Draußen stürmt und regnet es bei apriligen acht Grad, aber das botanische Weihnachtsorakel lügt nicht: Es ist soweit.Der „Geist der vergangenen Weihnacht“ war in den letzten Tagen bei mir zu Besuch.
Ich habe mich an die Familienfeiern früher erinnert. Ich musste immer Mittagschlaf halten und durfte die „Stube“ nicht betreten, bis mich jemand holte! Ewig habe ich gewartet und die Kerzen am Baum schon durch die Butzenscheiben unserer Wohnzimmertür glitzern sehen. Kartoffelsalat und Würstchen, an den Feiertagen dann Gans und Pute. Mit Rotkohl.
Ich erinnerte mich an ein Weihnachtsfest auf den Malediven mit Sonnenbrand, pinkfarbenen Desserts und Palmen voller Christbaumkugeln. Und daran, dass ich danach behauptete, das sei die allerblödeste Idee von allen gewesen! Weihnachten im Warmen. Tss.
Ich erinnerte mich an das allererste Weihnachten mit dem Bärtigen. Siebzehn Jahre ist das nun her. Da wir uns im Januar gefunden hatten, war unsere junge Beziehung im darauffolgenen Dezember schon stabil und wir beschlossen, für uns und die Ewigkeit unsere eigenen Weihnachtstraditionen zusammenzuzimmern. Der Weihnachtsbaum kommt bei uns am ersten Advent und fliegt am siebenundzwanzigsten Dezember raus! Ja, Schatz, super Idee. Wir machen keine Ente, wir machen… äh… Fisch?! Klasse, Schatz! Oder griechisch? Auch super! An unserem ersten gemeinsamen Heiligabend saßen wir zwei alleine in unserem Stübchen mit unserem Bäumchen und um mich herum lag einfach alles, worauf in den vergangenen elf Monaten mein Blick länger geweilt hatte. Eine Honigdose aus Holz zum Beispiel, daran erinnere ich mich genau… alles hatte er gekauft aus lauter Liebe und dem Wunsch, mich glücklich zu machen. Dabei war er damals noch Lehrling und hatte gar kein Geld! Am Ende schleppte er eine Waschmaschinenkiste an und ich dachte mir, oh mein Gott, wieso schenkt der mir jetzt eine neue Waschmaschine! Aber nein, irgendwo zwischen Knüllpapier lag ein Silberkettchen in einer Schachtel. Und wie er da stand mit glänzenden Augen. Ich bekomme gleich Schnupfen…
Wir haben in all den Jahren unsere Zweisamkeit an diesen Tagen versucht vehement zu verteidigen. Das hat nicht immer geklappt. Eigentlich war das spätestens dann zum Scheitern verurteilt, als wir Eltern wurden. Auch den heiligen Heiligabend ließ man uns nicht. Aber ich erinnere mich, dass ich in jedem Jahr nur dem Besten in die Augen sehen brauchte und las: Warts ab, irgendwann sind wir allein und dann ist unser Heiligabend! Wir haben auch nach jedem Fress- und Feiermarathon geschworen, wir würden das im neuen Jahr anders machen…
Es wurde irgendwann von alleine anders. Und unsere Traditionen auch. Die sind mittlerweile etabliert. Wir haben immer am ersten Advent bereits den Baum und Tante Baum fliegt nach wie vor am siebenundzwanzigsten aus dem Fenster. Wir sind am Heiligabend bei uns daheim. Punkt. Es gibt Wunschessen, egal, was das nun gerade ist. Wir gehen zum Krippenspiel, spazieren durch den Abend und freuen uns an den Lichtern und erleuchteten Fenstern. Die Geschenke werden erwürfelt: Wer eine Sechs wirft, darf ein Geschenk mit seinem Namen unter dem Baum vorziehen. Wir spielen immer ein Brett- oder Strategiespiel. Und wir schauen „Schöne Bescherung“ mit Chevy Chase. Immer! Obwohl wir alle Dialoge mitsprechen können („Das gibt keinen Abrass, Drucki!“), gehört dieser Film zu unserem Weihnachten.
In diesem Jahr erfüllt mich das mit Wehmut und ich fühle mit Clark Griswold, der sich so sehr bemüht, seiner Familie ein unvergessliches Weihnachtsfest zu bescheren und von einer Katastrophe in die nächste schlittert. Denn, ganz ehrlich, so entspannt, wie wir das uns in jedem Jahr vornehmen, wird es natürlich nicht. Denn ich bin ja auch noch da! Und drehe durch, egal, was ich mir selbst für Vorsätze aufdiktiert habe. Ich bin der Clarky dieser Familie, der zwei Kilo Butterschmalz verbäckt, notfalls morgens zwischen vier und sechs. Der Weihnachtskarten selber bastelt und dann keine Zeit mehr findet, die rechtzeitig zu verschicken. So einer bin ich. Ich liebe diese Familie so sehr und will einfach, dass jedes Weihnachten unvergesslich wird und dass meine Kinder ihren Kindern irgendwann erzählen, wie schön das damals zuhause war (Ich rede auch schon wie Clark Griswold). Mit den unausweichlichen Folgen. Ich liebe Weihnachten! „Sie war stets bemüht, wenn auch übereifrig.“, steht bestimmt auch in diesem Jahr auf meinem Weihnachtszeugnis.
Die Kinder regulieren mich. Am letzten Heiligabend bin ich allein abends mit einem schreienden Baby in der kalten Dunkelheit rumspaziert, die beiden anderen Jungs lagen krank in ihren Betten. „Weißt du noch? Am ersten Weihnachten mit dem Großen warst du auch so lange krank.“, erinnert sich der Bärtige, als ich mich neulich beschwerte, ich käme vor lauter Grippewellen gar nicht mehr auf die Füße. Bin ich gesund, kränkeln die Kinder. Sie bremsen mich ab. Sie lenken meinen Blick auf das Wichtige. Gut so!
Dabei bin auch ich vom Geist der Weihnacht beseelt. Ich muss den Glauben nicht teilen, um der christlichen Weihnachtsgeschichte mein Herz zu öffnen und sie zu verstehen und danach zu handeln. Und wenn wir in der Adventszeit durch die Straßen spazieren und ich mich so an den geschmückten Fenstern erfreue und manchmal einen Hauch Vanillekipferlduft aus einem Küchenfenster schwappt, dann denke ich an meine liebste Weihnachtsgeschichte: „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern“ von H.C.Andersen. Und ich weiß genau, dass ich diejenige bin, die hinter dem Fenster sitzt. Die mit dem Baum, dem leckeren Braten und dem warmen Ofen. Und dass dieses kleine Mädchen mit den Zündhölzern genau wie die heilige Familie in der anderen Weihnachtsgeschichte eine Botschaft ist. Dass es Menschen gibt, die vor dem Fenster stehen. Und ich weiß das auch im Sommer. Im Frühling und im Herbst. Nicht nur an Weihnachten.
Ich wünsche euch allen besinnliche Feiertage! Ein Fest in Frieden und Gesundheit, ohne Hunger und Angst. Ein großes Glück. Das wünsche ich euch. Und uns.
Ende.