Partykultur im Wandel

Heute morgen wurde ein lustiges Liedchen in meine Timeline gespült und ich habe vor Lachen meinen Soja-Latte über das Tablet gesprüht!

(Bitte Geduld, ab 2:40 geht das Liedchen los)

Ja, in diesem Alter bin ich auch. Bei Instagram habe ich unter „gespeicherte Links“ ungefähr vierzehnhundert Rezeptvideos. Und zwölfhundert Kuchenrezepte als Posts. Und Anleitungen für Aufstriche, Salate und  selbstverständlich Dessertrezepte. Bei Pinterest sieht das ähnlich aus. Ja, schuldig!

Und früher, also früher, da war viel mehr. Von allem! Also allem außer Dips und Guacamole. Früher kaufte man einen Kasten dunkel, einen Kasten hell, zwei Pullen Rotwein (Sangria; ja, Sangria ging als Rotwein durch) und ein Kilo Chips – ready to party! Und überall wurde geraucht. Das Schlafzimmer war nicht verschlossen, als müsste man einen geheimen Darkroom, gekachelt und mit Abfluss in der Mitte vor den neugierigen Blicken verstecken. Nein, da lagen dann auch Leute rum und rauchten und redeten, denn genug Stühle hatte niemand den ich kannte. Manchmal brachte sogar jemand eine Schüssel Kartoffelsalat mit, wo dann allerdings bestimmt Zwiebel fehlte, aber das wurde leergefressen unter frenetischem Jubel. Kein Mensch machte sich über die Lautstärke des Gelächters oder der Musik Sorgen, außer, die Nachbarn hatten sich noch nicht beschwert…

Und noch früher basierte das Partykonzept auf dem magischen Wort „sturmfrei“. Hatte jemand in meiner Clique sturmfrei – also die Eltern waren ohne den hauseigenen Pubertäter verreist und das passierte weit öfter als heute üblich – dann gingen wir dort hin! Und wie. Es war auch üblich, dass nur jemand jemanden kannte und wusste, derjenige hatte „sturmfrei“ und machte ne Fete und wir alle gingen hin! Wenn ich das in meinen heutigen Kontext übertragen würde, wäre das folgende Situation: Ich habe vor Wochen ein Doodle rumgeschickt an einen auserwählten Adressatenkreis wegen der Terminfindung, danach Listen angefertigt um das kulinarische Konzept des Abends zu spezifizieren. Dann drei Tage in der Küche zugebracht, mindestens, und nun ertönt aus den Boxen Loungemusik, da klingelt es an der Tür, zehn mir völlig unbekannte Menschen schieben mich beiseite und treten herein mit den Worten: „Hier steigt heute ne Party?! Wo ist das Bier!“. So wäre das.

Gruselig, oder? Früher war das aber völlig normal! Also in meinem Dunstkreis (vielleicht gehörte ich aber auch einer Horde Vandalen an, das kann ich rückblickend nicht mehr sagen). Ich erinnere mich an Sommerferien, die ich nahezu vollständig in der elterlichen Wohnung eines Freundes zubrachte, zusammen mit einer größeren Menge anderer Jugendlicher. Die meisten pennten auch dort. Einer sogar im Gitterbettchen des kleinen Bruders vom sturmfreien Freund, das fand sogar ich schräg. Weder war das Schlafzimmer der Eltern tabu, noch die Kosmetiksammlung der Mutter. Dem Rosettenmeerschwein wurde bereits in der ersten Woche ein Irokesenhaarschnitt verpasst, dieser mit Schulmalfarben bunt angemalt und der armen Meersau Ketten um den Meerschweinnacken gehängt. Wenn nichts zu essen im Haus war, lagen wir auf der Lauer, bis der LKW vom VEB Backwaren um die Ecke bog um einen riesigen Sack mit Semmeln im Hof vor dem Konsum abzustellen. Dann flitzten wir hinunter und klauten Semmeln, so viele wir tragen konnten und wieder waren ein paar Tage gerettet (Ich denke, auch das Meerschwein bekam was ab davon). Einmal kletterte ein Freund in ebendieser Wohnung unterm Dach außen rum von Fenstersims zu Fenstersims, weil sich zwei der Freunde in einem Zimmer verschanzt hatten und die Neugierde über die geheimen Tätigkeiten größer war als die Höhenangst. Und größer als die Vernunft sowieso.

Heute würde dieser Jugendliche mit Tatütata abgeholt werden und zur Beobachtung und zum Test auf Substanzmissbrauch in einer Klinik untergebracht werden. Dabei waren die einzigen Substanzen, die in uns gurgelten, schlichtweg unsere übersprudelnden Hormone!

Ich hatte niemals „sturmfrei“. Meine Eltern hatten wohl ausreichend Fantasie um sich vorzustellen, was dann passieren würde. Vielleicht auch, weil sie selbst eine ausufernde Partykultur pflegten. Ihre Kostümparties waren berüchtigt! Da wurden lauthals Rülps- und Furzwettbewerbe ausgerichtet und überhaupt wurde niemals Rücksicht auf uns Kinder genommen. Ich sehe mich andauernd mit meiner kleinen Schwester an der Hand im Flur stehen wie zwei kleine Nachtgespenster und mich über den Krach beschweren, wir könnten nicht schlafen bei dem Lärm!

So war das damals, bevor Guacamole in unser aller Leben zog.

Und heute? Heute bin ich die Elterngeneration, deren Fantasie überschwabbert beim Gedanken, das Fortpflänzchen alleine in der Bude zu lassen. Aber da besteht gar keine Gefahr! Die sind ja alle so anständig! Keiner raucht, die ganz Verwegenen dampfen vielleicht. Gekifft wird nur nach „safer use“-Regeln (die mir mein Sohn erklärt hat), sexuelles Ziel sind nicht die größte Menge an Erfahrungen sondern stabile Beziehungen. Mit achtzehn. Mein Sohn ist erwachsener als ich mit Mitte dreißig war, das kann ich getrost hier hinschreiben. Und guck, die beiden Männer in dem Video sind durch meine Brille betrachtet, auch super jung, reden aber wie Leute in meinem Alter, also alte Leute. Woran liegts? An der Guacamole?!

Trotz allem will ich mal festhalten, dass ich urst froh bin, dass ich ohne Check meiner Haus- und Haftpflichtversicherung und ohne alle Zimmer abzuschließen das Haus verlassen kann mit dem Bubi drin, wenn ihr mich allerdings fragt, ob ich heute noch mal achtzehn sein wöllte:

Wäh?! Wofür denn?

😀

 

 

Ein Kaffee für Frau Nieselpriem

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Wurzelschaden

Ich bin ja so oft umgezogen, dass ich einfach bei achtzehn aufgehört habe zu zählen. In manchem Jahr bin ich sogar mehrmals umgezogen, mit leichtem Gepäck. Keiner weiß mehr genau, an welche Wohnungstüren ich überall mal meinen Namen drangepappt habe. Ich am Allerwenigsten!

Nun, das f*cking Alter, werde ich wunderlich. Ich habe das Bedürfnis, Rosenstöcke vor die Haustür zu stellen und ein selbstgetöpfertes Türschild anzubringen (Du lieber Himmel!). Ich möchte wurzeln. Ankommen und bleiben. Ich fürchte, demnächst finde ich auch noch Gefallen an der Farbe Beige und Besuchen im Möbelhaus. Mir graust.

Pieschen war für die letzten sechs Jahre unser Zuhause (Pieschen ist ein Stadtteil in Dresden, für die Neuen hier.). Pieschen ist, nun ja, was für Liebhaber. Ich war Liebhaber! Ich mag dieses Angeschlonzte, Verrotzte ja irgendwie. Aber für die Kinder wollte ich was anderes. Keine Spielplätze mit zerkloppten Bierflaschen im Sandkasten. Keine Kothaufen-Rallye auf den Fußwegen. Stattdessen Grün und Vögelgezwitscher. Elbnähe, und zwar auf der schöneren Seite der Elbe.

Aber mit dem Wünschen ist das ja so eine Sache. Die Anforderungen waren wohl zu unspezifisch, denn: Et voila! Wir wohnen nun in Elbnähe, inmitten von Ahörnern, Linden, Tannen und Robinien, Vögeln und efeuumwucherten Mäuerchen. Und Blasewitzern.

„Wer aus Pieschen wird verwiesen, zieht nach Blasewitz oder Striesen!“ (Pieschner Redensart)

Blasewitz („Blowjoke“, wie ein lieber Freund der Familie es titulierte) ist nicht witzig! Nein, eigentlich lacht darüber wirklich niemand in Dresden. Blasewitz ist elitär und wunderschön und kein bisschen witzig. Hier, vom Bombenhagel des letzten Weltkrieges verschont, stehen hochherrschaftliche Villen auf großzügigen Grundstücken mit altem Baumbestand. Keiner brüllt hier des Nächtens volltrunken irgendwelche Schmutzparolen durch die Straßen. Hier werden die Tore verschlossen, auch tagsüber. Nachts ist es still, nichts übertönt das Schnarchen des Bärtigen. Es ist wunderschön. Und still. Endlich Ruhe!

Dennoch habe ich einen Wurzelschaden. Ich komme nicht „an“.

Ich werde mich mit den kommenden Zeilen wohl auch nicht beliebter machen in Blowjoke, aber wer liest das denn schon! Hier lesen bestimmt eh alle nur die Wirtschaftswoche…

Die neue Nachbarin nennt mich manchmal „gnädige Frau“ und meint das durchaus nett. Wenn von anderen Nachbarn die Rede ist, wird die Berufsbezeichnung mit genannt („Der Musiker und die Anwältin…“; „Der Architekt und die Physikerin…“). Abends sieht man hier Herren mit Slippern an den Füßen, auf denen Quasten rumbaumeln und einem Kaschmirpulli leger um die Schultern geknotet. Die erste echte Frau mit aufgespritzen Lippen habe ich in Blasewitz gesehen und mit offenem Mund angestarrt. Ebenso Stiefel aus Schlangenleder, wobei ich mich damit wirklich nicht auskenne.

In Pieschen stehen auch am Wochenende Leute morgens vor der Trinkhalle. In Blasewitz ist man am Wochenende morgens auf dem Tennisplatz im Waldpark.

Man „trifft“ hier nicht einfach andere Mütter irgendwo. Wir wohnen jetzt seit einem halben Jahr hier vor uns hin, alleine. Gegenüber wohnt eine Familie mit vier Kindern, aber ich denke nicht, dass es gesellschaftlich etabliert ist, wenn ich dort klingeln würde mit den Worten: „Tach! Ich bin die Neue von gegenüber und das ist der Blondino. Wollt ihr nicht mal zum Spielen zu uns rüberkommen?“. In Pieschen wäre das kein Problem. In Blasewitz habe ich Ladehemmung. Jeder ist hier für sich in seinem Haus mit dem schönen großen Garten.  Mir fehlen meine früheren Nachbarinnen und ihre Kinder. Ich bin wohl ein bisschen einsam…

Vielleicht liegt das auch an meiner eigenen Aufzuchtphase.

Die frühen Jahre: Neustadtkind mit coolen Klamotten vor baufälliger Wohnsubstanz, circa 1973

Ich bin in der Dresdner Neustadt geboren. Zu einer Zeit, als die nicht hip war und keiner wusste, was ein Hipster ist. Wenn man damals die Tür zur „Erlenklause“ öffnete, guckten einen durch den obligaten gelben Nikotinschleier zehn Leute an mit zusammen hundert Zähnen in der Gusche und hundert Jahren Zuchthaus auf dem Buckel. Graue, dreckige Häuserschluchten mit erstem und zweitem Hinterhaus und kaum einem kümmerlichen Baum dazwischen. Das war die Neustadt! Also bevor die hip-pen jungen Leute kamen. Und vor ihnen der Helmut Kohl und die Wende…

Prießnitzstraße 48. Das Fenster über der Einfahrt war früher die Stube meiner Oma.

Die Kinder spielten in den Hinterhöfen oder in baufälligen Häusern (die eigentlich nie abgesperrt waren, also im Sinne von wirklich abgesperrt) oder Kellern oder einfach auf der Straße. Einen Garten vorm Haus hatte eigentlich niemand. Nein, nicht eigentlich. Niemand, den ich kannte, hatte einen Garten vorm Haus! Die meisten hatten noch nicht mal ein Auto vorm Haus. Später dann schon, nach vierzehn Jahren Sparen und Warten.

Als ich im zarten Alter von achtzehn Jahren wieder in die Neustadt zurückzog, sagte meine Mutter entrüstet: „Wir haben wirklich alles darangesetzt, dass wir dich aus dem Dreck rausholen können und du? Du ziehst freiwillig wieder dahin zurück?!“. Genau.

Heute bin ich nur noch selten da. Zu modern, zu voll, zu hip, zu… und dennoch. Ich erinnere mich an die Wohnung auf der Waldschlösschenstraße und die Badewanne

Letzte Woche war ich da und bin bewusst und alleine durch die Straßen geschlendert. Ich habe mich erinnert, wie (War es 1985? Später?) „Beat Street“ in der „Scheune“ aufgeführt wurde, rappelvoller Saal, alle hochemotional geladen. Wie sich immer mehr junge Leute mit bunten Haaren und verrückten Klamotten auf die Straße trauten, sich in der Neustadt die Hausbesetzer breitmachten und die ersten „Cafés“ einfach illegal eröffneten. Einige davon existieren noch heute, sogar unter ihrem ursprünglichen Namen.

In dem Hinterhäuschen wohnte die alte Frau Goldmann. Die hatte nur ein Zimmer mit Küche und kaum Zähne. Ich fürchtete mich sehr vor ihr! Einmal war meine Cousine Antje da und ich fühlte mich urst mutig, hab aus dem Küchenfenster gerufen: „Huhu, du alte Hexe!“. Leider hat meine Oma das gehört und ich musste runter zur Frau Goldmann, mich entschuldigen. Antje auch, obwohl die gar nichts gemacht hat. Und die alte Hexe? Hat uns eine Banane geschenkt. Eine BANANE!

Das linke Fenster mit dem Ast war das Zimmer, das meine Eltern mit mir bewohnt haben. Das Fenster rechts daneben gehörte zur Küche. Dort habe ich rausgeguckt und die arme Frau Goldmann… ihr wisst schon.

Ich erinnere mich an Konzerte. „Kaltfront“, „Die Freunde der italienischen Oper“. An zehn fremde Leute, die irgendwie bei mir auf dem Boden schliefen nach einem Konzertabend („Hey, haste ne Penne?!“, gängige Frage damals an jedem Wochenende). Ich erinnere mich auch an Abende, in denen ich ohne Kohle, ohne Fahrschein in einem Zug stand und nach Berlin fuhr. Auf irgendein Konzert. Und nein, es war nichts mit Geige oder Piano. Nie.

Heute wachsen Blumen vor Frau Goldmanns Häuschen. Das hätte ihr bestimmt gefallen. Mir jedenfalls gefällts.

Prießnitzstraße achtnfürtsch. Einen Steinwurf entfernt ist die Talstraße. Dort wohnte mein Schwiegervater, als er noch nicht mein Schwiegervater war und der in die gleiche Klassenstufe ging wie der Bruder meiner Mutter und irgendwann einen Sohn zeugte, der dann zwanzig Jahre später die Tochter der Schwester eines Schulkameraden… könnt ihr noch folgen? Genau, der Bärtige ist auch ein Neustadtkind. Der wurde aber erst geboren, als ich schon lange evakuiert war aus er dreckigen Neustadt und überhaupt habe ich mich damals noch nicht für Babies interessiert…

Früher habe ich manchmal scherzhaft gesagt, falls eines meiner Kinder so eine verrückte Jugend hinlegen sollte wie ich, sperre ich es ein. In einen Turm, einen hohen. Für so zehn, zwölf Jahre! Heute würde ich vermutlich dafür sorgen, dass er genug Kohle in der Tasche hat und meine Nummer abgespeichert. Und eine Bemmenbüchse in seinen Rucksack schmuggeln…

… Oder ihn einschließen!

Ich habe letzte Woche in der sauberen, freundlichen, schicken Neustadt gesessen und auf Mareice gewartet. Und ich mochte das dort. Es ist bunt, jung, laut. Ist die Neustadt authentisch? Pieschen ist echt. Pieschen ist das, was die Neustadt mal war. Wird dann Pieschen irgendwann die neue Neustadt? Hm. Gibt es bald gar keine drecksche Ecke mehr? Keine die aussieht wie „früher“?  Meine Mutter sagt: „Bloß gut!“, und: „…Dass du das alte verkommene Haus fotografiert hast! Nee, also wirklich, wie das aussieht!“. „Ja, aber genauso sah es damals doch aus!“, erwidere ich. „So haben wir doch gewohnt! Nur nicht so schön bunt. Man muss sich doch mal daran erinnern!“. Nein, muss man nicht, findet meine Mutter.

Doch, finde ich. Mir hilft das. So für die eigene Ortsbestimmung.

Mareice hätte auch überall sonst in Dresden lesen können, aber hierher hat sie allerdings besonders gepasst. In die Neustadt.

Als ich an dem Abend dann sehr spät mit dem Rad über die Albertbrücke auf die andere Elbseite fuhr und das „Blasewitz“-Schild passierte, hatte ich mich ein bisschen versöhnt. Blasewitz kann nichts dafür. Ich bin eben ein Neustadtkind. Sozialisiert zwar, aber dennoch.

Am Wochenende darauf saßen wir (Überraschung!) auf unserem Grundstück in Blasewitz rum, als von irgendwoher (zwei Grundstücke weiter die Straße runter, ich glaube, die Villa mit den roten Klinkern) Kindergelächter und Geschrei zu hören war. Und auf einmal ein kräftiges Niesen. Ich brüllte beherzt über alle Gartenzäune: „GESUUUUNDHEIT!“ (Voll peinlich, ey, als wären wir in Pieschen!).

Und wisst ihr was? Zurück kam ein: „DAAAANKE!““. Ich denke, ich werde dort mal klingeln.

„Tach! Ich bin die Neue aus der achtzehn. Ham sie neulich mal genießt im Garten? Und wolln sie mal zu uns zum Spielen rüberkommen? Sie oder die Kinder? Wir haben weder Titel noch Familienstammbaum oder Kaschmirpullover, dafür aber immer kaltes Bier. Also nicht für die Kinder! Wir könnten uns Blasewitze erzählen beim kalten Bier!“.

Ich arbeite noch an der Ansprache…

 

 

Tür 17 – Atheistenradikalinski

Über diesen Beitrag freue ich mich persönlich ein bisschen wie ein Kind an Weihnachten! Ein Dresdner Blogger. Ein männlicher Dresdner Blogger. Ein Geheimtipp (behaupte ich). Einer, der auf der Kooperationsseite seines Blogs stehen hat: „Nein! Geht weg!“. Jemand, dem der schnöde Mammon, Ruhm und Lorbeerkränze gänzlich abgehen und der dabei auch noch so unverwechselbar schreibt, dass ich mich regelmäßig freudig jubelnd errege ob seiner verbalen Sperenzien. Einer, dem ihr alle spätestens ab jetzt regelmäßig die Bude einrennen solltet. Ich freue mich schon sehr darauf, wie er damit umgehen wird 😉 . Liebe Leute, Vorhang auf und Scheinwerfer an für Olaf von Papaquatsch(t)!

Rike hat gesagt, ich muss drei Dinge abarbeiten: Kritische Abhandlungen, sozialistische Gedanken und versaute Rezepte. Bevor es aber los geht, sei eins noch gesagt:

Seid bereit!

Wer jetzt die Hand an der Rübe hat, der kommt aus einer grauen Welt. Zumindest sagt das mein Fotoalbum, denn das wird tatsächlich erst mit dem Jahr 1990 bunt. Verrückt. Komisch ist auch, dass ich zum Adventsbloggen beitragen soll. Dabei bin ich doch Atheist, ein sehr überzeugter noch dazu. Genauer gesagt mag ich Religionen, allen voran die christliche, überhaupt nicht. Wussten Sie zum Beispiel, dass in der katholischen Kirche noch sehr lange darüber diskutiert wurde, ob die Frau überhaupt ein Mensch sei? Nee, brauch’ ich nicht und will ich nicht. Am schlimmsten sind dann ja noch diese bigotten Feiertagsfrömmler. Erzählen Sie mir nix, ich hab’ die in der Familie.

Jetzt ist das mit Weihnachten allerdings doch irgendwie blöd. Ich mag es nämlich. Das hat aber keiner gehört, verstanden?!

Überall ist es geschmückt, es gibt Stollen, Plätzchen werden gebacken und alles läuft irgendwie ein bisschen ruhiger ab, auch wenn überfüllte Innenstädte ein anderes Bild der Lage vermitteln. Ich mag Weihnachten übrigens schon immer. Hier, gucken Sie mal:

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Was darf an Weihnachten auch nicht fehlen? Richtig, Klimbim. Ich bin damit reichlich versorgt, denn in den letzten 20 Jahren hat mich meine Oma jedes Jahr beschenkt. Ich besitze verschiedenste Räuchermännchen, Winterkinder und Nussknacker. Ich habe diese Geschenke übrigens nie zu würdigen gewusst. Wer will denn in seinen besten Jahren bitteschön Weihnachtsdeko geschenkt bekommen? Heute bin ich ziemlich glücklich, dass ich die große Kiste einmal im Jahr aus dem Keller holen kann, denn sie erinnert mich auch an die Zeit mit ihr. Seit meine Tochter auf der Welt ist, hat sich all das noch einmal verstärkt. Und fast bin ich geneigt, die Existenz meiner Familie als kleines Wunder zu betrachten.Was darf an Weihnachten auch nicht fehlen? Richtig, die Aurora und der Frank. Wer aus Westdeutschland kommt, der sucht jetzt einfach mal nach „Weihnachten in Familie“. Aber erschrecken Sie nicht! Auf dem Cover sind furchtbar gekleidete Personen zu sehen, die auch ganz furchtbar singen. Aber es ist so schön. Ich bin übrigens der festen Überzeugung, dass das die einzige existierende Weihnachtsschallplatte der DDR ist. Oder kennt hier noch wer was anderes?

Seit gefühlt immer fehlt in unserer Familie noch etwas nicht: Aschenbrödel. Die DDR/CZ-Verfilmung. Neuverfilmungen werden gnadenlos missachtet. Wie könnte man es auch nicht lieben? Vorgestapfte Pfade quer durch den Winterwald, aus den letzten Stoffbahnen herausgefetzte Schleier und ein wunderbar albern aussehender Rolf Hoppe.

Hach ja, Weihnachten. Da kann man sogar mal die Kirche Kirche sein lassen.

Nachtrag: Das versaute Rezept habe ich nicht abgedruckt! Möglicherweise lesen Kinder mit. Man hat ja schließlich auch Verantwortung. Keine Sauereien an Weihnachten. Steht schon im Weihnachtshandbuch für Blogger.

Tür 7 – Schwedische Weihnachtsbäume made in GDR

Gretel ist der kreative Kopf hinter Living4Family und meine Freundin. Ihre Wohnung ist wie eine jahreszeitlich dekorierte märchenhaft-romantische Interior-Ausstellung, die mich jedesmal in grenzenlose und lautsarke Verzückung versetzt. Selbermachen, Garten, Wohnen und Deko sind ihre Herzensthemen. Wir teilen eine leidenschaftliche Liebe zu Sahnecremetorten, Mohn-Marzipan-Gebäcken und allem, wo Baiser drauf ist. Gretel braucht man nicht zu fragen, ob sie noch ein zweites Stück Kuchen will, sie isst mit Genuss auch ein drittes. Eine Frau, die niemals auf Diät ist. Ich liebe sie dafür sehr. Und für vieles andere. Heute für diesen Beitrag.

Guten Tag,

ich will es gleich sagen, ich bin hier nur der Lückenfüller, denn ich passe nicht so recht ins Portfolio.

Meine Kinder sind groß. Man mag mich bedauern, ich ziehe es vor, mir zu gratulieren.

Zum Backen schicke ich sie zu den Großeltern, gebastelt wird nur noch in geringem Maße, als Nikolausgabe bekamen sie Karten fürs Mark Forster Konzert. Sie haben sich gefreut, aber bestimmt nicht so sehr wie ich. Es ist eine neue Qualität des Schenkens, wenn man sich selbst was Gutes tut dabei. Konzert war ne super Idee.

Ich habs nicht so mit Blogparadenrummel. Aber Rike ist meine beste Freundin und 24 Tage sind eine lange Zeit. Also mache ich mit bei ihrem Adventskalender.

Schwedisch ?

Vor mehr als 25 Jahren wusste man im garantiert westmedienfreien Tal der Ahnungslosen wahrscheinlich gerade einmal, wo Schweden auf der Landkarte lag. (Und wenn nicht, war es auch nicht schlimm, denn andere Länder hatten Priorität).

Immerhin war Schweden ein lieber Feind, zumindest als der Sozialdemokrat Olof Palme regierte.

Nach Schweden reisen konnte man natürlich nicht.

Meine Mutter arbeitete dazumal bei den Staatlichen Kunstsammlungen und war von relativ offenen Mitmenschen umgeben, da die Kunstschätze Dresdens in der gesamten Welt gern gesehen waren.

Als der Betriebstischler in den Restaurationswerkstätten den Rahmen der Sixtinischen Madonna gerade fertig ausgebessert hatte, blieb noch ein wenig volkseigene Zeit übrig und er machte sich daran, schwedische Weihnachtsbäume aus volkseigenem Holz zu basteln.

Woher er seine Inspiration bekam? Keine Ahnung. Aber die Dinger waren natürlich der Renner und sicherlich hatte mindestens jeder 2. Kollege nun nicht nur erzgebirgische Volkskunst im Wohnzimmer, sondern was „echt“ Schwedisches. Und der Tischler dafür paar echte Mark der DDR mehr auf dem Konto.

Jedenfalls liebte auch ich das Teil heiß und innig, ob nun schwedisch oder nicht.

Glücklicherweise hat er viele Umzüge im Keller von Muttern überlebt und nun steht er jedes Jahr bei uns im Fenster.

Ursprünglich war er knallrot, in diesem Jahr habe ich ihn weiß gepinselt.

Mein schwedischer Weihnachtsbaum made in GDR:Gretel

Warum aus mir nie ein Zonenromantiker wird…

Dieser Text spiegelt meine höchstsubjektive Meinung und mein eigenes Erleben. Er will weder ein Geschichtsbuch noch andere Sichtweisen ersetzen. Ein Hoch auf die eigene Meinung!

Ich bin neunzehnhundertsiebzig geboren. Im Tal der Ahnungslosen. Aufgewachsen ohne Westfernsehen, RIAS und Bananen. Es gab tatsächlich nur Äpfel und faserige, saftlose Orangen aus Kuba („Kuba-Orangen“, nicht zu vergleichen mit „Navel-Orangen“, die gab es in reglementierten Mengen an Weihnachten). Obst und Gemüse wurde saisonal verkauft. Gurken und Tomaten gab es halt nur im Mai! Ende der Durchsage. Und Birnen im August.

Was ich aber als Verdienst des Sozialismus ansehe, ist die Gleichstellung von Mann und Frau. Das war so und das wurde auch tatsächlich so gelebt. Und gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Bereits seit den Fünfzigerjahren war die Gleichstellung von Mann und Frau gesetzlich verankert, galt es als Scheidungsgrund, wenn ein Ehemann die berufliche Weiterentwicklung seiner Frau nicht unterstützte. Laut Ideologie des Marxismus-Leninismus kann die Gleichstellung der Frau nur durch wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Mann, und die nur durch die vollständige Integration in den Arbeitsprozess erreicht werden. Lenin sagte, Hausarbeit sei die „Sklavenarbeit der Frauen“. Hausfrau war kein anerkannter Beruf. Ich hatte keine „Nadelarbeit“ in der Schule, ich hatte „Werken“. Ich lernte erst als erwachsene Frau einen Knopf anzunähen, konnte aber bereits im Grundschulalter verschiedene Werkzeuge bedienen. Und meine Schulbücher waren voll mit starken, kämpferischen Frauen: Clara Zetkin, Käthe Kollwitz und Rosa Luxemburg zum Beispiel. Oder Valentina Tereschkowa, die erste Frau im Weltall. All diese Frauen waren Vorbilder und hatten einen großen Einfluss auf das Bild, das ich von einer „vorbildlichen“ Frau hatte. Parallel zu den Frauen in meinem Leben. Diese hatten in dem System, in dem ich aufwuchs, die gleichen Rechte und Pflichten wie Männer. Mit dieser Selbstverständlichkeit wuchs ich auf. Ich sah darin nichts Exklusives. Ich war quasi per Geburtsrecht gleichberechtigt. Das zählt für mich zur größten Haupterrungenschaft meiner sozialistischen Prägejahre.

Des Weiteren gab es zinslose Familienkredite und subventionierte Kultur. Ein fast Gratismittagessen für alle Kinder und die stets hervorgezogene flächendeckende Kinderbetreuung. Bevor alle rufen: „Das wollen wir auch!“, lest erst mal zu Ende. Das alles hatte einen Preis, den auch heute kaum einer bereit wäre, zu zahlen…

Kinderkrippe, Kindergarten, Schule am Samstag, Fahnenappell, Kinderferienlager, organisierte Kinderfreizeiten in Arbeitsgemeinschaften, Sportvereinen. Ganztags Schulhort auch in den Ferien. Später – für die Jugendlichen – Beschäftigung in der „Gesellschaft für Sport und Technik (GST)“, und Wehrunterricht (wegen der Bedrohung durch die reaktionären kapitalistischen Staaten). Du warst als Kind untergebracht und beschäftigt. Von früh bis spät.

Das hatte den Zweck, die Arbeitskraft beider Elternteile für die Sicherstellung der sozialistischen Produktion freizuschaufeln. Und die Erwachsenen gingen arbeiten. Viel. Akkordarbeit war sehr beliebt, da dies leistungsbezogene Bezahlung versprach. Außerdem waren noch Berufe wie Frisör, Taxifahrer und Kellner sehr beliebt. Diese kamen in den Genuss von Trinkgeld. Viel Trinkgeld. Und manchmal auch in Form von Forumschecks, die dann auf dem Schwarzmarkt 1:20 getauscht wurden. Denn nur wer entweder viel Geld besaß oder in den Genuss von Valuta kam, konnte sich irgendwie von der Masse abheben. Sei´s durch Klamotten aus dem „Exquisit“, wo eine Nietenhose (Jeans) schon mal ein kleines  Gehalt kostete. Oder sei es durch ein tolles Auto. Und auf alles musste gewartet werden: Die Schrankwand, das Auto, der Fernseher. Es gab Anmeldescheine für den Führerschein, Anmeldescheine fürs Auto, für den Raduga-Farbfernsehr. Wenn so ein Anmeldeschein auslief, war dieser fast soviel wert wie der Warenwert selbst!

Das öffnete (in meinen Augen) schmieriger Geschäftemacherei Tür und Tor und die gerne von Zonenromantikern besungene Gemeinschaft und den Zusammenhalt sehe ich in einem anderen Licht. Echte Gemeinschaft definiere ich anders. Das waren vielmals dem Zweck geschuldete Abhängigkeiten. Es wurde gemauschelt, was das Zeug hielt. Getauscht. Der Eine kam an Ziegel ran im Betrieb, der nächste an Zahnriemen für den Wartburg, der Dritte hatte Verbindungen zu irgendwas anderem. Durch die allgemeine Verknappung von allem möglichen war man dringend auf die anderen angewiesen. Und hatte man nichts im Tausch anzubieten, am Arsch! Was oben im Satz mitschwingt, ist auch bittere Wahrheit: Das Wort „Volkseigentum“ wurde sehr wörtlich ausgelegt. Ich kann nicht mal sagen, dass die Leute geklaut hätten in den Betrieben, das Unrechtsverständnis war ein anderes für das „Volkseigentum“. Du arbeitest in einer Ziegelei und der Nachbar braucht Ziegel im Tausch gegen eine Kiste Radeberger unter der Hand? Dann warst du der Mann der Stunde!

Was wirklich an der Tagesordnung war, sind Feiern von Hausgemeinschaften. Oft im Wäschetrockenraum. Und Betriebsvergnügungen, bei denen sogar alle Rentner der Brigade stets mit eingeladen worden. Es wurde sich schon gern getroffen und auch gern zusammen gefeiert. Aber wie gesagt, vieles diente auch der Anbahnung von Geschäften.

Meine Eltern waren nicht linientreu. Es gab einige Vorkommnisse, die sehr viel mit Willkür und dem Gefühl eines Allmachtsstaates zu tun hatten. Und auch wenn sicher alles getan wurde, solche Sachen von den Kindern fernzuhalten, du kriegst das mit. Und auch das Bespitzeltsein war gegenwärtig und wenn irgendwer „wusste“, dass Müller, Meier oder Schulze spitzelt, sprach sich das wie ein Lauffeuer rum. Sicher wurde da auch denunziert! Und zwar in beide Richtungen. Wenn dich wer anschwärzte, wurdest du vernommen und dann – wo Rauch ist, ist auch Feuer – zur Sicherheit einfach weiter beobachtet. Ich glaube, es war sehr schwer, wirklich zu vertrauen, gerade wenn man nicht alles dufte fand im Arbeiter- und Bauernstaat. Ich weiß auch von einigen, die später ihre Stasi-Akte nicht einsehen wollten aus Angst, den Cousin, Onkel oder die Lieblingsnachbarin als Informanten /-in zu lesen.

Ich habe mich gefragt, wann ich meine kindliche Unschuld verlor. Möglicherweise mit dreizehn. Ich galt als sprachliches Ausnahmetalent und in meiner Heimatstadt gab es schon damals eine renommierte Sprachschule, damals eine Oberschule, heute ein Gymnasium. Meine Lehrer setzten den Eltern zu, ich würde auf diese Schule gehören! Der Direktor meiner Schule sagte geradeaus, nein, er würde den Delegationsantrag nicht unterschreiben und ohne seine Unterschrift bräuchten wir es gar nicht versuchen! Und wir versuchten es nicht mal.

Das war mein erster Kontakt mit Willkür. Die sollte sich wie Smog über die nächsten Jahre meines Lebens legen. Abitur konnte nur machen, wer delegiert wurde. Dann konntest du aber auch nicht zwangsläufig studieren, was du wolltest! Ebenso wenig, wie du den Ausbildungsberuf frei wählen konntest oder später deinen Arbeitsplatz! Es gab eine Stellenplanung, die ausspuckte, wie viele Ingenieure für dies und das und wie viele Bäcker etc. in den nächsten Jahren gebraucht würden im kleinen Land. Aus dieser Bedarfsanalyse speiste sich der Stellenplan. Dann wurde auch bei Bewerbungen selektiert nach Linientreue und Mauschelpunkten („Das ist die Tochter der Nachbarin meiner Cousine, die legste mal weiter oben off´n Stapel!“).

Ich lernte Elektronikfacharbeiter. Weil die gebraucht wurden. Und weil meine Eltern keine Beziehungen hatten ins Frisörhandwerk oder sonstwohin.

Auszug aus meinem Lehrvertrag

Auszug aus meinem Lehrvertrag

Mit sechzehn trat ich meine Lehre an und war schon ein wenig widerborstig und desillusioniert. Ich färbte mir die Haare bunt (und wurde deswegen zum Personalgespräch gebeten), trug Sommer wie Winter eine Lederjacke und Stiefel mit Nieten und umgab mich mit Subversiven und Dissidenten. Wir gingen auf verbotene Punkkonzerte, fuhren schwarz nach Berlin, besetzen Abrisshäuser, machten total wilde Sachen! Echt. Also nein. Nicht gemessen an heutigen Maßstäben.

Gefährlich war´s trotzdem. Jugendlichen drohte der Jugendwerkhof bei systemschädigendem Verhalten, ab dem achtzehnten Geburtstag wurde es richtig ernst.

Es ging schnell, dass du in den Fokus irgendwelcher Spitzel gerietest. Mein damals bester Freund war ein späterer Mitbegründer des Neuen Forum. Ein sanfter Junge, der Gewalt ablehnte und sich an Malerei und Schwarztee mit Kirscharoma berauschte. Der war ständig wegen „asozialem Verhaltens“ dran. Ich war das erste Mal zur Vernehmung kurz vor meinem achtzehnten Geburtstag. Wegen Verdachts auf „Herabwürdigung des Staates“. Morgens gegen drei Uhr wurde ich mit Handschellen aus meinem Kinderzimmer geholt. Ich durfte weder Zähne putzen noch einen Schlüpfer anziehen. Auf dem späteren Foto auf der Polizeiwache stand ich da mit Nachthemd, Stiefeln, Jacke und zerzausten Haaren. Abends haben sie mich zurückgebracht, zur Primetime, als alle Nachbarn meiner Eltern aus dem Fenster guckten… Die zweite Verhaftung erfolgte wegen versuchter Republikflucht über die Slowakei. Ich weiß nicht mehr, was mich geritten hatte und ob wir uns bis nach Jugoslawien durchschlagen wollten und ob ich denn nicht mal an meine arme Mutter gedacht hatte?! Jedenfalls war in Tschechien Schluss. Sack übern Kopp und raus aus dem Zug. Ich habe jede „Mittäterschaft“ abgestritten und mein Compagnon hat wohl ähnlich ausgesagt, was mich vor Schlimmerem bewahrt hat.

(Behalten habe ich davon bis heute eine perverse Scheu und ein Gefühl des Ausgeliefertseins gegenüber jedweder Uniform.)

Rückblickend fühlte ich mich als Jugendlicher und Erwachsener in diesem kleinen Land wie von strengen Eltern an der Kandare gehalten! Alles wurde vorgeschrieben: Was du denken sollst, was du tun sollst, was nicht, wohin du reisen darfst und wohin eben nicht. Und immer mit Angst vor Repressalien. „Pscht! Nicht so laut!“ auf jeder weinseligen Geburtstagsfeier.

Was mich immer wieder verblüfft, sind die ab und zu aufkommenden Zonenhymnen (meist von Menschen der älteren Generation). Wie schön es doch alles gewesen wäre! So billig! So behütet! Keine Drogen! Und wir konnten doch auch so schön Urlaub am Balaton machen! Und an der Ostsee!

Nee du. Ich weiß, dass der Alkohol in Massen geströmt ist! Auch bei den Jugendlichen. Und ich war nie am Balaton und nur einmal an der Ostsee mit meinen Eltern. Warum? Nun, weil Urlaubsplätze genauso unter der Hand gemauschelt wurden. Du warst jedes Jahr am Balaton? Aha, was war denn dein Vater von Beruf?! Wir waren in einem Bungalow auf dem Zeltplatz in Meckpomm. Genau. Jedes Jahr. Und froh, wenn wir überhaupt einen Ferienplatz über die FDGB bekommen haben. Vielen Dank!

Mein Vater hat sich später bei den Montagsdemonstrationen eine Lungenentzündung geholt.

Noch später dann habe ich mich für das kleine Land geschämt. Für die Menschen. Als nämlich jede inkontinente und kaum transportfähige Oma aus dem Pflegeheim geholt wurde und sich alles in die Züge nach Berlin und Hof und sonst wohin quetschte, um die hundert Mark Begrüßungsgeld abzugreifen. Und wie die sich benommen haben! Ich war dort, erzählt mir nichts. Scham und Schande…

Und dieselben Leute schreien heute, die Flüchtlinge sollen bleiben, wo sie sind! Noch mehr Scham… Aber das ist wieder ein ganz anderes Thema.

Ich bin frei, meine Kinder dürfen sein, werden und denken, was sie wollen. Ein Glück, mit dem jedes Kind hier aufwächst, für das ich persönlich aber sehr dankbar bin.

Und ich bin nach wie vor ungebrochen und per Geburtsrecht gleichgestellt und emanzipiert, man braucht nicht versuchen, mir etwas anderes einzureden! Das ist das kostbarste Erbe meiner DDR-Vergangenheit. 🙂

Diese Zeilen sind mein Beitrag zu Sonja´s  Blogparade: Erzählt von der DDR! (Finding Europe – Elternschaft anderswo).

#Familienalbum

Hach, Kinders, da hat die Nina von Frau Mutter ja was losgetreten. Nun sitze ich seit gestern zwischen alten Fotos und zwischen vier Jahrzehnten. Wollt ihr mal gucken?

b7…mit Strickkleid und Spangenschuhen.

b6… mit Familienangehörigen. Ich bin das ganz rechts im modischen Jumpsuit mit Fuchs (Ihr seht, es war echt alles schon mal da!). Wer die anderen beiden sind, darf ich euch aus Datenschutzgründen nicht verraten. Nur so viel: Das große Mädchen mit den Zöpfen war gar nicht so lieb und unschuldig, wie es auf dem Foto scheint. Ja! In der Tat soll sie Kleinere gekniffen haben (mehrmals).

b2… mit todschicker Handtasche und Oma Else.

b5… mit Buch und offensichtlich mitten im Zahnwechsel.

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Das mach ich jetzt lieber nicht so groß, das Foto.

… mit Bauchansatz und Dedoronblouson (das war ein absolut gängiges Wort im DDR-Mode-Jargon).

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… mit John-Lennon-Brille und meinem neuen Freund.

Ach ❤ das mag ich, das Bild! Auch wenn es gar nicht mehr zählt, weil das schon die Neunzigerjahre waren. Ich weiß noch, dass meine einzige Angst war, der Typ in dem anderen Boot könnte einfach so mit unserem Fotoapparat abhauen! Man siehts auch ein bisschen, ich sitze auf dem Sprung, bereit, mich kopfüber hechtend in das andere Boot zu werfen. Der neue Freund hat dann fünfzehn Kilo zugenommen und sich einen Vollbart und einen Sehfehler wachsen lassen (der das Tragen einer Brille erforderlich machte.). Ob das alles geschah, um nicht in Zusammenhang mit ollen Fotos gebracht zu werden, ist nicht bekannt. Ich habe ihn geheiratet. Aber nicht mit dieser Frisur (also meiner). Aber das waren dann sogar schon die Zweitausenderjahre.

Also: Album zu für heute!b1

25 Jahre Mauerfall – Mütter in Ost und West

Für die Brigitte MOM haben meine Bloggerkollegin Nina alias Frau Mutter aus Berlin und ich uns zum 9. November 2014 einen Brief geschrieben. Darin geht es um unsere ost- und westdeutschen Sozialisation und mit welchem Frauen- und Mütterbild wir aufgewachsen sind.

Hier geht es zu Ninas Brief an mich. Und das war meine Antwort:

Liebe Nina,

als Du mich neulich fragtest, ob ich heute, fünfundzwanzig Jahre nach dem Mauerfall, glaube, dass es noch immer große Unterschiede zwischen Ost und West gäbe, gerade in Bezug auf Gleichberechtigung und die Mutterrolle, dachte ich im ersten Moment, das könne doch gar nicht sein! Gerade, weil wir beide – nehmen wir mal uns als Beispiel – ja erst Mütter wurden lange nachdem Deutschland wiedervereinigt wurde. Und rein theoretisch unter den gleichen Bedingungen leben, arbeiten und erziehen. Oder doch nicht?

Du hast Dich gegen das vorgelebte Rollenbild Deiner Mutter entschieden. Ja, und auch ich hadere ebenso mit dem Vorbild meiner eigenen Mutter. Ist es nicht interessant, wie uns unsere unterschiedlichen Vorbilder geprägt haben?

Ich war nach der Geburt meiner Kinder zwei beziehungsweise drei Jahre zu Hause und bin in meinem direkten Umfeld diesbezüglich ein Exot. In der Tat belegen Studien immer wieder, dass deutlich mehr Frauen in Ostdeutschland relativ früh wieder arbeiten gehen. Und auch wesentlich mehr Mütter in Vollzeit beschäftigt sind. Das kann man mit der gut ausgebauten Betreuungslandschaft erklären oder der Notwendigkeit aufgrund des immer noch existierenden Gehälterunterschiedes zwischen Ost und West, aber möglicherweise ist da noch mehr. Eine vorgelebte Selbstverständlichkeit zum Beispiel.

Ich bin in der DDR geboren. Bereits seit den Fünfzigerjahren war die Gleichstellung von Mann und Frau gesetzlich verankert, galt es als Scheidungsgrund, wenn ein Ehemann die berufliche Weiterentwicklung seiner Frau nicht unterstützte. Laut Ideologie des Marxismus-Leninismus kann die Gleichstellung der Frau nur durch wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Mann, und die nur durch die vollständige Integration in den Arbeitsprozess erreicht werden. Lenin sagte, Hausarbeit sein die „Sklavenarbeit der Frauen“. Hausfrau war kein anerkannter Beruf. Ich hatte keine „Nadelarbeit“ in der Schule, ich hatte „Werken“. Ich lernte erst als erwachsene Frau einen Knopf anzunähen, konnte aber bereits im Grundschulalter verschiedene Werkzeuge bedienen. Und meine Schulbücher waren voll mit starken, kämpferischen Frauen: Clara Zetkin, Käthe Kollwitz und Rosa Luxemburg zum Beispiel. Oder Valentina Tereschkowa, die erste Frau im Weltall. All diese Frauen waren Vorbilder und hatten einen großen Einfluss auf das Bild, das ich von einer „vorbildlichen“ Frau hatte. Parallel zu den Frauen in meinem Leben. Diese hatten in dem System, in dem ich aufwuchs, die gleichen Rechte und Pflichten wie Männer. Mit dieser Selbstverständlichkeit wuchs ich auf. Ich sah darin nichts Exklusives. Ich war quasi per Geburtsrecht gleichberechtigt.

Und Frauen hatten ja nicht nur das Recht zu arbeiten, sondern auch die Pflicht, ihre Arbeitskraft in den Dienst des sozialistischen Volkes zu stellen. Dabei galt das Prinzip: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Ich arbeitete später in einem Betrieb auf „Akkord“, also leistungsbezogen. Und da war es regelmäßig an der Tagesordnung, dass etliche Frauen am Monatsende mehr Geld in der Lohntüte hatten als mancher Mann. Wer sein „Soll“ übererfüllte (das betraf die produzierenden Bereiche), der wurde entsprechend reichhaltiger entlohnt.

Meine Mutter bekam mich im Alter von neunzehn Jahren und musste sechs Wochen nach meiner Geburt wieder arbeiten. Die Kinder kamen in der Regel zu dem Zeitpunkt in Kinderkrippen und wurden dort entweder von morgens bis abends oder auch von montags bis freitags betreut. Ich habe viel Zeit mit meinen beiden Großmüttern verbracht. Wenn ich die Attribute „fürsorglich“ oder „mütterlich“ zuordnen müsste, bekämen meine Omas diese. Ich habe kaum Erinnerungen an Dinge, die meine Eltern mit mir in der Woche gemacht haben. Hausaufgaben habe ich später allein erledigt oder im Schulhort, dann war ich im Hof spielen oder bin in den Sportverein gefahren. Wir sahen uns zum Abendessen. Meine Mutter ging sehr gern auf Arbeit. Aber selbst wenn es anders gewesen wäre, hätte sie nicht wirklich eine Wahl gehabt, das darf man nicht vergessen. Die Tage, an denen ich mittags nach Hause kam und sie war schon da und hatte etwas für mich gekocht, gehören zu den besonderen und kostbaren Momenten in meiner Erinnerung.

Als die Mauer fiel und Deutschland wiedervereinigt wurde, habe ich nicht eine Sekunde meine Rolle, meinen Platz in der Gesellschaft, überdacht. Niemals wäre mir der Gedanke gekommen, irgendwer könnte annehmen, ich sei untergeordnet oder benachteiligt aufgrund meines Geschlechts. Ich kann mich auch an keinen Kulturschock bezüglich des tradierten Frauenbildes in Westdeutschland erinnern. Es war vielmehr so, dass ich manchmal dachte, wie gut diese Frauen es doch hätten! So ein schönes Heim, ein Auto, Nutella auf dem Tisch. Und dafür müssten sie noch nicht mal arbeiten! Und auch: Was machen die den ganzen Tag? Dass es bis in die Siebzigerjahre einer westdeutschen Ehefrau untersagt war, ohne die Zustimmung ihres Mannes ein Konto zu eröffnen oder einem Beruf nachzugehen, das habe ich erst sehr viel später erfahren. Diese Abhängigkeit von einem Mann ist unvorstellbar für mich! Apropos Mann: Auch mein Mann ist mit einer Vollzeit arbeitenden Mutter aufgewachsen und musste schon früh im Haushalt mit anpacken: Kochen und Backen lernen, Schuhe putzen, sauber machen. Und zwar selbstverständlich. Manches davon kann er heute noch besser als ich.

Oftmals höre ich von Müttern aus Westdeutschland mit ein wenig Neid in der Stimme, dass wir privilegiert seien aufgrund des geschichtlich gewachsenen und tatsächlich existierenden breit ausgebauten Betreuungsnetzes. Und ja, ich kann mir wirklich nicht vorstellen, welchen Zweck Einrichtungen haben sollen, die über die Mittagszeit schließen oder Öffnungszeiten bis 14:00 Uhr. Auch wird bei uns generell in den Grundschulen ein Früh-und Nachmittagshort angeboten. Ebenso eine Ferienbetreuung.

Und doch sehe ich auch das ein wenig kritisch. Ich habe das System „Vollzeit arbeitende Mutter“ oft hinterfragt. Und erstaunlicherweise ist auch meine Mutter mir in ihrer Rolle kein Vorbild. Ich möchte mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen als sie mit mir. Ich möchte wichtiger sein als Bezugsperson! Zumal meine Kinder keine emsig sorgenden Großmütter haben, wie ich sie hatte. Mein großer Sohn besucht mittlerweile die achte Klasse und seit er drei Jahre alt ist, gehe ich voll arbeiten. Die Jahre der Kita- und Grundschulzeit waren von permanentem Zeitdruck und schlechtem Gewissen meinerseits geprägt.

Meine Mutter hat das System der Fremdbetreuung nie angezweifelt und käme nie auf die Idee, darin etwas Schlechtes zu sehen. Und ich? Ich kenne es aus eigenem Erleben als Kind und als Mutter und blicke kritisch darauf. Ist das nicht seltsam?

Ich halte die Möglichkeit der Entscheidungsfreiheit für die größte Errungenschaft. Aber das Beste wäre, wenn jede Frau in diesem Land unter den gleichen Bedingungen ihre Wahl treffen könnte. Und ohne dafür verurteilt zu werden. Das sollte das Ziel sein. Und dass Mädchen zu Frauen heranwachsen können, ohne über Entscheidungsfreiheit und Gleichberechtigung nachdenken zu müssen.

In diesem Sinne stoße ich mit Dir an auf das 25jährige Jubiläum!

Deine Henrike

Basteltherapie für Regensonntage

Basteltherapie für Regensonntage

Es regnet Bindfäden. Und wird einfach nicht hell! Dieser Sonntag verdient seinen Namen nicht.

Mir ist heute eine alte Zeitung aus den frühen Achtzigern in die Hände  gefallen. „Guter Rat“, die Haushaltstipps- und Bastelzeitung der DDR. Ich bin keine Bastelmutti, aber quick ´n dirty bekomme selbst ich hin!

Ein Puppenhaus aus einem Schuhkarton zu basteln, ist eine Supersache an so einem Regentag. Selbst die Kleinsten können Stofffitzelchen mit Klebestift als Gardinen an die Fenster pappen. Und das Haus bemalen. Dann haben die Kastanienfiguren, die bei euch vielleicht schon auf der Fensterbank liegen, ein schönes neues Zuhause. Es könnte auch eine Fillypferd-Ranch werden oder eine Autowerkstatt. Ein Raumschiff…

Dann noch einen warmen Tee oder eine heiße Schokolade und ein paar Butterplätzchen. Ach, der Regentag ist ruckzuck rum! Und morgen scheint wieder die Sonne.

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“Ich lache auch wenn´s regnet. Denn wenn ich nicht lache, regnet es ja trotzdem!” Heinz Ehrhardt

Strandgut des Lebens

Strandgut des Lebens

Meine Großeltern waren ihrer Zeit voraus. Heute würde man sagen, sie seien Upcycler und Zweitverwerter gewesen. Nichts durfte umkommen, nichts wurde achtlos weggeworfen. Aufgrund der harten, entbehrungsreichen Nachkriegsjahre oder einfach einer anderen, altmodischen Sicht auf den Wert der Dinge… ich weiß es nicht. Aus den alten, gestreiften Nachthemden vom Uropa („Gute Baumwolle!“) wurden Sommerkleider für die Enkelmädchen genäht. Strickpullover wurden mühsam aufgedrießelt, die Wolle nach Farben sortiert und zusammen mit getrockneten Orangenschalen (gegen die Motten) in Kisten, Säcken und Tüten verstaut. Um dann irgendwann in Form von Kinderpullovern, Socken, Häkeldecken, Kissenbezügen, Teppichen zu neuem Leben zu erwachen. Das Wegwerfen von Plastikbehältnissen fiel meiner Oma nicht ein. Was für eine Verschwendung! In den Milchbeuteln der DDR wurde nach dem Auswaschen alles mögliche verpackt und Quarkbehälter konnten auch nicht weggeworfen werden. Die waren super Anzuchttöpfe und überhaupt: da kann man doch was reintun!

Mein Opa fuhr nachmittags mit seinem Fahrrad gern durch die Gegend. Der Chariot war noch nicht erfunden, also hat er sich einen Handwagen namens „Rollfix“ (so hieß der wirklich) an sein Fahrrad gebunden und ging damit auf Beutezug. Bei den Mülltonnen.

(Randnotiz: Liebe Kinder, die Mülltrennung ist jünger als die Tante Rike und früher schmissen die Leute einfach alles in eine große Tonne mit Schwingdeckel. Echt wahr, diese Umweltsäue! Aber es gab ja meinen Opa… )

Dort zwischen Kartoffelschalen und Kaffeesatz fand mein Opa Schätze. Etwa kaputte Toaster oder Fahrradreifen. Das barg er alles, unter vollstem Körpereinsatz. Und schaffte das in seinen Garten. Aus den Teilen wurden neue Sachen gebastelt oder sie wurden zu späteren, nicht näher benannten Zwecken zwischen- bzw. endgelagert. Meine Mutter schämte sich sehr, wenn die Nachbarn sagten: „Dein Schwiegervater ist heute wieder in den Mülltonnen rumgekrochen!“. Ich glaube aber, er wurde nur missverstanden, der Opa.

Warum ich euch das alles erzähle? Nun, ich versuche, eine positive Grundstimmung zu verbreiten. Denn es ist Zeit für eine Offenbarung: Das ist erblich! Ja, ich bin betroffen. Ich kann nichts dafür.

Steine, Muscheln, Sand werden ja von vielen nach Hause getragen. Von den Stränden dieser Welt. So fing das bei mir auch an. Seit ich den ersten Hühnergott im Kieshaufen bei Hornbach fand, ist allerdings keine Kiesumrandung irgendeines Hauses vor meinem Adlerauge und suchendem Blick sicher. Im Rindenmulch fand ich schon allerschönste Holzstücke mit Astlöchern, die man auffädeln kann. Oder so hinlegen, als Deko zwischen Blumentöpfe. Oder als Geschenkanhänger verwenden, mit Silberstift beschriftet. Ich brauche das alles! Gehe ich in den Wald, komme ich stets mit schmutzigen Fingern und vollen Jackentaschen wieder raus.

War das Scherbensammeln im Garten zunächst nützlich aufgrund der Verletzungsgefahr, sammle ich mittlerweile die blau-weißen Scherben in ein separates Eimerchen, was keiner anfassen darf! Was ich damit will? Vielleicht ein Mosaik machen. Oder das Bad fliesen, genug zusammen hab ich mittlerweile. Sammelte ich zunächste nur unser Grundstück ab, so dehne ich mittlerweile meine Scherbensuchaktion auf die komplette Gartensiedlung aus (zur Erinnerung, der Garten liegt auf einer alten Müllhalde). Vollkommen selbstlos! Und es gibt Tage, an denen weiß ich, was ich denke, wenn ich höre, was ich sage. Zum Beispiel zu meiner Nachbarin: „Du Moni, wenn Du beim Buddeln blau-weiße Scherben findest, schmeiß mir die über den Zaun!“. Hä?! Ernsthaft? Doch, leider, das ist wahr. Und nein, Moni schmeißt mir keine Scherben über den Zaun. Bis jetzt.

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Fundstück und Fundstückchen

Alles, was weiß und keramisch oder aus Porzellan ist, muss ich sowieso mitnehmen. Alte Relais, Flaschendeckel, Zuckerdosen, Eierbecher. Brauch ich alles. Passt zu jeder Deko irgendwie dazu. Und wenn ich behutsam den Dreck von den Dingen wasche, denke ich darüber nach, durch wieviele Hände das „Ding“ wohl gegangen ist und wie lange es jetzt wohl schon auf mich gewartet hat.

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keramische Dingsbumse

Antiquitätenläden, Flohmärkte und sagar Versandhändler, die sich auf „alte“ Sachen spezialisiert haben, boomen. „Aus alt mach neu“ war schon in den Siebzigern der DDR eine Parole, wenn auch damals aus Verknappungsgründen. Ich mag alte Möbel, alte Stoffe, altes Geschirr. Ich bin auch nicht mehr neu, vielleicht ist es das. Ich gehe an keinem Trödelladen vorbei und selten verlasse ich den mit leeren Händen. Und doch, das ist was anderes. Dort hat jemand vorsortiert und die Dinge bewertet, ihren Verkaufspreis ermittelt und drangeklatscht: „Zu verkaufen!“.

Herzklopfen erfüllt mich, wenn die Dinge mich finden. Ein altes Schaukelpferd, neben den Wertstoffhof gestellt. Ein Weinballon, der Deckel einer Bonbonniere auf dem Glascontainer. Ein trauriger Stuhl (mal wieder), irgendwo am Wegesrand. Ich kann da nicht vorbeifahren! Mit wenigen Handgriffen und etwas Liebe (und manchmal Holzleim) bekommt dieses Strandgut des Lebens bei mir eine zweite Chance.

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Das wird nicht von allen gern gesehen. Besonders nicht von meiner Familie. Wenn das Auto mit mir am Steuer automatisch vor einem Glascontainer abbremst, kommt sofort Geschrei: „Wehe! Untersteh dich!“ (der Beste), „Muddor! Na-heiiin!“ (das Kind Nummer eins), „Hedate! Hedate!“ (der Kleinste macht auch schon mit).

Aber bevor ihr mir das Messie-Team von RTL2 auf den Leib hetzt, gebe ich Entwarnung: Quarkbecher kann ich gut wegschmeißen und auch ansonsten fallen mir Trennungen nicht schwer, wie der Beste neulich feststellen durfte:

„Was ist das schon wieder?! Das schmeiß ich weg, das steht nur rum!“, „Ich schmeiß dich gleich weg, mein Lieber! Du stehst auch bloß rum!“

Das Wannenbad

Neulich kursierte in den sozialen Netzwerken ein Foto, welches zwei junge russische Männer zeigt, die ihr Wohnzimmer mit Plastikfolie ausgekleidet und mit Wasser gefüllt hatten, um genüsslich ein Bad zu nehmen. Der Vorgang des Wassereinfüllens und auch der Rückbau des Badebeckens wurden nicht dokumentiert, aber ich habe da so meine Vorstellung. Denn sie sind bei weitem nicht die ersten mit dieser Idee…

Wir schreiben die letzten Jahre der DDR und ich lebe in der sowietischen Besatzungszone. Nein Kinder, das ist nicht weit weg. Das ist genau hier! Und zwar sogar in Dresden. Ich hatte ein kleine Wohnung im Russenviertel dieser Stadt. Das Viertel hieß aus praktischen Gründen so, nicht, weil da nur Russen wohnten. Es wohnten auch Armenier, Kirgisen, Letten und vermutlich auch Menschen aus Aserbaidschan dort. Richtigerweise hätte das Viertel „Wohnareal für hochrangige Mitglieder der rotarmistischen Befreiungsarmee“ heißen müssen, aber das wäre als Name viel zu lang gewesen.

Rund um das Waldschlösschenareal in Dresden waren Kasernen, in denen die Soldaten in Doppelstockbetten und mit strengen Schließzeiten hausten. Die Offiziere durften ab einem gewissen Grad (ab achthundert Gramm Orden und Bronzeketten auf der Uniform) ihre Gattinnen nachholen und wohnten dann in Häusern rund um die Kasernen. Ein paar Dresdner wohnten auch dort. Zu erkennen waren die deutschen Wohnungen daran, dass an den Fenstern möglicherweise ein Blumenkasten hing mit Begonien und/oder eine Gardine. An allen anderen Fenstern gab es die gängige, wärmeisolierende Vollfensterverkleidung mit Zeitungspapier. Dort wohnten die Mitglieder der Roten Armee.

Die blieben eigentlich immer unter sich. Ich bin mir nicht sicher, aber wahrscheinlich war den Besatzern der Umgang mit den Besetzten, Besatzerten, von Besatzern Besetzten…mit uns untersagt. Trotzdem war es hilfreich, wenn man als junges Ding im Dunkeln durch das Viertel ging, schnell rennen zu können oder zumindest fluchen wie ein russischer Droschkenkutscher. Sonst konnte es durchaus passieren, dass einem die Deutsch-Sowietische Freundschaft und der Bruderkuss näher gehen konnten, als einem lieb war.

Ich wohnte in einer kleinen, arschkalten Wohnung. Ohne Bad, mit Außenklo auf der Treppe (Die Miete kostete 23,-Mark, falls das irgendwen interessiert. Für die Geschichte hat das allerdings keinerlei Relevanz.). Die bauliche Substanz war desolat, wie im Altbau der DDR üblich. Die Mieter renovierten und reparierten selber und wer das nicht konnte, arrangierte sich mit dem Zustand.

In meinem Schlafzimmer waren die Wände feucht. Irgendwo gab es ein Leck. Dach kaputt, Dachrinne. Ich wusste es nicht. Regelmäßig floss mir das Wasser in Rinnsälen die Wände herab. Ich wischte, stellte Eimerchen auf. Ich bat sogar mal einen Freund auf´s Dach zu steigen, was er auch tat. Aber außer seinem Wagemut hatte er nichts weiter einzubringen, sodass dies auch nicht zielführend war.

Eines Tages floss das Wasser wieder fröhlich meine Wände herab, als mir auffiel, dass von draußen der schönste Sonnenschein durch meine staubigen Fenster schien. Nun bin ich nicht von der hellsten Sorte, aber irgendwie wankte die kaputte-Dachrinne-Theorie in diesem Moment sogar bei mir.

Über mir wohnte ein Rotarmist mit Gattin. Ich läutete. Er öffnete. Ich erklärte mein Problem. Er erklärte seinen Unwillen, deutsch mit mir zu sprechen. Ich wiederholte mein Klärungsbedürfnis auf russisch, was ihn wohl an seine ihn verpflichtende russische Gastfreundschaft erinnerte und er bat mich hinein.

„Schöner Wohnen“ war bei den Leuten kein Thema. Die Dame ging nie ohne roten Nagellack, Goldschmuck, Goldzähnen, onduliertem Haar und Pelz aus dem Haus. Aber wohnte in einer gänzlich leeren Wohnung mit zwei Hockern und einem Tisch. Irgendwo wird es wohl auch ein Bett gegeben haben, aber ich weiß wirklich nicht wo. Denn der Raum, der über meinem Schalfzimmer lag (ihr erinnert euch: die Nasszelle wider Willen), wäre zwar dafür prädestiniert gewesen, aber war ebenso leer. Bis auf eine Zinkwanne.

In dem Raum stand nichts außer einer alten Zinkwanne. Der Offizier erklärte mir stolz, er habe das Badezimmer selbst eingebaut! Und demonstrierte mir die Funktionalität auch sehr gern. Die Wanne wurde per Eimer mit heißem Wasser aus der Küche befüllt und die Gattin konnte sich zum Bade niederlassen. War dieser Vorgang beendet und das Wasser kalt, entstieg die Gattin und der kräftige Rotarmist kippte die Wanne einfach aus. Ins Zimmer. Er hatte in einer Ecke des Raumes irgendein Stück Rohr durch die Wand gebastelt und mit der Dachrinne verbunden (glaubte er), sodass sich eine Art Abfluss ergab. Toll, nicht?

Ich bin mir nicht ganz sicher, wie die Geschichte weiterging.

Entweder haben wir zusammen „sto gramm“ getrunken, Irina und ich haben Pelmeni- und Quarkkeulchenrezepte getauscht und ich wurde ab jetzt immer zum Baden eingeladen, während Sergej auf der Balalaika für uns spielte und traurige russische Lieder sang. Oder sie haben mich einfach zur Tür rausgeschoben und alles blieb so wie es war. Bis ich irgendwann auszog.

Ersteres würde mir besser gefallen.

 

Ein Kaffee für Frau Nieselpriem

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Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus… und zurück

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus… und zurück

Frühjahr in Sachsen. Zeit der Jugendweihen, seit Jahrzehnten und immer noch. Nächstes Jahr ist das Großkind dran. Unglaublich! Letzte Woche eingeschult und nun schon bald erwachsen. Das Leben mit Kindern verläuft in beängstigender Weise im Zeitraffer, oder?

Seit Monaten beschäftigen mich bereits die tragenden Themen rund um den denkwürdigen Tag (Was ziehe ich an? Wo feiern wir? Mit der Klasse zusammen oder alleine? Was ziehe ich an? Wen laden wir ein? Was schenken wir? Was ziehe ich an? Die Dingsbums hat ihren Zwillingen letztes Jahr eine Rundreise durch Florida geschenkt, oh Gott! Ich muss nachziehen! Hubschrauberrundflug?! Was ziehe ich an? Und um das Lokal muss ich mich auch langsam kümmern, sonst wird’s nur der Späti an der Ecke… Was ziehe ich an?).

Heute habe ich einen Artikel gelesen auf SPON, der leider vollkommen zu Unrecht verrissen wurde, und der mich zum Schmunzeln brachte und meine Erinnerung angefeuert hat. Alte Leute reden ja immer gern von früher…

Um die Jugendweihe wurde ein großes Brimborium gemacht in den Achtzigern.

Am Tag nach der Jugendweihe mussten dich alle mit „Sie“ ansprechen und „Fräulein“. Hat sich niemand dran gehalten. Mein Kind Nummer eins wurde in die Grundschule eingeschult, in der ich zehn Jahre beschult wurde (damals war es eine „polytechnische Oberschule“ und ging von Klassenstufe 1-10). Irgendwie schien die Zeit still gestanden zu sein, denn meine Deutschlehrerin von einst wurde des Kindes Klassenlehrerin und duzte mich selbstverständlich nach wie vor! Wenn ich beim Elternabend in dem schmalen Stühlchen saß, hatte ich immer das Gefühl, ich müsste mich besonders anstrengen und gleich würde sie sagen: „Also Henrike, von dir habe ich eigentlich mehr erwartet! Ach, und von deinem Sohn im Übrigen auch!“.

Zurück nach neunzehnpaarundachtzig. Die Klamottenfrage war dramatisch. Viel Spielraum gab es ja nicht und die Sorge, dass ich am GROßEN Tag in den gleichen Sachen wie Ines, Grit und Kerstin dastehe, war durchaus berechtigt. Wenn es in der Jugendmode eine Lieferung Blusen gab (ein Modell, drei Größen, zehn Stück…oder so ähnlich), wurde im volkseigenen Betrieb der Lötkolben weggeschmissen und etwa vierundachtzig ehrbare weibliche Mitglieder des Arbeiter-und Bauern-Staates stellten sich artig in einer Reihe vor dem Geschäft auf und hofften wider besseren Wissens, dass die zehn gelieferten Blusen für alle Jugendweihe-Töchter der anstehenden vierundachtzig Mütter reichen würden.

In meiner Verzweiflung band meine Mutter mir ein weinrotes Samtband um den beblusten Hals (als kleine persönliche Note und damit man wusste, wo mein Hals war. Oder damit sie mich wiederfand, ich weiß es nicht). Sie schnitt mir ordentlich die Haare und selbst da hatte ich Glück: anstatt des sonst üblichen Mireille Mathieu-Topfschnittes bekam ich etwas, was einem Herrenhaarschnitt nicht unähnlich war (Exkurs: Meine Mutter schnitt der kompletten Familie die Haare und sie gab sich sehr viel Mühe. Gut, meist hatten mein Vater, meine Schwester und ich dasselbe „Modell“, aber hey, es wächst ja wieder!). Gewandet wurde ich in einen blauen Polyesterrock mit Rüschen und weißen Pünktchen, knielang. Weiße Strumpfhosen, weiße Bluse mit Puffärmeln und dem genannten roten Samtband. Und leuchtend rote Schuhe. Die waren der Kracher. Wie Kinderschuhe so rundgelutscht vorn und mit Riemchen um den Knöchel. Also, stellt euch hellrote Lauflernschuhe für Mädchen vor, aber in Größe 37! Ich sah nicht nur fetzig aus, sondern urst schnieke (Ich kann mir vor lauter Lachtränen kaum in Ruhe das Foto ansehen). Die Sorge um Nachahmung war im Nachhinein unbegründet: Niemand außer mir trug diese modische Kombination!

Das Initiations-Ritual und die unendlich lange Feierstunde fanden mit allen Jugendweihe-Anwärtern meines Jahrganges im großen Saal des Kulturpalastes statt. Es wurde viel über Verantwortung geredet, jeder bekam ein klassenkampfkonformes Buch, das niemand las, den ich kenne. Und dann endlich feiern und Geschenke!

Hach, das war schön! Wir waren mit Omas, Opas, Tanten und so weiter richtig schick essen… in einer Gartenspartenkneipe.  Wir waren die einzigen Gäste dort. Ich muss mal bei Gelegenheit fragen, ob meine Mutter von dem Ereignis überrascht wurde (Uups! Die Rike hat morgen Jugendweihe!) oder ob die Gartenspelunke der ganz heiße Tipp war… Ich weiß nicht mehr, was es zu essen gab, vermutlich Schnitzel mit Mischgemüse. Bestimmt hat es sehr lecker geschmeckt, ich will hier auch nicht undankbar erscheinen (Aber für alle Fälle geh ich jetzt schon mal in die Spur für die Jugendweihe meines Sohnes im nächsten Jahr und 2020 wird das Kind Nummer zwei eingeschult, ich sollte schon mit dem Listenschreiben beginnen…).

Die angesagten Geschenke damals waren: Kasettenrekorder, Moped, Geld. Ich bekam eine Quarzuhr von einem Onkel, der war sofort mein Lieblingsonkel. Einen gebrauchten „Stern“-Rekorder, mit dem ich ab sofort unter der Bettdecke DT64 hören konnte. (Wir haben im Tal der Ahnungslosen keinerlei Westsender empfangen können, die Auswahl des Campingplatzes für den Sommerurlaub wurde danach getroffen, ob man dort Westfernsehen gucken konnte und ich kann mich erinnern, dass ich meinen Vater mal aus dem Wohnwagen habe rufen hören: „Kommt schnell rein! Die Werbung fängt an!“. Das war das Größte: Kinderriegel im Fernsehen. Ich schweife schon wieder ab…).

Außerdem bekam ich Sachen für die Aussteuer geschenkt, im Ernst. Handtücher, Bettzeug, Nachtwäsche. Nichts davon besitze ich noch. Wahrscheinlich glaubten meine Verwandten, bei meiner Schönheit bin ich mit achtzehn unter der Haube und brauche dringend Handtücher! Aus gutem Frottee! Vom VEB Frottierwaren Elsterwerda.

Abends wurde beim Kunne gefeiert. Der Kunne war mein On/Off- Freund, wie man heute sagen würde und wir haben wild geknutscht seit der siebten Klasse. Das machten alle, in Ermangelung einer anderen Freizeitbeschäftigung. Kein Computer, kein DS, nicht mal´n Gameboy oder Fernsehprogramm! Aber Sportvereine an jeder Ecke. Für die Unsportlichen blieb nur das Fummeln.

Jedenfalls saßen ein paar Jugendliche beim Kunne und haben auf seinem neuen Kassettenrekorder Musik gehört und es gab Bowle mit Mischobst und ganz wenig Sekt. Mir hat es nicht geschmeckt.

Abends sollte mein Vater mich dort abholen um die ordnungsgemäße Heimkehr der Jungfer zu gewährleisten, die womöglich volltrunken ihren Eintritt in die Welt der Erwachsenen feiert. Er hat sich dann von Kunnes Eltern irgendwie in die Küche locken lassen, wo er genötigt wurde, mit ihnen beim Alkohol den Abschied von der Kindheit der Kinder zu betrauern.

Wir sind dann Arm in Arm nach Hause gegangen, das erwachsenen Fräulein (Schon an diesem Abend ein große Stütze der Gesellschaft!) und ihr Vater. In der Mitte der Straße sind wir gelaufen, damit wir nicht an die Laternen anstoßen.

So war das damals im letzten Jahrhundert. Und nächstes Jahr stehe ich schon auf der Seite der augenfeuchten Oldies.

Da fällt mir ein: Was ziehe ich an?

Culinaria saxoniae

Wer als Nicht-Ossi in Sachsen in einem Wirtshaus „Beefsteak mit Letscho für €8,50“ liest , fragt sich unter Umständen, was zum Teufel Letscho sei, freut sich aber, ein Rindersteak für unter zehn Euro zu bekommen. Nun gut, nur so lange, bis das Essen auf´m Tisch steht. Denn er bekommt etwas, was anderswo als Frikadelle, Fleischpflanzerl oder Bulette bekannt ist. Beefsteak reimt sich im Sächsischen auf „Besteck“, denn es wird „Bäffsteck“ gesprochen. Selbst kosmopolitische Sachsen essen in der Heimat gern ein „Bäffi“ und kämen nie auf die Idee, das durchgemöllerte und totgebratene Fleischklöpschen anders zu nennen!

Letscho. Was ganz gruseliges. Googelt gar nicht erst, ich meine nicht die selbergekochte Paprikabeilage, die es heutzutage in Kochforen im Angebot gibt. Nein, ich rede von einem gekochten Paprikagemüse in einer süßlichen Ketschupsauce, was es fertig im Glas gab und gibt und als Universalbeilage in DDR-Wintermonaten gerne auf dem Teller landete. Und offensichtlich immer noch Anhänger hat.

Noch heute jieperts mich manchmal nach“ Maccharoni mit Letscho und Reibekäse“, einem meiner Lieblingsgerichte als Kind. Und dann noch zwei Spritzer Maggi Flüssigwürze drüber, ich trau es mir gar nicht zu sagen…

Da kann man mich nachts um drei wecken und zwingen, in der dunklen Küche Penne arrabiata zu kochen und ich bekomme das linkshändisch hin (Vaffanculo!), und trotzdem schütte ich mir einmal im Jahr sowas widerliches auf den Teller wie Maccharoni mit Letscho und Maggi! Das muss genetisch bedingt sein. Mein kulinarischer Ossifingerabdruck quasi.

Beim Bäcker erwartet den Nichtsachsen eine weiter Überraschung: Pfannkuchen. Das, was ihr unter Pfannkuchen kennt, nennen wir Plinsen. Unsere Pfannkuchen kennt ihr unter dem Begriff Berliner. Berliner kennen wir auch, aber das ist in der Regel für uns nichts zum Vernaschen…

Schwierig, oder?

Eine gute Nachricht habe ich: bei Mc Donalds bekommt ihr das zu essen, was ihr erwartet. Auch in Sachsen. Wo Big Mac mit Pommes draufsteht, ist auch ä Bürgor und Bommes drin. Versprochen!

Das familienunfreundliche Land

Einen Job hat ja heute kaum noch einer, alle haben Karriere! Und in diesem Land ist es ganz duster mit Karriere, wenn du Mutter oder Vater bist! Zappenduster! Alles ganz, ganz übel…konnte man in einschlägigen Artikeln in der letzten Zeit lesen. Im Intro stets der Ruf nach mehr Ganztagesschulen und Kitas mit angepasster Betreuungszeit, das ist nicht neu.

Aber dann: „Wir sind die erste Generation, die Emanzipation live lebt!“, war da zu lesen. „Daher kommen die Probleme, die wir jetzt haben!“ (Ach, daher kommen die Probleme. Bloß gut, dass das mal einer erkannt hat…).  „Die Arbeitswelt ist nicht mehr zeitgemäß! Büros und Bürozeiten gehören abgeschafft! In der heutigen Zeit muss es doch möglich sein, in Teilzeit bei flexibler Arbeitszeitgestaltung einen Konzern zu leiten!“ (Na klar, mit 20 Stunden pro Woche aus dem Home Office einen Konzern leiten, das ist wirklich ein realistischer Vorschlag und nicht zu viel verlangt. Und die Kommunen, Frau Merkel, die EU und der liebe Gott sollen jetzt gefälligst endlich mal… ja, äh was? Ach ja, Teilzeit bei doppeltem Lohn und gratis Ganztagesbetreuung des Nachwuchses ermöglichen. Das ist doch wirklich nicht zu viel verlangt! Ich habe schließlich ein Recht auf Karriere!).

Ein Autor meinte unerwartet reflektiert, er glaube, die Kritiker kämen allesamt aus der gutsituierten, bildungsnahen Mittelschicht. Warum, wusste er auch nicht.

[Ich vermute, Ines, Kassiererin im Drogeriemarkt mit Zweitjob als Putzfrau und Udo (Straßenbauer) sind abends einfach mal platt von ihren Jobs und ihrem Kampf ums kleine Glück. Vereinbarkeit von Familie und Karriere ist nicht ihr Thema! Die machen einfach, schließlich wollen sie in zehn Jahren die Anzahlung für ein kleines Häuschen zusammenhaben und Ines würde so gerne mal wieder eine Woche nach Mallorca. Wie in den Flitterwochen. Damals…]

Für alle anderen habe ich da mal ein Konzept erarbeitet.

Okay, das ist gar nicht von mir…aber wenn hier alles so unmöglich ist, warum nicht mal was „Altbewährtes“ probieren?

In der DDR wurde über Emanzipation gar nicht geredet, dort war klar: Alle gleich. Gleiche Arbeit, gleiche Bezahlung, gleiche Rechte, gleiche Pflichten. Und gleiche Klamotten. Okay, Chancengleichheit gab es nicht, aber aus anderen Gründen. Da müsste das Konzept noch mal modifiziert werden.

Kinderbetreuung: Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, wo (normalerweise) der komplette Republiknachwuchs fremderzogen wurde in Ganztageseinrichtungen. Und zwar von morgens um sechs bis nachmittags um fünf. Und das bereits im zarten Alter von sechs Wochen bis zum Eintritt in die Pubertät. Mensch, die Eltern hatten vielleicht Zeit, Karriere zu machen! Und wem das noch nicht reichte, es gab auch Wochenkrippen: da gab man die Kinder (ab sechs Wochen alt) am Montag ab und holte sie am Freitag wieder.

In den Ferien fuhren alle Kinder in Ferienlager und wenn sie alt genug waren, in „Lager für Arbeit und Erholung“. Da konnten sie gleich mal mit auf der Kolchose arbeiten und sich nützlich machen für den Arbeiter-und Bauern-Staat. Und ihre Eltern hatten viel Zeit für Karriere!

Und ob, wie lange und zu welchen Zeiten ein Kind gestillt werden sollte und wann es welchen Brei gibt, das wurde auch alles schön vorgegeben. Vielleicht wäre das ja auch was für euch? Diese ganze Entscheidungsfreiheit scheint ja nicht gut zu bekommen. Immer diese hitzigen Diskussionen in den Foren und Blogs!

Und diese ganzen Vergleiche (meins kann das, und meins kann jenes schon) untereinander werden auch wieder abgeschafft. Die Kinderlein werden alle in der Kinderfabrik (äh Krippe) von Tante Ingeborg erzogen, alle mit acht Monaten zu bestimmten Zeiten auf den Topf gesetzt bis was drin ist, dann sind alle mit zwölf Monaten trocken! So macht man das!

Gut, den Business case habe ich nicht durchgerechnet auf die Schnelle. Aber wenn wir das so machen wie die Ossis kommen wir vierzig Jahre klar mit dem System. Heißt: alle eine Sorte Hose, zwei Modelle an Oberbekleidung. Antrag stellen und zehn Jahre warten auf Luxusgüter wie eigene Wohnung, Schrankwand, Urlaubsreisen in die Slowakei usw.

Brauchst du aber dann sowieso nicht! Bist ja eh nie zu Hause. Die Kinder werden fremdversorgt und du bist im Betrieb und kannst ENDLICH in Ruhe Karriere machen.

Rot Front! Sport frei Genossen!

Ich stell schon mal vorsorglich einen Ausreiseantrag…

Das Gegenteil von GUT ist GUT GEMEINT

Ich muss nie das Haus hüten, wenn meine Freunde oder Verwandten in die Ferien fahren. Auch vertraut man mir weder Haustiere noch Grünpflanzen an. Nicht, dass ich nicht hilfsbereit wäre! Ganz im Gegenteil, ich biete ständig ungefragt meine kompetente Hilfe an. Aber meine Freunde wissen, dass das im Normalfall eher keine gute Idee wäre!

Ich bin mir heute noch nicht ganz sicher, ob ich einfach mehr Pech als andere habe oder besonders trottelig bin. Oder ob beides zutrifft.

Mein „Gesellenstück“ diesbezüglich habe ich im Alter von achtzehn Jahren abgeliefert:

Ich hatte einen Freund, nennen wir ihn mal…Frank. Dieser Frank bewohnte eine schnuckelige Neubauwohnung, in der es sogar im Winter warm war. Ganz im Gegenteil zu meiner weniger schnuckeligen Altbauwohnung mit Ofen, in der war es sogar im Sommer kalt. Unnötig zu erwähnen, dass ich mich lieber bei Frank aufhielt. Diese Wohnung war für die Achtziger Jahre ausgesucht exquisit und schweineteuer eingerichtet und ich fühlte mich sehr wohl dort.

So kam es, dass ich mich aus einem mir nicht bekannten Grund eines Tages tagsüber alleine dort aufhielt.

Meine hausfraulichen Fähigkeiten steckten noch in den Kinderschuhen, aber ich war stets bemüht! Ich beschloss also, den Abwasch zu spülen. Das ist doch pipi-einfach. Stöpsel rein, Spüli rein, Wasser marsch! Das bekam ich hin. Dann ereilte mich ein unaufschiebbarer Blasendrang.

Ab ins Badezimmer. Als ich schon mal dort war, fiel mir der überquellende Wäschekorb auf und ich dachte, Mensch, da kannste dem Frank mal ne Freude machen, wenn du dich darum kümmerst. Was ihr wissen müsst, damals war Wäschewaschen eine Tätigkeit, mit der du dich problemlos einen halben Tag beschäftigen konntest. Die im Singlehaushalt der DDR gängiger weise eingesetzte Waschmaschine hieß „WM66“ und war eine Blechtrommel, in die man mittels eines Schlauchs händisch Wasser einließ, Pulver und Klamotten dazu und dann auf „Waschen“ schalten. Das bedeutete, die Trommel drehte die Klamotten in der Seifenbrühe. Wenn man der Meinung war, es reiche und die Brühe die Farbe der Elbe angenommen hatte, auf „Pumpen“ umschalten, dann entließ die Blechtrommel das dreckige Wasser über einen Schlauch in die Badewanne. Dann wieder sauberes Wasser oben rein. Alles von vorn. Wenn das Wasser irgendwann klar blieb (wie die Tränen, die ich später würde weinen müssen), dann holte man die Sachen raus, wrang sie aus und legte sie portionsweise in einem ordentlich Kreis in die Schleuder. Das war eine andere Blechtrommel, die auch wieder die Wäsche nur im Kreis drehte, diesmal allerdings schneller. Hatte man die Sachen eingeschichtet, Deckel obendrauf und draufgesetzt auf die Schleuder. Auf „Schleudern“ schalten und dann wurde man ordentlich durchgeschüttelt! Also ich habe gehört, dass es Leute gegeben hat, die sich nicht draufsetzen mussten, aber wenn ich das nicht tat, sprang die Schleuder stets unkontrolliert im Badezimmer herum. Wenn man damit dann fertig war, brauchte man die Sachen nur noch aufzuhängen und fertig!

Was dieser langweilige Exkurs sollte? Ich wollte euch nur klarmachen, dass ich tatsächlich STUNDENLANG mit der Wäsche beschäftigt war.

Irgendwann war ich fertig. Als ich die Badezimmertür öffnete, glaubte ich einer Sinnestäuschung anheimgefallen zu sein: der Teppichboden (der in der ganzen Wohnung ausgelegt war) schlug Wellen! Als ich drauftrat, stellte ich am schmatzenden Geräusch und der Tatsache, dass ich bis zu den Knöcheln im Wasser stand fest, dass mit meinen Sinnen alles in Ordnung war. Wasser, wo kommt das Wasser her?! Geistesgegenwärtig (Entschuldigt, dass ich dieses Wort verwende!) pitschte und patschte ich in die Küche und drehe den Wasserhahn des Spülbeckens zu.

Dann besah ich mir das Chaos: Die ausklappbare Schaumstoffcouch, die des Nächten unserem Liebesspiel Platz bot, hatte ihr Bestmöglichstes getan und sich bis in die Lehne mit Wasser vollgesaugt. Ich hatte sie von hellblauer Farbe in Erinnerung, nun war sie dunkelschwarz und würde so bald niemanden mehr zum Liebesspiel einladen (mich auch nicht, aber das konnte ich in dem Moment noch nicht ahnen). Die Schrankwand, die Frank mindestens  zehn Monatslöhne gekostet hatte, löste sich schweren Herzens vom aufgebügelten Furnier und zeigte durch unten abstehende Pressspantüren, dass auch sie eindeutig genug hatte. In meiner Verzweiflung zerrte ich alles aus der Schrankwand, was irgendwie den Anschein erweckte, eine minimale Saugkraft zu haben: Bettzeug, Handtücher, Anzüge, Unterwäsche, Socken, die schweineteuren Wollpullover (die aber wirklich hässlich waren!), einfach alles. Ich verteilte Franks komplette textile Besitztümer in der Wasserlandschaft und rieb, rubbelte und ruinierte damit immer weiter… Irgendwann schwante mir, das wird nichts. Also schleppte ich die pitschnassen Klamotten ins Bad und stopfte die in die Wanne. Die war dann voll mit nassem Zeug und Frank hatte eine ruinierte UND leere Schrankwand.

Der Teppich war immer noch nass. Die Schrankwand immer noch desolat und die Couch immer noch für immer unbenutzbar. Und es gab keinen textilen Gegenstand mehr im Haus, mit dem ich hätte weiter aufwischen können!

In meiner Verzweiflung zerrte ich das Bügeleisen aus dem Küchenschrank. Ihr denkt jetzt bestimmt: die wird doch nicht wirklich?! Doch, hat sie.

Na klar weiß ich, dass Teppich zum Großteil aus Plastik besteht und die Reaktion auf Wärme ist selbst mir im Physikunterricht beigebracht worden. Aber ich war vor Verzweiflung offenbar intellektuell umnachtet!

Wenig später sah es dann so aus: Der Teppich war immer noch nass. Die Schrankwand immer noch desolat und die Couch immer noch für immer unbenutzbar. Aber der Teppich wies jetzt jede Menge Brandspuren in Form eines Bügeleisens auf.

Ich habe das einzig Logische getan: Flucht!

Halt! Vorher habe ich Frank noch Torte vom Bäcker geholt, ihm den Kaffeetisch gedeckt, ein Blümchen dazugestellt… und ich glaube, einen Entschuldigungsbrief. Schließlich weiß ich ja, was sich gehört!

Und wenn ihr jetzt denkt, das kann doch SO nicht wirklich passiert sein! Tja Freunde, ich wünschte, ihr hättet recht. Und Frank natürlich auch!

Abschließend ist zu sagen, dass Frank heute glücklich verheiratet ist (nicht mit mir) und dass es ihm gut geht. Erzählt man mir. Also nicht er, er wechselt aus irgendeinem Grund die Straßenseite, wenn er mich sieht…