Hat jemand von euch einen Handwerker zu Hause? Ich ja nicht.
Obwohl, früher schon!
Als ich den Bärtigen kennenlernte, war dieser zarte zwanzig Jahre jung und von Bart war noch nichts zu sehen. Ich war damals achtundzwanzig Jahre alt und hatte soeben die Pubertät überstanden. Und man bezahlte mit D-Mark. Also zumindest hier.
Mittlerweile ist der Bärtige achtunddreißig und ich bin auch keine achtundzwanzig mehr (Mutti erzählt also heute von kurz nach´m Krieg).
Zurück zum Mann: Er war damals Lehrling in einem Stahlbau-Betrieb und ging morgens mit einer blauen Latzhose, auf der vorn sein Name prangte, und einem nach Ariel duftendem karierten Holzfällerhemd bekleidet auf Arbeit. Unterm Arm ein Vierpfundbrot in Scheiben geschnitten und mit ordentlich Wurscht belegt. Athletisch schlank war er, ich konnte problemlos seine Hosen tragen. Eine gegelte Kurzhaarfrisur und Ohrringe trug er. Ich denke, das war so ein „Bros“-Ding, falls die Band noch jemand kennt. Mein Herz hüpft und ich glaube, ich bekomme einen spontanen Eisprung, während ich mich jetzt daran erinnere.
Kam er abends nach Hause, fing er an, zu handwerken und zu bohren. Der junge Mann war kaum zu stoppen. Überambitioniert bohrte er auch ohne besondere Aufforderung wahllos Regale an die Wände meiner kleinen Dreizimmerwohnung. Monströse Stahlwinkel mit daumendicken Schrauben zierten jede Zimmerecke. Ich wusste gar nicht, was ich da überall drauftun sollte! Aus meinem Ramschkeller machte er einen aufgeräumten Hobbyraum, in dem ein von ihm maßangefertigter Arbeitstisch stand, Regale an den Wänden hingen und alles Kleinzeugs war nach Sorte und Farbe und Material geordnet in Gläsern und Behältnissen verstaut. Der Mann war ein Traum!
Dann studierte er Informatik.
Das änderte alles.
Schmachtete er früher Werkzeuge im Baumarkt an, waren es nun Programme, Rechnerzubehör, doofer Kram eben. Zu nichts nutze. Ich habe den Mann trotzdem behalten. Denn es gab ja noch Mike.
Mike (der richtige Name ist der Autorin bekannt) war ein Nachbar. Einer vom Bau! Ein Mann, der leider optisch nicht der Coca-Cola-Werbung entsprungen war, aber eine Bohrmaschine so behende schwang wie Jamie Oliver Kochlöffel.
Mike kam immer und am liebsten immer öfter. Wenn irgendwas gebohrt/ gehämmert/ geschraubt werden musste – Mike stand parat. Mit seinem Werkzeugkoffer und glänzenden Augen. Er hatte nur eine blöde Angewohnheit: Begrüßte er mich mit freundschaftlichem Wangenkuss, legte er flugs seine Pranken derart an meine Flanken, dass seine Daumen immer meinen Brustansatz berührten, ganz egal, wie ich mich stellte! Das war das erste mal peinlich, das zweite Mal befremdlich und ab dann nur… bäks.
Kluges Weib, das ich bin, informierte ich voller Entrüstung meinen jungschen Kerl über die flinken Hände des hilfreichen Nachbarn. Fortan brauchte ich nur zweimal bitten, wenn ich ein Loch gebohrt haben wollte: Einmal initial und ein zweites Mal nach einer Woche mit dem Nachsatz: „Ich kann auch den Mike fragen!“. Und schon rannte mein Kerl in den Keller nach dem Werkzeug.
Viele Jahre sind seit dem vergangen. Wir wohnen nicht mehr neben einem Mike und ich bin mittlerweile so alt, dass nur Männer mit gerontophiler Verhaltensstruktur „versehentlich“ nach mir grapschen (Bitte alle laut: „Ooooh! Die Arme!“ rufen, danke.). Und nein, natürlich geht Grapschen gar nicht! Aber vielleicht ist das wie mit Kinderkriegen, Wurzelbehandlung oder Analverkehr. Wenns lange genug her ist, denkt man: Ach, so schlimm war das nun auch wieder nicht!
(Sucht verzweifelt den Faden… rot war er… irgendwo muss er doch…)
Komme ich heute in unseren Keller, lunschen mich blankpolierte Kisten an, auf denen Bosch oder Hilti steht und die der junge Kerl von einst glanzäugig angeschmachtet hätte. Und die aus unerklärlichen Gründen irgendwann gekauft wurden und nun vernachlässigt in einem alten Schrank stehen. Nein, ich habe auch keinen selbstgezimmerten Hobbytisch im Keller und kein einziges Regal! Nope, auch keine Stahlwinkel.
Wie ich jetzt darauf komme? Nun, am letzten Wochenende haben wir ja hier umgeräumt und nun stehen noch übriggebliebene diverse Bilder in diversen Ecken. Ob er die bitte anbohren könnte? Nein! Nicht heute! Nicht jetzt!
Also nie…
Ich werde eine Annonce schalten müssen: „Suche dringend Mann, der bei mir Löcher bohrt!“. Vielleicht muss ich einen Handwerkerkurs im Baumarkt belegen (der Mann fällt vermutlich vor Lachen ins Koma, wenn ich dem das erzähle).
Oder ich warte noch ein bisschen. Der Blondino fängt gerade an, mit Bagger und Plastikwerkzeug zu spielen. Meiner Erfahrung nach gibt es bald ein klitzekleines Zeitfenster, in dem er aller Wahrscheinlichkeit nach zu handwerklichen Tätigkeiten herangezogen werden kann.
Bis er sich dann für Computer interessiert…