No Filter!

Ich bin´s .Ich bin die, die hier schreibt. Schrub, schriebte. Früher sogar regelmäßig.

(Pustet die Spinnweben vom Blöggel herunter)

Als ich anfing, diese Internetseite mit Worten zu füllen, hing mein mittelaltes Leben voller Geigen und Mobiles und auf dem Herd kochte ein Pastinakenbrei, bio selbstverständlich. Die Nächte waren kurz, die Tage voller Liebe und Küsse auf ein duftendes Kinderköpfchen. Ich bin die, die dachte, so bliebe es nun für immer.

„Und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende und über allem war Glitzer und Heititei und …“

Tat es nicht. Die Elternzeit ging vorüber und mit ihr begann, ja, was denn?! Das Leben? Der Ernst? Na, jedenfalls ein anderer Abschnitt. Das Kind kam in die Kita, die Mutter ins Büro und … halt! Nein, so war es nicht. Hätte sein sollen und die Mutti des Blondinos gäbe dann womöglich ernstgemeinte Karrieretipps für Frauen mit Nachwuchs im Nacken. Tut sie nicht.

„Was sind sie von Beruf?“, „Ich mache seit anderthalb Jahren eine Weiterbildung im Pflegesektor!“

Wir sind dauerkrank. Es dauert jetzt schon so lange, dass kein Mensch in unserer Familie eigentlich mehr weiß, wann wir denn mal alle gesund waren. Der Blondino fing sich jeden scheißverdammten Virus dieser Welt ein, bekam Lungenentzündungen, Asthma, bakterielle Superinfektionen und stinknormale Infekte. Von sieben Tagen einer Woche war er durchschnittlich drei Tage krank. Ungefähr. Seit anderthalb Jahren. Und davon bekam er Saulaune. Das kann ich gut verstehen! Der Bärtige hat aus lauter Mitgefühl buchstäblich jede Krankheitswelle mitgemacht, die hier so durchrollte und bekam davon aus lauter Solidarität auch Saulaune. Krankenhäuser an allen Feiertagen, sogar im Urlaub.

Ich bin die, die beruflich abgehängt ist und täglich neue Pflege-Skills dazulernt. Ich bin die, die niemals im Büro ist und dennoch ständig zu tun hat. Die, die ein permanent schlechtes Gewissen hat. Gegenüber den Kollegen, gegenüber der Familie. Die, der der Rücken wehtut. Und die Hüfte, das Knie, das Kiefergelenk. Die, die auch Saulaune hat. Aus Solidarität vermutlich.

Ich bin die, die einst sagte, ein „zu groß“ gäbe es nicht bei Immobilien und nun in einem Haus mit siebenundzwanzig dreckigen Fenstern sitzt, in dem die Schritte nachhallen.

„Rosen sind rot, Veilchen sind blau. Das Leben ist schön, ich weiß es genau.“. „Schnauze! Es gibt hier Leute, die versuchen, gepflegt durchzudrehen!“

Ich bin die, die sich anhören muss, sie wäre doch jetzt drei Wochen auf Kur gewesen und demnach tiefenentspannt, als sei die bloße Anwesenheit mit siebzig anderen Müttern und hundert Kindern in einem hellhörigen Bunker am Meer ein Garant für Nervenheilung und Tiefenentspannung.

Ich will doch nur Ruhe. Und Langeweile. Ich bin die, die niemals allein ist und niemals allein. Die, die auf Dienstreise fährt und sich auf´s Ausschlafen freut, dann jedoch schlaflos in einem fremden Bett liegt und die ihren vermisst.

Ich bin die mit den seltsamen Söhnen. Die, die gefragt wird, ob sie das blonde Kleinkind denn mal hat testen lassen, sein Benehmen sei so… äh… besonders und weil doch der große Sohn… man wisse ja Bescheid. Ich bin die, die immer gesagt hat, es sei vollkommen egal, wenn der Kleine auch Autist sei oder was auch immer und an keiner Stelle mehr gelogen hat als bei diesem Satz. Es ist nicht egal, nicht wegen mir. Wegen ihm! Und weil ich weiß, wie lang und schwer der Weg für das Großkind war. Allein bis hierhin. Weil ich wollte, will, für beide Kinder, dass das Leben eine bunte Aufschnittplatte ist und keine Challenge mit unklarem Endboss.

Ich bin die, deren Mann sagt, irgendwas stimme nicht mit unserer Genetik, Chemie. Also, wenn wir nur „solche“ Kinder bekommen und die trotzdem denkt, mit uns ist alles in Ordnung. Unsere Kinder sind kein Fehler, wir sind kein Fehler! Ich bin die, die regelmäßig die Nerven verliert, aber niemals verzweifelt.

„Suchanzeige: In den vergangenen Wochen habe ich meine Nerven verloren. Möglicherweise auch meinen Humor. Der ehrliche Finder wird gebeten, sie umgehend abzugeben. Wirklich, glauben sie mir,eine Zweitverwertung ist ausgeschlossen!“

Ich bin die, die nicht mehr weiß, wann sie mal bei der Kosmetik war und in den letzten Wochen nicht mal Zeit für den Fisör hatte. Die, die sich aus diesem Grund die Haare selbst gefärbt hat und nun mit fleckigem, karottenroten Haaransatz rumläuft. Die, die so aussieht, wie sie sich fühlt. Die, die beim Frisörbesuch des schreienden Sohnes hinter dem Stuhl steht und hilflos mit brennendem Gesicht versucht, das Kind zu beruhigen, das gellend schreit, „GEHWEG!GEHWEG! GEHWEG! GEH WEG DU PLÖTE FRAU!“, während alle Damen im Frisörsalon die Luft einziehen.

Ich bin die, über die die Muttis auf dem Spielplatz tuscheln, weil der Sohn es nicht erträgt, dass da andere Kinder spielen und schubst, schreit und randaliert. Ich bin die, die sich schämt. Die, die nicht mehr auf Spielplätze geht.

Ich bin die, die manchmal die Kinderwunschfrage mit: „Kinderwunsch? Eins weniger wäre ganz schön!“, beantwortet und deren Löwenmutterherz „You are beautiful, no matter what they say“ singt und das jeden abgrundtief und mit brennendem Herzen hasst, der jemals versuchen wird, ihren Kindern etwas anderes einzureden. Bis zum beschissenen allerletzten Tag ihres Lebens!

Ich bin die mit der dünnen Haut und dem dicken Schädel.

Ich bin die, die manchmal wehmütig ihre alte Blogbeiträge liest, in denen sie witzig, liebevoll, lebenslustig und manchmal sogar eloquent ihr Leben parodierte. Blogbeiträge, an denen sie manchmal stundenlang schrieb, um die Sätze auszufeilen. Ich bin die mit dem Blog, auf dem nichts mehr los ist. Ich starre auf die sterbenden Zugriffszahlen, traurig. Ich bin die, die nicht mehr weiß, was sie schreiben soll. Die, die durchhängt.

Ich bin die, deren Mann sagt, hör auf zu jammern und die nicht hört. Tut sie nie.

Ich bin die, die sich erinnert, was sie sich als junges Mädchen, junge Frau, gewünscht hat für ihr Leben. Hochtrabende Dinge! Einen lieben Mann, ein schönes Haus, Kinder und keine Geldsorgen. Ich bin die, der das Geld stets durch die Finger rinnt und die dennoch reich ist. Reich an Liebe.

Ich bin die, die sich erinnert.

Und ich bin die, die hier schreibt. Vielleicht nicht mehr so regelmäßig, aber es nicht mehr zu tun, ist keine Option. Das ist doch das Leben!  Bullerbü besteht zu neunzig Prozent aus Geduld und Kompromissen. Zehn Prozent sind Liebe und hemmungsloser Sex. Wer mir was anderes einreden will, schwindelt! (Hoffe ich.)

Rosen sind rot, Veilchen sind blau. Familie ist das Superste, ich weiß es genau!

 

 

 

 

 

(K)ein stilles Örtchen

Bei uns ist immer Krach. Wir reden und rennen den ganzen Tag durcheinander und hintereinander her. Je mehr Leute anwesend sind, umso lauter ist es und umso mehr wünsche ich mir paar Minuten Stille…

…hoffnungslos.

Wenn ich durch die Wohnung laufe, grölt aus dem einen Kinderzimmer ein Typ namens Alligator, er sei „geistig behindert vor Liebe“, drei Meter weiter tönt ein Gitarrenbarde aus dem anderen Kinderzimmer „Zum Leben geboren, dem Glück anvertraut…“ und weiter hinten in der Küche plätschert das blöde Internetradio auf einem Kanal namens „Bay smooth Jazz“ irgendwas von „Sittin´on the beach und watching irgendwas, wahrscheinlich the Sonnenuntergang und the Wellen“. Arschloch.

Nichts davon will ich hören. Meine Mitbewohner stehen allerdings aus mir unerklärlichen Gründen auf Gedudel.

Wenn ich die Küche durchquere um auf dem Balkon Ruhe zu finden, wird’s ganz schlimm. Wir wohnen in direkter Nähe zu einem freikirchlichen Kinder-und Jugendhaus. Das ist an sich (und für die Kinder) eine super Sache. Für mich als Nachbar eher nicht. Es wohnen da junge Mädchen, die machen vielleicht ein freiwilliges christliches Jahr oder so. Sie wechseln jedenfalls. Diese Mädchen werden meiner Meinung nach aus der „Outtakes“-Schublade von Bohlens DSDS-Comedy Show rekrutiert. Ich kann es mir nicht anders erklären! Gemein ist nämlich allen, dass sie überhaupt nicht singen können, aber dies trotzdem den ganzen Tag tun. Und Gitarre spielen. Also so, wie es klingt, wenn ich mir eine Klampfe umhänge und einfach mit den Fingernägeln drüberschramme. So klingt das. Dazu ein schiefer Mädchengesang voller Misstöne:

„Und darum jubel ich dir zu. Jaja, der Schö-höpfer bist du-huhuhu. Oh yeah-hä!“. Schramm-schramm.

Die Gitarrenlady wurde jetzt ausgetauscht durch eine mit Keyboard. Leider lässt sich das auch auf die Dachterrasse hieven. Immerhin kann die Keyboard-Lady drei Töne.

„Vom Anfang bis zum Ende hält Gott seine Hände über mi-hisch und über di-hisch!“

Ich hab ja keine Ahnung, aber ich glaube, Gott hält seine Hände hauptsächlich weinend an die Ohren.

Wenn ich also mal auf dem Balkon sitze und eine Zigarette rauche, beschallt von den Gottesanbeterinnen (Darf ich das ausnahmsweise sagen?), dann denke ich: Stimmt, Rauchen ist schädlich. Man bekommt Ohrenschmerzen davon!

Bei den Freikirchlern ist auch so den ganzen Tag Trubel. Wenn der Gesang nicht durch jede Ritze quillt, dann das Geschreie der jugendlichen Gäste:

„Ey, du *piep*, komm rüber! Ich *piep* dich bis du *piep*!“

Unser Schlafzimmer liegt zur anderen Seite. Mein Lieblingsraum. Ich bin ja immer müde. Ich kann auch immer schlafen. Theoretisch! Praktisch ist es einfach nur laut! Irgendein Haus wird immer saniert, irgendeine Wohnung braucht neue Dielen. Irgendwelche Blätter müssen weggesaugt werden, Äste abgesägt oder Wände durchlöchert werden. Iiiiiieju Iiiiieju. Wenn ich mittags dort so liege, dauert es auch nicht lang, dann kommt der Auftritt der Müllmänner. Rörörörörörö. Laufender Motor vor unserem Haus. Rumpelrumpelrumpelrumpel. Die Tonnen. Knallknallknallknall. Die Tonnen ordentlich gegen das Auto rungsen. Ratterratterratterratter. Die Tonnen wieder zurück. Pfffffffffffft. Jetzt fährt er los. Drei Meter. Dann wieder: Rörörörörörör und alles von vorn.

Das dauert. Ich liege bittend wach, der Babylino möge nicht erwachen! Ich brauch doch mal ein bisschen Ruhe!

Kaum ist das Müllauto nicht mehr zu hören, Auftritt der Müllidioten. Also alle mülltonnenbeauftragten Nachbarn der umliegenden Häuser. Ratterratterratterratter. Die Tonnen müssen ja wieder zurück ins Grundstück! Ratterratterratterratter. Nein, das kann nicht warten bis Nachmittags! Ratterratterratterratter.

Noch nicht mal auf dem Klo hab ich Ruhe. Wenn ich irgendeine Tür vor dem Blondino zumache, quietscht der vor Verzweiflung in einer Tonlage, die an Fingernägeln auf Schultafel erinnert. Also muss er mit rein. Und er nimmt stets „seine“ Position am Ort des Geschehens ein: Frontal vor mir, die Händchen auf meine nackten Knie gepatscht, der Blick fest auf meine Augen gerichtet und dann Drückgeräusche nachahmen: Ah. Ah. Ah. Ah.

Also, ich kann so nicht!

Ich finde nirgendwo Trost und Mitgefühl. Gestern erzählte ich zum Beispiel dem Bärtigen, dass ich wohl nicht mehr lange hätte. Meine Beine würden schmerzen und Google diagnostiziert eine Trombose oder ein Herzleiden. Vermutlich hätte ich aber beides… Er schaut mich ernst an. Dann haut er mir auf den Schenkel und sagt, ich müsse nur mal oredentlich KACKEN gehen! Gröhl. Außerdem nimmt er meine chronische Obstipation zum Anlass, um sich vor der Tür in Position zu stellen, sobald ich auch nur drei Sekunden im Bad bin. Dann fragt er höhnisch, ob ich schön würsteln würde?! Und wie´s denn so läuft?! Und macht das Baby nach: Ah. Ah. Ah. Ah.

Wenn ihr mich also sehen solltet, wie ich mit einer Packung Trockenpflaumen und Ohropax bewaffnet irgendeine öffentliche Toilette ansteuere: Bitte nicht ansprechen! Nein, wirklich. Ich möchte nicht darüber reden!

Ich will doch nur mal fünf Minuten Ruhe!

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Oh du fröhliche… letzter Teil

Draußen stürmt und regnet es bei apriligen acht Grad, aber das botanische Weihnachtsorakel lügt nicht: Es ist soweit.IMG_1924Der „Geist der vergangenen Weihnacht“ war in den letzten Tagen bei mir zu Besuch.

Ich habe mich an die Familienfeiern früher erinnert. Ich musste immer Mittagschlaf halten und durfte die „Stube“ nicht betreten, bis mich jemand holte! Ewig habe ich gewartet und die Kerzen am Baum schon durch die Butzenscheiben unserer Wohnzimmertür glitzern sehen. Kartoffelsalat und Würstchen, an den Feiertagen dann Gans und Pute. Mit Rotkohl.

Ich erinnerte mich an ein Weihnachtsfest auf den Malediven mit Sonnenbrand, pinkfarbenen Desserts und Palmen voller Christbaumkugeln. Und daran, dass ich danach behauptete, das sei die allerblödeste Idee von allen gewesen! Weihnachten im Warmen. Tss.

Ich erinnerte mich an das allererste Weihnachten mit dem Bärtigen. Siebzehn Jahre ist das nun her. Da wir uns im Januar gefunden hatten, war unsere junge Beziehung im darauffolgenen Dezember schon stabil und wir beschlossen, für uns und die Ewigkeit unsere eigenen Weihnachtstraditionen zusammenzuzimmern. Der Weihnachtsbaum kommt bei uns am ersten Advent und fliegt am siebenundzwanzigsten Dezember raus! Ja, Schatz, super Idee. Wir machen keine Ente, wir machen… äh… Fisch?! Klasse, Schatz! Oder griechisch? Auch super! An unserem ersten gemeinsamen Heiligabend saßen wir zwei alleine in unserem Stübchen mit unserem Bäumchen und um mich herum lag einfach alles, worauf in den vergangenen elf Monaten mein Blick länger geweilt hatte. Eine Honigdose aus Holz zum Beispiel, daran erinnere ich mich genau… alles hatte er gekauft aus lauter Liebe und dem Wunsch, mich glücklich zu machen. Dabei war er damals noch Lehrling und hatte gar kein Geld! Am Ende schleppte er eine Waschmaschinenkiste an und ich dachte mir, oh mein Gott, wieso schenkt der mir jetzt eine neue Waschmaschine! Aber nein, irgendwo zwischen Knüllpapier lag ein Silberkettchen in einer Schachtel. Und wie er da stand mit glänzenden Augen. Ich bekomme gleich Schnupfen…

Wir haben in all den Jahren unsere Zweisamkeit an diesen Tagen versucht vehement zu verteidigen. Das hat nicht immer geklappt. Eigentlich war das spätestens dann zum Scheitern verurteilt, als wir Eltern wurden. Auch den heiligen Heiligabend ließ man uns nicht. Aber ich erinnere mich, dass ich in jedem Jahr nur dem Besten in die Augen sehen brauchte und las: Warts ab, irgendwann sind wir allein und dann ist unser Heiligabend! Wir haben auch nach jedem Fress- und Feiermarathon geschworen, wir würden das im neuen Jahr anders machen…

Es wurde irgendwann von alleine anders. Und unsere Traditionen auch. Die sind mittlerweile etabliert. Wir haben immer am ersten Advent bereits den Baum und Tante Baum fliegt nach wie vor am siebenundzwanzigsten aus dem Fenster. Wir sind am Heiligabend bei uns daheim. Punkt. Es gibt Wunschessen, egal, was das nun gerade ist. Wir gehen zum Krippenspiel, spazieren durch den Abend und freuen uns an den Lichtern und erleuchteten Fenstern. Die Geschenke werden erwürfelt: Wer eine Sechs wirft, darf ein Geschenk mit seinem Namen unter dem Baum vorziehen. Wir spielen immer ein Brett- oder Strategiespiel. Und wir schauen „Schöne Bescherung“ mit Chevy Chase. Immer! Obwohl wir alle Dialoge mitsprechen können („Das gibt keinen Abrass, Drucki!“), gehört dieser Film zu unserem Weihnachten.

In diesem Jahr erfüllt mich das mit Wehmut und ich fühle mit Clark Griswold, der sich so sehr bemüht, seiner Familie ein unvergessliches Weihnachtsfest zu bescheren und von einer Katastrophe in die nächste schlittert. Denn, ganz ehrlich, so entspannt, wie wir das uns in jedem Jahr vornehmen, wird es natürlich nicht. Denn ich bin ja auch noch da! Und drehe durch, egal, was ich mir selbst für Vorsätze aufdiktiert habe. Ich bin der Clarky dieser Familie, der zwei Kilo Butterschmalz verbäckt, notfalls morgens zwischen vier und sechs. Der Weihnachtskarten selber bastelt und dann keine Zeit mehr findet, die rechtzeitig zu verschicken. So einer bin ich. Ich liebe diese Familie so sehr und will einfach, dass jedes Weihnachten unvergesslich wird und dass meine Kinder ihren Kindern irgendwann erzählen, wie schön das damals zuhause war (Ich rede auch schon wie Clark Griswold). Mit den unausweichlichen Folgen. Ich liebe Weihnachten! „Sie war stets bemüht, wenn auch übereifrig.“, steht bestimmt auch in diesem Jahr auf meinem Weihnachtszeugnis.

Die Kinder regulieren mich. Am letzten Heiligabend bin ich allein abends mit einem schreienden Baby in der kalten Dunkelheit rumspaziert, die beiden anderen Jungs lagen krank in ihren Betten. „Weißt du noch? Am ersten Weihnachten mit dem Großen warst du auch so lange krank.“, erinnert sich der Bärtige, als ich mich neulich beschwerte, ich käme vor lauter Grippewellen gar nicht mehr auf die Füße. Bin ich gesund, kränkeln die Kinder. Sie bremsen mich ab. Sie lenken meinen Blick auf das Wichtige. Gut so!

Dabei bin auch ich vom Geist der Weihnacht beseelt. Ich muss den Glauben nicht teilen, um der christlichen Weihnachtsgeschichte mein Herz zu öffnen und sie zu verstehen und danach zu handeln. Und wenn wir in der Adventszeit durch die Straßen spazieren und ich mich so an den geschmückten Fenstern erfreue und manchmal einen Hauch Vanillekipferlduft aus einem Küchenfenster schwappt, dann denke ich an meine liebste Weihnachtsgeschichte: „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern“ von H.C.Andersen. Und ich weiß genau, dass ich diejenige bin, die hinter dem Fenster sitzt. Die mit dem Baum, dem leckeren Braten und dem warmen Ofen. Und dass dieses kleine Mädchen mit den Zündhölzern genau wie die heilige Familie in der anderen Weihnachtsgeschichte eine Botschaft ist. Dass es Menschen gibt, die vor dem Fenster stehen. Und ich weiß das auch im Sommer. Im Frühling und im Herbst. Nicht nur an Weihnachten.

Ich wünsche euch allen besinnliche Feiertage! Ein Fest in Frieden und Gesundheit, ohne Hunger und Angst. Ein großes Glück. Das wünsche ich euch. Und uns.

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 Ende.

 

Jetlag

Alles beim Alten mit dem Alten. Er ist wieder da. Seit einer Woche, um genau zu sein.

Und seitdem haben wir Jetlag.

Alles begann mit gewohnt euphorischem Chaos. Flüge wurden verpasst, Küsse geküsst, vier Tonnen „Spezialwäsche“ flach atmend durch mich gewaschen, der Andendreck aus den Bergstiefeln geklopft, Geschenke ausgepackt.

„Was soll ich dir mitbringen?“, fragte der Beste vor einigen Wochen und ich höre mich deutlich antworten: „Ein Armband wäre schön! Und es muss wirklich nichts Folkloristisches sein! Ehrlich. Gold, Bronze oder Platin reicht.“. Nun sehe ich aus wie Wolfgang Petri. Jute. Bunt. Anscheinend war ich wohl doch zu subtil. Na, wenigstens ist mir warm um die Handgelenke.

Dann wurde noch der eingeschmuggelte südamerikanische Darmvirus in die Familie eingeführt: „Virus, Familie. Familie, Virus!“. Freut mich überhaupt nicht, dich kennenzulernen! Namentlich ist er uns noch nicht bekannt, das Labor züchtet noch ein paar Tage an nicht näher zu benennenden Proben meines Ehemannes herum. Dieser regiert einstweilen vom Klo aus die Welt.

Anstrengend ist dieser Familien-Jetlag: Hier leben jetzt vier Personen mit vier Tagesrhythmen. Oder wenigstens drei. Ferien und Resturlaub tun ihr übriges.

Wenn ich morgens aufstehe, wird es mit Glück bald hell. Die Familien-Lerchen versuchen sich ruhig zu verhalten, was bedeutet, die eine Lerche trägt die andere Lerche die ganze Zeit herum und stopft das Lerchenmäulchen mit Küssen und Keksen, damit kein Laut herausdringt. Und im ersten fahlen Licht des jungen Morgens schlurft dann die eine Lerche mit der anderen Lerche draußen in der Gegend herum. Gegen halb zehn werden unter großen Anstrengungen die Eulen der Familie geweckt, Frühstück steht auf dem Tisch. Um elf haben sie es dann meistens geschafft zu frühstücken, da stehe ich dann schon wieder am Herd und koche Mittagessen. „Waaaas?! Schon WIEDER essen? Wir haben doch eben erst gefrühstückt!“. „Irrtum, Schatz! Du. Ich habe bereits vor fünf Stunden gefrühstückt. Und das Baby will irgendwas Warmes. Oder auch nicht. Aber von mir wird erwartet, dass ich es wenigstens anbiete!“. Ich koche also und das Baby isst für gewöhnlich nichts. Dafür ich dann die kleinkindgerecht zermöllerte Nahrung.

Kaum habe ich die Küche wieder gesäubert, Auftritt Kind Nummer 1. Steht da und verkündet: „Hunger!“. „Ja, mein Kind. Der Hunger ist eine unangenehme körperliche Empfindung, die Menschen und Tiere dazu veranlasst, Nahrung aufzunehmen. Auch als Familienname ist Hunger weiter verbreitet als du vielleicht annimmst. Dein lieber Vater hieß mit Mädchennamen so. Wobei ich in seinem testosteronstrotzenden Fall gar nicht genau weiß, ob `Mädchenname`der zutreffende Begriff ist.“. Währendessen hole ich wieder die Töpfe hervor und bereite dem Kind was zu essen.

Eine Stunde später, ich bin bereits auf Käsekuchen, Buttercremetorte und Kekse konditioniert, Auftritt des Ehemanns: Er schlendert in die Küche, eine Hand meist leger auf die Magengegend gelegt, schaut unschuldig interessiert auf Tisch und Arbeitsflächen. Öffnet vielleicht als Ablenkungsmanöver den Kühlschrank, um dann freundlichst zu fragen: „Schatz, haben wir was zu essen?“. „Selbstverständlich! Mehrere Sorten Reis, Mehl, Zucker, Kartoffeln, Milchprodukte, Gemüse und sogar solch exorbitante Sachen wie Quinoa und Lavendelsalz.“. Unnötig zu erwähnen, dass ich diejenige bin, die das „irgendwas zu essen“ dann zubereitet.

So geht das weiter. Wenn der erste bereits wieder zum Nachtschlaf sich herniederlegt, wird der letzte endgültig wach. Und ich werde als zweites müde, stehe ich doch auch als erstes auf. „Bist du schon wieder müde?“, „Ich möchte mal wissen, wovon du schon wieder müde bist!“, „Andere Leute machen abends noch was zusammen, ich kann dir beim schlafen zugucken.“ und so weiter. Höre ich jeden Abend. Und fühle mich wie ein Spielverderber.

Jetzt noch die Zeitumstellung. Ich glotze grenzdebil auf alle Uhren und peile mal wieder nicht, welche denn nun die richtige Zeit anzeigt! Bin ich nun 5:50 Uhr aufgestanden oder 4:50 Uhr?

Heute Morgen um acht stand Wolfgang Petri alleine mit einem Baby im Tragesack vorm dunklen Bäckerladen, der doch eigentlich halb acht öffnet. Verdammt, wie spät ist es denn nun?!

Scheiß Jetlag.

 

 

 

Frei nach John Lennon: Give Pieschen a Chance!

Frei nach John Lennon: Give Pieschen a Chance!

Dass Dresden die schönste Stadt der Welt ist, daran besteht kein Zweifel. Zumindest bei den Dresdnern. Auch, was die Schönheit der einzelnen Stadtteile angeht. „Willst das Leben du genießen, zieh nach Loschwitz oder Striesen!“ ist ein bekanntes geflügeltes Wort. Wobei, Loschwitz ließe sich bestimmt auch durch Zschachwitz oder Blasewitz austauschen. Überhaupt scheint  jeder Stadtteil mit „witz“  im Namen als Lebens-und Niederlassungsstandort per se empfehlenswert zu sein. Darüber ist man sich einig.

Bla-se-witz, Klein-zschach-witz. Drei Silben, klangvoll und majestätisch. O-ber-losch-witz, sogar vier Silben! Dagegen Mickten, Pieschen… hört sich an wie ein Knacken im Ohr. Nur zwei Silben, die Vokale waren wohl alle, der letzte wird in Sachsen quasi stumm gesprochen. Doll ist das nicht.

„Wenn du so weitermachst, kommste irgendwann nach Altpieschen Neune!“ war bis in die Siebzigerjahre ein Ausspruch dafür, dass aus einem wohl rein gar nichts werden wird. Altpieschen Neun war in den Nachkriegsjahren eine Auffangstation für familienlose Kriegsheimkehrer und später Obdachlosenasyl. Wobei das Arial architektonisch sehr schön gestaltet wurde durch den Dresdner Stadtbaumeister Hans Erlwein und mittlerweile auch liebevoll saniert. Aber ein schlechter Ruf klebt eben wie Pech und Schwefel.

Nach Pieschen hat es uns aus einer Not heraus verschlagen. Der Wohnungsnot. In Striesen aufgewachsen und verwurzelt, bin auch ich der Meinung gewesen, nirgendwo anders könnte ich leben! Aber mit dieser Meinung stand ich nicht alleine da. Bei jedem Maklertelefonat sorgte ich für pure Erheiterung („WAS suchen sie?! Vier Zimmer, Wohnküche, Balkon oder Garten? In Striesen?! Hihihihihahahaha!“).

Und da sind wir nun. In Pieschen. Und würden für nichts auf der Welt wieder weg wollen!DSCN1336

Als meine Eltern vor einigen Jahren ihr Häuschen auf dem Dresdner Umland aus Altersgründen verkaufen wollten, ging es auf die Suche nach einer geeigneten Eigentumswohnung in der Stadt. Schön sollte es sein, zentral sollte es sein, grün und infrastrukturell ausgebaut. Idiotischerweise habe ich den Vorschlag gemacht, sie könnten doch in unserer Nähe suchen! „Wohin soll ich ziehen? Nach Pieschen?! Das kann nicht dein Ernst sein!“ höre ich meine Mutter noch heute. Und in der Tat wirken sie etwas deplatziert, wenn sie mit ihrem auf Hochglanz polierten weißen SUV – was man so braucht als rüstiger Rentner in der Großstadt – bei uns auf der Straße parken und zehn Meter laufen müssen („Warum habt ihr keinen Parkplatz auf dem Grundstück?!“, „Weil wir einen Garten haben!“). Ich sehe meine Mutter buchstäblich vor mir, wie sie adrett gekleidet mit einem Seidenschal um den schlanken Hals  und einer steifen Brise „Chantal No.5“ oder „Shakira No.6“  über dem feinsäuberlich ondulierten Kopf wehend durchs Gartentor kommt und schnattert: „Hier weißt du gar nicht, wo du laufen sollst! Überall dieses Hundekacke!“. Spricht´s und zieht ihren Cockerspaniel hinter sich her.

Naja, am Ende haben sie doch noch eine hübsche Wohnung gefunden, in der sie sich sehr wohl fühlen.

In Gorbitz.

(Schenkelklopfer! Den verstehen leider nur Dresdner.)