(K)ein stilles Örtchen

Bei uns ist immer Krach. Wir reden und rennen den ganzen Tag durcheinander und hintereinander her. Je mehr Leute anwesend sind, umso lauter ist es und umso mehr wünsche ich mir paar Minuten Stille…

…hoffnungslos.

Wenn ich durch die Wohnung laufe, grölt aus dem einen Kinderzimmer ein Typ namens Alligator, er sei „geistig behindert vor Liebe“, drei Meter weiter tönt ein Gitarrenbarde aus dem anderen Kinderzimmer „Zum Leben geboren, dem Glück anvertraut…“ und weiter hinten in der Küche plätschert das blöde Internetradio auf einem Kanal namens „Bay smooth Jazz“ irgendwas von „Sittin´on the beach und watching irgendwas, wahrscheinlich the Sonnenuntergang und the Wellen“. Arschloch.

Nichts davon will ich hören. Meine Mitbewohner stehen allerdings aus mir unerklärlichen Gründen auf Gedudel.

Wenn ich die Küche durchquere um auf dem Balkon Ruhe zu finden, wird’s ganz schlimm. Wir wohnen in direkter Nähe zu einem freikirchlichen Kinder-und Jugendhaus. Das ist an sich (und für die Kinder) eine super Sache. Für mich als Nachbar eher nicht. Es wohnen da junge Mädchen, die machen vielleicht ein freiwilliges christliches Jahr oder so. Sie wechseln jedenfalls. Diese Mädchen werden meiner Meinung nach aus der „Outtakes“-Schublade von Bohlens DSDS-Comedy Show rekrutiert. Ich kann es mir nicht anders erklären! Gemein ist nämlich allen, dass sie überhaupt nicht singen können, aber dies trotzdem den ganzen Tag tun. Und Gitarre spielen. Also so, wie es klingt, wenn ich mir eine Klampfe umhänge und einfach mit den Fingernägeln drüberschramme. So klingt das. Dazu ein schiefer Mädchengesang voller Misstöne:

„Und darum jubel ich dir zu. Jaja, der Schö-höpfer bist du-huhuhu. Oh yeah-hä!“. Schramm-schramm.

Die Gitarrenlady wurde jetzt ausgetauscht durch eine mit Keyboard. Leider lässt sich das auch auf die Dachterrasse hieven. Immerhin kann die Keyboard-Lady drei Töne.

„Vom Anfang bis zum Ende hält Gott seine Hände über mi-hisch und über di-hisch!“

Ich hab ja keine Ahnung, aber ich glaube, Gott hält seine Hände hauptsächlich weinend an die Ohren.

Wenn ich also mal auf dem Balkon sitze und eine Zigarette rauche, beschallt von den Gottesanbeterinnen (Darf ich das ausnahmsweise sagen?), dann denke ich: Stimmt, Rauchen ist schädlich. Man bekommt Ohrenschmerzen davon!

Bei den Freikirchlern ist auch so den ganzen Tag Trubel. Wenn der Gesang nicht durch jede Ritze quillt, dann das Geschreie der jugendlichen Gäste:

„Ey, du *piep*, komm rüber! Ich *piep* dich bis du *piep*!“

Unser Schlafzimmer liegt zur anderen Seite. Mein Lieblingsraum. Ich bin ja immer müde. Ich kann auch immer schlafen. Theoretisch! Praktisch ist es einfach nur laut! Irgendein Haus wird immer saniert, irgendeine Wohnung braucht neue Dielen. Irgendwelche Blätter müssen weggesaugt werden, Äste abgesägt oder Wände durchlöchert werden. Iiiiiieju Iiiiieju. Wenn ich mittags dort so liege, dauert es auch nicht lang, dann kommt der Auftritt der Müllmänner. Rörörörörörö. Laufender Motor vor unserem Haus. Rumpelrumpelrumpelrumpel. Die Tonnen. Knallknallknallknall. Die Tonnen ordentlich gegen das Auto rungsen. Ratterratterratterratter. Die Tonnen wieder zurück. Pfffffffffffft. Jetzt fährt er los. Drei Meter. Dann wieder: Rörörörörörör und alles von vorn.

Das dauert. Ich liege bittend wach, der Babylino möge nicht erwachen! Ich brauch doch mal ein bisschen Ruhe!

Kaum ist das Müllauto nicht mehr zu hören, Auftritt der Müllidioten. Also alle mülltonnenbeauftragten Nachbarn der umliegenden Häuser. Ratterratterratterratter. Die Tonnen müssen ja wieder zurück ins Grundstück! Ratterratterratterratter. Nein, das kann nicht warten bis Nachmittags! Ratterratterratterratter.

Noch nicht mal auf dem Klo hab ich Ruhe. Wenn ich irgendeine Tür vor dem Blondino zumache, quietscht der vor Verzweiflung in einer Tonlage, die an Fingernägeln auf Schultafel erinnert. Also muss er mit rein. Und er nimmt stets „seine“ Position am Ort des Geschehens ein: Frontal vor mir, die Händchen auf meine nackten Knie gepatscht, der Blick fest auf meine Augen gerichtet und dann Drückgeräusche nachahmen: Ah. Ah. Ah. Ah.

Also, ich kann so nicht!

Ich finde nirgendwo Trost und Mitgefühl. Gestern erzählte ich zum Beispiel dem Bärtigen, dass ich wohl nicht mehr lange hätte. Meine Beine würden schmerzen und Google diagnostiziert eine Trombose oder ein Herzleiden. Vermutlich hätte ich aber beides… Er schaut mich ernst an. Dann haut er mir auf den Schenkel und sagt, ich müsse nur mal oredentlich KACKEN gehen! Gröhl. Außerdem nimmt er meine chronische Obstipation zum Anlass, um sich vor der Tür in Position zu stellen, sobald ich auch nur drei Sekunden im Bad bin. Dann fragt er höhnisch, ob ich schön würsteln würde?! Und wie´s denn so läuft?! Und macht das Baby nach: Ah. Ah. Ah. Ah.

Wenn ihr mich also sehen solltet, wie ich mit einer Packung Trockenpflaumen und Ohropax bewaffnet irgendeine öffentliche Toilette ansteuere: Bitte nicht ansprechen! Nein, wirklich. Ich möchte nicht darüber reden!

Ich will doch nur mal fünf Minuten Ruhe!

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