schule selber ein Schülerpraktikum für zwei Wochen inhaltlich organisieren, um doch einigen Schülern überhaupt eine praxisnahe Wissenserprobung zu ermöglichen.

Unser Sohn hatte sich bei drei großen Firmen beworben. Zwei sagten ab, eine bot ihm einen Platz: die SAP. Und die haben mich echt überrascht!

Nach anfänglichen Schwierigkeiten beim onboarding (im Vorfeld zu absolvierende Online-Kurse zum Datenschutz, Firmenpolicy etc., alles auf Englisch) fiel mir siedend heiß ein, der Junge hatte zwar bei Schwerbehinderung die Checkbox mit dem „Ja“ angekreuzt, aber was ist mit Paul?! Dürfte der mitgehen?

Ich rief die Personalabteilung an. Ja, natürlich und herzlich willkommen auch für den Paul! Und sie freuten sich sehr auf unseren Bubi und seien gespannt überhaupt auf die zwei Wochen mit den jungen Leuten. Und was es denn bitte brauchen würde, damit sich unser Sohn wohl fühlen würde und wo es nach meiner Meinung nach Probleme geben könnte. Und wo sie – die SAP – gegensteuern könnten im Vorfeld?! Kann er mit einem anderen Schüler ein Laptop teilen oder wäre das schwierig, weil zu nahe Zusammenarbeit? Wie ist das mit offenem Arbeiten, Gruppenarbeit, Vorstellungsrunden, freiem Sprechen?

Wow.

Die Frau vom Personal schickte mir dann den geplanten Ablauf für die zwei Wochen und wir telefonierten im Anschluss ein weiteres Mal. Wir vereinbarten darin, dass alles so bleiben sollte wie geplant von der SAP und dass in schwierigen Situationen ad hoc reagiert werden sollte. Und dass der Paul dann da gern als Ansprechpartner fungieren sollte.

Das Praktikum lief an und unser Junge kam Abends begeistert nach Hause und überraschte uns mit so Stilblüten wie, er könne auch das Abi gleich abbrechen und bei der SAP anfangen, die würden auch ausbilden und wie cool sei das denn überhaupt dort. Und Mama, ich bin noch nicht mal der einzige Autist! Und weißt du Mama, ich wollte eigentlich zu Google zum arbeiten (Aha, nein, das wusste sie nicht), aber vielleicht gehe ich auch zur SAP! (Hm, okay.)

Die Personalerin rief mich im Laufe der Praktikumszeit an um mir zu sagen, dass sie den Bubi kennengelernt habe und dass alles sehr gut aussähe und ob ich Fragen oder Wünsche hätte, die möglicherweise der Junge an mich herangetragen hätte. Im Anschluss danach ein weiters Mal, um mir Feedback zu geben nach Rücksprache mit den Praktikumsbetreuern. Es sähe alles sehr vielversprechend aus und sie würden sich sehr freuen, unseren Bubi später einmal wieder begrüßen zu dürfen, als Azubi, Student oder Mitarbeiter.

Wow. Schon wieder. Ich meine – Hallo! – das war „nur“ ein Schülerpraktikum, aber so kann´s gehen! Mit ein bisschen mehr Fingerspitzengefühl, ein bisschen mehr Bereitschaft zur Dynamik, ein kleines bisschen mehr Blick auf den Menschen und: „Du bist ok, wie du bist. Wie geht es dir aktuell? Was brauchst du, um dich hier wohlzufühlen?“.  Das war echt ein tolles Erlebnis. Für den Jungen, weil er sich jetzt wirklich freut auf sein Arbeitsleben und motiviert unbedingt Informatik studieren will und meint, das wäre dann immer und überall bestimmt so cool wie bei SAP, und für uns als Eltern, weil wir wirklich sehen, dass sich in Bezug auf Integration in den letzten Jahren einigen getan hat. Nicht überall, noch lange nicht genug, aber dennoch spürbar! Das ist gut.

Und sonst so?

Ich treffe mich in dieser Woche noch mit einer mir bis jetzt völlig unbekannten Mutter eines relativ neu diagnostizierten Asperger-Sohnes um dort ein wenig Angst vor der Zukunft zu nehmen, Verunsicherung zu zerstreuen und ein paar „best practises“ im Behördenumgang zu teilen. Ebenso den Kontakt zur Elternselbsthilfegruppe und wenn´s gut mit uns beiden läuft, ein Stück Kuchen. Denn auch das ist Integration, sind Integrationsbestrebungen. Dass man die Tür aufmacht. Dass man „Willkommen!“ sagt. Und meint. Aber das wisst ihr ja. 🙂

To be continued.

 

 

Achtzehn

Der Kronsohn, unser Erstlingswerk, wird in drei Wochen achtzehn. Also ist er dann sowas wie erwachsen, auf dem Papier zumindest.

Ich meine, es war klar, dass dieser Tag irgendwann kommen würde. Genauso, wie immer klar war, someday baby, we´ll be old, oh baby. Und trotzdem guck ich in den Spiegel und denke, ach du Scheiße, wann ist das passiert? Warum? Und: Jetzt schon? So ist das auch mit dem Bubi.

Wie, der ist jetzt erwachsen?!

Komisch.

Wir Alten fragen uns zum Beispiel aktuell, wie wir ihm das seit seiner Geburt angesparte Geld auf dem Sparbuch nun schenken sollen. Ein Diskussionsgegenstand, der regelrecht skurril erscheint, haben wir doch ganze achtzehn Jahre jeden Monat auf das Kinderkonto überwiesen, für später. Nun ist es da, dieses „später“. Was heißt das, wie geht man jetzt damit um? Niemand hat uns vorgewarnt, wie verhält man sich denn entsprechend? Anders? So wie vorher? Was ist mit Rechten? Pflichten? Dürfen wir überhaupt noch Vorschriften machen? In seine Angelegenheiten reinreden, weil wir alt und weise sind und sowieso alles besser wissen?

Niemand bereitet einen darauf vor.

Ich habe noch den Duft seines verschwitzten Kinderkopfes (nach warmem Apfelkuchen) in meiner Nase und wie er eine „Fitzschnute“ zog als Baby, wenn ihm etwas nicht passte. Nichts davon erinnert beim Anblick des langbeinigen Kerls mit den (aktuell) blauen Haaren und der tiefen Bassstimme an dieses kleine Kind.

Wir haben noch Glück. Meine Freundin muss sich im Sommer von ihrem Sohn verabschieden, da dieser (obwohl eine Woche jünger als unser eigener) für ein Jahr nach Amerika geht. Unser Sohn zieht nur von der ersten Etage in den Keller in seine neue „Souterrain-Wohnung“. Also lediglich ein Abschied vom Kinderzimmer.

Wir Eltern gehen unterschiedlich mit der Gesamtsituation um. Während ein Elternteil gefühlsduselig die neue Bleibe hübsch machen möchte (Lichterketten, Schwarzlichlampe, Poster), schnauzt das andere Elternteil, das sei völlig übertrieben und dem Sohn gefalle das gar nicht. Und: Immer musst du was einkaufen! Kaufen, kaufen, kaufen! Da wo unser Geld herkommt, gibts ja unbegrenzt Nachschub, nicht wahr? Und wenn es dann nach drei Wochen nicht mehr gefällt, fliegt es einfach auf den Müll! Nein, sage ich. Also das andere Elternteil.

Ich bin ja mal gespannt, wie das Zeugnis aussieht dieses Jahr, sagt das eine Elternteil. Was soll schon sein, das andere. Zwei Komma fünf im Durchschnitt wird es, hat er mir gesagt. Was?! Zwei Komma fünf?! Dann brennt die Luft. Der ist so stinkenfaul, immer nur zocken hat der im Kopf! Nichts hat er gemacht für die Schule in diesem Jahr! Ja, aber sieh es doch mal anders, sagt das andere Elternteil, er hat also mit Null Lerneinsatz die elfte mit zwei Komma fünf geschafft! Da ist jede Menge Luft nach oben! Ganz genau, sagt das der andere. Jede Menge Luft. Er nutzt seine Potentiale nicht, er hat null Biss! Dieses strunzfaule Rumgedahle, lalala, scheiß doch drauf, wird schon irgendwie, das kotzt mich sowas von an, sagt das eine Elternteil aufgebracht. Mann, du redest uns hier echt Probleme herzu, wo überhaupt keine sind, interveniert das andere Elternteil beim Kisten von oben nach unten tragen. Du meckerst immer nur an dem rum! Der steht jeden Morgen auf und geht in die Schule mit gutem Ergebnis, er säuft nicht, nimmt keine Drogen und wenn er auch nur fünf Minuten später nach Hause kommt als vereinbart, schreibt er mir ne SMS! Ich weiß nicht, was du immer willst von dem?!

Ich will, dass der mal ein ordentlicher Kerl wird! Mir wäre lieber, er würde sich mal besoffen prügeln und die Nächte um die Ohren hauen! Ach so, jetzt verstehe ich, sagt das andere Elternteil. DAS ist es also. Weil er „anders“ ist und anders als du sowieso schon mal. Ja, genau, das ist es! Der ist kein bisschen wie ich! Wie soll ich mich da identifizieren? Weißt du, wie gemein du bist, sagt das eine Elternteil, der joggt mit dir, er stemmt Hanteln, er blickt noch immer zu dir auf, alles nur, um dir nachzueifern und du merkst es nicht mal. Und außerdem, ich will ehrlich gesagt nicht, dass der so wird wie du warst! Den Eltern den Mercedes geklaut und ohne Führerschein besoffen zur Disco über die Dörfer gebrettert! Gekifft, geprügelt! Ach, komm, das gehört doch zum Erwachsenwerden dazu, beschönigt das so angeprangerte Elternteil, und ehrlich gesagt würde mir genau das gefallen! Mir aber nicht, widerspricht das andere Elternteil.

Du würdest ihn ja am liebsten noch an die Zitze legen, höhnt der eine, das war schon immer das Problem! Du hast ihn von Anfang an zu sehr verhätschelt! Und du hast von Anfang an ein völlig übersteigertes Anspruchsdenken an den Jungen gehabt! Ich weiß gar nicht, was mit dir los ist. Warum kannst du den Jungen nicht einfach so annehmen, wie der ist. Weil der kein bisschen wie ich ist!, sagt das andere Elternteil. Weil der sein Leben einfach verdaddelt! Weil der keine Ziele hat! Ach, hör doch auf, nölt das andere. Du hattest mit achtzehn nur das Ziel, ne geile Zeit zu haben! Du warst nicht auf der Penne, du warst auf der Baustelle. Penne und Ziele, das kam alles später, du hast es nur vergessen. Niemand von uns hat auf dem geraden Weg sein Abi gemacht und studiert, bei dem Jungen aber sieht es so aus, als würde genau das passieren. Du aber maulst, er wäre faul und nicht fokussiert.

Mit zwei Komma fünf studiert der gar nichts! Ich sage dir was, wenn der in der zwölften noch zwei Komma fünf hat und ich den nicht mal ne halbe Stunde am Tag pauken sehe, nehme ich den von der Schule! Ja, da guckste! Ich zahle doch nicht das Scheiß Schulgeld für den, wenn der sich nicht mal am Riemen reißt und mir zeigt, dass er das wirklich will!

Du solltest dich hier mal reden hören, sagt das andere Elternteil. Dann sagt sie nichts mehr.

Sie würde ihn gern in den Arm nehmen und ihm sagen, dass er alles, alles richtig gemacht hat, in all den Jahren. Dass er ein toller Vater war und ist. Dass alles gut wird und dieser junge Mann, sein Sohn, seinen Weg gehen wird. Dass sie beide erleben werden, wie er Sonntags mit ihren Enkeln zum Essen kommt. Dass sie beide Gespräche führen werden, erwachsene Gespräche auf Augenhöhe, er und sein Sohn. Dass sie es sehen kann! Sie möchte ihm so gern sagen, dass sie froh ist, dass er in all den Jahren ihr Partner war. In den sorgenvollen Zeiten, in denen sie auf das Kind herabgesehen haben, hielten beide es an der Hand, der eine an der linken, der andere an der rechten. Wie froh sie über diesen Umstand ist. Und dass er stets wissend genickt hat, wenn ihr das Herz weh tat um diesen Jungen. Dass es okay ist, wie es ist. Dass er nachlassen kann, darf. Das möchte sie ihm gerne sagen.

Und während sie darüber nachdenkt und diese Zeilen schreibt, kommt das Blondchen in seinem Superman-Schlafanzug aus seinem Zimmer, legt den Kopf auf ihren Schoß und sagt, er wölle niemals fünf werden! Er wolle für immer klein bleiben und sie denkt: Ach, mein Herz. Es ist, als sei es vorgestern gewesen, als ein Kind mit dunklen Haaren genau dasselbe gesagt hat, mit dem Kopf in ihrem Schoß.

 

 

 

Schatz, danke, dass du mich gefunden hast, damals. Und danke für diese Kinder! Das ist, was sie dir sagen will. ❤

 

 

 

 

Aus dem Leben einer Mutter – Kurzepisode 1

Das Seniorenheim

Sie kennen das. Da gehen sie gemütlich zum wochenendlichen Entenfüttern an den nahegelegenen Fluss und just als die heimatliche Behausung aus dem Blickwinkel entschwindet, schreit das angedeihliche Fortpflänzchen zu ihrer Linken: „Muss kackorn!“.

Zum Glück haben die Städtebaumeister wohl genau aus diesem Grund alle drei Meter ein Seniorenheim mit Gästetoilette im Entreé errichtet.

Das bedürftige Kind verspürt naturgemäß keinerlei ursächliches Bedürfnis mehr beim Anblick des coolen Interieurs: Behindertentoilette, Notrufklingel, eine Riesenrolle Handtuchpapier… Aber weil sie schon mal hier sind, geben sie dem Kind ihr Handy, damit es nicht ins Klo fällt, wenn sie gleich…

 

Zum Glück hat das Kind weder Twitter- noch Instagram-Account. Bislang.

 

Linux in einer Welt voller Windows

Ich habe heute beim Aufräumen der Festplatte einen bislang unveröffentlichten Text aus dem Jahr 2016 gefunden. Und ich war sehr gerührt. Weil mir klar wurde, dass damals der Prozess der Abnabelung von meinem Großkind tatsächlich in vollem Gange war und auch, wie okay das für mich war. Und wie seltsam an sich dieses „Okay“! Dachte ich doch bis dato, ich würde mir für den Rest meines Lebens riesengroße Sorgen machen müssen.

Heute weiß ich, nein. Sorgen ja, aber keine riesengroßen. Und gerade weil Eltern mit besonderen Kindern immer ein wenig mehr in Sorge sind und ein bisschen zu wenig von „Wird schon!“, in sich tragen, veröffentliche ich diesen Beitrag heute.

Abgenabelt. Ich konnte mir nie vorstellen, wie das gehen sollte. Wie sich das dann anfühlt! Ich spürte diese intensive Verbundenheit zwischen ihm und mir so derart lange, dass ich mich kaum traute, selbst mit guten Freundinnen darüber zu sprechen. Dass ich kaum wagte zu erzählen, dass es sich für mich anfühlte, als seien wir noch immer durch eine Nabelschnur verbunden. Würde das vergehen? Wann? Wie? Wie geht das mit dem Abnabeln? Und würde es sehr weh tun?

Mein kleiner König, Fasching 2003

Rückblickend: Das passierte behutsam und ganz von selbst. Und es war überhaupt nicht schmerzhaft!

Jetzt, heute, sage ich euch: Ich bin mittlerweile wirklich entspannt und sicher, der Bubi wird seinen Weg gehen! Was haben die Experten uns verrückt gemacht. Sonderschule, betreutes Wohnen und eine Zukunft in der Behindertenwerkstatt, das war das Szenario, das sie gemalt haben! Nichts davon scheint real einzutreffen. Was tatsächlich eingetreten ist, ist etwas, an dem ich mich wie an die sprichwörtlichen Strohhalme geklammert habe: Vieles verwächst sich tatsächlich. Die Besonderheiten des Jungen sind mittlerweile sehr viel weniger auffällig und es fällt ihm zunehmend leichter, das „Normalsein“ wie eine mühsam erlernte Fremdsprache anzuwenden. Mittlerweile spricht er sie „fluent“.

Mein Aspi wird im Juli achtzehn Jahre alt, besucht ein Gymnasium und plant Informatik zu studieren. Er ist der tollste Sohn überhaupt und absolut großartig. ❤

*

2016

Wenn andere Kinder ihre Eltern befragten um sich die Sache mit den Bienchen und Blümchen erklären zu lassen, war er schon immer eher der wissenschaftliche Typ. Fragen stellte er keine. Dafür stand er stundenlang im Hygienischen Museum vor der Fortpflanzungsausstellung und studierte. Zog seine Schlüsse aus dem Gelesenen und nach Abgleich mit allem bisher gespeicherten Wissen.

Um mich im Anschluss daran zu fragen, ob er durch künstliche Befruchtung entstanden sei. Auf meine verneinende Antwort hin verkündete er klug: „Aber das gibt es. Das machen die Menschen, die sich vorm Sex ekeln.“. Damals war er zehn.

Später gab es mal eine sehr belustigende Anekdote, die deutlich macht, welchen Stellenwert Sprache hat: In einem Gespräch über Selbständigkeit versuchte ich ihn zu überzeugen, dass er lernen müsse, die Waschmaschine zu bedienen. Er meinte, er hätte später eine Freundin, die das können wird. Ich erklärte ihm, Frauen wöllten aber nicht als Putzfrau gesehen werden, sondern auf Händen getragen werden. Darauf er: „Das kann ich. Ich bin stark! Ich trage sie zur Waschmaschine.“.

So lustig das klingen mag, so ein bedeutsamer Fingerzeig steckt meiner Meinung nach dahinter. Klarheit in Ausdruck und Vorbild. Und das ist sicher immer wichtig im Zusammenleben mit Kindern, die ja bekanntlichermaßen sehr viel durch Nachahmung lernen. Aber noch wichtiger, wenn man Mutter oder Vater eines autistischen Kindes ist. Warum? Nun, in unserem Fall sind wir Eltern die einzigen Bezugspersonen, die ihm „Leben vorspielen“. Also das zwischenmenschliche. Mann  und Frau. Familie. Den Umgang miteinander.

Je älter er wird, umso wichtiger werden wir Eltern als Beziehungsvorbild, so mein Empfinden. Störte ihn zum Beispiel früher nicht im Geringsten, wenn wir Erwachsenen mal laut wurden oder diskutierten, fordert er mittlerweile stets verunsichert eine Erklärung zur Situation und versucht sogar manchmal, auf seine ganz eigene Art zu intervenieren.

Auch unser gelebtes geschlechtertypisches Beziehungsmodell hat er bereits als „Norm“ abgespeichert, weshalb auch diesbezüglich von uns einiges an Flexibilität abverlangt wird, damit er seinen Vater beispielsweise auch als putzenden, kochenden Teil dieser Familie wahrnimmt und für sich ebenfalls als „männlich“ abspeichert. Ich weiß nicht, ob sich alle Eltern solchen Themen stellen müssen, wir jedenfalls müssen es.

Als sich das erste Mädchen anfing für ihn zu interessieren, war er davon vollkommen überrumpelt und wusste nicht, was sie von ihm erwartete. Sie wollten ins Kino (ihre Idee). Ich nahm meinen Sohn auf die Seite und erklärte, Mädchen mögen es, wenn man im dunklen Kino den Arm um sie legt. Er schaute mich völlig entgeistert an: „Und warum?!“.

Sie wurden kein Paar.

Mein Sohn ist Linux in einer Welt voller Windows.

Die nächste Freundin brachte noch mehr Rätsel für den Jungen. Sie kam immer mit einer Freundin (Warum kommt sie immer mit einer Freundin?). Sie trennte sich alle paar Tage um wieder mit ihrem Ex-Freund anzubandeln (Warum macht sie das? Ich verstehe das nicht!). Die Welt war auf einmal noch komplizierter als sie ohnehin schon war. Und dabei ist die Liebe auch schon kompliziert genug, wenn sich Windows 95 und Windows 10 connecten wollen, seien wir mal ehrlich.

Vor kurzem erst stellte sich ein neuer Schulintegrationshelfer vor und die beiden verabredeten sich zu einem ersten Treffen in einem Café. Unser Sohn wollte unbedingt den Kaffee des Integrationshelfers bezahlen und war sehr verunsichert, als ihm dies von dem Mann nicht gestattet wurde. Abends erklärte er mir dann: „Aber der Papa hat mir doch gesagt, dass ich immer bei einer ersten Verabredung bezahlen soll! Dass man das so macht!“.

Die Welt ist voller Gesetzmäßigkeiten und Regeln. Wer die Regeln kennt und kapiert hat, der kann mitspielen. Also her mit der Gebrauchsanleitung! Blöd nur, dass es die nicht gibt für das zwischen-Menschen-Dingsbums.

Sechzehn ist er jetzt, mein Sohn. Ein Alter, unter dem viele Eltern ächzen und stöhnen, weil es die Hochzeit der Pubertät einläutet. Ich finde es ganz wunderbar. Nach so vielen anstrengenden Jahren habe ich das Gefühl, der junge Mann, der mein Sohn geworden ist, ist mittlerweile „bei sich“ angekommen und mir gefällt sehr gut, was ich da sehe!

Er ist sicherer geworden in vielen Situationen, kann sich eine eigene Meinung zu Dingen bilden und diese reflektieren. Wird selbständiger und selbstbewusster. Die Autonomiebestrebungen und das Gemaule, das vielen Eltern die Haare zu Berge stehen lassen, werte ich anders. Ich kann auch entspannter damit umgehen und möglicherweise gibt es deshalb auch wenig Streit bei uns.

Ich mag die Pubertät. Ich habe viele Jahre in ständiger Sorge um diesen Jungen gelebt und habe wirklich geglaubt, ich würde niemals nie aufhören (aufhören können) ihn zu bemuttern, zu beschützen, meine Flügel schützend um ihn zu legen. Irgendwie richtet das die Natur dann doch so ein, dass die Kinder Signale geben und dass das dann ganz langsam passiert. Dieses Loslassen.

Nach so vielen Jahren voller Zukunftsängste und Sorgen habe ich jetzt langsam das Gefühl, dass ich mich einfach nur freuen kann an ihm. Dass sich alles schon finden wird. Dass er sich zurechtfinden wird.

Dass es Zeit ist, meine beiden Kinder einfach nur zu genießen.

Ein schönes Gefühl!

 

 

Mit der Zeit lernst Du,

dass eine Hand halten nicht dasselbe ist
wie eine Seele fesseln.
Und dass Liebe nicht Anlehnen bedeutet
und Begleitung nicht Sicherheit.
Du lernst allmählich,
dass Küsse keine Verträge sind
und Geschenke keine Versprechen.
Und Du beginnst,
Deine Niederlagen erhobenen Hauptes
und offenen Auges hinzunehmen
mit der Würde des Erwachsenen,
nicht maulend wie ein Kind.
Und Du lernst,
all Deine Straßen auf dem Heute zu bauen,
weil das Morgen
ein zu unsicherer Boden ist.
Mit der Zeit erkennst Du,
dass sogar Sonnenschein brennt,
wenn Du zuviel davon abbekommst.
Also bestell Deinen Garten
und schmücke selbst
Dir die Seele mit Blumen,
statt darauf zu warten,
dass andere Dir Kränze flechten.
Und bedenke,
dass Du wirklich standhalten kannst …
und wirklich stark bist.
Und dass Du Deinen eigenen Wert hast.

Kelly Priest

 

Ein Kaffee für Frau Nieselpriem

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Das Eminem-Baby

Triggerwarnung: Nachfolgende Zeilen enthalten Schimpfworte der schlimmsten Coleur. Dies könnte empfindliche Personen irritieren oder verschrecken und in der Konsequenz gegebenenfalls Übersprungshandlungen wie zum Beispiel das-Jugendamt-anrufen zur Folge haben. Das wollen wir doch nicht, na-hein! Deshalb möchte die Autorin (ich) sich an der Stelle darauf berufen, dass es sich hier möglicherweise höchstwahrscheinlich um rein fiktive (*hust*), quasi schlichtweg erfundene Begebenheiten handeln wird, und total langweilig sind die außerdem. Ach, wissense was, klicken sie lieber gleich ganz woanders hin! Bitte gehen sie vorsichtshalber weiter, es gibt hier wirklich nichts zu sehen!

~

Zu Beginn müssen wir den Baby-Begriff etwas weiter fassen. Das hier beschriebene Baby ist vier Jahre, vier Monate und neun Tage alt und somit genaugenommen kein Baby mehr. Aber ich nehme es ja generell nicht so genau, oder? Warum dann also hier?!  Und wo ich doch bislang noch kein Ersatzbaby bekommen habe!

Auch der hier so Benannte möchte eigentlich eher als vierjähriger Erwachsener beschrieben werden: „Das ist nicht für die kleinen Kinder! Das können nur die Erwachsenen. Und die erwachsenen Vierjährigen!“, erklärt das Babylein nämlich gern und zu jeder annähernd passenden Gelegenheit: Beim Eisessen (nur für Erwachsene), beim Backen (nur für Erwachsene), beim im-Stehen-Pinkeln (nur für geübte Erwachsene…). Das Erwachsenending ist überhaupt gerade urst wichtig. „Mama, weißt du, ich bin schon ein großer Junge. Und du wirst auch bald ein großer Junge. Und danach wirst du dann ein Papi und dann habe ich zwei Papi´s!“, wurde ich jüngst aufgeklärt. Blöderweise habe ich dies dem amtierenden Papi erzählt, der sogleich schlussfolgerte, „Papi sein“ sei dann wohl erwiesenermaßen entwicklungstechnisch die höchste Ausbaustufe! Schwerer Fehler meinerseits.

Eigentlich isser süß, der Blondino, immer noch. Auf der anderen Seite (Heilige Scheiße, wann bitte ist das passiert?!) ist er mittlerweile schon verdammt groß und das zieht auch unerwünschte Begleiterscheinungen nach sich. Im Moment zum Beispiel wohnt ein Mini-Eminem bei uns. Ein Mini-Eminem mit Tourette, Hauptgewinn!

Neulich erst tönte es laut durch unser Haus:

„F*tzekacke, F*tzekacke, F*tzekacke!“

Mir gefror das Blut in den Adern. Der Bubi sah mich an und behauptete, ein „R“ gehört zu haben. „Netter Versuch mich zu trösten, aber das war keine Furzekacke!“, korrigierte ich ihn.

„F*tzekacke, F*tzekacke, F*tzekacke!“

Zum Einkaufen kann ich den gar nicht mehr mitnehmen. Nicht nur, weil der die Omas anknurrt („Nich mich angucken!“), sondern neuerdings eben auch, weil ich nicht sicher sein kann, ob aus dem süßen Schnäbelchen ein fröhliches Weihnachtslied („… So viel Peinlichkeit in der Heimlichkeit!…“) ertönt oder eben:

„Fickificki, fackifacki, Arschpupskanone!“

Ich weiß, was ihr fragen wollt: Ich habe keine Ahnung! Und ja, ich versuche alles. Ich erstarre jedes Mal vor Schreck und rede mit dem Kind. Sage, dass wir das nicht sagen, dass das hässliche Wörter sind und so weiter! Und nein, der guckt keine krassen Youtuber. Der guckt Feuerwehrmann Sam (und das Arschlochkind Norman ist wohl sein Vorbild…), Peppa Wutz (die „dummer Papa“ zu ihrem Papa sagt) oder Benjamin Blümchen (in einer Weihnachtsfolge beschimpft ein gewisser Edwin ein Mädchen als „dämliche Gans“). Ich sehe es ein, die Bewegtbilder sind voll von „hässlichen“ Wörtern, böse, böse!

Okay, dann also Kinderbücher. Doch warte, auch bei den Machern vom Grüffelo werden Dinge und sogar eigene Eigenschaften als „blöd“ oder „doof“ bezeichnet und bei den Karlchen-Büchern erst! Da muss ich ständig umtexten beim Vorlesen! Boar, was mach ich nur.

Vor kurzem fragte mich die beste Kindergartentante von allen: „Du sage mal, was ist denn bei euch zu Hause los?!“, und lächelte zwar dabei, aber wer weiß. Mutti, sei wachsam! Ich heuchelte vollkommene Ahnungslosigkeit und musste dann auch hören, dass die geliebte Ausgeburt meiner Lenden nicht nur stänkerte, schubste, zeterte (jaja, das auch), sondern im Moment besonders durch inflationären Schimpfwortgebrauch auffiele! Ob er das etwa von zu Hause hätte? Sie lächelte noch immer und zwinkerte mir zu, ich stieg aber vorsichtshalber um in den Verteidigungsmodus. „Öh…nein?!“

Und vor meinem geistigen Auge lief die Wiederholung eines Filmes, der erst wenige Tage vor dem Gespräch in unserer Küche lief, während das Eminem-Baby und ich im angrenzenden Wohnzimmer verweilten. Protagonisten: Der Bärtige und der Bubi. Szenerie: Der Bärtige deckt den Abendbrottisch, während der Bubi den Geschirrspüler ausräumt und zwischendrin seinen Vater mit dem Geschirrhandtuch vermöbelt, weil ersterer ihn wegen irgendwas aufgezogen hat. Beide verhalten sich so erwachsen, wie sie eben können und ich schaue machtlos dem Spektakel zu und frage mich, ob sich so „alleinerziehend mit drei Söhnen“ anfühlt:

„Du elender Rosettenkneifer, komm her!“. „Was willst du denn von mir, du räudiger Kotbeutel!“. „Von dir winzigem Hodenkobold?! Nichts, du köttelwerfender Kotnascher, du!“. „Na, besser als ein Senkhodenpendler jedenfalls!“. „Pah! Senkhodenpendler, von wegen. Ich bin ein SCHÜRFEICHELPENDLER, da guckste!“

„Leu-te! Cut! Cut! Aufhören, sofort! Alle beide! Und jeder geht jetzt in sein Zimmer! Ihr seid unmöglich! Un-mög-lich seid ihr! Wie im Kindergarten, nur mit Testosteron! Ich werd bleede mit euch! Mensch, ey, meine Nerven!“

Letzteres war mein Text, gebrüllt aus dem angrenzenden Wohnzimmer. Und wahrheitsgemäß erkläre ich der Erzieherin:

 

„Ich habe keine Ahnung, wo der das her hat. Also von zu Hause jedenfalls nicht!“

via Giphy

 

Shoppingfreuden

Ich muss euch was erzählen! Also gestern, echt jetzt… aber wartet, ich hole noch ein wenig aus.

Das pubertäre Langbein brauchte Winterschuhe. Prinzipiell kommen kleidertechnische Bedarfe ja nie aus seinem eigenen Erleben, sondern mir drängen sich optisch halb aus Ärmeln ragende Gliedmaßen und rucke-di-gu-Blut-ist-im-Schuh halb eingerollte Zehen in zu kleinen Latschen auf.

Das Haus verlassen um Klamotten einzukaufen-wäh?! Dem unterausgestatteten Familienmitglied stand die Begeisterung über diesen Vorschlag ins Gesicht geschrieben!

(via giphy)

Also gut. Der Mann kaufte ein. Beim großen A. Und ey, guck mal! Fett gefütterte Winterschuhe für nur siebenundzwanzig Glocken! Ja, das hast du fein gemacht, danke schön. Ach warte, Lieferzeit ist wie lang? Zehn Wochen?!

Wir spulen vor – letzte Woche kamen dann die Schnäppchenschuhe an. Nun ja, leider in der falschen Größe! Also richtig falsch, nicht nur einen Zentimeter zu groß oder so. Und noch blödererererweise hatten wir versehentlich bei einem asiatischen Händler bestellt! Heißt, Rückversand der siebenundzwanzig-Euro-Bodden kostet uns sechzig Euro Porto – na, da scheiß doch die Wand an! Ich muss aber lobenswert erwähnen, dass der chinesische Händler mit Hilfe von google translator eine sehr freundliche eMail in deutsch verfasst hatte und uns eine kostenlose Größe zugesichert hat – sollten wir die nicht passenden Schuhe über den Teich zurücksenden und nochmals zehn Wochen warten können…

Ich entschied: Wir würden zu Deichmann gehen und Schluss. Alle maulten, einer fragte: „Wer ist der Deichmann?!“. Jener schmiss sich dann auch vorort begeistert die Latschen von den Füßen, probierte sich enthusiastisch durch alle Schuhe, an die er rankam mit den kurzen Ärmchen, um dann stilsicher seine Wahl zu treffen:

Der Kleinste ließ sich die Smiley-Latschen partout nicht mehr ausreden und flitzte giggelnd durch den Laden, während die Handaufzuchten der anderen Leute brav vor dem Deichmann-Kinderfernseher saßen und Käptn Balu konsumierten. Und ich schämte mich. Typisch.

Ich gesellte mich zu den maulenden Männern am Schuhregal. Der eine motzte, er bräuchte überhaupt keine Schuhe und der andere lamentierte über die unmögliche Vorauswahl, die ich getroffen hatte. Damit zeigte er auf die schicken, neonfarbenen Boots, die ich für das fußfrierende Familienmitglied rangeschafft hatte. Nein, also das ginge gar nicht! Und so brachte der Mann zu meinem Entsetzen lauter kackbraune Seniorenmodelle an und ich frotzelte schon, ich könnte auch bei der Gesundheitsschuhabteilung nach Bubi´s Größe suchen. Keiner lachte.

Ach doch! Die Verkäuferin gesellte sich zu mir und lobte meine Männer überschwenglich (die bemerkten den süffisanten Unterton nicht; ich schon). Wir zwei witzelten zusammen und sie erzählte, ihr Mann würde bei Karstadt schon von der Rolltreppe aus rufen, er hätte alles überblickt und es gäbe nichts, das ihm gefallen würde und sie könnten sofort wieder umkehren! Und ich erinnerte mich daran, als mein Mann ein Beinkleid brauchte und ich hochschwanger stundenlang vor der Kabine hockte, während er sich von zwei Verkäuferinnen fünfzehn Hosen bringen ließ, sich nicht entscheiden konnte und mich dann so Sachen fragte wie, ob die Taschen von Hose fünf oder Hose acht besser waren, aber der Schnitt dann vielleicht von Hose elf? Am Ende entschied er sich für genau keine einzige Hose, weil er sich von mir total unter Druck gesetzt gefühlt hat!

Dann… Moment! Wo ist eigentlich der mit den Smiley-Schuhen?!

Kurzer Rundum-Blick: Nichts. Der Mann arbeitete sich von der Mitte des Ladens nach hinten durch, ich in Richtung Ausgang. Als ich mich am Ausgang umdrehte, sah ich am Ende des Ladens den Mann die Hände heben. Der Blondino war verlustig!

Ich hetzte ein wenig panisch aus dem Laden und rannte in dem Einkaufszentrum rum, da – und ich schwöre, nichts bedaure ich im Moment mehr als den Umstand, dass ich euch von der nachfolgenden Szenerie weder Bild- noch Videomaterial bieten kann – stolzierte der kleine Kerl um die Ecke und kam seelenruhig auf mich zu. An den Füßen die Smiley-Hausschuhe und in der linken Hand, nach oben gereckt, eine flache riesige Kiste, die fast so groß war wie er selbst.

„WO! WARST! DU!“, fragte ich leicht (!) hysterisch. „Ich war einkaufen.“, teilte das Kind völlig entspannt mit und reckte die Kiste mit der Märklin-Eisenbahn in die Höhe. „Oh mein Gott, wo hast du das her?!“. „Ich war einkaufen!“, wiederholte das Kind. Es folgten dann noch diverse Fragetechniken, um rauszubekommen, wo genau.  Und weitere Überredungskünste, um dem Kind klar zu machen, dass das so aber nicht ginge. „Das ist MEINE Eisenbahn! Die habe ICH eingekauft!“.

Ich nahm den „Einkäufer“mit den Smiley-Hausschuhen an den Füßen an die eine Hand, die Eisenbahn in die andere und steuerte auf gut Glück das Spielzeuggeschäft an. An der Kasse stand eine aufgeregte Kassiererin und zeigte bereits vor unserem Eintreffen mit dem Finger in unsere Richtung. „Sie! Die Eisenbahn ist aber noch nicht bezahlt!“, setzte sie mich in Kenntnis. Ich erklärte, dass mir dies durchaus klar sei, da ich gewöhnlicherweise den Vierjährigen nicht mit einem Sack voll Geld alleine zum Einkaufen schicken würde und dass wir hiermit von jeglicher Kaufabsicht zurücktreten würden und bitte sehr, da ist die Eisenbahn wieder!

Und nun schnell fort, wer weiß, ob ich sonst noch belangt werde…

Am Ende haben wir drei Paar Schuhe für den Bubi gekauft, achtzig Euro bezahlt und damit das Internet blass aussehen lassen. Was den Entertainment-Faktor angeht sowieso! Und die hatten da diese Aktion, kaufe zwei Paar und das zweite kostet nur die Hälfte, kaufe drei Paar und eines ist gratis! Ich kam gar nicht hinterher. Aber kurz vorm Verschwinden raunte mir die Verkäuferin noch zu, beim Kauf von fünfzehn Paar Schuhen bekäme ich fünf Paar gratis! Das habe ich allerdings genau verstanden und muss da morgen noch mal hin. Allein!

Bei fünfzehn Paar Schuhen fallen auch Smiley-Hausschuhe für alle ab. Bestimmt!

 

 

Ein Kaffee für Frau Nieselpriem

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Etappensieg

Etappensieg

Er hat es geschafft! Das besondere Kind hat den Endgegner Schule bezwungen!

Zwei Komma Null und die Zusage für einen Platz auf dem Beruflichen Gymnasium seiner Wahl. Ihr ahnt nicht, was mir das bedeutet. Was das für unsere ganze Familie bedeutet.

Grundschule und Mittelschule, zumindest die ersten Jahre, sind die schlimmste Zeit für jemanden, der anders ist als alle anderen Kinder. Keiner hätte auf ihn gewettet, außer uns. Und selbst wir hatten düstere Zeiten, an denen wir die Zukunft unseres Kindes eher skeptisch sahen und an manchen ganz besonders dunklen Tagen wussten noch nicht mal wir weiter, und manchmal noch nicht einmal, ob er überhaupt noch länger mit uns zusammen leben kann. Wochen, an denen der Familienalltag derart Kopf stand und ein „normales“ Leben kaum möglich war, weil sich alles, alles um den Jungen drehte, drehen musste, forderten uns heraus und nahezu alle unsere Kraftreserven.

Viele Leute, die ich kenne, lachen über Sheldon Cooper, aber kaum einer hat auch nur den Hauch einer Ahnung, wie es ist, mit einem Shellie zu zusammenzuleben.

„Wenn ich groß bin, studiere ich und werde Wissenschaftler!“, da war sich das Kind schon als ganz kleines sicher. Schulisch trotz nachgewiesener Hochbegabung zwischen Drei und Vier, in manchen Fächern versetzungsgefährdet. Niemand mochte auf diesen Jungen wetten.

Ich denke immer wieder an die diagnostizierende Ärztin, die mir vor sechs Jahren eindringlich sagte: „Halten sie durch! Wenn sie den Jungen durch die Pubertät gebracht haben, wird es besser. Bei fast allen Patienten ist das so.“. Ich wünschte damals so inständig, sie möge Recht haben und fürchtete mich so abgrundtief vor den Jahren, die noch kämen, bis denn „alles besser“ würde.

Und es wurde besser, sukzessive sogar und schneller, als ich dachte. Zwei Menschen, die in das Leben des Kindes traten, hatten an der positiven Entwicklung einen maßgeblichen Anteil: Der Blondino, der uns geschenkt wurde, und Paul.

Paul, der Integrationshelfer mit den unkonventionellen Ideen. Paul, der Beachvolleyballer. Paul, der tätowierte Hüne mit den neugierigen Augen eines Kindes.

Jetzt ist der Tag gekommen, sich von Paul zu verabschieden. Nach vier Jahren bei uns muss er auch mal etwas anderes machen dürfen. Etwas anderes als Schule. Rafting-Guide in Österreich könne er sich vorstellen, erzählt er mir. Oder Kinderbetreuer auf einem Kreuzfahrtschiff!

Der Junge sagt: „Nein! Kein anderer Betreuer!“, und fährt komplett fest. Dann, ein paar Tage und Gespräche später, mit uns und auch mit Paul, willigt er ein, es zu versuchen. Ja, ein anderer dürfte kommen.

Andere Schule, anderer Betreuer, wir wissen, das sind eine Menge Veränderungen auf einmal. Auch dem Jugendamt als Träger der Schulintegrationshilfe ist das Ausmaß der Herausforderung bewusst. Wir erbitten uns, dass Paul die letzten Wochen parallel mit dem „Neuen“ arbeiten kann und ihn briefen. Und natürlich als Backup für unseren Jungen da sein. Sie willigen ein. Die Suche nach einem Nachfolger zieht sich hin…

Dann der letzte Tag. Wir sitzen zur Feierstunde anlässlich der Zeugnisausgabe in einem Restaurant. Die Direktorin spricht, die Lehrer sprechen. Pauls Name fällt, … Danke dem lieben Paul, ohne den wäre vieles in den letzten Jahren deutlich schwieriger gewesen… Der liebe Paul windet sich. Alle klatschen, ich pfeife sogar. Er sitzt mir gegenüber, errötend und peinlich berührt.

Heute erst sind sie von der Klassenfahrt aus Italien zurückgekommen, übermüdet noch. Er hatte sich bereit erklärt mitzufahren, damit unser Junge auch dabei sein kann. In diese Zeit fiel sein einunddreißigster Geburtstag, sie haben ihm ein Ständchen gesungen, „seine“ Kinder. Nun klatschen sie. Alle. Er war viel mehr als nur der Integrationshelfer unseres Kindes. Er war Integrationshelfer für alle Kinder dieser Klasse. Er war Integrationshelfer für die Lehrer, die oft zum ersten Mal Kontakt hatten mit einem Kind mit Autismusspektrumstörung. Wir hatten großes Glück mit dieser Schule und diesen Lehrern. Und unserem Paul!

Unser Paul. Ich denke, es fällt auch ihm schwer, dieser letzte Tag und dieses „Tschüss, mach´s gut!“, in die Runde.

Wir gehen Essen im Anschluss, das ist verabredet. Ich rede zu viel, bin aufgeregt, wenigstens habe ich nicht geflennt bis jetzt! Während wir auf das Essen warten, hole ich zwei Glückwunschkarten aus meiner Tasche.

Zum erfolgreichen (ich kann es immer noch nicht fassen) Abschluss dieser Etappe bekommen beide, der Junge und Paul, einen Fallschirmsprung geschenkt von uns. In Pauls Karte habe ich geschrieben: „Ganz egal, wohin Deine Reise Dich auch führen mag, unsere Familie bleibt für immer ein Teil Deiner Lebensgeschichte und Du für uns immer ein Teil unserer Familiengeschichte.“…

Er freut sich. Also so, wie sich jemand freut, der Höhenangst hat. Ich sage ihm, dass ich ihm mein Kind anvertraue für diesen Flug, genauso wie ich ihm den Sohn in den letzten Jahren anvertraut habe. Und dass ich denke, dass das großartig wird für beide.

Paul sitzt mir gegenüber und nun kann ich nicht mehr länger warten. „Na,“ sage ich, „Wann gehts denn auf´s Kreuzfahrtschiff?“. Er schüttelt den Kopf. „Kein Kreuzfahrtschiff! Ich weiß noch nicht, was ich mache. Ich muss dann dem Bubi mal eine Frage stellen, davon hängt das ab.“. „Was für eine Frage?“, will ich wissen. Er schüttelt wieder den Kopf, er will es mir offensichtlich nicht sagen.

Ich bin irritiert…

… der Bubi seziert derweil seelenruhig seinen Goldbroiler…

Später, der Hosenscheißer tut das, was sein Name sagt und ich bin im Waschraum zugange und der Beste vertritt sich derweil die Füße, führen die beiden ein Gespräch. Nichts davon werden wir je erfahren. Aber als wir zurückkommen, sagt Paul zu uns:

„Ich möchte gern bleiben! Noch ein Jahr vorerst.“.

Ich fange an zu plappern, dass ich nun als nächstes einen Weltraumsprung organisieren werde zur Abifeier und dass wir uns freuen würden und lauter plapperiges Zeug, hektisch, mit flatternden Armen.

Er bleibt! Paul wird den Bubi auch auf dem Gymnasium begleiten, zumindest das nächste Jahr!

Heute Morgen dann sitze ich im Auto und auf einmal kommen die Tränen. Ich hätte nicht gewusst, wie ich mich hätte verabschieden sollen. Ich kann gar nicht sagen, wie nah mir dieser junge Mann geht, trotz aller Professionalität, die ja unsere Zusammenarbeit ausmacht. Ich sehe, was er für meinen Jungen war in den vergangenen Jahren und wie groß und positiv sein Einfluss. Ich bin so unendlich dankbar. Die Tränen rinnen, die Ampel wird nicht grün. Macht nichts. Dann sitze ich hier und heule an der Albertbrücke morgens halb neun. Vor Stolz. Der Bubi hat´s geschafft! Mein Kind hat es geschafft! Er wird auf die Penne gehen ab August!

Und Paul bleibt bei uns… ich heule immer noch, vor  Rührung und Erleichterung und auch, weil mir jetzt klar wird, wie sehr er mittlerweile zu uns gehört. Er bleibt!

Und wir werden sehen, wie weit die Reise noch geht für dieses Kind, auf das noch vor ein paar Jahren keiner wetten wollte. Und ab wann er seine Schritte alleine wird gehen können und wohin sie ihn führen. Ich nehme Wetten entgegen!

 

 

 

 

Milch für alle!

„Guten Tag. Meine Name ist Rike und ich habe keinen Pullermann!“

Warum ich euch das erzähle? Weil der Blondino es eh jedem verrät!

„Meine Mama hat gar keinen Pullermann!“, ist die Top-Meldung, die es zu verbreiten gilt. Und das nimmt er ernst. Quasi jede(r) wird darüber informiert. Ich kenne das schon. Von früher. Als der Große noch ein Kleiner war, gab es Mama und Papa. Papa sah so aus und Mama anders. Weil Jungs und Mädchen nun mal verschieden aussehen und wenn die Mädchen dann Mamas… äh… und die Babies… äh… ja, das war früher total einfach zu erklären!

Jetzt sind sie hier in der Überzahl mit 3:1 und es geht wieder los. Diesmal mit verschärfter Aufmerksamkeit auf mich, weil der Papa und der Bruder, also die sehen ja so ähnlich aus wie man selbst. Aber die Mama! Die Mama sieht ganz anders aus. Und die hat auch keinen Pullermann! Der fehlende Pullermann ist ständig Thema.

„Hast Du einen Pullermann?“. „Nein, ich bin ein Mädchen. Ich habe keinen Pullermann.“. „Isch will gucken…“, springt vom Stuhl und fährt mir unter den Rock! „Hast du keinen Pullermann?! Och, arme Mami. Sollsch ma trösten?“.

Pullermänner sind momentan total spannend und ich muss ständig bewundernde Worte finden für das in Größe, Form und Konsistenz wandelbare Puller-Instrument. Mal wieder. Gut, das war auch schon vor den Kindern so, aber als Mutter ist man da noch mal anders gefragt. „Guck mal, wie der groß ist! Der ist ganz groß, oder? Ist der groß?!“, „Ja, Schatz, der ist groß. Mach die Hose wieder drüber, ja?“.  Das ist alles normal, alterstypisch und ich habe das alles auch schon so oder ähnlich und ganz anders mit dem ersten Kind durch.

Nachdem das Großkind im Alter von sieben oder acht Jahren der Lehrerin, der Bäckersfrau und allen Leuten auf der Straße erzählt hat, dass seine Mutter nachts „…schwule Frauen im Fernsehen ansieht. Die reiben ihre Brüste aneinander!“, und ich ihm nicht begreiflich machen konnte, dass das kein Programm war, das ich geschaut hatte bevor ich eingeschlafen bin, ist mir eh nichts mehr peinlich!

Ich erinnere mich auch noch an ein Gespräch vor vielen Jahren, bei dem  ich dem Kind erklären musste, dass man sich nur im Schritt berührt, wenn man allein ist. „Aber Mama, weißt du eigentlich, wie schön das ist?!“, war die völlig verblüffte Antwort des damaligen Kleinkindes. „Ja, ich weiß das. Aber ( Achtung, jetzt kommts!) das macht man nicht vor anderen Leuten!“. Wisst ihr, was er geantwortet hat? „Und warum?“. Und nun sage mal einer, Kinder würden nicht die wirklich wichtigen Fragen stellen!

Meine Alleinstellungsmerkmale in dieser Familie umfassen aber nicht nur das Fehlen eines in den Augen des Kleinkindes zwingend notwendigen Körperteils, nein, ich habe dafür aber obenrum was in der Bluse. „Zeig ma die Brust!“, fordert der Dreijährige oft neugierig und guckt sich das alles ganz genau an. Natürlich weiß er auch, warum Mamas eine Brust haben: „Wenn die Mama ein Baby im Bauchnabel hat, hat sie Mülsch in der Brust! Schöne weiße Mülsch!“, erzählt er nun auch mitteilsam jedem, der niemals wagte zu fragen, und neulich erst der arme Paketmann…

Der DHL-Mann bekam bei der Übergabe eines Amazon-Paketes nicht nur die wertvolle Information: „Meine Mama hat Brustmülsch!“, sondern zusätzlich noch das Angebot: „Willsdu ma gucken die Brust? Hier…warte…“, und hilfsbereit machte es sich bereits an der Freilegung der abgelaufenen Milchpackung zu schaffen, während noch das Paket übergeben wurde.

 

 

Zum Glück ist das alles endlich und in ein paar Jahren wird er mich anpflaumen, ich optische Zumutung solle mich gefälligst verhüllen, er erblinde sonst! Und das auch schon, wenn er meiner nur in Slip und BH ansichtig wird. Ich kenne das bereits von seinem Bruder. Dann spätestens interessiert sich nur noch einer in der Familie für meine Alleinstellungsmerkmale.

Hoffentlich!

 

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No Filter!

Ich bin´s .Ich bin die, die hier schreibt. Schrub, schriebte. Früher sogar regelmäßig.

(Pustet die Spinnweben vom Blöggel herunter)

Als ich anfing, diese Internetseite mit Worten zu füllen, hing mein mittelaltes Leben voller Geigen und Mobiles und auf dem Herd kochte ein Pastinakenbrei, bio selbstverständlich. Die Nächte waren kurz, die Tage voller Liebe und Küsse auf ein duftendes Kinderköpfchen. Ich bin die, die dachte, so bliebe es nun für immer.

„Und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende und über allem war Glitzer und Heititei und …“

Tat es nicht. Die Elternzeit ging vorüber und mit ihr begann, ja, was denn?! Das Leben? Der Ernst? Na, jedenfalls ein anderer Abschnitt. Das Kind kam in die Kita, die Mutter ins Büro und … halt! Nein, so war es nicht. Hätte sein sollen und die Mutti des Blondinos gäbe dann womöglich ernstgemeinte Karrieretipps für Frauen mit Nachwuchs im Nacken. Tut sie nicht.

„Was sind sie von Beruf?“, „Ich mache seit anderthalb Jahren eine Weiterbildung im Pflegesektor!“

Wir sind dauerkrank. Es dauert jetzt schon so lange, dass kein Mensch in unserer Familie eigentlich mehr weiß, wann wir denn mal alle gesund waren. Der Blondino fing sich jeden scheißverdammten Virus dieser Welt ein, bekam Lungenentzündungen, Asthma, bakterielle Superinfektionen und stinknormale Infekte. Von sieben Tagen einer Woche war er durchschnittlich drei Tage krank. Ungefähr. Seit anderthalb Jahren. Und davon bekam er Saulaune. Das kann ich gut verstehen! Der Bärtige hat aus lauter Mitgefühl buchstäblich jede Krankheitswelle mitgemacht, die hier so durchrollte und bekam davon aus lauter Solidarität auch Saulaune. Krankenhäuser an allen Feiertagen, sogar im Urlaub.

Ich bin die, die beruflich abgehängt ist und täglich neue Pflege-Skills dazulernt. Ich bin die, die niemals im Büro ist und dennoch ständig zu tun hat. Die, die ein permanent schlechtes Gewissen hat. Gegenüber den Kollegen, gegenüber der Familie. Die, der der Rücken wehtut. Und die Hüfte, das Knie, das Kiefergelenk. Die, die auch Saulaune hat. Aus Solidarität vermutlich.

Ich bin die, die einst sagte, ein „zu groß“ gäbe es nicht bei Immobilien und nun in einem Haus mit siebenundzwanzig dreckigen Fenstern sitzt, in dem die Schritte nachhallen.

„Rosen sind rot, Veilchen sind blau. Das Leben ist schön, ich weiß es genau.“. „Schnauze! Es gibt hier Leute, die versuchen, gepflegt durchzudrehen!“

Ich bin die, die sich anhören muss, sie wäre doch jetzt drei Wochen auf Kur gewesen und demnach tiefenentspannt, als sei die bloße Anwesenheit mit siebzig anderen Müttern und hundert Kindern in einem hellhörigen Bunker am Meer ein Garant für Nervenheilung und Tiefenentspannung.

Ich will doch nur Ruhe. Und Langeweile. Ich bin die, die niemals allein ist und niemals allein. Die, die auf Dienstreise fährt und sich auf´s Ausschlafen freut, dann jedoch schlaflos in einem fremden Bett liegt und die ihren vermisst.

Ich bin die mit den seltsamen Söhnen. Die, die gefragt wird, ob sie das blonde Kleinkind denn mal hat testen lassen, sein Benehmen sei so… äh… besonders und weil doch der große Sohn… man wisse ja Bescheid. Ich bin die, die immer gesagt hat, es sei vollkommen egal, wenn der Kleine auch Autist sei oder was auch immer und an keiner Stelle mehr gelogen hat als bei diesem Satz. Es ist nicht egal, nicht wegen mir. Wegen ihm! Und weil ich weiß, wie lang und schwer der Weg für das Großkind war. Allein bis hierhin. Weil ich wollte, will, für beide Kinder, dass das Leben eine bunte Aufschnittplatte ist und keine Challenge mit unklarem Endboss.

Ich bin die, deren Mann sagt, irgendwas stimme nicht mit unserer Genetik, Chemie. Also, wenn wir nur „solche“ Kinder bekommen und die trotzdem denkt, mit uns ist alles in Ordnung. Unsere Kinder sind kein Fehler, wir sind kein Fehler! Ich bin die, die regelmäßig die Nerven verliert, aber niemals verzweifelt.

„Suchanzeige: In den vergangenen Wochen habe ich meine Nerven verloren. Möglicherweise auch meinen Humor. Der ehrliche Finder wird gebeten, sie umgehend abzugeben. Wirklich, glauben sie mir,eine Zweitverwertung ist ausgeschlossen!“

Ich bin die, die nicht mehr weiß, wann sie mal bei der Kosmetik war und in den letzten Wochen nicht mal Zeit für den Fisör hatte. Die, die sich aus diesem Grund die Haare selbst gefärbt hat und nun mit fleckigem, karottenroten Haaransatz rumläuft. Die, die so aussieht, wie sie sich fühlt. Die, die beim Frisörbesuch des schreienden Sohnes hinter dem Stuhl steht und hilflos mit brennendem Gesicht versucht, das Kind zu beruhigen, das gellend schreit, „GEHWEG!GEHWEG! GEHWEG! GEH WEG DU PLÖTE FRAU!“, während alle Damen im Frisörsalon die Luft einziehen.

Ich bin die, über die die Muttis auf dem Spielplatz tuscheln, weil der Sohn es nicht erträgt, dass da andere Kinder spielen und schubst, schreit und randaliert. Ich bin die, die sich schämt. Die, die nicht mehr auf Spielplätze geht.

Ich bin die, die manchmal die Kinderwunschfrage mit: „Kinderwunsch? Eins weniger wäre ganz schön!“, beantwortet und deren Löwenmutterherz „You are beautiful, no matter what they say“ singt und das jeden abgrundtief und mit brennendem Herzen hasst, der jemals versuchen wird, ihren Kindern etwas anderes einzureden. Bis zum beschissenen allerletzten Tag ihres Lebens!

Ich bin die mit der dünnen Haut und dem dicken Schädel.

Ich bin die, die manchmal wehmütig ihre alte Blogbeiträge liest, in denen sie witzig, liebevoll, lebenslustig und manchmal sogar eloquent ihr Leben parodierte. Blogbeiträge, an denen sie manchmal stundenlang schrieb, um die Sätze auszufeilen. Ich bin die mit dem Blog, auf dem nichts mehr los ist. Ich starre auf die sterbenden Zugriffszahlen, traurig. Ich bin die, die nicht mehr weiß, was sie schreiben soll. Die, die durchhängt.

Ich bin die, deren Mann sagt, hör auf zu jammern und die nicht hört. Tut sie nie.

Ich bin die, die sich erinnert, was sie sich als junges Mädchen, junge Frau, gewünscht hat für ihr Leben. Hochtrabende Dinge! Einen lieben Mann, ein schönes Haus, Kinder und keine Geldsorgen. Ich bin die, der das Geld stets durch die Finger rinnt und die dennoch reich ist. Reich an Liebe.

Ich bin die, die sich erinnert.

Und ich bin die, die hier schreibt. Vielleicht nicht mehr so regelmäßig, aber es nicht mehr zu tun, ist keine Option. Das ist doch das Leben!  Bullerbü besteht zu neunzig Prozent aus Geduld und Kompromissen. Zehn Prozent sind Liebe und hemmungsloser Sex. Wer mir was anderes einreden will, schwindelt! (Hoffe ich.)

Rosen sind rot, Veilchen sind blau. Familie ist das Superste, ich weiß es genau!

 

 

 

 

 

41M

Ich weiß gar nicht, wann ich aufgehört habe, den Monatsgeburtstag des Blondinos zu feiern. Möglicherweise irgendwann im letzten Jahr. Davor war jeder dritte eines Monats ein kleiner Feiertag, zumindest für mich.

Eigentlich ist das schade, denn (Eine Mark ins Phrasenschwein: Sie werden ja so schnell groß!) jeder Monat ist einzigartig und bringt etwas unvergleichliches, nie dagewesenes, kurz: etwas ganz Neues als Geschenk. Klar verändern sich die Kinder ihr ganzes Leben und sie lernen dazu, bilden ihre Persönlichkeit aus und lassen uns als Eltern staunen und bewundern (und manchmal verzweifeln), aber geht es jemals schneller und deutlicher als in den ersten Jahren?

Ich bin vollkommen dem Zauber erlegen, meinem Kleinchen zuzusehen und zu hören, und nichts ängstigt mich mehr als die Flüchtigkeit jedes einzelnen Moments. Deshalb: Herzlichen Glückwunsch zum einundvierzigsten Monatsgeburtstag, mein Liebchen, mein Kleinstes!

Noch immer watschelst du auf Schritt und Tritt hinter mir her wie ein Entenjunges und ich versuche, nicht genervt zu reagieren, kenne ich doch um den bittersüßen Schmerz um die flügge werdenden Vögelchen, die ihre pickligen Flügel spreizen und schnatternd meinen, allein in die Welt stolpern zu können. Bloß nicht in Mamas Windschatten! Und die bleibt mit traurig hängenden Flügeln zurück. Mit faltigen Flügeln und vergrämtem Ausdruck um den Schnabel… sehe ich jeden Morgen im Spiegel.

Bleib noch ein bisschen bei mir, du kleiner Mini-Erpel. Einundvierzig Monate, noch einmal so viele, und du bist schon ein Schulkind! Und dann noch zweimal zwinkern, und du willst ausziehen in irgendeine WG und ich muss dich betteln, damit du dich mal sonntags blicken lässt. Und deine Wäsche willst du dann auch alleine waschen und wir wissen ja, wie das ausgeht! Und ich soll nicht dauernd anrufen und whatsap´s schreiben, aber du rufst ja nie zurück! Und dabei mache mir doch nur Sorgen!

Halt! Die Fantasie möge bitte den Galopp stoppen und ihr geflügeltes Pferd zügeln, danke.

Hier und Jetzt. Ich versuche also,  die flüchtigen Momente, das fragile Glück des Augenblicks (Jetzt wird sie prosaisch, rette sich, wer kann!) zu konservieren. Hier. Und jetzt. Dafür ist so ein Blöggel ideal, kann ich wärmstens empfehlen. Und wenn mir die ganze Chose abstürzt, druckt das dann einer von euch aus für mich und dann kann ich das nachlesen, wenn ich alt und grau bin. Also noch älter und, ach, ihr wisst schon.

Einundvierzig. Kommunikation ist das Wort, das ich als Überbegriff für diesen einundvierzigsten Monat nehmen könnte. „Guten Morgen, mein Mami-Schatz! Darf ich dir ein Küsschen geben?“, wer wird nicht gern so geweckt. Unnachahmlich auch, wenn er mit Piepsstimme den Papa verabschiedet mit den Worten: „Machs gut, mein Großer!“. Hauptsächlich aber schmunzeln wir momentan über seine zauberhaften Buchstabendreher und ich bin geneigt, diese ins Familienvokabular zu übernehmen.

Trostbrot mit Pullunder

Trostbrot mit Pullunder

Morgens isst er gern ein Trostbrot mit Pullundermarmelade. Abends ein Brot mit Lederwurst. Und wenn die Apfelschulle alle ist, weiß er schon genau, wo es Nachschub gibt: In der Abschleppkammer! Und Anziehen geht auch schon alleine, insbesondere beim Räusperschluß darf ich nicht mehr helfen.

Manchmal muss ich aber intervenieren. Im Moment ist er ganz schrecklich verliebt in die fünfjährige Louisa, genannt Lulu. Jeden Tag fragt er mich, ob heute die Lullull kommt. Ich weiß nicht, ob „Lullull“ ein allgemeinverständlicher Begriff ist, aber hier ist es ein Kinderwort für Urin. Er nennt seine Freundin quasi Pipi! Ich also: „Nein, so heißt sie nicht. Süßilein, sag mal Luuuuuuisa!“, „Lullullulluiiiiiisa!“. Hoffnungslos.

Und gestern Abend: „Was wollen wir lesen?“. „Fliro Flunkerfisch!“.  „Flori Flunkerfisch meinst du? „Floo-ho-ri Flinkerfusch!“.

Und folgende Gesprächssequenz hört man bei uns Eltern andauernd: „Hach, ist der nicht süß? Mein Gott, ist der süß!“, „Ja, der ist wirklich süß.“. „Ja, oder? Den haben wir gemacht, kannst du dir das vorstellen?! Unglaublich, wie süß der ist!“.

 

Edit: Er ist wirklich sehr süß.  Echt jetzt. Ohne Übertreibung! Ich bin ja kein Flinkerfusch. Obwohl…

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Mutterherzgeschwurbel

Gestern wurden dem Burschi die vier Weißheitszähne entfernt. Das war nötig, weil die ihm später große Probleme bereitet hätten. Es sind noch kleine Kugeln, haben sie mir gesagt. Das ist nicht weiter schlimm, sagten sie. Wir schneiden das Zahnfleisch auf und holen die kleinen Kügelchen raus, bevor sie große Beißerchen sind und ihrem Jungen Probleme machen, haben sie gesagt.

Anderthalb Stunden wurde an meinem Schlaks herumgeschnitten und gehobelt. Anderthalb Stunden, in denen ich flatternd im Wartezimmer saß, zum Aushalten verdonnert.

Dann kam eine Schwester im OP-Kittel und holte mich. Das Kind saß mit roten Augen und fetten Backen auf dem Zahnarztstuhl und mich überkam eine Welle an Gefühlen. Ich grabschte nach der Kinderhand und quetschte sie, während die Ärztin mir erzählte, was sie gemacht hätte und wie tapfer der Junge gewesen sei. Ich war überhaupt nicht tapfer und kaute und schluckte allenfalls tapfer an meinen Tränen.

Tapfer war er auch seitdem. Er litt leise, schaute mich waidwund an aus seinen Rehaugen und lag einfach nur.

Ich wuselte wie eine Bekloppte in der Wohnung hin und her, suchte Zeug, schleppte es von A nach B, kochte sinnloserweise Sachen vor, pürierte diese, googelte Pflegehinweise nach Zahn-OPs, bettelte die Nachbarin, Arnikaglobuli aus der Apotheke zu holen, weil ich den Jungen nicht alleine lassen wollte, reichte feuchte Waschlappen, trockene Waschlappen, Kamillentee auf dem Löffel, aufgelöste Schmerztabletten auf dem Löffel und nachts ließ ich alle Türen offen, das Licht an und horchte in die Dunkelheit.

Schlich auf Socken zum Kinderzimmer und besah mir das im Sitzen schlafende Kind, mit Backen dick wie Sandy, das Eichhörnchen. Mein Junges! Angeditscht und beschädigt.

Dann lag ich in meinem Bett, starrte an die Decke und heiße Tränen liefen mir in die Ohren. In diesem Moment dachte ich an all die Situationen, in denen ich Angst und Sorge um dieses Kind haben musste. All die sorgenvollen Momente aus sechzehneinhalb Jahren, komprimiert in einem Klumpen, der mein Herz verstopfte und krampfen ließ.

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vor sechzehn Jahren

Er war nicht mal ein Jahr. Ich sehe ihn ohnmächtig werden und erbrechen auf der Schulter des Bärtigen, mitten in der Kinderarztpraxis, nach fünf Tagen Fieber ohne Besserung. Rauf, runter, rauf, runter. Ohnmacht. Höre den Kinderarzt: „Es gibt leider eine Form der Leukämie, die sich in solchen Fieberverläufen manifestiert. Ich entnehme dem Kind jetzt Blut aus dem Kopf, wir wickeln ihn in eine Decke, damit er nicht strampelt… geht leider nicht anders… noch zu klein…“. Das entsetzliche Gellen meines Kindes fährt mir durch Mark und Bein. Zwei Tage ohne Schlaf und mit entsetzlicher Angst später Entwarnung. Zum Glück.

Ein paar Jahre später. Ich sehe ihn auf einer OP-Liege wegfahren, „Tschüss Mami!“, flüsternd, kaum sechs Jahre alt. Höre den Oberarzt erzählen, Blinddarmdurchbruch, Sepsis, Glück gehabt. Warum? Warum? Wir waren doch schon im Krankenhaus! Ich sehe mich toben, sie hätten ihn fast verloren! Mein Baby! Wieso habt ihr das nicht gesehen?! Er hat noch mal Glück gehabt, ein Vorschulkind mit Bauchschmerzen ist der Albtraum eines jeden Chirurgen, höre ich den Arzt sagen…

Später. Der völlig aufgelöster Vater eines Schulkameraden am Telefon, sie müssen kommen, etwas Schreckliches ist passiert! Ihr Junge ist verunglückt, schwere Stahlplatte, Kopf, Keller, ich weiß nicht, wie das passieren konnte! Ich sehe den Dreikäsehoch mit einem blutdurchtränkten Handtuch um den Kopf. „Tut gar nicht weh, Mami!“. Er hat einen Schutzengel, sagt die Chirurgin beim Nähen. Die fette Narbe blitzt noch heute nach jedem Friseurbesuch auf seinem hübschen Kopf. Ich will sie noch immer streicheln und küssen…

Ich sehe mich in einem großen Krankenhaus zur Besuchszeit. Das Kind winkt am Fenster, für Monate getrennt. Höre alles, was die Ärztin mir zu sagen hat und verstehe gar nichts. Autismusspektrumstörung, Asperger Syndrom. Ich lerne mein Kind kennen, endlich. Nach so vielen Jahren. Und heuleheuleheule.

Ungezählte Anrufe wegen Quälereien aufgrund seiner Andersartigkeit. Geschlagen, Nase blutig, Sachen weg, Kind weg, Schulangst…

All meine Gefühle, im Zeitraffer der Erinnerung, überwältigen mich und ich denke mir, dass es nichts, wirklich rein gar nichts gibt, was annähernd dem Gefühl gleicht, das eine Mutter befällt, die Angst um ihr Junges hat. Kein Gefühl für Hunger, Durst noch Müdigkeit. All ihr Sein ausgerichtet auf das Fortpflänzchen. Den Rest der Welt ausgeblendet, Tunnelblick.

Ich sehe eine andere Mutter vor mir, deren Kleinstes schon nierentransplantiert werden musste vor seinem dritten Geburtstag. Ein goldiger, fröhlicher Junge, der eines jeden Herz gewinnt, der ihm begegnet. Wie stark muss diese Mutter sein? Eine andere Mutter, die ich kenne, hat ihre beiden Kinder nacheinander an die Leukämie verloren. Mit Anfang zwanzig. Sie überlebt sie schon seit zwanzig Jahren. Ich habe nicht die geringste Vorstellung, wie das gehen kann.

Was wird noch kommen? Niemand weiß es. Da ist nur Hoffen und Wünschen, keine Spur von Wissen. Und das ist auch gut so.

Ich denke, nichts in meinem ganzen Leben habe ich so mit Wünschen und Hoffnungen bedacht wie meine Kinder. Vermutlich geht das allen Müttern so. Ich habe sie als Babies bestaunt, ihre ersten Schritte mit Herzeleid bewundert und sehe sie wachsen. Und frage mich bei alledem, was wohl aus ihnen wird. Wie sie aussehen werden, wenn sie groß sind. Wohin ihre Reise sie tragen wird. Ob sie Freundschaften schließen werden, Familien gründen. Wünsche ihnen, dass die Liebe sie findet und wenig Schmerz dabeihat im Gepäck.

Und ich denke mir dabei, dass es gut ist, dass da nur Hoffen und Wünschen ist und kein Wissen. Dass niemand von uns weiß, welche Prüfungen das Leben unseren Kindern und uns vorbehält. Dass wir das Hier und Jetzt genießen können, uns aufreiben, ärgern, lieben. Aber stets im Bewusstsein, egal, was passiert, wir werden in jeder noch so unvorstellbaren Situation das Beste für unsere Kinder sein. Von der deren erster bis zu unserer letzten Minute. ❤

 

So, mein triefendes Mutterherz und ich gehen jetzt Waschlappen wechseln. Küsst eure Kinder und wenn gerade alles gut ist, geniesst es. Und falls nicht, ihr schafft das!

Mütterherzenspower, dagegen kackt selbst Chuck Norris ab. Chakka, Baby!

 

 

 

Über das Grauen

„Morgengrauen“ ist ein Begriff, der die astronomische Dämmerung am Morgen beschreiben soll.

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Morgengrauen; wie Wikipedia es beschreiben würde

Mir allerdings dämmert schon seit längerem, dass sich unter dem Begriff das Grausen vorm nächsten Morgen verbirgt. Vor den grauen trüben Morgenstunden, in denen erwachsene Menschen, von Minderjährigen aus dem Schlaf gerissen, in der Gegend rumtorkeln. Mit grauem, aschfahlem Gesicht.

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die ungeschminkte und unschöne Wahrheit im trüben Licht eines jungen Morgens

Vermatschte, energielose Menschen, die zitternd vor der Kaffeemaschine stehen und sich in einem Zustand befinden, zur Erreichung dessen sie früher mehrere Gefäße hochalkoholischen Zeugs benötigt hätten und den sie nun einfach regelmäßig und ohne Einfluss von toxischen Stoffen erreichen. Prima!

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Betroffene

Und dann reden sich die Leute immer ein, dass alles eine „Phase“ sei und man doch bald wieder acht, neun, zehn, (Ach was!) achtzehn Stunden am Stück schlafen würde! Nach vollumfänglich befriedigendem Beischlaf am Abend zuvor (mindestens dreißig Minuten lang in verschiedenen Positionen und einer angemessenen Menge Alkohol davor und einer Zigarette danach, im Morgenmantel aus Seide mit attraktiv verwurschteltem Haar) und die lieben Kindlein erwachen erst, wenn die ausgeschlafenen Elternmenschen am nächsten Tag in Ruhe geduscht und eine angemessene Menge Kaffee konsumiert hätten.

Ja, das erzählen sie alle!

Niemand erzählt einem, dass wir alle nie, nie wieder schlafen werden! Wie Ingo Appelt schon vor gefühlt tausend Jahren erkannt hat, können wir erst nicht schlafen, weil die Kinder alle anderthalb Stunden gestillt werden wollen oder krank sind. Oder Zähne kriegen. Oder aufwachen und sich beschäftigen wollen. Mit dir, versteht sich. Dann können wir nicht ausschlafen, weil wir mitten in der Nacht die Brut in irgendwelche Einrichtungen fahren müssen. Und später, weil wir auf den Anruf warten, um die (möglicherweise angetrunkene) Brut nachts aus irgendwelchen Einrichtungen abzuholen! Und dann können wir auch nicht ausschlafen, weil der Zivi das Licht anmacht und sagt, er wöllte dich jetzt waschen!

So sieht´s aus! Das geht jetzt bis zum Ende so weiter. Schlaflos forever.

Man kann einfach nicht genug warnen: Liebe Kinder, Geschlechtsverkehr kann Folgen haben!

Über die Langzeitfolgen des Morgengrauens wird nicht geforscht (die Pharmalobby hat wohl noch keinen Stoff entdeckt, der sich damit promoten ließe), Betroffene schildern allerdings einhellig, dass das Grauen ganzheitlich von ihnen Besitz ergriffe.  Graue Gesichtsfarbe, dunkelgraue Augenschatten, vorzeitig ergrautes Haupthaar, das Absterben grauer Zellen.

Ja, sogar eine Grau-ifizierung des kompletten Umfeldes wurde von einigen beschrieben! Grau als Lebenseinstellung. Mir graut!

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Wie kann man dem Grauen Einhalt gebieten? Nun, Abdeckmitteln werden Wunder nachgesagt und damit die Not müder, ergrauter Menschen mit fahlem Teint schamlos ausgenutzt!

Abdeckmittel

Abdeckmittel mit rein optischem Lösungsansatz

Das einzige Abdeckmittel, das tatsächlich und ganzheitlich hilft, ist:img_3958

In diesem Sinne: Gute Nacht! 😉

 

Schlaflos in Pieschen

Es gibt Menschen, die kommen mit wenig Schlaf aus. Ich gehöre zu den anderen.

Der Bärtige behauptet oft, niemand auf der Welt könne so viel schlafen wie ich, das sei quasi meine Kernkompetenz! Der Beweis wird nie angetreten werden können, denn: Man lässt mich nicht!

Als das Blondchen ein Baby war, schlief der anfangs nur tagsüber. Ich, in Elternzeit und nur zur Nachwuchspflege abgestellt, in mehreren Schichten über den Tag verteilt. Daran kann man sich irgendwie gewöhnen (redete ich mir ein).

Nun ist es aber so, dass mittlerweile von mir erwartet wird, dass ich meinen Beitrag zum Bruttosozialprodukt beisteuere und mehrere Stunden am Stück (!) wach sein soll. Und produktiv. Also in der Woche zumindest. Das läuft so unterdurchschnittlich gut, denn dem Schlafräuber, der hier noch immer wohnt,  ist das herzlich wurscht!

Oft sitze ich mit juckenden Augen im Büro, höre den Kollegen irgendwas sagen, am Ende hebt sich seine Stimme. Aha, eine Frage also. Ich habe aber gar nicht verstanden, was der von mir will und kann nur schwer dem Drang widerstehen, ehrlich zu antworten: „Ach, mach doch, was du willst, ich bin so müüüüüde!“.

Das Wochenende dient allen anderen Berufstätigen zum Auftanken der Kraftreserven und zum Ausschlafen, nur Eltern nicht! Das ist voll ungerecht, aber leider nicht zu beeinflussen.

Heute zum Beispiel habe ich null Uhr irgendwas das Kind zum ersten Mal wieder in sein Bett gebracht, halb drei das zweite Mal und um vier das dritte. Natürlich stets verbunden mit Apfelsaftreichungen und Streicheleinheiten. Vier Uhr fünfzehn dann kommt er und knallt mir ein Buch auf den Kopf. „Räuber Ratte“. Als ich ihn wieder in sein Zimmer bringen will, sehe ich, dass er bereits alle Lampen und den CD-Player angeschaltet hat. Das war´s also.

Er ist müde, ich bin müde. Er heult, ich brumme mit verklebten Augen meinen Kaffee voll. Draußen ist die Nacht schwärzer als schwarz.

Die nächsten Stunden versuche ich, das Kind leise zu beschäftigen, was sich mit fortschreitender Helligkeit vorm Fenster schwieriger gestaltet. Seine Laune wird immer übler. Meine auch.

Gegen neun essen wir zu Mittag, was logisch erscheint, wenn man bereits um halb fünf gefrühstückt hat. Dem Mann, der das Wochenende über zum Fahrradfahren mit seinen Kumpels anderswo weilt, sende ich Liebesbotschaften. Damit er auch etwas von unserem Morgen hat.

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Er antwortet nicht, schläft vermutlich noch (Die dumme Sau!).

Ich schnappe mir mein Wurschtgewitter und verfrachte uns beide ins Bett, in meins. Aber ach, wenn es doch so einfach wäre! Noch nie konnte das Kleinchen neben mir im Bett schlafen. Schon als winziges Zwerglein schlief der erst ruhig, wenn er für sich in seinem Körbchen lag! Familienbetter sind wir also noch nicht mal wider Willen.

Nun gut, heute also ein erneuter Versuch. Ich packe ihn mit seiner Decke, seiner Huschelwindel und dem Nunni neben mich. Gute Nacht! Augen zu!

Einundzwanzig, zweiund… Zack! Setzt er sich auf, springt auf, steht auf, hüpft. Ich stelle mich schlafend. Er springt vom Bett, rennt einmal durchs Zimmer und springt wieder aufs Bett. Piekst mir ins Auge und flüstert: „Pscht! Mami släft!“. Macht einen Purzelbaum, knallt mir seinen Fuß auf den Kopf, springt wieder vom Bett. Holt sein Müllauto und schüttet Smarties hinein. Ratter ratter ratter. Dann alles wieder auskippen. Schepper schepper schepper. Rauf auf´s Bett und springen! Runter vom Bett, rumrennen. Deckenlicht anmachen und beide Nachttischlampen. Dann meinen Radiowecker. „Krrrrsch!“, natürlich ist der Sender verstellt (Ratet, von wem.).

Wir sind dann doch wieder aufgestanden. Aus irgendeinem Grunde konnte ich nicht schlafen! Und da soll noch mal jemand sagen, ich könne immer und überall.

Während die süße blonde Nervensäge den zweiten Nutellatoast wegspachtelt (lasst mich nachrechnen, das ist dann wohl mittlerweile sein Vesper), habe ich den Himbeerkuchen angeschnitten, den wir gestern zusammen gebacken haben. Ich glaube, an solch einem Morgen brauchen wir beide etwas Tröstliches.

Und es funktioniert! Draußen strahlt die Sonne, langsam kehrt Leben auf die Pieschner Straßen zurück und man hört schon Kinder draußen im Hof lachen.

Mit Himbeerkuchen im Mund sieht selbst der müdeste Tag ein bisschen friedlicher aus. Und schließlich gibt es dann auch bald wieder Mittagschlaf. Also, hoffentlich! Denn schon ein paar Mal hat er einfach nicht… oh nein, nicht daran denken und auf gar keinen Fall aussprechen! Statt dessen lasst uns einfach mehr über Kuchen reden.

Rikes Himbeerkuchen für übermüdete Sonntage und andere Notfälle

aus

2 Tassen Mehl

1 Ei

1 Tasse Knuspermüsli ohne Rosinen

1/2 Stück Butter

1 kräftigen Prise Salz und

etwas Zucker

einen Knetteig herstellen.

Gegebenenfalls noch etwas Mehl hinzufügen, wenn der Teig zu feucht ist, etwas kaltes Wasser, wenn er zu trocken ist. In eine gefettete Springform drücken.

1 Beutel Tiefkühlhimbeeren etwas antauen lassen und mit

3 Esslöffel Puderzucker

etwas Zitronenschalenabrieb und

1 Päckchen Vanillepuddingpulver

bestäuben und gut vermengen. Auf den Teig geben und bei 175°C Ober-Unterhitze (ca. 150°C Umluft) eine halbe Stunde backen. In der Zwischenzeit aus

6 Eiweiß

1 Prise Salz und

1 Tasse Zucker einen steifen Eischnee schlagen

…und nach dreißig Minuten auf den Kuchen geben. Weitere zwanzig Minuten backen.

Auskühlen lassen und schon mal Schlagsahne suchen…

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Ich wünsche euch einen schönen Sonntag und vor allem: Gute Nacht!

Und wenn es euch so wie mir ergeht, dann denkt immer daran: Es geht vorbei! Es ist alles nur eine Phase! Oder? Ich sag euch was: PHASE PHASE PHASE, ICH KANN DAS NICHT MEHR HÖREN! Der nächste, der mir mit Phasen kommt, gewinnt einen automatischen Weckservice. Sonntags um halb fünf! 😀

Die Begegnung

Ein normaler Samstag Morgen zwischen acht und neun.

Ich marschiere mit beiden Kindern unseren samstäglichen Einkaufsweg ab. Im Drogeriemarkt steuert der Blondino zielstrebig das Schaukelpferd und den Spielwürfel an, den die Manager dieser Einkaufskette zur Belustigung des kleinen und großen Kundenstammes dort aufgestellt haben. Das größere meiner Fortpflänzchen sucht Pokemons zwischen den Duschbädern und ich Kniestrümpfe in Größe vierundzwanzig. So weit, so gut.

Neben uns auf der Spielinsel schaukelt eine Mittdreißigerin in Ökobiomembranfunktionsbekleidung und ebenso praktischem wie natürlichem Kurzhaarschnitt über natürlichem ungeschminktem und faltenfreien Teint singend ihr etwa neunmonatiges Baby, gewandet in korrektem beige-grauem Bioökonaturfilzschurwollegemisch auf dem Schaukelpferd. Typische Situation einer Ein-Kind-Mutter, wie ich unterstellte und ein wenig und nur ganz kurz war ich neidisch auf ihre sorglose, entstresste Situation. So weit, so belanglos.

Als nach angemessener Spielzeit meines Nachkommens (und es gab keine Kniestrümpfe in Größe vierundzwanzig) der Aufbruch nicht länger herausgezögert werden konnte, insistierte ich diesen. Beim Kind. Meinem. Es ist Zeit zu gehen/ Wir müssen nun zum Bezahlen an die Kasse/ Wir gehen jetzt/ JETZT gehen wir/ Das nächste Mal kannst du hier wieder spielen/ Steh jetzt bitte auf/ Steh JETZT SOFORT auf.

So weit, so armselig. Denn es kam, wie zu erwarten: Das Meinige schmiss sich längs und quiekte strampelnd und schimpfend und laut. Souverän und gefasst hob ich den Unkooperativen vom Boden auf und ruhig, beruhigend und bestimmt setzte ich ihn in seine Plagenkarre.

„Na, so klein ist er aber nun auch nicht mehr!“ (ließ sich die andere Mutter vernehmen, interessiert und leicht verächtlich -Unterstellung- die Situation beobachtend)

„Wie bitte?!“

„Ich sagte, so klein er ist aber auch nicht mehr, dass er sich so benehmen dürfte! Das typische Alter für bockige Kinder ist doch eher früher!“

Tunnelblick. Mein Blut kocht. Von jetzt auf gleich habe ich Bluthochdruck und mein innerer Dampfkessel fiept. Ich erwidere irgendetwas, nenne der Frau gar das korrekte Alter meines Kindes und danke sarkastisch (ich hoffe, es klang sarkastisch) für ihren Hinweis auf das untypische Verhalten meines Kindes und den Hinweis auf meine Inkompetenz.

Es geht also immer noch armseliger…

Draußen, immer noch bei voller Betriebstemperatur, klärt mich mein Großkind auf: „Mama, das einzige, das wirklich peinlich war, warst du! Ihr erklärt mir immer, wenn mich jemand anmacht, soll ich das ignorieren und darüber hinwegsehen und du flippst aus wegen ´nem blöden Spruch!“. „Sohn, du hast recht, aber weißt du, das ist so ein Mütterding. Vielleicht auch ein Rike-Ding. Wenn irgendwer was über meine Kinder sagt, springe ich direkt aus dem Stand! Weißt du, alle Mütter wissen eigentlich, wie hilflos einen so eine Situation machen kann und dass alle gucken, wer da so schreit und dass das eh schon peinlich genug ist und man als Frau einfach nur raus will aus der Situation und dem Laden. Also ich zumindest. Und ich käme niemals auf die Idee, in so einer Situation einer anderen Frau noch einen Spruch to go mitzugeben!“. „Na ja, du vielleicht nicht.“

Kluges Kind.

Liebe Mutti aus dem Drogeriemarkt! Entschuldige bitte, mein Verhalten vorhin war unangemessen. Ich muss vielleicht noch ein paar Erziehungsratgeber lesen oder möglicherweise kannst du mir Tipps geben aus deinem reichen Erfahrungsschatz? Das wäre wirklich schön! Lass uns doch mal treffen auf einen Kaffee oder vielleicht ist dir ein Matetee lieber. So in zwei Jahren vielleicht? Wenn dir das passt. Oder in zwölf? Auf Augenhöhe. Bitte melde dich, ich freue mich!

Brüder

„Der sieht ja genauso aus wie der Große!“

Es gibt Leute, die das über mein Kleinchen sagen. Ungefragt, wohlgemerkt (und unqualifiziert, ebenfalls wohlgemerkt).

Ich finde das lästig! Was ist das denn für eine Unart?! Elternmenschen einfach um die Ohren zu hauen, was nach völlig uninteressanter, subjektiver, ungefragter Nicht-Experten-Meinung für ein optisches Abstammungsverhalten bei irgendwelchen fremden Nachkommen vorliegt!

Nach wem meine Fortpflänzchen kommen, ist zweifelsfrei und argumentativ hier beschrieben worden. Das reicht aber nicht! Nun also sollen sie angeblich auch noch gleich aussehen. Dabei ist nichts gleich an denen!

Bis, ja, bis auf den Umstand, dass beide Nachkommen mit dicken Schädeln ausgestattet sind. Kopfumfang zum Zeitpunkt des Welteintrittes neununddreißig und siebenunddreißig Zentimeter. „Das große Runde muss durch das…“, ich habe noch immer postpartale Phantomschmerzen. Das macht sie gleich, die Brüder. Und dann war´s das auch schon!

Der erste war ein Schläfer. Ist ein Schläfer. Der pennte schon ab seiner Geburt eigentlich am liebsten dreiundzwanzig Stunden am Tag. Ich lief bereits im Krankenhaus mit tropfenden Brüsten ständig in das Babyzimmer (rooming in wurde damals irgendwie nicht konsequent umgesetzt) und da lag das Meinige grunzend zwischen zwanzig bläkenden Kindern. Immer. Der schlief durch. Abends um fünf (!) hingelegt, den nächsten Morgen um acht erwacht (also ich) und den Mann panisch und heulend geweckt, weil ich sicher war, das neue Baby sei tot. Er solle nachsehen, ich könne das nicht! Aber nein, der schlief einfach nur.

Der zweite kam schon mit einem mürrischen Gesichtsausdruck raus. Und den behielt er monatelang bei. Schlafen?! Pah! Der schläft schlecht ein, schlecht aus. Und ja, auch schlecht durch. Und Wachsein fand der auch lange Zeit doof! Er brüllte einfach nur die Welt an. Scheißwelt! Und reckte seine kleine Faust in die Luft. So einer ist das.

Der Große baute schon früh behände und flink Dinge zusammen, Konstruktionen, hatte aber keine Lust, damit dann zu spielen! Das Bauen war sein Spielen. Dem Kleinen gehen dergleichen Talente vollkommen ab. Der kriegt nicht mal ne Spielzeugmülltonne an ein Spielzeugmüllauto drangedingst. Wenn man ihm diese aber daran befestigt, kippt er völlig im Spiel versunken stundenlang Spielzeugmüll in sein Spielzeugauto. Und dann alles wieder aus. Und wieder von vorn.

Der Erstgeborene interessiert sich für Technik und Zusammenhänge.  Der zweite singt und rezitiert Gedichte in Babysprache und wenn klassische Musik erklingt, lauscht er mit offenem Mund, den Blick in die Ferne gerichtet. Besonders bei Klavierklängen und Querflöte (Als ob ich tatsächlich wüsste, wie eine Querflöte klingt!).

Der Große erdrückte mich jahrelang, wenn er mir seine Liebe zeigen wollte. Und zwar buchstäblich! Der kam mir immer zu nahe, kroch nahezu in mich rein, als wöllte er dahin zurück, von wo er gekommen war. Schlief in meinem Bett, einen Klammergriff fest um mich geschlungen. Rutschte bis auf drei Zentimeter an mich heran um mich ganz genau (!) zu beobachten. Umarmte mich derart heftig, dass mir die Luft wegblieb und drückte, kniff mich, um zu sehen, was das dann für eine Reaktion auslöst. Einmal sah er mich weinen und das Bild faszinierte ihn und weil es ihm fremd war, kam er neugierig lächelnd näher. Näher. Und ganz nah vor mir stellte er dann sachlich richtig fest: „Du weinst!“.

Der Kleine ist furchtbar mitfühlend und heult sofort los, wenn irgendwo jemand heult. Oder informiert wie eine Feuerwehr -Tatütata!- die Umwelt: „Da weint jemand! Da weint jemand!“. Als der Beste sich mal am Fuß verletzt hatte, brachte der Kleinste noch tagelang morgens ein frisches Kinderpflaster um seinen Papi zu verarzten und brach in bitterliches Weinen aus, als ich mir einmal (Wie konnte ich nur?!) die Fußnägel blutrot lackiert hatte. Es war ihm einfach nicht begreiflich zu machen, dass das tatsächlich nur Farbe ist. Der litt mit mir!

Außerdem ist er ein Genießer, der Kleine. Rückenkraulen, streicheln, alles findet der schön! Der Große konnte das nicht aushalten, den kitzelten zärtliche Berührungen stets.

So ist alles neu und alles anders irgendwie mit Zweien. Und immer überraschend!

„Ich liebe euch beide gleich!“

Lüge.

Meine Mutter hat diesen Satz gern verwendet und ich begreife den noch heute nicht! In meinem ganzen Leben habe ich nicht zwei Menschen getroffen, die ich „gleich“ geliebt hätte. Und meine Kinder, die Menschen, die ich also am allerdollsten in meinem ganzen Leben und gemessen an allem, was im Universum an Tiefe und Breite bezüglich Liebe und Liebesfähigkeit möglich ist, liebe liebe liebe, bei denen ist das doch nicht anders! (Verknallter Satz, bitte die Syntax wegschmeißen und die Worte einzeln aufheben. Danke.)

Was mir klarer ist, da ich nun zwei von der Sorte habe, ist, dass das Spektrum an dem, was gemeinhin „Liebe“ genannt wird, breiter wird. Und tiefer, höher, größer. Und zwar alles auf einmal!

Während ich das Kleinchen anschmusen und küssen und herumtragen kann und dieser mein Licht ist, liebe ich meinen Erstgeborenen von Ferne. Ein schmachtendes zartes Gefühl, vergleichbar mit einer unerfüllten Jungmädchenliebe.

Ich sehe den oft gedankenverloren an, die sehniger werdenden Arme, die Schultern, die sich wölben, der männliche Kehlkopf (Seit wann hat er das? Das ist kein Kehlkopf, da sitzt eine Faust in seinem Hals!). Ich sehe in ihm das Baby, das er einmal war und eine Vision des Mannes, der er vielleicht einmal werden wird. Und ich würde gern seine Hand streicheln mit den langen Fingern, ihn in den Arm nehmen, also richtig, nicht dieses halbweggedrehte Küsschen links-Umarmen zum Abschied. Aber das geht nicht. Nicht mehr.

Und so bestaune ich diesen jungen Mann und liebkose ihn zärtlich mit meinem Blick und liebe ihn dennoch tief und innig wie den kleinen Kerl, dem ich meine Liebe zwischen Küsse gepappt ins Gesicht schmatzen darf. Aber eben anders!

Dieser Kleine, um den ich mir so gar keine Sorgen mache und der Große, um den ich mir jahrelang den gesamten Sorgenkatalog machen musste. Sie sind wirklich verschieden. Zum Glück. Zu meinem Glück!

Und zu meinem größten Glück lieben sie einander wie nichts anderes auf der Welt und das zu sehen… hach Leute!

Wenn der Windelscheißer morgens mit seinem Nunni im Mund das Bett des Großen entert, dann verhakeln die schlaftrunken ihre Beine, seufzen beide und schmusen sich wach. Aneinandergekuschelt. Ich stehe da oft in der Tür und sauge diese Bild auf. Unfähig, den Blick abzuwenden. Und manchmal, ganz selten, lassen sie mich zu sich. Und wenn ich auf der Decke meines großen Sohnes liege, dessen Geruch einatme, den Rücken des Kleinen an meinem Bauch und seine Atemzüge vor meinem Herzen, dann… tja, dann sind da die Antworten auf alle großen philosophischen Fragen des Lebens. Wer bin ich? Worin besteht der Sinn des Lebens? Was ist Liebe? Da sind sie, die Antworten. Neben mir. Völlig zweifelsfrei.

Und dann passiert es auch, dass meine Liebe überläuft und ein bisschen auf den bärtigen Blödmann überschwappt, dem ich vielleicht vor einer Stunde noch verkündet habe, dass ich seine Seite des Schlafzimmers neu vermiete, und ich schaue den ganz verliebt an. Und mein Unterleib krampft und versucht, irgendwo noch ein verschrumpeltes Ei aufzutreiben und auf den Weg zu schicken. Guck doch mal, das haben wir gemacht! Diese zwei kommen von uns! Aus uns! Ist das nicht fantastisch?!

Jaja.

Und in einem anderen Szenario machen sie mich fix und fertig! Alle drei. Weil sie nämlich stets Allianzen bilden gegen mich und das bärtige Kind das schlimmste von allen ist! Ich bin hier alleinerziehend, echt jetzt.

Neulich kamen sie aus dem Biergarten, wo sie „Männergespräche“ geführt haben, während ich ge-Netflix-t und entspannt habe. Da platzen sie zur Wohnzimmertür herein und schon gehts los: „Boar, hier stinkts!“, „Mama, hast du gefurzt?! Was hast du gegessen?“, „Ob ich was?! Also, bitte!“, „Klar, eenen Ordentlichen abgedrückt haste in die Kissen!“ (Der eine macht Mundfürze, der nächste stimmt ein, zwischendurch boxen sie sich gegenseitig johlend gegen die Schulter). „Jetzt reichts aber! Ihr spinnt wohl! Wie redet ihr denn mit mir!“. „Mama Hose kackt! Mama Hose kackt!“.

Und neulich begrüßte mich der jüngste im Trio infernale mit den Worten: „Hallo Wadenmuschi!“. Und ich so: „Na, du bist aber ein kleiner Frechi!“. Und er dann: „Mama ist eine frechiblaue Pupswaschanlage!“.

Sie machen mir wirklich viel Freude, diese Brüder!

Sauberkeitserziehung

Der Blondino hat mir heute Morgen mal wieder auf den Wohnzimmerteppich gekackt. Nein, hingeschissen hat er. Und zwar fulminant!

Jegliche Versuche, ihn bisher irgendwie windelfrei zu bekommen, endeten binnen weniger Minuten in einer Sauerei. Er kackt in den Schuppen und der Bärtige latscht barfuß rein. Er kackt mir in die Küche und mein Verstand weigert sich, „braune Wurst auf Teppich“ zu einem sinnvollen Bild zusammenzufügen. Er pinkelt los, sobald er weder Windel trägt noch auf dem Topf sitzt.

Freiheit! Juhu! Schnell mal entleeren. So macht er das.

Das unsaubere Kind wird im September drei Jahre alt und die Kitatanten haben mich liebevoll darauf hingewiesen, dass sie dann schon die neuen Kleinen haben werden und keine Zeit, die Großen so sehr zu bemuttern, wie sie es im vergangenen Jahr konnten. Meint neben selbstständigem Anziehen eben auch das „Geschäft“.

Nun ja, wir bemühen uns. Also ich.IMG_2227 (1)

Ich kenne die Crux schon vom Großkind. Damals, kurz vorm dritten Geburtstag, schimpften die alten DDR-Erzieher, so ein Ferkel käme nicht zu den Kindergartenkindern! Und ich mühte mich. Public pissing, bunte Kinderklobrillen, allein es brachte gar nichts! Das Kind spielte gedankenverloren mit seinen Kackwürsten in der Badewanne, freute sich über gefundene Hundewürstel im Park und schien rein gar nichts dagegen zu haben, sich in die Hose zu machen. Eklig fanden nur wir Großen das. Er überhaupt nicht!

Eine Woche vorm dritten Geburtstag war es auf einmal vorbei. Zack! Von einem Tag auf den anderen hatte er beschlossen, dass er ab jetzt auf das Klo gehen werde wie wir. Ohne Kinderbrille, ohne Topf oder sonstige kindgerechten Umwege. Ein Bänkchen davor zum Hochklettern und ab ging die Lucie. Ich kann mich auch an keine nennenswerten Unfälle danach erinnern. Er hatte einfach für sich beschlossen, dass er nun diesen Schritt gehen kann und das wars.

Aus diesem Grund bin ich eigentlich entspannt, was das Kleinkind angeht. Er liest gern auf dem Topf und wenn es unbequem wird, steht er eben auf und pinkelt auf irgendeinen Teppich. Mal sehn, wie lange noch. Ich persönlich kenne ja keinen, der nach der Einschulung noch Windeln trug. Who cares.

Zugegeben, es kostet wieder einiges an Überwindung, die Türen offen zu lassen und sich beim Abführen nicht nur zuschauen, sondern auch die Beine spreizen zu lassen um die Qualität des Geschäfts beurteilen zu lassen. „Mama fein gemacht!“. Na bitte, gerne doch.

Wenn ich mir überlege, was ich diesbezüglich schon erlebt habe mit den Jungs… Ich wurde vollgekackt, mir wurde im hohen Bogen ins Gesicht gepieselt, ich wurde auf jede erdenkliche Art angekübelt und habe alle möglichen Körperausscheidungen in allen Farben und aus allen denkbaren Räumen und Textilien weggeputzt in den vergangenen Jahren.

Und während ich meinen Gedanken nachhänge und mit dem Fingernagel einen angetrockneten fetten grün-grauen Popel von der Kinderzimmertür kratze, denke ich, „Sauberkeitserziehung“ bedeutet doch nur, dass uns Eltern während dieser Zeit jeglicher verbliebener Rest-Ekel sauber aberzogen wird. Oder?

(Und wohin jetzt mit dem Popel?!)

🙂

 

Männer unter sich

Janni, der Babyvater von Ich bin dein Vater, hat neulich einen Artikel geschrieben, nein, eine Liebeserklärung an seine Brotherhood. Seine Buddies. Die Lieblingsmänner seines Lebens.

Der Lieblingsmann meines Lebens schlief noch geräuschvoll, während ich diesen Text zum ersten Kaffee des Tages genoss. Und mir lief das Herz über! Warum? Weil ich ganz genau verstehe, was er meint.

Nicht, dass ich mich als Mann fühle oder meinen würde, meine Frauenfreundschaften hätten genau diese Qualität der Innigkeit. Überhaupt nicht! Aber ich lebe hier mit einem Männchen, der Teil einer eben solchen Hood ist und das schon sehr lange. Und deshalb ist sie auch ein Teil meines Lebens.

Es gibt Paare mit Paarfreundschaften. Die Gleichgesinnte mit denselben familiären Rahmenbedingungen um sich scharen oder mit demselben Hobby und sich sozusagen in der eigenen Peergroup paaren. Das macht Sinn. Man hat die gleichen Themen, begeistert sich für dieselben Dinge oder hat Kinder im gleichen Alter, die einen begeistern. Oder eben auch im Moment nicht.

Und es gibt Paare, die am liebsten alles gemeinsam machen. Die gern von sich sagen, sie seien einander „der beste Freund“.

Und es gibt Leute wie uns, die mit separaten Kreisen.

Es mag komisch klingen, wenn ich sage, dass jeder von uns einen eigenen Freundeskreis hat und auch, dass wir es genießen, Dinge ohne einander zu tun. Mit anderen Menschen. Oder allein. Und, ehrlich gesagt, kam selbst mir das manchmal seltsam vor in den letzten achtzehn Jahren. Habe selbst ich manchmal gedacht, hm. Abenteuer und Erholung, heiß und kalt, bunt und clean, laut und leise, Kunst und „Das soll Kunst sein?“, Berge und Strand. Wir zwei sind so grundverschieden, dass wir gar nicht zu einander passen können! Bestimmt ist es für uns beide besser, wenn wir uns trennen…

Mitnichten.

Wir sind wie Yin und Yang und auch wenn wir vielleicht bei Betrachtung der Unterschiede offensichtlich nicht zueinander passen, so offensichtlich gehören wir doch gefühlsmäßig zueinander. Und die vielen Unterschiede trennen uns nicht, sondern machen unsere Beziehung bunt. Und zwar, weil wir es uns abgewöhnt haben, den anderen dazu zu überreden, dieselben Dinge zu mögen wie man selbst (Mann, war das ´ne Scheiße!).

Und so kommt es, dass der Bärtige viele große Abenteuer erlebt. Ohne mich. Mit seinen Jungs. Und das ist gut so!

Diese Truppe, die sich aus Studenten-WG-Zeiten kennt, reist gemeinsam in regelmäßigen Abständen an irgendein Ende der Welt um zu gucken, ob das dort wirklich das Ende der Welt ist (meine Interpretation). Und Gott bewahre, ich muss da nicht hin! Ich habe schon mal hier darüber geschrieben, warum es besser ist, dass wir getrennt verreisen.

Und die Art des Reisens und die vielen Herausforderungen und unvergleichlichen Erlebnisse, die diese Männer geteilt haben, hat die Freundschaft zwischen ihnen geprägt. Da bin ich ganz sicher, ohne dabei gewesen zu sein.

Wenn man zusammen in Indien Durchfall hatte und in den peruanischen Anden bei fünf Grad zu zweit in einem Zelt schlief, dass für Frodo Beutlin allein schon sehr eng wäre, dann macht das was. Wenn man zusammen bei tropischer Hitze und auch bei zehenabsterbender Kälte Berge erklommen, sich wochenlang von Reis ernährt und sich gemeinsam nach einem Bier gesehnt hat, das diesen Namen auch verdient, dann macht das was. Wenn man zusammen Situationen erlebt hat, wo man auf Gedeih und Verderb auf den anderen angewiesen war, dann sieht man diesen Männern auch bei Tageslicht in Mitteleuropa ganz anders in die Augen. Das weiß ich, weil ich es sehe.

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Urlaubsbild des Bärtigen. Beispielfoto (Beliebig also. Es sind immer Berge mit drauf. Gähn!).

(Und nein, ich bin kein bisschen eifersüchtig. Wir haben schließlich Familie und sind den Rest unseres Lebens auf Gedeih und Verderb auf einander angewiesen! Und Abenteuer erleben wir da auch. Zugegeben, ganz andere.)

Es sind seine Freunde. Nicht meine.

Und dennoch bin auch ich mit ihnen verbunden. Sie sind mir nahe, diese Männer. Ganz einfach, weil sie meinem Mann nahe sind! Ich würde ohne Nachzudenken meinen letzten Hunderter jedem einzelnen geben und sofort zur Hilfe eilen, sollte das nötig sein. Und ich bin mir sicher, sie würden dasselbe nicht nur für den Bärtigen tun, sondern auch für mich. Aus denselben Gründen.

Und wenn sie sich sehen, auf ein Bierchen treffen oder so, dann ist die Zeitrechnung nicht Stunden, sondern… ach vergesst es!

(Ich: „Wo kommst du denn jetzt her, hä? Ein Wunder, dass du überhaupt noch wusstest, wo wir wohnen! Hätte ja gut sein können, dass wir in der Zwischenzeit umgezogen sind! Und guck mal, wie groß deine Söhne inzwischen sind! Wie, ihr wart doch nur auf einer Radtour?! Ach, wo denn? In Timbuktu? Habt ihr schon mal Zelte probegeschlafen und „Brokeback Mountain“ nachgespielt oder was?! Freundchen, du hast echt Nerven! Komm du mir mal rein…“)

Und wenn er dann so heimkommt von einer „kurzen“ Radtour und anschließendem „kleinen“ Bierchen mit den Jungs, dann kam es schon vor, dass man den Kerl kaum sah, weil er zwei Arme voll Sonnenblumen die Treppe hochastete und behauptete: „Schatz, ja, es wurde etwas später, aber ich habe eine gute Ausrede! Schau mal, wir haben dieses Sonnenblumenfeld gefunden und ich habe stundenlang nach einer Blume gesucht, die so schön ist wie du. Ich habe keine gefunden! Deshalb muss du die jetzt hier alle nehmen!“.

Und wahrscheinlich hatten sie sich genau diesen Spruch vorher gemeinsam in der Kneipe ausgedacht. 🙂

Fotoalbum

Vorhin kam eine Nachricht. Von einer Freundin, die mir auch das Internet geschenkt hat, dieses wunderbare Netz der Liebe. Sie schreibt, dass sie noch immer an Jessica denken muss und dass es auf dem Blog aussehe, als sei sie noch da. Dass jeder einen Blog haben sollte, das sei wie ein Fotoalbum, das niemals verblasst.

Das niemals verblasst. Ein Tagebuch, das keine brüchigen Seiten bekommt. Gefühle, für immer festgehalten. Etwas, das hilft sich zu erinnern. Eine schöne Idee. Und deshalb schreibe ich heute wieder einen Eintrag für mein ganz eigenes Fotoalbum. Auch, damit ich mich selbst erinnern kann. Später.

Das Kleinkind der Nieselpriems hat viele Namen: Blondino, Babylino, Süßilein, Spatzl, Matzl, Rabauke, Frechdachs, Halunke, Tschürtschl (von Churchill, lange Geschichte), Kanaille, Schlawiner. Er ist nach wie vor Sinnstifter, großes Glück und konstanter Schlaf- und Nervenräuber seiner Fans in dieser Familie. Am heutigen Tag ist er zwei Jahre, sieben Monate und zweiundzwanzig Tage bei uns.

Er isst gerne Rollbrätze (rote Grütze), Reibebeeren (Heidelbeeren) und Fsalis! Sagt erstaunlich oft: „Meckt niss! Iss ess das niss! Iss ess Logurt. Gut.“. Er isst viel Joghurt.

Fragt man ihn, was es in der Kita zum Mittag gegeben hat, erfährt man, es gibt dort jeden Tag: „Schnitte!“ (vermutlich essen die Kita-Tanten den Kindern das gute Bio-Essen weg).

Das Kind kann alle Farben benennen inklusive Rosa, Grau und „Urantsch“.

Er zählt fehlerfrei bis elf und ruft im Anschluss sich laut beklatschend „Applaus!“. Er wird mal Artist. Oder Clown. Jedenfalls Zirkus.

Motiviert sich bei allem möglichen mit: „Gleich geschafft, Glasse, iss mass das super!“. Vielleicht wird er auch Motivationscoach.

Will ständig wie eine Katze gekrault werden und wirft sich zu diesem Zwecke bäuchlings auf einen. Wird am liebsten mit einer Stoffwindel gestreichelt. „Mama, schön!“. Na, gern geschehen. Auf jeden Fall wird er ein Genießer!

Ausufernde Restaurationsbemühungen wie Schlammmasken, Haarkuren auf dem mütterlichen Kopf oder Waigelsche Augenbrauen aufgrund von Augenbrauenfarbe drauf honoriert er anerkennend: „Sieht guul aus!“.

Lieblingsbeschäftigungen: Automatische Türen öffnen, Fahrstuhl fahren (hat ne automatische Tür), Zug fahren (wenn es zum Bahnsteig einen Fahrstuhl gibt mit automatischer Tür), Flughafen (Da gibts einen Haufen Fahrstühle!). Auf dem Hauptbahnhof ist das Kind schon bekannt und ungern gesehener Gast, steht er doch stundenlang in  den Geschäften rum, um dann gegen die sich schließenden Tür zu rennen. Was für ein Spaß! Besonders für die Angestellten. Besonders an zugigen Tagen. Egal, wo wir sind, gibt es dort eine Tür, ist die der Hit. Tür auf, Tür zu. Repeat.

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Er klettert auch alleine aus seinem Bett und sieht in seinem Schlafsack und mit Nunni im Mund aus wie eine Kreuzung aus einer Meerjungfrau und Maggie Simpson und berichtet stets stolz, dass er ganz alleine rausgekommen sei! Und will dafür selbstverständlich gelobt werden!

"Isch iss leine rausgekommt!"

„Isch iss leine rausgekommt!“

…Wenn man ihn dann in sein Bett zurückverfrachtet, verhandelt er jovial: „Mami masst Kaffee, dann auftehn und pieln, ogee?!“. Nein, nicht okay, nicht morgens um drei!

Prinzipiell ist Schlafen nicht die Kernkompetenz des Blondinos. Falls er tatsächlich mal nicht um zwei, um drei, halb fünf wach wird um Milch einzufordern, torkele ich wie besoffen im Flur herum und bin nicht sicher, ob er noch lebt. Ich kann schon nicht mehr schlafen, selbst wenn er denn schläft. Tscha, Sellerie! Wie die Vegetarier so sagen…

Das Kind liebt Kuscheltiere heiß und innig, was neu für mich ist, da sein Bruder keine abstrakte Beziehung zu Spielzeug aufbauen konnte. Des Kleinchens Lieblingsteil ist eine Plüschwolke, ein Kissen von Ikea, dass ihm die Gretel mal geschenkt hat. Gülbi heißt die und wird morgens geküsst und fröhlich begrüßt: „Alles dlar, Gülbi? Guggeschlafen? (Kussi) Alles guuut! (Kussi) Gema heute nisch Arzt!“. Schon wieder gibts Küsse. Niemand von uns wird so liebevoll begrüßt wie die Gülbi.

Außer der Gülbi gibts noch eine Windelmarotte. Als der Neue bei uns einzog, legte ich ihm stets eine Kuschelwindel mit ins Körbchen, genau wie bei seinem Bruder. Und Kuschelwindel muss immer noch sein! Nun dachte ich Beschränkte (Ich Kloppholz!), damit wäre ich immer auf der sicheren Seite und fernab von Beschaffungsengpässen, die Eltern kennen, wenn ein Kind sich an ein bestimmtes Häschen, Hündchen, irgendein Objekt, hängt. Stoffwindeln gibts schließlich im Zehnerpack und alle sehen gleich aus. Pah, ich Idiotin! Natürlich nicht! Die Windeln werden befummelt und dann weggeworfen mit dem Befehl: „Ander Mindel! ANDER MINDEL!!!“, bis der Gnädige dann nach Befühlen der zehnten Stoffwindel zufriedengestellt ist. Mann, Mann, Mann…

Das Kind ist ein wahres Aprilköpfchen und springt „aus dem Stand“, wie ich gern sage. Knallt sich beim Wüten die Rübe an Tischkanten, pfeffert sich mit Schmackes gegen Wände, kracht sich wie ein Baby-Wrestler auf einen imaginären am Boden Liegenden… brüllend wie ein Berserker. Weil die Socke rutscht, das Unterhemd aus der Hose hängt oder der Apfel zu klein geschnitten ist. Ihr kennt das alle… Zweijährige eben.

Trotz allem ist er nach wie vor das größte Geschenk, das uns gemacht werden konnte. Uns dreien. Besonders für den Großen ist es eine unschätzbare Erfahrung und ein ganz tolles Erlebnis, mit diesem Menschlein zu leben. Das hätten wir nie gedacht und zu sehen, wie sehr der an ihm hängt und wie wunderbar sanft und nachgiebig er mit ihm umgeht, lässt mein Herz oft überlaufen. Ich bin so stolz, wie er das macht und wie viel er von und mit diesem Winzling lernt.

Vorsicht ist trotzdem geboten. Asperger Autisten wird oft nachgesagt, dass sie Situationen und Gefahren nicht adäquat einschätzen können und so habe ich auch ein Erlebnis zu verdauen, das noch nachhallt. Ich nenne es „die Michael-Jackson-Nummer“. Der Große hielt den Kleinen einmal aus dem geöffneten Fenster, damit dieser das Müllauto unten auf der Straße besser sehen kann. Wir wohnen in der zweiten Etage.

Wie auch immer, beide Kinder sind die Musik meines Lebens. Der eine ein rockiger Lovesong, der andere im Moment ein Schlaflied. Schön klingen sie beide. Wunderschön.  🙂

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Systemfehler

„Supporthotline, was kann ich für sie tun?“

„Ja, hallo, ich rufe an, weil ich eines meiner laufenden Syteme downgraden will.“

„Downgraden? Um welches System handelt es sich?“

„Das Model K.I.N.D.!“

„Welche Version?“

„Ach so, K31M. Ich hätte gern die achtzehner Version wieder oder besser noch setzen sie auf die sechser Version zurück!“

„Da muss ich sie enttäuschen. Das Modell K.I.N.D. ist nicht downgradfähig. Die automatischen Updates und Upgrades sind vorinstalliert. Was gibt es denn für Probleme?“

„Es ist nur bedingt netzwerkfähig. Brüllt, mault und wirft Fehlermeldungen aus.“

„Welche?“

„Du nich! Mama weg! Du mass gar nüscht! Nein! Neiiiin!“

„Hm.“

„Nach allem, was ich weiß, sollte eine Sytemintegration schon möglich sein mit dieser Version. Ich habe ja auch noch K15.9J hier laufen und M38J, da muss sich das K31M integrieren lassen. Macht er aber nicht. Will immer stand-alone laufen! Will ständig gewartet werden! Ständig Fehlermeldungen! Geht prinzipiell nur in Gummistiefeln aus dem Haus, außer im Winter. Da will er mit Filzpantoffeln und Schneeanzug raus. Fährt nachts alle zwei bis vier Stunden hoch. Lässt sich den Nunni nicht ab- und den Topf nicht angewöhnen. Haut, beißt, stampft und lacht darüber!“

„In den höheren Versionen ab K3J tritt dieses Problem in der Regel nicht mehr auf. Zum Beispiel die Fiese Windelschraube oder die Überhitzung in Einkaufszentren und bei Menschenansammlungen sind typisch für die vierundzwanziger bis dreißiger Versionen. Da brauchen sie nur ein wenig Geduld!“

„Dann ist der ständig von Viren befallen! Also permanent! Seit einem halben Jahr rotzt der, durchsetzt von Magen-Darm, Augen- und Hautentzündungen, Fieberschüben und wissen sie was? Jetzt hat der auch noch Heuschnupfen! Wussten sie, dass sowas in der Version auftreten kann? Das ist doch ein klassischer Bug! Der kann nicht mal schnäuzen und sondert Myriaden von Schleimbolzen ab, die aussehen wie Nacktschneckenbabies! Wissen sie, wie eklig das ist? Und dann kriegt der keine Luft und heult und brüllt verständlicherweise andauernd. Soll das jetzt so weitergehen? Herbst und Winter Viren und im Frühjahr dann Heuschnupfen?! Was kommt im Sommer? Sommergrippe? Der ist doch kaputt! Das kann doch nicht so vom Hersteller vorgesehen sein!“

„Dafür gibts Wartungsverträge mit ihrer Krankenkasse.“

„Meinen sie die zwanzig Tage bezahlte Systemwartung pro Jahr? Die haben wir schon bis zum März vollständig verbraucht! Das ist ein Witz. Ich sage ja, der ist kaputt! In den niedrigeren Versionen war der nicht so anfällig!“

„Aha. Aha.“

„Wie, aha aha?! Mehr fällt ihnen nicht ein?!“

„Doch, mir fällt eine Menge ein. In erster Linie ist ihr K31M ein hochsensibles, selbstlernendes System, das auch nur das wiedergeben und verarbeiten kann, was sie einspeisen. Wirft möglicherweise Fehlermeldungen aus, weil die Systemlandschaft Konfigurationsfehler aufweist. Vielleicht sollten sie diesem Gedanken Raum geben. Das wäre mein Rat.“

„Na, vielen Dank!“

„Bitte, gern geschehen. Gehen sie auf Augenhöhe mit ihrem System. Sprechen sie über ihre Wünsche, ihre Anliegen, ihre Gefühle…“

„Hören sie mal, für so´nen Scheiß werden sie bezahlt, ja? Ich spreche doch nicht mit dem K31M über meine Gefühle! Das kann der doch überhaupt nicht verarbeiten! Wie gesagt, komplexe Systemlandschaft, mannigfaltige Anforderungen, der muss irgendwie laufen! Klappt doch bei allen anderen auch!“

(murmelt) „Na ja. Wenn das so wäre, wäre ich arbeitslos.“

„Wie bitte?“

„Nichts. Welche Nutzerhandbücher haben sie gelesen?“

„Gar keins! Das ist doch Schwachsinn! Alle drei Jahre wird alles übern Haufen geschmissen und der neueste aktuellste Stand des Irrtums als Ambrosia unters Volk geworfen!“

„Ich verstehe sie, das können sie mir glauben. Gerade in meinem Job ist es schwer, sich alle zwei Wochen ein neues Nutzerhandbuch einzuverleiben und dann noch auf dem Stand zu bleiben. Aber das kann auch für sie eine Möglichkeit sein! Schreiben sie über ihre Erfahrungen einfach auch ein Nutzerhandbuch. Wissen sie, ich denke, so läuft das. Jemand hat zum Beispiel keine Lust, viermal in der Nacht aufzustehen und legt das System zu sich. Im Nachgang schreibt er ein Nutzerhandbuch und proklamiert das Familienbett!“

„Also hören sie mal, so ist das ganz sicher nicht gewesen!“

„…Oder hat keine Lust, tausend Euro für einen Kinderwagen auszugeben, schnürt das System bis zum Eintritt der Geschlechtsreife in eine zerschnittenen Hängematte ein und hängt sich´s quer über den Rücken…“

„Was erzählen sie denn da?! Ist das ihr Ernst?!“

„Na, was glauben sie denn, woher diese ganzen fucking manuals kommen? Aus dem universitären Umfeld? Und ich muss die Scheiße lesen! Alles! Damit ich hier in diesem Drecks-Callcenter Anwenderschulungen und first level support machen darf! Fragt mich jemand? Nein!“

„Also ich glaube, sie haben mir für heute genug geholfen.“

„Nein, wir sind hier noch nicht fertig! Jetzt sage ich ihnen mal meine Meinung! Jeden Tag rufen hier rund um die Uhr solche unfähigen User an und kauen mir ein Ohr ab…“

„Ja, danke, gute Besserung und guten Tag! Ich muss jetzt leider weg.“

„Hallo? Sind sie noch dran? Teilnehmer? Einfach aufgelegt… unfassbar. Ich glaube, ich kündige!“

 

 

Systemlandschaft (Teilansicht)

K31M und M38J. Nicht im Bild K15.9J und das auslaufenden Altmodell F46J

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Von Jungs und Werkzeugkoffern

Hat jemand von euch einen Handwerker zu Hause? Ich ja nicht.

Obwohl, früher schon!

Als ich den Bärtigen kennenlernte, war dieser zarte zwanzig Jahre jung und von Bart war noch nichts zu sehen. Ich war damals achtundzwanzig Jahre alt und hatte soeben die Pubertät überstanden. Und man bezahlte mit D-Mark. Also zumindest hier.

Mittlerweile ist der Bärtige achtunddreißig und ich bin auch keine achtundzwanzig mehr (Mutti erzählt also heute von kurz nach´m Krieg).

Zurück zum Mann: Er war damals Lehrling in einem Stahlbau-Betrieb und ging morgens mit einer blauen Latzhose, auf der vorn sein Name prangte, und einem nach Ariel duftendem karierten Holzfällerhemd bekleidet auf Arbeit. Unterm Arm ein Vierpfundbrot in Scheiben geschnitten und mit ordentlich Wurscht belegt. Athletisch schlank war er, ich konnte problemlos seine Hosen tragen. Eine gegelte Kurzhaarfrisur und Ohrringe trug er. Ich denke, das war so ein „Bros“-Ding, falls die Band noch jemand kennt. Mein Herz hüpft und ich glaube, ich bekomme einen spontanen Eisprung, während ich mich jetzt daran erinnere.

Kam er abends nach Hause, fing er an, zu handwerken und zu bohren. Der junge Mann war kaum zu stoppen. Überambitioniert bohrte er auch ohne besondere Aufforderung wahllos Regale an die Wände meiner kleinen Dreizimmerwohnung. Monströse Stahlwinkel mit daumendicken Schrauben zierten jede Zimmerecke. Ich wusste gar nicht, was ich da überall drauftun sollte! Aus meinem Ramschkeller machte er einen aufgeräumten Hobbyraum, in dem ein von ihm maßangefertigter Arbeitstisch stand, Regale an den Wänden hingen und alles Kleinzeugs war nach Sorte und Farbe und Material geordnet in Gläsern und Behältnissen verstaut. Der Mann war ein Traum!

Dann studierte er Informatik.

Das änderte alles.

Schmachtete er früher Werkzeuge im Baumarkt an, waren es nun Programme, Rechnerzubehör, doofer Kram eben. Zu nichts nutze. Ich habe den Mann trotzdem behalten. Denn es gab ja noch Mike.

Mike (der richtige Name ist der Autorin bekannt) war ein Nachbar. Einer vom Bau! Ein Mann, der leider optisch nicht der Coca-Cola-Werbung entsprungen war, aber eine Bohrmaschine so behende schwang wie Jamie Oliver Kochlöffel.

Mike kam immer und am liebsten immer öfter. Wenn irgendwas gebohrt/ gehämmert/ geschraubt werden musste – Mike stand parat. Mit seinem Werkzeugkoffer und glänzenden Augen. Er hatte nur eine blöde Angewohnheit: Begrüßte er mich mit freundschaftlichem Wangenkuss, legte er flugs seine Pranken derart an meine Flanken, dass seine Daumen immer meinen Brustansatz berührten, ganz egal, wie ich mich stellte! Das war das erste mal peinlich, das zweite Mal befremdlich und ab dann nur… bäks.

Kluges Weib, das ich bin, informierte ich voller Entrüstung meinen jungschen Kerl über die flinken Hände des hilfreichen Nachbarn. Fortan brauchte ich nur zweimal bitten, wenn ich ein Loch gebohrt haben wollte: Einmal initial und ein zweites Mal nach einer Woche mit dem Nachsatz: „Ich kann auch den Mike fragen!“. Und schon rannte mein Kerl in den Keller nach dem Werkzeug.

Viele Jahre sind seit dem vergangen. Wir wohnen nicht mehr neben einem Mike und ich bin mittlerweile so alt, dass nur Männer mit gerontophiler Verhaltensstruktur „versehentlich“ nach mir grapschen (Bitte alle laut: „Ooooh! Die Arme!“ rufen, danke.). Und nein, natürlich geht Grapschen gar nicht! Aber vielleicht ist das wie mit Kinderkriegen, Wurzelbehandlung oder Analverkehr. Wenns lange genug her ist, denkt man: Ach, so schlimm war das nun auch wieder nicht!

(Sucht verzweifelt den Faden… rot war er… irgendwo muss er doch…)

Komme ich heute in unseren Keller, lunschen mich blankpolierte Kisten an, auf denen Bosch oder Hilti steht und die der junge Kerl von einst glanzäugig angeschmachtet hätte. Und die aus unerklärlichen Gründen irgendwann gekauft wurden und nun vernachlässigt in einem alten Schrank stehen. Nein, ich habe auch keinen selbstgezimmerten Hobbytisch im Keller und kein einziges Regal! Nope, auch keine Stahlwinkel.

Wie ich jetzt darauf komme? Nun, am letzten Wochenende haben wir ja hier umgeräumt und nun stehen noch übriggebliebene diverse Bilder in diversen Ecken. Ob er die bitte anbohren könnte? Nein! Nicht heute! Nicht jetzt!

Also nie…

Ich werde eine Annonce schalten müssen: „Suche dringend Mann, der bei mir Löcher bohrt!“. Vielleicht muss ich einen Handwerkerkurs im Baumarkt belegen (der Mann fällt vermutlich vor Lachen ins Koma, wenn ich dem das erzähle).

Oder ich warte noch ein bisschen. Der Blondino fängt gerade an, mit Bagger und Plastikwerkzeug zu spielen. Meiner Erfahrung nach gibt es bald ein klitzekleines Zeitfenster, in dem er aller Wahrscheinlichkeit nach zu handwerklichen Tätigkeiten herangezogen werden kann. IMG_1087

Bis er sich dann für Computer interessiert…

 

Faschingsgefühle 2016

Seit gefühlt zwei Wochen werde ich auf Instagram und Facebook mit Karneval, Fasching und dergleichen mehr drangsaliert. Vorsichtshalber habe ich noch mal dort nachgefragt, wo die Feiertagsgesetze gemacht werden: In der Kita. Und nein, Fasching ist auch in diesem Jahr Rosenmontag bis Aschermittwoch. Also zumindest in Dresden. Was die Leute in anderen Ländereien so treiben, kann mir Wurscht sein. Na, Gott sei Dank!

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vor vielen Jahren hatten wir auch schon mal einen Piraten…

Fasching hat mir ja gerade noch gefehlt. Das ist das einzige, wo ich das Überleben gefeiert habe. Also mein eigenes Überleben quasi. So nach gefühlt dreizehn Jahren Kostüme basteln, Veranstaltungen besuchen, wo weder das Großkind noch ich Spaß hatten, der ganze Kladderadatsch.

Und nun geht das wieder von vorne los!

Ich bin der Faschingsgrinch. Also noch nicht immer. Ich war sogar mal Mitglied in einem Elferrat und Minister für Chaos und Unordnung. Das war 1988 oder 1989. Ja-haaa, Kinder, da waren einige von euch noch nicht mal auf der Welt und ich durfte schon rauchen und Alkohol trinken (Ich bin alt wie Methusalem!). Und rumknutschen! Knutschen war eines meiner Hobbies früher. Und das beste an Fasching war ja dieses Karnevals-Standesamt, wo man sich für einen Abend trauen lassen konnte. Und wenn der Angetraute beim Küssen seine Zunge wie einen drei Tage alten glibbrigen Aal in deinem Mund rumgeschlenkert hat oder geküsst hat, als sei er im vorherigen Leben eine Nähmaschine gewesen, dann konnte man sich auch ohne großen Zeremon trennen und neu verheiraten lassen. Bis zur völligen Zufriedenheit.

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… und einen Macius…

Wo war ich?

Ach so, ja, Fasching mit Kindern.

Mein Großkind war immer überfordert von derlei Veranstaltungen. Menschenmassen, eine ungerecht verteilte Anzahl an Süßigkeiten und laute Musik führten garantiert zu Nervenzusammenbrüchen. Nichtsdestotrotz wollte er partout immer mitmachen! Jedes Jahr aufs Neue.

Polizist, Ritter, der kleine König und mindestens fünf Jahre in Folge ein in blutige Binden gehüllter Zombie… Dann endlich war ich erlöst! Fasching war kein Thema mehr.

Und nun – Tatatata! – geht es wieder von vorn los.

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… und ja, auch Ritter!

Ich hatte mir das so gut überlegt. Als der Blondino ein Kitakind wurde, habe ich mir geschworen: Machste nicht mehr! Kein Elternrat, kein Übermutti-Getue, keine überkandidelten Torten und Eisbecherkreationen an den Geburtstagen, kein wo-ich-bin-ist-vorn. Nüscht davon. Gekaufte Faschingskostüme, gekaufte Geburtstagskuchen. Dafür entspannte Mutti! Ganz entspannt. Less is more. Mit gekauften Muffins von Aldi fröhlich durch die Feiertage (Die sollen gut sein, habe ich mir sagen lassen. Also die Muffins.).

Nun gab es ein vorgegebenes Motto für den diesjährigen Karneval in der Kita: Ahoi irgendwas. Also maritim. Scheiße, und ich hatte schon ein Clownskostüm in Größe zweiundneunzig aus der Faschingskiste vom Großen gekramt. Okay, Pirat also.

Dann waren wir krank. Also nicht so leicht angeditscht wie immer seit September, sondern richtig. Dadurch verpasste ich die Büffetverteilung im Kindi. Als ich dann fragte, was noch übrig sei zum Mitbringen, sagte die beste Kindertante der Welt: „Ach du, eigentlich… nichts. Eigentlich haben wir alles.“. Yes! Yes! Yes! Hilfsbereit fragte ich, ob denn schon jemand Gummibärchen mitbringt. „Du, ja. Die Dings baut aus verschiedenen Haribo das Maskottchen der Kita nach. Für jedes Kind eins.“ (?!?!) Und: „Warte mal… wir haben eine Torte in Form eines Piratenschiffs, Schnittchen in Form von Booten. Gurkenkrokodile. Obstspieße geschnitzt im maritimen Stil… was fehlt denn noch?!“. Nichts? Nichts? Nichts? „Eier! Du könntest gekochte Eier mitbringen! Oder so Tomate-Mozzarella-Spieße. Die haben wir noch nicht.“. Und irgendeine vorlaute Stimme spricht aus mir: „Gut, dann baue ich Schiffchen aus Eiern und mache Tomate-Mozzarella-Dingsbumse.“. Vor lauter schlechtem Gewissen habe ich mich direkt zum Schmücken des Kindergartens bereiterklärt.

Haribo-Basteleien! Glaubste das?! Es gibt echt Leute! (Warum ist mir das nicht eingefallen?!)

Gestern nun war Rosenmontag und ich dachte (ganz entspannt, locker aus der Hüfte), ich mach mal los mit Piratenkostüm. Morgens halb vier meinte der Blondino, es sei hell genug zum Aufstehen und ich bastelte schon mal beim ersten Kaffee eine Hakenhand. Also den Versuch einer Hakenhand!

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Abends dann schleppte ich die Nähmaschinen in die Küche und zerschnitt ambitioniert ein Männerhemd, um Jack Sparrow Jr. eine Piratenhose zu nähen. Und vielleicht noch eine Weste und mal sehn, ob der Stoff auch für ein Hütchen oder sowas reicht…

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Meine Nerven reichten dann gerade so für die Hose.

Ich fand in meinem Stofffundus ein pinkes Shirt mit wildem schwarzen Aufdruck, das schnitt ich in Streifen und verknotete diese. Das sollten Gürtel und Kopftuch werden (ohne Foto, aus Gründen). Das entwachsene Faschingskind stellte ernüchtert fest: „Unser Baby muss also morgen als schwuler Pirat gehen!“. „Wenn schon, dann als metrosexueller!“, berichtigte ich das pubertäre Langbein. Während ich vor meinem geistigen Auge Johnny Depp vor mir sah mit kajalverschmierten Augen und Perlen in den Rastazöpfen, schmiss ich die rosa Verunglimpfung weg. Denn mal ehrlich, es sah selbst schon bei dem Depp-en ein wenig schräg aus! Ich beschloss, wenn ich ich das Baby mit rosa Lumpen umwickeln würde und mit Kajal bemalen sähe der aus wie das Pandababy einer Roma-Familie und nicht wie ein Pirat!

Und so sah das Süßilein am nächsten Morgen verkleidet eher aus wie eine Kreuzung aus Pinguin Kowalski und Obelix. Aber is ja Wurscht! Who cares about Fasching?!

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Der Obelix-Kowalski trägt das Piraten-Käppi, dass vor mehr als zehn Jahren auch schon sein Bruder aufhatte. Hachz.

Das erste Fasching des Baby´s. Wir drehten richtig durch und brüllten uns in der Küche an, während wir zu dritt mit Handies und Kamera rumhantierten. „NIMM DOCH NICHT DEIN BLÖDES HANDY! NIMM DIE KAMERA!“. „WIR HABEN SCHON DREITAUSEND BILDER AUF DER KAMERA, DAS HIER IST JETZT FÜR INSTAGRAM!“. „UND TROTZDEM: NIMM DIE KAMERA!“. „LECK MICH WO ES AM BITTERSTEN SCHMECKT!“. „BOAR DU BIST SO EINE ZIEGE!“. Zwischendrin fuchtelt das Großkind mit den Tentakeln und versuchte die Küche zu verlassen und der Kowalski rannte quietschend und meckernd zwischen seinen beiden pädagogischen Desastern hin und her.

Dann hörte ich mir noch an, dass die Küche ein Saustall ist und warum hier die Nähmaschinen rumstünden und wie das hier aussieht!

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Ich schnappte den Büffetbeitrag, den ich im Morgengrauen zusammengefummelt hatte und dann ab dafür!

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Bei uns kommen die Kinder übrigens auch an Fasching nach Süßigkeiten klingeln.

Ich packte die alten Weihnachtspfefferkuchen und Schokolade, die keiner mag in eine Schüssel und überlegte einen Moment, ob ich die Käse- und Wurstverschnitte von der Büffetplatte noch obendrauf klatsche! Wenn die hier klingeln kommen, können die auch wissen: Hier wohnt der Faschingsgrinch! Dann kommen die niiiie wieder. Dann hab ich meine Ruhe mit Fasching.

Nachmittags holt der Mann den Obelix-Kowalski ab. Und anstatt einem Sack voller Bonbons wie zu meiner Zeit bringen sie ein angefressenes Gurkenkrokodil mit. Wenigstens haben wir Fasching überstanden.

Ach, und er erzählt noch, der Mann, dem Kowalski hätte es super Spaß gemacht im Kindi. Er liebe Verkleiden und Party, yeah! Alles. Oh, mon dieu, bei uns wohnt jetzt ein Faschingsfan.

Ich werde mich heute in den Schlaf weinen. Es werden noch mindestens zehn Faschingse folgen. Und ich kann nichts dagegen machen!

❤ Für Piratin „Musica“, die Schneckensteuerfrau und Monsterdompteurin ❤

Das Fleisch ist willig, aber der Teenie wach

Sex. Es geht um Sex. Geschlechtsverkehr ist das Thema. Auch das noch!

Ob das sein muss? Ja, muss es. Wir machen auch ganz schnell, dann sind wir beizeiten fertig (ihr seid Eltern, ihr kennt das).

Neulich hat eine Australierin bei Facebook öffentlich geschrieben, was wir alle schon wissen: Elternsex ist das neue ganz große Ding! So mit stoppeligem Bermuda-Dreieck und mit einem großen Zeh die Tür zuhaltend dreieinhalb Minuten übereinander herfallen. Ich glaube, den dazugehörigen Facebookpost zu schreiben hat insgesamt länger gedauert…

Überhaupt nicht erstaunlicherweise haben sich tausende Leute verstanden gefühlt und ihren blauen Daumen draufgedrückt. Das will die Elternwelt lesen! Dass es bei Müller, Meier, Schulze genauso läuft wie bei Schmidts. So, wie´s eben läuft. „Schatz, es ist drei nach acht. Die Plagen hören Wickie im Bett. Los, lass es uns treiben! Danach hänge ich schnell noch drei Maschinen Wäsche auf und zwanzig Uhr fuffzehn schauen wir dann Tatort (oder eine Reportage von Guido Knopp über den Nachbarn des Cousins des Fußpflegers von Adolf Hitler)!“.

Das war ehrlich, witzig, tröstlich und null überraschend! 😉

Der Mensch mit Bedürfnissen und kleinen Kindern lernt schnell, alle möglichen Bedürfnisse nach dem Aspekt der Dringlichkeit und mit höchster Zielorientierung zu befriedigen. Essen, Ausscheiden, Schlafen, Duschen. Selbstverändlichkeiten werden zur Herausforderung mit kleinen Kindern. Wissen wir.

Und Sex gehört dazu. Wenngleich am Ende der Nahrungskette der Bedürfnisse. Wenn du weißt/ ahnst/ befürchtest, dass der Kindesschlaf bestimmt nur dreißig Minuten anhält und du hungrig/ müde/ ungeduscht und unbefriedigt bist, dann bist du in erster Linie erst mal hungrig und müde. In dieser Reihenfolge. Oder andersherum: müde und hungrig. Und dann ist die halbe Stunde auch schon wieder um!

Erinnert ihr euch noch an diesen Artikel? Anderthalb Jahre ist her, dass ich das schrieb. Er schläft jetzt mehrere Stunden am Stück, der Blondino. Und he! Ho! Wir haben die Abende für uns!

Ach nee, doch nicht.

Ich muss euch jetzt was sagen. Und ihr müsst stark sein! Genießt euer komfortables Sexleben, solange die Kinder noch klein sind! So opulent wird es erst wieder, wenn die Nachkommen ausgezogen sind. Oder einmal im Jahr im Schullandheim.

Blümchen und Bienchen (c) Pixabay

Blümchen und Bienchen
(c) Pixabay

Irgendwann sind die Kinder nämlich zu groß, als dass man denen erzählen könnte, Mama und Papa machten Yoga oder der Papa hat da Aua und die Mama musste pusten! Oder was auch immer… Irgendwann wissen die, was das mit den Blümchen und Bienchen so auf sich hat und dann: Iiiieh! Also die Vorstellung, dass alte Menschen jenseits der dreißig oder die eigenen Eltern gar… pfui deibel!

Dann wirds schwierig. Zeitlich. Organisatorisch. Alles. Da denkt man immer, die sind dann sowieso stundenlang außer Haus oder in ihrer eigenen Welt, aber nee! Entweder sind sie zeitgleich mit allen anderen aus dem Haus oder sie wollen immer dann etwas von einem, wenn man nun wirklich partout nicht mit ihnen rechnet!

Abends ratze ich zwischen neun und halb zehn auf der Couch weg oder liege schon komatös auf meiner Seite des Bettes. Der Teenager geht gegen zehn ins Bett. Frühestens. Finde den Fehler.

Morgens bin ich beizeiten wach (Und der Teenager schläft noch. Tief und fest!). Morgens könnten wir zwei Alten direkt vor dessen Zimmertür… Aber nein. Denn auch wenn ich wach bin, der Bärtige ist es nicht. Den eine halbe Stunde vor Weckerklingeln wachzuschubsen wegen einer Runde Hoppereiter, also da hätte auch Penelope Cruz oder eine andere dunkelhaarige Schönheit mit nem Arsch in Form einer Zwiebel schlechte Karten! Das liegt nicht mal an mir (oder meinem Arsch). Schlafen sticht alles. Und morgens muss man sowieso ein rot-weißes Absperrband um den Bärtigen ziehen.

Urlaub. Also Urlaub geht auch gar nicht! Außer, wir buchten dem Teenager ein Ferienhaus ganz woanders. Der hat Ohren wie ein Luchs! Da dreht sich der Mann auf seiner Klappliege vorsichtig rum, um mir auf meiner Klappliege ein keusches Küsschen zu geben, da schallts schon durch die Wand: „Untersteht euch! Ich kann euch hören!“.

Letzten Sommer haben wir im Garten Urlaub gemacht. Dort eine Hängematte, da eine Decke im Gras… Es war stimulierend. Ach, kannste alles vergessen! Egal, wohin wir uns zum Knutschen verzogen haben, der Pubi war uns auf den Fersen!

„Du, pass mal auf. Der Papa und ich gehen jetzt in den Schuppen. Wir haben was zu erledigen, äh, zu bauen. Weißte Bescheid. Wir sind gleich wieder da!“. „Hä? Was?! Nee, oder? Boar, nicht euer Ernst! Ihr seid sooooo eklig! Wehe! Untersteht euch!“.

Sex im Gewächshaus haben wir auch erwogen. Zwischen den üppigen Gurken- und Tomatenpflanzen wären wir tatsächlich nicht zu sehen gewesen. Aber bei fünfzig Grad Raumtemperatur und hundert Prozent Luftfeuchtigkeit… Unnötig zu erwähnen, dass der Teenie während der Ferien noch später ins Bett ging.

Manchmal frage ich mich wirklich, wann wir seinen Bruder gezeugt haben.

Aber ich räche mich diabolisch! Irgendwann. Das Babyphon hat eine Gegensprechanlage. Und irgendwann brauchen wir das Ding nicht mehr für das Baby und ich schwöre, dass ich den Sender beim Pubi im Zimmer verstecke. Und wenn der dann Besuch bekommt und es raschelt, flöte ich durch die Sprechanlage:

„Hallöle ihr Süßen, Erfrischungen gefällig?!“.

 

 

 

Ein Kaffee für Frau Nieselpriem

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Liebe im Wandel

Babies sind toll! Das weiß jeder. Und die Blogs und Magazine sind voll von Babies. Haltung, Förderung, Ernährung, Glückseligkeit. Alles ist wichtig, wird beleuchtet.

Und Kleinkinder sind toll! Sie lernen jeden Tag ein bisschen mehr und, hach, die Brust platzt einem als Mutter fast vor Stolz, wenn das eigene Fortpflänzchen auf einmal etwas ganz Großartiges geschafft hat. Und auch darüber kann man viel lesen. Auf Blogs zum Beispiel. Oder in Magazinen. Während dieser Zeit ist man Teil einer starken Peergroup. Und das ist schön! Es gibt ständig Austausch über Entwicklungsschritte. Wie ist das bei euch? Was kann eures schon?

Schulkinder sind dann schon „die Großen“. Gelegentlich wird noch über Schulprobleme, Hochbegabung und dergleichen geschrieben. Oder sie werden in ihrer Rolle als große Schwester und großer Bruder beschrieben.

Sind die Kinder dann zwölf, dreizehn, ist Schluss. Schluss mit lustig, Schluss mit der Berichterstattung. Peergroup Fehlanzeige. Stattdessen Pubertät. Willkommen in der Elternhölle!

Pubertät ist furchtbar.

Pubertät ist das allerschlimmste, da ist sich jeder sicher! Besonders Leute, die selbst noch keine pubertierenden Kinder haben, wissen das ganz genau und sagen zum Beispiel auf laut geäußerten späten Kinderwunsch Sachen wie: „Jetzt noch ein Kind? Nein danke. Also ich will mit sechzig keine Pubertät mehr mitmachen müssen!“. Wovon sprechen die dann genau? Von der Erinnerung an die eigene Pubertät? Oder von Erzählungen anderer?

Jetzt ist es ja so, dass man da in mir einen Gesprächspartner hat, dem nicht nur genau das bevorsteht, sondern der auch jetzt schon mit dem ersten Fortpflänzchen mittendrin ist. Entsprechend bockig reagiere ich auf derlei phrasenhafte Verallgemeinerung. Es gibt doch nicht „die“ Pubertät!

Pubertät ist individuell.

Maulen, Motzen, aufmüpfiges Verhalten ab circa dem neunten Geburtstag kann günstigerweise mit vorpubertärem Verhalten gelabelt werden. Ab dem zwölften Geburtstag dann hat man für alles eine Generalentschuldigung: Die Pubertät! Schön einfach, oder?

Pubertät ist ne super Entschuldigung für unmögliches Verhalten.

Wobei, einfach ist wohl nichts an dieser Zeit.

Ich könnte jede Woche das Blöggel füllen mit Erlebnissen mit dem Großen, meinen Gefühlen für ihn. Warum liest man dann so selten über das Leben mit Jugendlichen? Für mich ist es so, dass ich schon wahrnehme, dass mein Sohn eine Persönlichkeit ist. Noch dazu eine mit Netzpräsenz. Und mir ist vollkommen klar, dass es ihm nicht gefallen würde, über sich zu lesen. Bilder von sich zu sehen, auf denen er erkannt würde.

(Ich mache mir über dieses Phänomen schon seit längerem Gedanken, genaugenommen seit die  Diskussion über Kinderfotos im Netz entstand und ich für meinen Teil muss mir eingestehen, ja, es fällt mir sehr leicht, über mein Baby zu schreiben und es Teil dieser Geschichten in dem Blog werden zu lassen. Wenn ich darüber nachdenke habe ich stets den Eindruck, ich schade ihm nicht. Und auch was Fotos von dem Kleinsten anbelangt: He! Er sieht doch jede Woche anders aus! Und dennoch überlege ich mir oft, inwieweit das als übergrifflich gewertet werden könnte. Hm. Darüber nachzudenken ist sicher in keinem Fall verschwendete Zeit.)

Wenn ich bislang über den Großen schrieb, dann hauptsächlich über das Leben mit einem Kind, das aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur „besonders“ ist.

Besonders ist auch die Pubertät.

Mein Sohn wird sechzehn in diesem Jahr. Wenn ich neben ihm sitze und seine langen Arme ansehe, auf denen sich schon Sehnen abzeichnen, aufblicke in sein Gesicht, das eine Haupteslänge über meinem ist, dann ist das mit einem verblüfften Staunen verbunden.  Ein junger Mann mit tiefer Stimme, der so gar nichts mit dem Baby und Kleinkind von einst gemein hat. Der zum Teil gefestigte Standpunkte vertritt, der eine eigene Körperhaltung ausgeprägt hat und schon als Persönlichkeit wahrgenommen werden muss. Das ist seltsam! Ehrlich.

Ich habe viele Jahre in ständiger Sorge um diesen Jungen gelebt und habe wirklich geglaubt, ich würde niemals nie aufhören (aufhören können) ihn zu bemuttern, zu beschützen, meine Flügel schützend um ihn zu legen. Irgendwie richtet das die Natur dann doch so ein, dass die Kinder Signale geben und dass das dann ganz langsam passiert. Dieses Loslassen. Wirklich immer!

Es gibt keine körperlichen Liebesbezeugungen zwischen uns und nehme ich ihn einfach beim Kopf und drücke ihn, macht er sich steif und schüttelt mich ab wie ein Insekt. Und dennoch sind wir zwei nach wie vor in Liebe verbunden. Das wird in anderen Situationen deutlich: Wenn wir streiten und ich ihm erkläre, wie verletzt ich bin, weil ich das Gefühl habe, er respektiere mich nicht. Dann bekommt sein Blick etwas Dunkles und er versichert mir, dass das nicht so sei! Auf keinen Fall! Und wie gut er sich fühlt, wenn ich ihn lobe, weil er mir bei irgendwas geholfen hat. Wenn ich ihn sehe, wie liebevoll und fürsorglich und geduldig er mit seinem kleinen Bruder umgeht. Mit wieviel Mühe er Geschenke für unsere Geburtstage auswählt. Und wir für den seinen. Wenn ich mich manchmal morgens auf die Kante seines Bettes setze um ihn zu begrüßen und er dann doch die Hand nach mir ausstreckt… wie früher.

Gemeinsame Unternehmungen gehen jetzt immer von mir aus. Möchte ich mit meinem Sohn etwas unternehmen, muss ich mir Gedanken machen. Frage ich ihn dann, ob er mit mir einen Einkaufsbummel/ Kinobesuch/ irgendwas machen will, kommt häufig ein gelangweiltes Schulterzucken als Antwort. Gefolgt von: „Können wir mal machen.“. Reagiere ich dann gekränkt, versaue ich uns beiden den Spaß. Denn wenn wir dann wirklich mal losgehen (dazwischen kommt noch mindestens einmal „Heute nicht. Hab keen Bock!“), dann ist es schön. Und vertraut. Und es kommen gute Gespräche in Gang. Und ich spüre, wie nah wir uns noch sind.

Pubertät ist wie eine stürmische See.

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Dazwischen auch immer wieder Nervenaufreibendes. Ich habe vor gar nicht langer Zeit mal zu ihm gesagt: „Ich liebe dich wirklich sehr, aber im Moment kann ich dich einfach nicht leiden!“. Es hat ihn nicht geschockt, vermutlich fühlt er ähnlich…

Wir haben so viele Kämpfe durchfochten die letzten Jahre, dass mir die aktuelle Zeit wunderbar entspannt vorkommt. Es hat gedauert, Regeln für diese Familie zu etablieren und vor allem, weil der Sohn oft das Gefühl hatte, nur er müsse sich an diese Regeln halten! Da zeigte sich, dass Pubertät eben auch Prozessveränderung bedeutet. Rückwirkend ist ein festes Regelkonstrukt für uns hilfreich gewesen, da es uns ermöglichte, an explizit benennbaren Stellschrauben (zB. Pflichten im Haushalt/ Schlafenszeit/ Mediennutzungsdauer/ Taschengeld) zu drehen und damit unserem Jugendlichen das Gefühl zu geben, seine Freiheiten wüchsen mit wachsendem Alter messbar. Damit will ich um Gottes Willen nicht den Anschein erwecken, ich hätte Ahnung von solchen Dingen. Das läuft hier wie anderswo nur nach der trial-and-error-Methode.

Pubertät ist anstrengend.

Für den Jugendlichen in erster Linie. Die Hormone spielen verrückt und alles steht Kopf. Wohin will ich? Was will ich? Wen? Verrückte Fragen schwirren einem auf einmal im Kopf rum und das eigene Spiegelbild verändert sich. Nicht immer gefällt dem Jugendlichen, was er dort sieht. Dazu kommen irre Wachstumsschübe. Auf einmal wachsen bei Jungen zum Beispiel Arme und Beine sprunghaft und der junge Mensch sieht aus wie ein Schlaks, dem die Tentakel ständig im Weg sind. Dann wachsen die Finger und Zehen sprunghaft und du sitzt auf einmal am Abendbrottisch neben einem Wesen halb Mensch, halb Lurch. Dann brauchst du einen Dispokredit, weil zusätzlich zum normalen Familieneinkauf palettenweise Joghurt und säckeweise Schnitzel rangeschafft werden müssen. Zusätzlich zu Großpackungen an Keksen und Softdrinks und Süßkram. Und trotzdem wiegt der Schlaks vielleicht nur fünfundvierzig Kilo bei einem Meter siebzig Körperhöhe und du denkst, scheiße, wie krieg ich den bloß satt? Und auch der Gedanke kommt dir: Gotte sei Dank haben wir zwei Bäder! Während ich aus Erzählungen Jugendliche kenne, die mit dreckigen Fingernägeln und fettigen Haaren das Haus verlassen, haben wir ein sehr reinliches Exemplar. Was prinzipiell gut ist, aber Geduld erfordert! Also von allen anderen Familienmitgliedern. Zweimal täglich eine Stunde sind minimale Badzeiten. Währenddessen ist die Tür verschlossen und die Musik laut. Du kommst hier net rein! Also wirklich nicht. Nicht mal im Notfall. (Merke: Zwei Bäder sind wichtig. Notfalls Dixie-Klo organisieren.).

Pubertät ist also auch für Eltern anstrengend. Diese ganze Abnabelei ist wichtig, keine Frage, aber das ist auch schmerzhaft. So eine Familie ist ja ein geschlossenes System und wenn sich jemand in diesem System ändert, ruckelt alles. Das ist logisch. Und dann kann man versuchen, an alten Gesetzmäßigkeiten festzuhalten und das System im alten Modus wieder zum Laufen zu bringen. Kann man versuchen. Vielleicht klappts ne Weile. Oder das System blockiert völlig. Oder aber alle anderen verändern sich auch ein bisschen mit.

Pubertät ist die Zeit sich zu verändern und neu kennenzulernen.

Und das tut unter Umständen weh. Mensch, war doch alles so schön! Warum kann es nicht so bleiben? Darum! Weil Leben Veränderung bedeutet.

Ich habe mal bei Jesper Juul einen Slogan gelesen im Zusammenhang mit der Pubertät: „Von der Erziehung zur Beziehung“. Und da ich ja keine Erziehungsratgeber lese, hab ich mir auch nur diesen Slogan gemerkt. Treffenderweise sagt der eigentlich auch alles aus. Es ist unsinnig, einem Sechzehnjährigen irgendwas einbläuen zu wollen. Man muss anfangen, auf Augenhöhe zu gehen und ja, auch verhandeln. Seine eigenen Muster zu hinterfragen. Warum ist mir dies und das so wichtig und ist es das wirklich oder geht’s vielleicht um etwas ganz anderes? Wenn man sich darauf einlassen kann und sich auch selbst hinterfragt, kann das gut laufen. Spaß macht das nicht. Beziehungsarbeit macht in keiner Partnerschaft wirklich Spaß, sonst würde es ja Beziehungsspaß heißen! Und warum? Weil der erwachsenen Mensch (ich) ja eigentlich gern an Altbewährtem festhält und ungern Kontrolle abgibt.

Hilfreich war auch mal das Statement eines Mannes, der mit Jugendlichen arbeitet und der mir erklärte, von seinem Standpunkt aus betrachtet gibt es nur eine Sache, die ein Jugendlicher muss: Regelmäßig die Schule besuchen. Das ist sein Job. Das muss er. Alles andere sei nebensächlich. Gewagte These, aber dennoch hilfreich, wenn man vor lauter „Problemen“ nicht mehr Wald von Baum und Borke unterscheiden kann.HPIM1972

Kleine Kinder, kleine Sorgen. Große Kinder, große Sorgen. Da ist was dran. Während ich mein Kleinstes mit jeder Faser meines Seins genieße und wirklich nur im Hier und Jetzt lebe, kreisen meine Gedanken an den Großen immer mehr um die Zukunft. Und fast ausschließlich sind sie mit Sorgen, Bedenken und Ängsten behaftet. Meinen Ängsten, wohlgemerkt! Wie geht das mit der Schule weiter? Wie wird ihn die Liebe finden und wird sie große Schmerzen im Gepäck haben? Welche Erfahrungen wird er mit Drogen und Alkohol machen und wie geht das für ihn aus? Wird er Gewalterfahrung machen müssen und kann ich ihn irgendwie davor beschützen? Also vor allem? Für zehn Jahre einschließen vielleicht? Und würde ich es denn noch zehn Jahre mit diesem komplexen, anspruchsvollen, streitbaren Menschen in einem Haus aushalten?

Pubertät ist die Zeit der ambivalenten Gefühle.

Auf allen Seiten.

Es ist nach wie vor eine zärtliche Liebe in meinem Herzen. Eine Liebe, die in den letzten sechzehn Jahren einem steten Wandel unterzogen war, und dennoch lichterloh brennt. Aber mittlerweile eben anders. Ich spüre die unsichtbare Nabelschnur zwischen uns nicht mehr so stark pulsieren. Ich kann zulassen, dass andere Menschen wichtig sind in seinem Leben. Dass die Meinung anderer Leute manchmal wichtiger ist als meine. Öfter sogar.

Dass ich mehr für diese Beziehung tun muss als früher. Und vielleicht auch für die nächsten Jahre. Dass ich Angebote machen muss, dass ich auf ihn zugehen muss. Immer wieder. Auch wenn er mich anbellt, er wölle jetzt nicht reden. Gesprächsbereit bleiben. Nähe – Distanz. Den Wunsch nach beidem respektieren.

Und schlussendlich dem Bärtigen zuprosten! Denn so schlecht haben wir das die letzten Jahre wohl nicht gemacht. Jetzt zeigt sich, welche Werte und Normen in ihm verankert sind und meistens – immer öfter – gefällt mir gut, was ich sehe! Ein höflicher, sympathischer junger Mann, der ein gutes Herz hat und ein Gefühl entwickelt für seine Umwelt. Und wenn mir jemand vor fünf Jahren gesagt hätte, dass ich das heute über ihn schreiben würde, hätte ich mich sehr gefreut.

Pubertät ist die beste Zeit, sich täglich einzureden: Es ist alles nur ne Phase!

HPIM1971

Winter… auch das noch!

Wie ich das hasse! Gehst du arbeiten, verlässt du im Dunkeln das Haus und kommst im Dunkeln wieder. Schlurfst in sackähnlichen Lagen durch matschige Straßen. Und dieser Schnee! Muss das denn sein? Seit Jahrzehnten wird die globale Erwärmung propagiert, aber Frau Holle ist das wurscht. Irgendwie leckt da die Informationsübermittlung. „Kein Schnee in Deutschland! Wir haben globale Erwärmung!“ Das kann doch nicht so schwer sein.

Doch.

Es kommt runter, das krümelige Scheißzeug. Allen Unkenrufen zum Trotz. Und versaut mir den Tag. Mützen versauen mir außerdem die Frisur und der Schneematsch die italienischen Schuhe. Ich kann dieser Winterromatik nichts abgewinnen. Schneebedeckte, unberührte Natur, von mir aus! Guck ich mir auf einem Bild an. Hier, Bild:IMG_0398

Noch eins? Na gut. Hier. Büsche mit Schnee. Pieschen.

IMG_0401Und mit Kindern ist Winter ja noch doofer! Da stehe ich in Vollmontur im Flur und versuche, ein sich wehrendes Kleinkind in Schneeanzug und Socken, Mütze und Stiefel zu stecken, während sich dieses Kind windet und protestiert. Mir läuft der Schweiß in Strömen zwischen den müden Brüsten runter und ich hab schon die Faxen dicke, da hab ich noch nicht mal das Haus verlassen! Dann kommen noch zwei Treppen. Natürlich will das Kind nicht getragen werden! Aber laufen, also laufen will es aber auch nicht. Es steht so Stufe für Stufe in seinem dicken Anzug rum. Dann wird ihm auch heiß. Dann heult es. Wirft sich auf die Treppe, rutscht drei Stufen bäuchlings herunter. Wird dann zur mütterlichen Tasche unter irgendeinen Arm geklemmt und gegen seinen Willen aus dem überheizten Haus gewuchtet. An der Stelle reicht es mir dann eigentlich schon gänzlich.

Rückzu ist es auch nicht schöner. Ehe man das unkooperative Kleinkind aus der Eskimo-Pelle geschält hat, taut man selbst und die Stoffwulst des Kindes fröhlich vor der Tür. Und immer, aber wirklich immer, trete ich dann mit Strümpfen in so eine scheißnasse Pfütze vor der Scheißtür und habe dann nicht nur nasse Füße, sondern auch Scheißlaune! Und dann hängt überall in der Bude irgendwas Feuchtes zum Trocknen rum. Als ob nicht sowieso schon überall Zeug hinge. Und der durchschnittliche Handschuh- und Mützenverbrauch im Winter ist doch bei Kindern auch nicht mehr mit zwei Gehältern zu bezahlen, oder? Nach maximal zweimaliger Benutzung ist stets ein Handschuh verschwunden. Wohin? Was weiß denn ich!

Ja, früher, als ich selber Kind war, da war das toll. Da hatten wir auch noch richtige Winter. Mit knirschendem Schnee und Sonne, die die weißen Wiesen glitzern und funkeln ließ. Schneemänner bauen. Mit bloßen Händen, natürlich, sonst wird das nicht schön. Bis die Finger rot und steif waren. Und wie das kribbelte, wenn man dann wieder ins Warme kam! Ich kann mich noch an das Geräusch erinnern, das die Schneebälle machen, wenn man sie drehend aufeinandersetzt. So ein leises Knirschen. Und dann mit Schnee die Kanten verschmieren, damit es hält.

Ich war immer draußen, jeden Tag. Stets in „Steghosen“ und einen dicken Norwegerpullover gewandet, die meine Oma aus Drieselwolle der Pullover meines Opas und meiner Onkel herstellte („Gute Shetland-Wolle!“). Ich sauste auf meinen Schlittschuhen über den Carolasee im Großen Garten und übte wochelang rückwärts übersetzen und Piouretten. Wenn es dunkel wurde, schnell noch mal den Rodelberg rauf und runtergesaust auf dem Hörnerschlitten! Nassgeschwitzet, voller Eiskristalle und mit roten Wangen kam ich abends heimgestapft.

Vorbei!

Wenn man heute als erwachsener Mensch mit Familie in die Winterferien fährt, dann muss man ja schon wahnsinnig sein. Oder verschuldet. Oder weiß ich auch nicht. Und dann stehste da mit hundert anderen am Skilift und regst dich über die Preise der Skipässe auf und rechnest kurz durch, dass du für die Kosten des familiären Winterurlaubes auch einen Monat nach Bora Bora hättest fliegen können. Oder ein afrikanisches Dorf ein Jahr lang grundversorgen. Und versuchst trotzdem, nach außen geistige Gesundheit auszustrahlen! Während du das Outfit der anderen Skihasen checkst. Fire and ice, war ja klar. Und nur du stehst hier in der Tschibo-Ski-Kollektion. Und aprés ski, von wegen! Eine Cola für alle und eine Portion Hütten-irgendwas, dreihundertvierundachtig Euro bitte!

Ach, hau mir ab mit Winter.

Ja, und dann ist das Kleinkind krankgeschrieben und der Patient und die Pflegekraft kriegen den Lagerkoller. Und dann kommt eine SMS: „Gehen rodeln, kommt ihr mit?“. Die einzig logische Antowrt wäre gewesen: „Wäh?!“. Aber siehe oben, Lagerkoller.

Und so sah man mich heute das sich windende Kind in Watte packen, während mir der Schweiß zwischen… und ja, auch das mit der Treppe. Und dann Porutscher und Rutscheteller auf den Wagen schnallen und los zum Kindergarten. Die anderen Canaillen treffen. Innerlich hoffend, dass vielleicht kein Schnee liegt auf dem anvisierten Hügel („Ach, schade schade! Wirklich jammerschade!“), dann könnte ich eine Runde lüften fahren mit dem Kinderwagen und danach wieder halbwegs trocken ab nach Hause! Und warten, dass dieser blöde Winter endlich vorbei ist.

Aber irgendwie war es ganz anders. Es lag an der Gesellschaft. Inmitten lauter glücklicher Hosenscheißer mit strahlenden Gesichtern war alles ein Genuss. Dass Schnee auf dem Rodelberg lag, konte ich schon gar nicht mehr negativ bewerten. Und wie die sich freuten! Und wie lieb die waren. Untereinander. Kein Zanken um die Porutscher, kein: „Nänänänä, meiner ist aber schneller/ schöner/ roter!“. Die Großen zeigten schon durch kühnes Zurücklehnen, was mal ein echter Rodelweltmeister werden will und die zukünftigen Klassenclowns waren auch schnell ausgemacht, weil sie sich kullernd den Berg hinunterrollen ließen, um ihre Kollegen zum Lachen zu bringen. IMG_0406 IMG_0408 IMG_0420 IMG_0423 IMG_0426Und lachen. Also lachen. Was soll ich sagen? Ich habe die ganze Zeit gelacht! Gelächelt, gegrinst, gestrahlt. Spaß gehabt! Und bin johlend mit: „Bahne frei, Kartoffelbrei!“ auf dem Teller den Berg runtergefegt, vor mir irgendeinen kleinen, warmen, knubbeligen Hosenscheißer auf dem Schoß. Schnee im Nacken, Schnee in den Schuhen, egal! Ich habs nicht mal gemerkt.IMG_0445Dann sind wir nach Hause gestiefelt, ein paar der kleinen Kumpels fielen unterwegs fast die Augen zu. Dann kam noch die Sonne raus und es fing an zu glitzern…

Hach.

Ich denke, ich baue morgen einen Schneemann. Nur für mich. Einfach, weil es Spaß macht! Natürlich mit bloßen Händen, sonst wird das nicht schön!

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Wattekuss

„Einz, bei, krei, vier, fimf, sechs, siebam, akt, nuin, sehn, ölf, Applaus!“

Er kann schon zählen, der Kleinste, wie die stolze Mutterhenne hier angeberisch verkünden möchte! Auch ist er in der Lage, dezidiert zu erklären, ob nun am Tablet „dor gölbe Bus“ oder „dor blaue Bus“ angemacht werden soll.

Ansonsten spricht er viel, aber hauptsächlich Babyisch. Beim letzten großen Baby-TÜV hat der gute Doktor auf dem TÜV-Formular „late Speaker“ vermerkt, weil der Wundervolle zwar alle Tiere und Alltagsgegenstände auf den Tafeln benennen konnte, nur eben nicht in deutsch.

Babyisch ist ja international. Ob nun aus Köln, Leipzig oder Shanghai, untereinander verstehen sich diese kleinen Wesen immer. Von Kommunikationsproblemen keine Spur!

Nun müssen sie allerdings bereits in frühen Jahren die entsprechend der späteren Verortung vorliegende Fremdsprache erlernen. Hauptsächlich, weil die alten Erziehungsmenschen linguistisch zu unflexibel sind, um sich auf das internationale Babyisch einzulassen. Obwohl man ja als Elter am Anfang gar nicht drum herum kommt…

Ich erinnere mich noch, wie ich als frischgebackene Muddi den native speakern und alteingesessenen Müttern lauschte und der Meinung war: Das lerne ich nie! Irgendwie ist es rückwirkend, als siedle man in ein anderes Land um. Mit der Praxis kommt es von ganz alleine.

Mittlerweile weiß ich, bilunguale Erziehung betrifft immer alle. Und zwar wirklich alle! Eltern und Kinder. Und ich bin sicher, dass die Hosenscheißer ganz genau wissen, was sie wann wie formulieren müssen, um Erfolg zu generieren. Beispiel gefällig? Als der Bärtige letztens das schnee-be-anzugte Wurschtgewitter die Treppen hochhievte zu unserer Behausung, rutschte dem die Pudelmütze bis hinunter zur Oberlippe. Empört protestierte der Kleinste eine ganze Treppe lang auf Babyisch, um sich dann, nach dem zweiten Absatz, in deutlichstem Deutsch zu beschweren: „Isch seh nüsch! Isch seh nüsch!“.

Der kann das. Wenn er muss. Und Wollen muss er auch. Dann verwendet er sogar regelrecht inflationär verstärkend wirkende Adverben wie „wugglisch“, „örlisch“ und „naturlisch“. „Bist du im Schuh drin?“. „Ja. Wugglisch.“. „Hast du gut geschlafen?“. „Ja, naturlisch.“.

Will er aber meistens nicht. Teleskoplader, Raupenbagger und selbst Müllauto spricht er fehlerfrei. Für letzteres gibt es aber ein schönes Babyisch-Wort: Badeng! Und so wird nach wie vor die Ankunft des orangen Riesen vorm Haus von frenetischen „Badeng! Badeng!“-Rufen begleitet. Im Kindergarten wollte ihn der große Lukas (der ist schon vier) logopädisch schulen und sagte ihm, das würde aber Müllauto heißen. „Badeng!“, widersprach der Blondino. „Müllauto!“, „Badeng!“, „Müllauto!, „Badeng!“. „Also gut, von mir aus Badeng.“. Soweit ich weiß, ist Badeng jetzt im Kindergarten etabliert.

Ich amüsiere mich über diese für mich neue Fremdsprache. Als ich mit ihm neulich zu meiner Freundin unterwegs war, freute er sich die ganze Autofahrt lang auf „Grödel, Ketschup und Malle“ und ich schwöre, Gretels Kinder heißen wirklich nicht so!

Mein liebstes Babyisch-Wort ist „Wattekuss“. Wattekuss ist die Generalantwort auf jede Aufforderung, die an das Baby gerichtet wird. „Komm, Windeln wechseln!“. „Wattekuss.“. „Los, Schuhe anziehen!“. „Wattekuss.“. „Räum die Vaininni vom Boden auf!“. „Wattekuss.“.

Allerdings bin ich der Meinung, es gibt durchaus Worte aus dem Babyischen, die eingedeutscht gehören. „Vaininni“ ist so ein Wort (nach langer Überlegung bin ich der Meinung, das ist ein Pluralwort wie Globuli). „Heb die Vaininni vom Boden auf!“ ist ein vielgesprochener Satz im Hause Nieselpriem. Denn die Vaininni werden täglich aus dem Küchenschieber geholt und in der Küche verteilt. Und im Flur.

Vaininni

Vaininni (mehrfarbig; verteilt auf einem Küchenboden)

Plastiktrinkröhrchen ist doch ein absolut unmögliches Wort, oder? Vaininni dagegen kan jeder Mensch, egal, aus welchem Kulturkreis und egal, mit welchem Alkoholpegel, problemlos aussprechen. Denn, mal ehrlich, wann kommen die Dinger denn zum Einsatz?

Genau! Meistens, wenn man morgens um drei stocknüchtern in einer Bar sitzt und die Thekenfachkraft verkündet, sie würde jetzt die letzte Runde machen. Dann denkt man sich: Mensch, jetzt als Abschluss einen schönen Whiskey sour mit viel crushed ice und Rohrzucker, den man mit dem Plastiktrinkröhrchen zwischen den Limettenstücken im Glas  klimpernd verteilen kann und dabei noch ein bisschen über die großen Themen der Welt philosophieren. Und souverän und nüchtern wie du bist bestellste dann: „Een Wixauer, aba mi Plastiringröschn!“.

Ich bin sehr für Vaininni…

 

 

 

 

 

 

Doktor Google

Rückblende. Siebenundzwanzigster Dezember zweitausendzwölf.

Ein Tag „zwischen den Jahren“ wie in jedem anderen Jahr auch. Irgendwie fühlte ich mich blümerant und anstatt mich ins Wartezimmer eines überbuchten Arztes zu setzen konsultierte ich vorm Weltempfänger Dr.Google. Der hatte bald auch den richtigen Riecher:

Sind sie eine Frau? Ja. Sind sie älter als fünfundvierzig? Nein. Fühlen sie sich in den letzten Wochen schlapp und grundlos abgespannt? Ja. Leiden sie unter Schlafproblemen und Kopfschmerzen? Ja. Sind sie übellaunig und plagen sie Stimmungsschwankungen? Ja, und wie! Quälen sie Hitzewallungen, vorallem nachts? Ja. Ist ihre Periode unregelmäßig geworden? Ja.

Diagnose: „Mit großer Wahrscheinlichkeit sind ihre beschriebenen Probleme Anzeichen der Wechseljahre. Ihr Gynäkologe oder ihre Gynäkologin kann ihnen helfen, die Nebenwirkungen des Klimakteriums durch Medikamente abzumildern. Machen sie am besten frühzeitig einen Termin!“.

Machte ich, ich bekam aber keine Medikamente.

Und jetzt kann ich auch nicht weiter mit euch plaudern, denn das Klimakterium ist eben wach geworden und ruft nach mir…

 

 

Wochenendgedicht (ohne Bebilderung, aus Gründen)

Wenn fremde Kotze nächtens sprudelt

und mich von Kopf bis Fuß besudelt.

Ich stündlich Fieberwickel mache

und nur noch für ein Foto lache.

Hüherbrüh` und Zwieback reiche,

um die Fresse ausseh` wie ne Leiche.

Zwiebelsaft und Fencheltee,

die Waschmasch quietscht in hohem C.

Wenn ich den Kopf leg´ auf die müden Hände,

dann weiß ich: Es ist Wochenende!

(Pieschner Volksdichtung)

Allen Eltern gewidmet, die stets aufopferungsvoll Erholungsurlaub und Wochenende nutzen, um die unvermeidbaren Virulenzen der Fortpflänzchen auszumerzen und montags wie Phönix aus der Asche kraftvoll, erholt und vital in die Arbeitswoche starten. Tschaka-Flosse!

Montags

Manchmal braucht selbst ein Blogpost ein Vorwort. Montage. Wenn man sich für zwei Jahre auf Bora Bora, Ziyaraifushi oder in Erziehungszeit befindet, haben Wochentage überhaupt keine Relevanz. Montag, Freitag, Sonntag, Wurscht. Der Tag wird durch Naturgewalten strukturiert und nicht durch Uhr und Kalender. Da sitzt man da auf seiner Insel und liest Beiträge über Vereinbarkeit und die Quadratur des Kreises, nickt mit klugem Blick Wissen vorschützend und hat schlichtweg keine Ahnung! Kommt man dann nach zwei Jahren zurück aus Bora Bora, Ziyaraifushi oder der Erziehungszeit, Zack!, hat man auf einmal wieder Wochentagsgefühle. Und Zeitdruck! Und der Montag ist ja ein besonderes Schätzchen unter den Wochentagen. Der zeigt den Menschen im fahlen Morgenlicht von seiner allerfeinsten Seite. Mich zum Beispiel…

Quatscht mich bloß nicht an heute! Ich habe Laune. Also so richtig. Halb sechs wecken. Die Nacht war viel zu kurz, das Wochenende zu unerholsam und es ist mir schnurzpiepegal, ob der Allerbeste von allen extra und nur wegen mir und aus übergroßem Mitgefühl und dem Wunsch zu helfen heraus extra bis ein Uhr nachts wach geblieben ist um dem Blondino eine Milchpulle in den Hals zu stopfen. Weil, wenn nicht, hätte vermutlich ich irgendwann zwischen zwei und drei rangemusst. Ist mir egal! Hilft mir überhaupt nicht. Ich bin so fertig. Ich halte mich an der Kaffeemaschine fest, damit ich nicht umfalle.

Der Blondino schaufelt Müsli in die Zuckerschnute und löffelt Milch aus seiner Schüssel auf den Tisch. Und den Fußboden. Und verlangt nach meeeeehr Milch. Ich renne kopflos hin und her und mache sinnlose Handgriffe. Räume Brötchen, Wurst, Käse, Salat und Marmeladengläser von A nach B und dann nach C. Fange an, Brotbüchsen zu bestücken. Renne wieder in der Küche rum, rutsche in der verschütteten Milch aus. Der Blondino will runter. Er will seinen Bruder wecken. Oder den Papi. Oder beide. Ich will nichts davon. Ich will duschen oder mir wenigstens das Gesicht waschen. Und mich schminken. Die Brotbüchen sind auch noch nicht fertig. Stattdessen bespiele ich leise („Leiiiiise! Psst. Wir sind jetzt beide mal ganz leiiiiiise!“) das Kleinkind, damit die anderen beiden noch ein paar Minuten schlafen können.

Für´n Arsch! Ich will wieder ins Bett. Aber ich bin erwachsen, ich muss irgendwas. Nach Wollen fragt das Leben gar nicht mehr.

Ich muss den Pubi wecken. Der dreht auch gleich auf und rennt lauthals in Schlübbern in der Bude rum und quatscht mich voll. Will mir irgendein Level von irgendeinem Spiel zeigen, seinem Bruder den Fußball an den Kopf kicken, seine Plüschtiere jetzt sofort alle von dem Blondino wiederhaben, über Taschengeldabmachungen diskutieren und generell mehr Computerzeit und überhaupt. „Zieh dir erst mal was an und geh dir die Zähne putzen, Mensch!“, sage ich entnervt. „Menns!“, pflichtet der Blondino mir bei, während er den Tritthocker durch die Küche schiebt um die Kaffeemaschine zu entern.

Zehn Minuten später habe ich den mittlerweile angezogenen Pubi zum Frühstücken an den Tisch gequatscht und bereits viermal das Babylein vom Tritthocker wieder runtergeholt. Jetzt haut er ab, die Hose hängt ihm unterhalb vom Arsch und ein grüner Schleimbatzen aus seiner Nase raus und klebt nun an seiner Wange. Ich versuche, die mobile Schleimschleuder einzufangen. In der Zwischenzeit fährt dieser sich lösungsorientiert mit dem Pulloverärmel einmal „Wisch!“ übers Gesicht.

Ich bin jetzt anderthalb Stunden wach, habe nichts gegessen und trage eine Leggings und ein Schlabbershirt. Meine Haare hängen zottelig in einem Knoten schief auf meinem Oberkopf und ich stehe in einer wüsten Küche voller angefangener Brotbüchsen, leerer Müslisschüsseln und so weiter und habe keinen Plan, was ich jetzt zuerst machen soll.

Ah, jetzt weiß ich es. Ich verstecke mich im Bad und färbe mir die Augenbrauen… Zehn Minuten Pause. Mir egal, was die Blagen dort draußen jetzt machen. Meine Finger zittern beim Auftragen und mir ist die Abstrusität der Situation durchaus bewusst. Ich male weiter.

Angescheuselt wie Theo Waigel beschließe ich, den Mann aus Morpheus´Armen zu reißen. Der aber steht schon völlig schlaftrunken inmitten der Küche und guckt genauso begeistert wie ich. Allerdings ist er wesentlich entscheidungsstärker: Er nimmt sein Handy vom Tisch und geht wieder ins Bett. Börsenkurse studieren, Clash of Clans spielen. Ich bin zu müde um zu protestieren. Aus dem Bett heraus gibt er dann auch Anweisungen an die Kinder, die diese selbstverständlich ignorieren. Hauptsache, er fühlt sich besser. Immerhin hat er ja geholfen!

Ich atme. Ein. Aus. Reiße Klamotten aus meinem Schrank und trage sie in irgendein Zimmer. Packe die Brotbüchsen weiter und räume Zeug in den Kühlschrank und die Spülmaschine. Nein, nicht in die Spülmaschine, die ist selbstverständlich voll mit sauberem Geschirr. Selbstverständlich!

Was würde ich dafür geben, mir selbst jetzt ruhig zureden zu können, dass in einer Stunde alle weg sein werden und ich Zeit für einen Kaffee in Ruhe habe. Und den Rest des Tages Zeit, das Chaos zu beseitigen. Aber nein, geht ja nicht. Und ich rege mich schon wieder auf. Diesmal, weil mir der Artikel einfällt, den ich vor einigen Tagen auf einem Blog gelesen hatte, weil ich mich im Internet verklickt hatte. Da konnte ich also versehentlich lesen, wie stressig der Tag so mit einem Kleinkind sei. Also aus Hausfrauensicht. Das ist so stressig, da muss sie jetzt Yoga machen und autogenes Training und eine Putzfrau musste der Mann auch einstellen. Das packste einfach nicht! So als Hausfrau und Mutter auch noch den Haushalt. Völlig verblüfft guckte ich nach: Tatsächlich. Mutti, Vati, ein Kind. Eins. Und einen Stress hat die! Alter Falter! Ich stand so da und regte mich gleich noch mal auf. Dein scheißstressiger Hausfrauenalltag sind ab jetzt meine verfluchten paar Urlaubstage! Und meine Wochenenden! Das hat man davon, wenn man sich aus Versehen mal verklickt. Man kann wirklich nicht genug aufpassen mit diesem Internet.

Fünf Minuten später. Der Mann steht in der Küche. „Warum ist denn das Spülbecken schon wieder voll? Haben wir keine Spülmaschine? Wie´s hier aussieht… Komm Baby, wir gehen Zähneputzen.“. Ich rufe hinterher, dem Baby solle er auch gleich die Zähne putzen und höre als Antwort, das wäre ja mal wieder klar, dass ich das vergessen hätte. Es fehlte nur noch die Frage, was ich denn überhaupt bis jetzt so getrieben hätte in diesem Saustall. Ich platze! Innerlich.

Gegen halb acht bin ich mittlerweile halbwegs vorzeigbar, der Pubi ist aus dem Haus und der Mann sitzt mit Kaffee in der Küche. Ich mache mir was zu essen, während der Blondino an meinen Beinen hängt, seinen Schlonz bei mir abwischt und versucht, an mir hochzuklettern. Der Mann sitzt.

Irgendwas sagt er. Dann sehe ich rote Blitze vor meinem inneren Auge und explodiere. Also diesmal sichtlich und hörbar!

Dann lege ich dem Blondino alle Sachen raus zum Drüberziehen, die Kindergartenbeutel bestückt neben die Türe, telefoniere kurz mit dem Krankenhaus wegen dem Großen und packe meine Tasche.

„Du willst schon gehen?“ (der Mann). „SCHOOON?! Schon gehen? Normalerweise war ausgemacht, dass du dich morgens kümmerst und ich nachmittags! Praktisch habe ich morgens und nachmittags die Kinder und, ach so,  zwischendurch bin ich auch noch arbeiten! Theoretisch sollte ich schon im Büro sein. Praktisch schmeiße ich hier morgens alles bis aufs Wegbringen und praktisch komme ich jeden Morgen eine halbe bis zwei Stunden zu spät auf Arbeit! Sei mir bloß still.“. Ist er nicht. Er erwähnt seine heroischen nächtlichen Flaschendienste. Ich gehe.

Auf dem Weg zum Büro werde ich beinahe über den Haufen gefahren, als eine alte Hobelschlunze („Du blöde alte Hobelschlunze!“) mit ihrem BMW Panzerfahrzeug eine Einfahrt nehmen will, über die ich gerade laufe. Ihr Kopf ist soweit nach hinten rechts verdreht, dass sie aussieht wie Anjelica Huston in „Der Tod steht ihr gut“. Ich entrinne nur durch einen beherzten Sprung nach vorn.

Der BMW. Wie blöde muss man sein. Also ich. So schön hätte ich jetzt liegen können! Im Krankenhaus zwar, aber immerhin liegen. Für Wochen vielleicht. Mit viel Glück hätte ich mir beide Beine gebrochen. Oder sogar den Hals. Hach, einfach nur liegen. Und schlafen…

Dann sitze ich mit kleinen roten Schweineäuglein in dem viel zu hellen Großraumbüro und die Leute reden. Telefonieren, laufen an mir vorbei. Was wollt ihr? Wieso seid ihr wach? Was mache ich hier? Ich will zurück auf die Insel!

 

Und warum man Posts über Montage am besten Dienstags publiziert, ist auch klar: Dann kann sogar die Autorin mitlachen. 😀

Eingewöhnungslektüre

Ich liebe die Kita des Blondinos! Alles daran. Die Erzieherinnen, die Location, die anderen kleinen Lümmel, den Garten, echt alles.

Die haben sogar ein Elterncafé dort, wo die tränenfeuchten Muttis und Vatis geparkt werden zum Zwecke der Entwöhnung. Ist nett. Am ersten Tag bereits sagte mir eine der so gemochten Erzieherinnen, wenn ich was zu lesen hätte, was ich dem Café überlassen könnte, wäre das super!

Ich hatte. Und so brachte ich am zweiten Tag meine MOM-Sammlung ins Elterncafé. Die gesamte. Vom ersten Heft an. Nun scheiden sich an diesem Blättchen ja die Geister, aber ich finde das Format nach wie vor unterhaltsam, amüsant, vertraut (wegen der in schöner Regelmäßigkeit auftauchenden bekannten Gesichtern der Blogger-Kolleginnen) und sogar ich selbst durfte dort schon redaktionell tätig werden. Kurzum: Mein Herz hängt da ein wenig dran. Aber ich mag diese Kita sehr und deshalb war klar, alle anderen traurigen Muttis sollen auch mal lachen und sich unterhalten lassen, während sie mit schmerzendem Herzen alleingelassen Kaffee schlürfen. Das Café sah auch gleich nicht mehr so karg aus. Beweis:IMG_3513

Am nächsten Morgen waren sie weg.  Alle. Die MOMs. Ich dachte, ich hätte mit dem „Stoff“ eine andere Frau angefixt und diese hätte sich die Hefte geborgt (das war für mich die naheliegendste Erklärung). Aber nein! Die Lektüre passte einfach nicht zur Kita.

Stattdessen liegen jetzt dort Broschüren und Journale aus, die sich wirklich wichtigeren Themen als der schnönen Unterhaltung widmen. FullSizeRender„Wie Kathi mit Sekt, Chips und Bibel den Neuanfang wagte“, also für diesen Header gibts bestimmt einen journalistischen Sonderpreis! Bin ich sicher. Inwieweit sich derlei Lektüre förderlich auf die Eingewöhnung auswirkt und deshalb unbedingt in jedem Kita-Elterncafé ausliegen sollte, weiß ich zwar nicht, aber ich verlasse mich auf die Expertise des Fachpersonals.

Und ab sofort bringe ich mir meine eigenen Schmierblätter eingewickelt in einer Ausgabe des „Wachturm“-s mit.

Geburtstage

Geburtstage

Während die Erwachsenengeburtstage und selbst der des großen Kindes ja grundsätzlich Tage sind, an denen der Jubilar gefeiert wird, ist es bei dem des Kleinsten irgendwie ganz anders… sie katapultieren mich in die Vergangenheit.

Schon zum zweiten Mal. Bereits viele Tage vor „dem“ Datum, schlurfte ich feuchtäugig und seufzend in der Gegend rum. Und dann traf es sich auch noch, dass meine Wege durch das Uniklinikum an der Frauenklinik vorbeiführten. Und da hörte ich es: „Aaaaaaaah!“, in diesem ganz besonderen Tonfall. Keine drei Sekunden später erneut: „Aaaaaaaah!“. Meine Schritte verlangsamten sich automatisch und meine winzige, schrumpelige Gebärmutti krampfte sofort solidarisch mit.

Eine Stunde später musste ich immer noch an die Frau denken. Ich legte Wäsche zusammen und seufzte schon wieder. Sie würde nun glückstaumelnd und verheult ein rosiges Menschlein, schlafend und zusammengekrümmt wie ein Engerling oder mit ganzer Babykraft wütend ausgestreckten Gliedmaßen und lauthals die Welt anbrüllend, unterhalb der linken Schulter liegen haben. Auf ihrem Herzen. Seufz.

Am letzten Augusttag dann (dem errechneten Geburtstag des Kleinsten) lief ich breitbeinig in der Gegend rum und hoffte auf Blähungen, um noch mal Bewegung in mir spüren zu können. Und benahm mich auch sonst so, als bräuchte ich dringend Hilfe!

Wenn ich abends liebestaumelnd über dem Gitter des Babys hänge und den warmen kleinen Rücken streichle, habe ich jetzt schon manchmal das Gefühl, ich muss ganz schön ausholen mit dem Arm. So von ziemlich weit links bis rechts. Wieso ist der schon so lang? So groß? Zwei Jahre. Warum geht das alles so schnell? Noch zweimal zwinkern, dann rasiert der sich im Schritt, sagt: „Tschüss Mutti!“, und zieht mit einer unsympathischen Söhnestehlerin von dannen (Ich hasse sie jetzt schon. Alle!).

Zwei Jahre soll das schon her sein? Meine Erinnerungen sind so präsent, als sei es gestern gewesen. Und das müssen sie auch bleiben, denn wenn ich das alles wirklich niemals wieder erleben darf, dann muss das für ein Leben lang reichen. Diese Erinnerungen.

Wie ich in der Klinik Meter für Meter die Gänge ablatsche, nachts. Und jede Nachtschwester auf einen Bohnenkaffee anschorre (und keinen kriege). Und wie ich dann viele Stunden später alle im Kasernenton darüber informiere, dass jetzt gefälligst der Anästhesist geholt werden soll. „Nee, Leute, ihr macht mir nichts vor! Natürliche Geburt? Hatten wir schon. Danke, kenn ich. Brauch ich nicht. Her mit dem Stöffchen! Volle Pulle, doppelte Dosis, alles! Vollnarkose extra. Nehm ich auch! Und lasst euch ja nicht einfallen, mich hier hinzuhalten. Und dann sagt ihr, ach, schon neun Zentimeter?! Jetzt ist es zu spät und ich würde den Rest ja auch noch schaffen, so suuuuper wie ich das bisher machen würde! Pah! Ich kenne euch Volk! Ich bin nicht zum ersten Mal hier! Mich trickst ihr nicht aus. Wann kommt denn endlich der Typ mit dem Betäubungsgewehr?“ (Diese Frage stellte sich das Entbindungspersonal selbst auch öfter während meiner Anwesenheit.).

Der Typ kam dann auch irgendwann und ich riss ihm den Belehrungszettel aus den Händen. „Blabla, Querschnittlähmung, Inkontinenz, mir egal. Her mit dem Scheißstift! Und jetzt mach das Ding rein, Doktorchen! Aber dalli! Warte…. Oh oh… Uuuuuuuuuih! Pffffffffff… Jetzt geht’s wieder. Mach hinne, Mensch! Sonst blas ich den Scheiß hier ab und geh runter in die Chirurgie und lass die Jungs mit dem Skalpell ran. Mir reichts jetzt langsam!“.

Dann schlafen. Ausstrecken. Herrliches Ausruhen.

Drei Minuten etwa. Dann war Schichtwechsel am Nachmittag und die Nachmittagshebamme, welche mich schon kannte, fragte streng: „Wasn hier los? Wieso hastn du ne PDA?“, „Geh weg, ich will schlafen!“, brummte ich sie an. „Nüscht. Hier wird ni gepennt. Gar keene Wehen hast du mehr! Das Ding kommt jetzt ab.“ Zum Protestieren war ich zu müde. PDA ab, Wehentropf dran und ab ging die Lucie.

Der Große kam 17:05 Uhr an einem Donnerstag zu mir, mein Kleinstes 15:50 Uhr an einem Mittwoch. Auch wenn ich von der Geburt des Großen nur noch weiß, dass es sich anfühlte, wie von einem Zug überrollt zu werden, so bleibt doch dieses Gefühl des ersten Blickes als Erinnerung wie in mein Herz tätowiert. Als die Hebamme den Großen hochhob, angezogene Beine, geschlossene Augen, mürrischer Mund. Und ich dachte: Ja! Das ist mein Kind! Mein Kind! Und der Kleinste auf meinem Bauch. Das Gefühl, ihn das erste Mal hochzuheben um ihn an mein Gesicht zu halten. Mürrischer Mund, zusammengekniffene Augen. Mein Kind!

Ich weiß, alle Mütter haben diesen Gefühlsrausch. Alle erzählen gern von ihren Geburten (oft auch gegen den Publikumswillen). Irgendwann lässt das allerdings nach. Der Gefühlsrausch verblasst vielleicht, so genau weiß ich es nicht. Dieses Mal will ich mich für immer erinnern. Ich will nichts vergessen! Die Vorstellung, dass diese Erinnerungen für den Rest meines Lebens halten müssen, dass ich das niemals wieder erleben werde, das ist ein wehmütiges Gefühl. Wisst ihr noch, diese Rentnerin im letzten Jahr? Die aufgrund der Vierlingsschwangerschaft in der Presse war? Alle haben sich den Mund zerrissen. So was Egoistisches auch! Ich war still, nichts habe ich dazu gesagt. Ich kann die Frau verstehen. Nicht die Handlung an sich, aber die Beweggründe. Die Sehnsucht. Kinderwunsch ist immer egoistisch. Man wünscht es für sich.

Nichts auf der ganzen Welt lässt sich vergleichen mit Schwangerschaft und Geburt und diesen magischen ersten Momenten. Dieser unglaublichen Liebe. Nichts! Das ist nicht, wie wenn man irgendwem erklärt, Bungeejumping sei wie Achterbahn, nur schneller. Für dieses Erlebnis gibt’s einfach gar keinen Vergleich. Und ich will das festhalten. Muss.

Halle Berry hat mit siebenundvierzig ihr zweites Kind bekommen. Annie Leibowitz und Gianna Nanini waren beide über fünfzig, oder? Ist ja auch egal. Es hört bei manchen einfach nicht auf, dieses Sehnen. Neulich meinte ich zu dem Bärtigen, ich wöllte noch mal sowas zu Weihnachten. Und zeigte auf das süße, unschuldige, goldschimmernd behaarte, weichhäutige und duftende „sowas“ (Okay, ja, man muss die auch behalten, wenn die nicht mehr so dufte(-nd) sind und nur rumdiskutieren und Türen knallen und so, aber das verdränge ich ja in solchen Momenten erfolgreich.).

Der Bärtige nicht. Er machte „dieses“ Gesicht und begann das Gespräch mit: „Henrike, …“. Bei solchen Gesprächen schalte ich bereits beim ersten Komma das innere Meerrauschen ein und rolle nur ab und an genervt mit den Augen, damit der Mann denkt, ich würde zuhören. Es geht immer um sowas wie Konsequenz und Verantwortung und Betriebswirtschaft und Nerven. Also alles Dinge, von denen ich sowieso keine Ahnung habe!

So ist das hier bei Nieselpriems.

Und er zweite Geburtstag des Kleinsten ging ins Land. So wie die unzähligen fünfzehn Geburtstage des großen Kindes. Fünfzehnmal Kerzen anzünden, fünfzehn Feiern, die ich gar nicht mehr alle zusammenbekomme. Eine Masse an Jahren und Ereignissen, komprimiert und eingedampft zu einem Erinnerungspuzzle in meinen Gedächtnis. Nur am Leben erhalten durch tausende Fotos, durch VHS-Kassetten. Wo sind all die Jahre hin? Und werden die Jahre des Kleinsten auch in diesem gierigen Schlund der Zeit verschwinden?

Ich versuche, dem erwachsen zu begegnen. Also im Rahmen meiner Möglichkeiten. Gestern meinte der Bärtige, er wöllte mit dem Kleinsten mal auf Vater-Kind-Kur fahren. Ich begrüße das selbstverständlich und habe ihn darüber in Kenntnis gesetzt, dass er mir mein Baby erst von der Brust reißen kann, wenn ich ein neues kriege.

Also total erwachsen eben. 😉

Gastbloggen im August

Gastbeiträge sind ein netter Brauch unter den Bloggern und ich sehe es als Kompliment an, wenn man eingeladen wird, für eine andere Seite zu schreiben.

Im schwindenden Monat August durfte ich zweimal „zu Gast“ sein.

Für Kerstin von „Chaos²“ habe ich diesen Artikel geschrieben. Einen metaphergeschwängerten Text, eine Fabel quasi. Ohne Tiere. Aber dafür mit einem Pflaumenbaum als Protagonist.

Für Bettie vom Blog „Das frühe Vogerl“ habe ich diesen Artikel zum Thema Altersunterschied bei Kindern gebloggt, ein Thema, das mir aus mehreren Perspektiven bereits begegnet ist.

Vielleicht geht ihr mal zu Besuch vorbei? Viel Spaß beim Lesen und lasst einen netten Gruß da.

Kerstin, Bettie, lieben Dank für eure Gastfreundschaft und dafür, dass ihr mich Schmierfink eingeladen habt!

Der Integrationshelfer

Paul ist jetzt das dritte Jahr ein Teil unserer Familie.

Obwohl, Paul heißt gar nicht Paul und eigentlich ist er auch kein Teil unserer Familie, ja, noch nicht einmal ein Freund der Familie. Denn Paul wird dafür bezahlt, dass er tut was er tut. Und irgendwann wird er gehen. Einer anderen Familie das sein, was er jetzt für uns ist.

Angefangen hat alles vor mehr als zwei Jahren, als im Zuge der Diagnostik den behandelnden Ärzten klar war, unser Sohn kann aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur und seiner Einschränkungen nicht weiter auf einer Regelschule beschult werden. Sie hatten sieben Monate Zeit, ihn während dieses langen Krankenhausaufenthaltes zu beobachten in der Klinikschule, im Umgang mit den anderen Jugendlichen. Ohne Medikamente, mit Medikamenteneinfluss. Sie waren sich sicher.

Es folgte eine Odyssee an Beratungsterminen bei Ämtern und der Förderschule.

Die Förderschule sagte, sie könnten ein Kind mit seinen kognitiven Fähigkeiten nicht adäquat beschulen, er gehöre eigentlich auf ein Gymnasium! Dort könnte er allerdings aufgrund seiner Auffälligkeiten nicht problemlos integriert werden.

Als Lösungsvorschlag wurde ein Schulintegrationshelfer ins Spiel gebracht. Wir sagten zu.

Und während die Suche nach einer geeigneten Person lief, telefonierte ich die Gymnasien der Umgebung ab und ließ das Telefon bei der Bildungsagentur heißlaufen. Die Gymnasien im Umkreis hatten leider, leider alle keinen freien Platz. Schade! Tut uns leid! Und nein, also ein Kind mit Integrationshelfer könnten sie nicht aufnehmen, aus Brandschutzgründen, wissen sie? Weil, da müsste ja noch ein Stuhl ins Klassenzimmer gestellt werden, dafür haben wir keinen Platz. Das ist leider nicht gestattet, wir sind voll. Die Bildungsagentur meinte lapidar, natürlich hätte unser Sohn aufgrund seiner schulischen Fähigkeiten vom Gesetzgeber her ein Recht auf einen Platz auf einem Gymnasium, und ich könnte das gern einklagen, aber am Ende entscheiden die Direktoren der einzelnen Schulen über die Vergabe der freien Plätze und wenn sowieso nichts frei wäre, was soll man da machen!

Unser Sohn war zu diesem Zeitpunkt Schüler auf einer Mittelschule. Er blieb es.

Und dann kam Paul.

Ich bekam einen Anruf, man hätte einen Bewerber für die ausgeschriebene Stelle. Er wäre Mitte zwanzig, kein Sozialpädagoge, er käme aus einem Kindergarten, wo er mit autistischen Kindern gearbeitet hätte. Alle erfahrenen Integrationshelfer wären leider vollkommen ausgelastet, ob wir uns den jungen Mann wenigstens mal ansehen wöllten?Wir wollten.

Ich weiß nicht mehr, was ich für eine Vorstellung hatte, aber da saß dann auf einmal ein Klon von Meister Proper vor mir. In der tätowierten Version. Ein braungebrannter Hüne mit Hipster-Käppi auf der Glatze und bunten Riesenkopfhörern um den Hals. Ein Kerl wie ein Baum mit Pranken wie Klodeckeln und schrillen Youngster-Klamotten. Und einem offenen Blick aus großen neugierigen Kinderaugen.

Bingo!

Was Paul möglicherweise an Erfahrung fehlte, machte er vom ersten Tag an durch Begeisterung für seine Arbeit und einen spürbaren Willen wett, dem ihm anvertrauten Kind auf seinem Weg ins selbständige Leben zu helfen.

Vom Jugendamt (der Kostenträger dieser Maßnahme) waren zweiundzwanzig Wochenstunden bewilligt und diese Stunden wurden sinnvoll verteilt. In den Stunden, in denen es erwartungsweise Probleme geben kann aufgrund von Freiarbeit oder ähnlichem, ist er immer anwesend. Sitzt hinten in der Klasse, schreibt manchmal mit, hat die Klasse im Blick und seinen Klienten. Greift ein, wenn nötig, oder beobachtet und wertet bestimmte Situationen im Nachgang mit unserem Kind (und/oder mit uns) aus. Er begleitet ihn auf Exkursionen oder zum Praktikum, vermittelt, moderiert. Alles aber nur, wenn er merkt, das Kind schafft es nicht alleine. Sein Fokus besteht darin, ihn zu ermutigen, zu stärken, Lösungswege zu finden. In den jeweiligen Situationen.

(Zu Hause ist das die Aufgabe von uns Eltern, aber im Schulalltag kann das nicht von den Pädagogen geleistet werden, die Zeit fehlt einfach. Selbst wenn ein Schüler einen Integrationsstatus hat (das hat nichts mit dem Integrationshelfer zu tun, das ist ein vollkommen anderer Prozess und ein anderer Kostenträger), bedeutet das im Regelfall, dass der Schule durch die Bildungsagentur eine bestimmte Anzahl an zusätzlichen Wochenstunden genehmigt wird, die zur Förderung des Schülers verwendet werden können. In unserem Fall hätte das nie und nimmer gelangt, dazu sind die Schwierigkeiten zu komplex.)

Paul ist vom ersten Tag zu einem Teil der Klasse geworden. Das hat aber viel mit seiner Art auf die Lehrer zuzugehen zu tun. Sie sehen ihn als Bereicherung, als Hilfe, als Kollegen. Er hat einen guten Einfluss auf das Klassenklima. Aber da ist noch was anderes. Es hat was mit seinem Coolnessfaktor zu tun.

Stell dir einen seltsamen, nerd-igen Außenseiter vor, der in jeder Pause immer nur zu hören bekommt: „Hau ab, du Spast!“, „Verpiss dich, du Kloppi!“, und dergleichen mehr. Und dieser Junge kommt eines Tages (und alle darauffolgenden Tage) mit der coolsten Socke an, die man sich vorstellen kann. Einem Kerl mit Oberarmen wie deine Oberschenkel, einem Boarder, Beachvolleyballer. Einem Typen, der so aussieht, wie sich die ganzen Halbstarken gern selbst sehen. Und dieser Typ scheint den Außenseiter-Kloppi auch noch zu mögen, Job hin oder her. Das macht was mit den Jungs. Definitv! So hat er es geschafft im Laufe der letzten Jahre, die gruppendynamischen Strukturen zu analysieren und für unsere Zwecke zu nutzen. Er weiß, welche Kinder Multiplikatoren sind und hilft unserem Sohn sich zurechtzufinden in einer Welt, die dieser nie verstehen wird.

Bis Paul kam, ging unser Sohn einmal im Monat lustlos in eine „Kontaktgruppe“, wo er mit anderen autistischen Jugendlichen unter Anleitung einer Sozialpädagogin Alltagssituationen nachstellte und daran übte. Paul meinte dazu, Integration funktioniere nicht, in dem man Autisten mit Autisten in ein Zimmer setzt und ihnen sagt, wie das Leben funktioniert! Und jetzt gebe ich ihm recht.

So hat er zum Beispiel zwei Jungen ausgemacht, die zu den coolen Kids gehören und bei denen er ein hohes Maß an Sozialkompetenz vermutete und diese dazu gebracht, als Integrationspaten zu fungieren. Mit diesen Kids und unserem Sohn hat er eine „Abenteuergruppe“ gegründet und sie unternehmen Sachen zusammen oder sind im Wald Bogen schnitzen oder grillen zum Beispiel. Letztens haben sie draußen übernachtet (diese Aktivitäten laufen außerhalb der klassischen Schulintegration und wir bezahlen die Stunden über die Pflegestufe). Das sind herausfordernde Tage für unseren Sohn, in denen er sehr viel lernt. Wenngleich keine Freundschaften, wie wir uns das vielleicht vorstellen oder wünschen würden, daraus entstehen.

Heute habe ich bei Scoyo  einen Artikel zum Thema gelesen und die Bedenken einer Mutter hinsichtlich der Integrationshilfe. Und ich hatte diese auch! Vollkommen unbegründet, wie sich in unserem Fall herausstellte. Bei dem ersten Elternabend nach Pauls „Dienstantritt“ habe ich mich hingestellt und wollte Aufklärung betreiben und wissen, ob jemand Fragen hat. Da stellte sich heraus, dass die Eltern annahmen, der Paul gehöre zur Schule! Die Kinder hätten so von ihm gesprochen, als sei er Teil des schulpädagogischen Konzeptes. Niemandem war klar, dass er tatsächlich nur für unser Kind da ist.

Wobei, das ist ja das Herausfordernde an der Arbeit eines Integrationshelfers. Dass er nicht nur jemandem hilft, sich in bestehende Strukturen zu integrieren, sondern auch die bestehenden Strukturen sanft dazu bewegt, sich zu öffnen um ein Zusammenwachsen zu ermöglichen. Das geht auch nur, wenn derjenige in diese Strukturen eintaucht. Und das Feedback, das die Kinder und deren Eltern an diesem Abend gaben, war eigentlich für mich der Beweis, dass es gut läuft.

Es läuft bis heute gut. Sehr gut sogar!

Wir haben ein offenes, ehrliches und herzliches Verhältnis. Und das mussten wir uns auch erarbeiten. Wenn so jemand in dein Leben tritt, dann tritt er in dein Leben (im besten Fall hat er saubere Schuhe an). Denn er wird zu einer Vertrauensperson deines Kindes, er erfährt Interna aus der Schule. Dein Kind vertraut ihm Sorgen, Nöte und möglicherweise Intimes aus der Familie an. Es kommen auch innerfamiliäre Konflikte zur Sprache. Das muss nicht sein, kann aber. Da hilft nur das Ablegen falscher Scham.

Auch die enge Zusammenarbeit mit dem Jugendamt war im ersten Moment befremdlich, aber am Ende sind wir alle (Eltern, Jugendamt als Kostenträger, der Integrationshelfer, die Schule) bemüht, ein gemeinsames Ziel zu erreichen: Dass unser Kind gut durch die Schulzeit kommt.

Und weiter denke ich auch nicht! Was weiß ich denn, was nach der zehnten Klasse ist. Der zwölften. Ich weiß es nicht. Ich denke und plane nur in ganz kleinen Schritten. Ein Jahr. Und dann das nächste.

Für das nächste Schuljahr ist die Integrationshilfe wieder im Umfang von zwanzig Wochenstunden bewilligt. Irgendwann muss das „ausgeschlichen“ werden, das ist der Integrationsauftrag. Davon sind wir noch weit entfernt. Wir haben es versucht, es ging nicht.

Und noch etwas anderes habe ich stets vor Augen: Paul ist der beste, der einzige Freund meines Sohnes. Was Paul sagt, was Paul macht, alles ist vorbildhaft und wahr und die einzig richtige Sicht auf die Dinge. Für unser Kind. Dass Paul nicht sein Freund ist, weiß der Junge, er „versteht“ es aber nicht, er „fühlt“ es anders. Er hat ja auch keinerlei Vergleich.

Aber eines Tages wird Paul gehen. Gehen müssen. Und unser Kind wird dann ohne ihn weitergehen müssen auf seinem Weg. Und er wird es können. Irgendwann. Davon bin ich überzeugt!

Bis dahin war für die Schuljahre die Integrationshilfe das beste und erfolgversprechendste Hilfsangebot, das wir bekommen haben. War Paul das Beste, das uns passieren konnte. ❤

 

Hot Stuff

Eines Tages ging es los und es ist nicht mehr zu stoppen. Jeden Morgen das gleiche Spektakel: Kaum hebt man den Blondino aus dem Bettchen, stapft er zu seiner Kindergarderobe, fetzt Jacke, Gummihose und was er sonst noch in die Finger bekommt vom Haken und schreit „Krangg!“ (Für Leute, die sich das akustisch vorstellen wollen: Er klingt wie die Chipmunks.).

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Also „Krangg!“. Oft auch gefolgt von dem Befehl: „Dadda!“, mit entgegengetrecktem Anziehzeug. Sicher habt ihr alle sofort geschnallt, was gemeint ist (Natürlich!). Kran, Bagger. Nein, nicht Puppenwagen und Bilderbücher. Auch nicht Stifte und Bildungsspielzeuge wie Puzzles oder Steckspiele. Nichts dergleichen fixt ihn so an wie Baustellen. Kranggs! Große Kranggs!

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(Vielleicht noch ein Badengg. Badenggs, also Müllautos, sind auch cool. Nicht so cool wie Kranggs, aber auch cool. Der beste große Bruder von allen hat neulich während Blondinos Mittagschlafs von seinem Zimmer aus Ankunft, „Action“ und  Abfahrt eines Müllautos gefilmt und wird jetzt ob dieses Filmchens noch mehr als sonst abgöttisch geliebt von seinem Zwergenbruder. Falls das möglich ist.)

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Badengg. Mit Zukunftsprognose.

Ihr müsst wissen, der Blondino hat einen Job (glaubt er): Er ist Baustelleninspekteur. Das nimmt er sehr ernst. Morgens um sechs will er los. Montags bis Sonntags. Auch an Feiertagen. Und ich muss immer mit. Sogar auf nüchternen Magen. Oftmals frühstückt er dann total busy im Baustelleninspektionsfahrzeug eben das, was ihm seine Assistentin so zureicht, vollkommen in seine Aufgabe vertieft. Es ist egal, ob es regnet, stürmt oder stockduster ist (weil vier Uhr morgens), der Job macht sich schließlich nicht von allein!

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Und so metern wir jeden Morgen durch die (Gott sei Dank!) baustellenreiche Stadt und nichts verzückt ihn so sehr wie der Anblick einer rotweiß gestreiften Barke… „Krangg! Dadda! Krangg!“, quietscht es aus dem Inspektionsfahrzeug.

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Wir sind auch schon bekannt bei den einschlägigen Baustellen in der Umgebung und werden begrüßt mit: „Na, guten Morgen!“, „Euch auch! Ja, wir sind´s schon wieder…“.

Neulich sahen wir zu, wie in der direkten Nachbarschaft Baustellenbarken am Straßenrand errichtet wurden und selbstverständlich haben wir alles begutachtet. Und erfahren, dass ein gehöriger Straßenabschnitt gesperrt werden soll aufgrund von Grundwasserblablabodenblablatiefbauirgendwas.

(Exkurs: Ihr müsst wissen, jeder gesperrte Parkplatzmeter in Pieschen ist eine Katastrophe! Wenn man abends aus der Innenstadt heimkommt, kann man das Gefährt eigentlich gleich dort stehen lassen und die fünf Kilometer heim laufen. Besser wird’s sowieso nicht mehr…)

Erwartungsgemäßes Verhalten wäre also gewesen, sich aufzuregen, zu fragen, wie breit das Stück gesperrte Straße sein wird (und in Gedanken in Autolängen umzurechnen), wie lange die faule Bagage gedenkt, die parkplatzarmen gequälten Pieschner zu malträtieren mit ihrem sinnlosen Grundwasserblablabodenblablatiefbauirgendwas, dass das sowieso eine Verschwendung von Steuergeldern sei und ob sie sich denn nicht schämen würden und siehst du, Kind, wenn du später in der Schule nicht aufpasst, musst du auch irgendwann im Dreckloch sitzen und Grundwasserblablabodenblablatiefbauirgendwas machen!

Stattdessen höre ich meinen Mund sagen: „Oh! Das ist ja super! Stimmts, Babylein? Dann können wir ja jeden Tag hier herkommen und zuschauen. Wir freuen uns, stimmts, Babylein? Bis morgen also. Tschüssi!“. (Hä?! Was?!)

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Und beim letzten Zoobesuch langweilte sich das Kind schon beim dritten Tier und hing lustlos in der Plagenkarre bis… ja, bis wir endlich (!) den Versorgungshof erreichten und es ein paar Fahrzeuge anzuschauen gab. Dann konnte ich aber getrost auf dem Pflaster Platz nehmen und das Picknick rausholen. Das würde hier dauern, das wusste ich. Der Zoobesuch war dann auch ein voller Erfolg. Schließlich haben wir zwei Daddas gesehen.

Der Dresdner Zoo, immer einen Besuch wert.

Der Dresdner Zoo, immer einen Besuch wert.

Apropos sehen. Was seht ihr hier? Ich kann euch erzählen, was der Blondino gesehen hat, als wir vor diesem Pieschner Fenster standen: „Bost! Bost!“. Nichts toppt ein großes Auto…

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Leute, neulich sah ich meine große Chance kommen! Eines Morgens, ich zog mir einen Wegekaffee aus der hauseigenen Maschine und wollte mich marschfertig für die tägliche Baustelleninspektion machen, da erblicke ich aus dem Küchenfenster DAS!

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„Ein Krangg in unserem Hinterhof! Ein Krangg! Baby, komm her! Ein Krangg! Guck dort, ein Krangg!“. Meine Stimme kippte, ich hatte Herzrasen und in Gedanken sah ich mich Eintrittskarten für unsere Küche drucken und mit Flüsterstimme bei der Krabbelgruppe die anderen Jungsmuttis anfixen: „Ey du! Ich hab hier ganz heißes Zeug! Bei mir im Hinterhof. Pssst. Geheim! Ein Krangg und vielleicht auch bald noch ein, zwei Daddas. Ganz exklusiv. Willste? Hier, Eintrittskarten. Zwee fufftsch das Stück!“.

Am Nachmittag war er wieder weg. Leider.