Strandgut des Lebens

Strandgut des Lebens

Meine Großeltern waren ihrer Zeit voraus. Heute würde man sagen, sie seien Upcycler und Zweitverwerter gewesen. Nichts durfte umkommen, nichts wurde achtlos weggeworfen. Aufgrund der harten, entbehrungsreichen Nachkriegsjahre oder einfach einer anderen, altmodischen Sicht auf den Wert der Dinge… ich weiß es nicht. Aus den alten, gestreiften Nachthemden vom Uropa („Gute Baumwolle!“) wurden Sommerkleider für die Enkelmädchen genäht. Strickpullover wurden mühsam aufgedrießelt, die Wolle nach Farben sortiert und zusammen mit getrockneten Orangenschalen (gegen die Motten) in Kisten, Säcken und Tüten verstaut. Um dann irgendwann in Form von Kinderpullovern, Socken, Häkeldecken, Kissenbezügen, Teppichen zu neuem Leben zu erwachen. Das Wegwerfen von Plastikbehältnissen fiel meiner Oma nicht ein. Was für eine Verschwendung! In den Milchbeuteln der DDR wurde nach dem Auswaschen alles mögliche verpackt und Quarkbehälter konnten auch nicht weggeworfen werden. Die waren super Anzuchttöpfe und überhaupt: da kann man doch was reintun!

Mein Opa fuhr nachmittags mit seinem Fahrrad gern durch die Gegend. Der Chariot war noch nicht erfunden, also hat er sich einen Handwagen namens „Rollfix“ (so hieß der wirklich) an sein Fahrrad gebunden und ging damit auf Beutezug. Bei den Mülltonnen.

(Randnotiz: Liebe Kinder, die Mülltrennung ist jünger als die Tante Rike und früher schmissen die Leute einfach alles in eine große Tonne mit Schwingdeckel. Echt wahr, diese Umweltsäue! Aber es gab ja meinen Opa… )

Dort zwischen Kartoffelschalen und Kaffeesatz fand mein Opa Schätze. Etwa kaputte Toaster oder Fahrradreifen. Das barg er alles, unter vollstem Körpereinsatz. Und schaffte das in seinen Garten. Aus den Teilen wurden neue Sachen gebastelt oder sie wurden zu späteren, nicht näher benannten Zwecken zwischen- bzw. endgelagert. Meine Mutter schämte sich sehr, wenn die Nachbarn sagten: „Dein Schwiegervater ist heute wieder in den Mülltonnen rumgekrochen!“. Ich glaube aber, er wurde nur missverstanden, der Opa.

Warum ich euch das alles erzähle? Nun, ich versuche, eine positive Grundstimmung zu verbreiten. Denn es ist Zeit für eine Offenbarung: Das ist erblich! Ja, ich bin betroffen. Ich kann nichts dafür.

Steine, Muscheln, Sand werden ja von vielen nach Hause getragen. Von den Stränden dieser Welt. So fing das bei mir auch an. Seit ich den ersten Hühnergott im Kieshaufen bei Hornbach fand, ist allerdings keine Kiesumrandung irgendeines Hauses vor meinem Adlerauge und suchendem Blick sicher. Im Rindenmulch fand ich schon allerschönste Holzstücke mit Astlöchern, die man auffädeln kann. Oder so hinlegen, als Deko zwischen Blumentöpfe. Oder als Geschenkanhänger verwenden, mit Silberstift beschriftet. Ich brauche das alles! Gehe ich in den Wald, komme ich stets mit schmutzigen Fingern und vollen Jackentaschen wieder raus.

War das Scherbensammeln im Garten zunächst nützlich aufgrund der Verletzungsgefahr, sammle ich mittlerweile die blau-weißen Scherben in ein separates Eimerchen, was keiner anfassen darf! Was ich damit will? Vielleicht ein Mosaik machen. Oder das Bad fliesen, genug zusammen hab ich mittlerweile. Sammelte ich zunächste nur unser Grundstück ab, so dehne ich mittlerweile meine Scherbensuchaktion auf die komplette Gartensiedlung aus (zur Erinnerung, der Garten liegt auf einer alten Müllhalde). Vollkommen selbstlos! Und es gibt Tage, an denen weiß ich, was ich denke, wenn ich höre, was ich sage. Zum Beispiel zu meiner Nachbarin: „Du Moni, wenn Du beim Buddeln blau-weiße Scherben findest, schmeiß mir die über den Zaun!“. Hä?! Ernsthaft? Doch, leider, das ist wahr. Und nein, Moni schmeißt mir keine Scherben über den Zaun. Bis jetzt.

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Fundstück und Fundstückchen

Alles, was weiß und keramisch oder aus Porzellan ist, muss ich sowieso mitnehmen. Alte Relais, Flaschendeckel, Zuckerdosen, Eierbecher. Brauch ich alles. Passt zu jeder Deko irgendwie dazu. Und wenn ich behutsam den Dreck von den Dingen wasche, denke ich darüber nach, durch wieviele Hände das „Ding“ wohl gegangen ist und wie lange es jetzt wohl schon auf mich gewartet hat.

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keramische Dingsbumse

Antiquitätenläden, Flohmärkte und sagar Versandhändler, die sich auf „alte“ Sachen spezialisiert haben, boomen. „Aus alt mach neu“ war schon in den Siebzigern der DDR eine Parole, wenn auch damals aus Verknappungsgründen. Ich mag alte Möbel, alte Stoffe, altes Geschirr. Ich bin auch nicht mehr neu, vielleicht ist es das. Ich gehe an keinem Trödelladen vorbei und selten verlasse ich den mit leeren Händen. Und doch, das ist was anderes. Dort hat jemand vorsortiert und die Dinge bewertet, ihren Verkaufspreis ermittelt und drangeklatscht: „Zu verkaufen!“.

Herzklopfen erfüllt mich, wenn die Dinge mich finden. Ein altes Schaukelpferd, neben den Wertstoffhof gestellt. Ein Weinballon, der Deckel einer Bonbonniere auf dem Glascontainer. Ein trauriger Stuhl (mal wieder), irgendwo am Wegesrand. Ich kann da nicht vorbeifahren! Mit wenigen Handgriffen und etwas Liebe (und manchmal Holzleim) bekommt dieses Strandgut des Lebens bei mir eine zweite Chance.

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Das wird nicht von allen gern gesehen. Besonders nicht von meiner Familie. Wenn das Auto mit mir am Steuer automatisch vor einem Glascontainer abbremst, kommt sofort Geschrei: „Wehe! Untersteh dich!“ (der Beste), „Muddor! Na-heiiin!“ (das Kind Nummer eins), „Hedate! Hedate!“ (der Kleinste macht auch schon mit).

Aber bevor ihr mir das Messie-Team von RTL2 auf den Leib hetzt, gebe ich Entwarnung: Quarkbecher kann ich gut wegschmeißen und auch ansonsten fallen mir Trennungen nicht schwer, wie der Beste neulich feststellen durfte:

„Was ist das schon wieder?! Das schmeiß ich weg, das steht nur rum!“, „Ich schmeiß dich gleich weg, mein Lieber! Du stehst auch bloß rum!“

Nimm Platz!

Nimm Platz!

Könnt ihr euch noch an den räudigen Stuhl vom Trödelmarkt erinnern? Nun, dieser Stuhl hat eine unangenehme Eigenschaft: Er neigt zur Cliquenbildung. Binnen kürzester Zeit scharte er noch zwei wurmstichige Halunken um sich, sodass ich in die Bredouille kam. Der Beste drohte regelmäßig damit, ein hübsches Feuerchen zu entfachen. Ich war im Zugzwang! Zur mitternachtsblauen Wand fehlte noch die passende Bestuhlung im Gartenhäuschen und Ikea hatte in der Fundgrube 2x mitternachtsblauen Bezugsstoff… Ich sah die Zeichen!

Foto 2-1Wer bislang achtlos an alten Holzstühlen vorüberging in der Annahme, das Aufhübschen sei viel zu kompliziert, dem sei gesagt: mitnichten! Wenn der Stuhl nicht vom Holzwurm durchlöchert ist , ist er zu retten. Und wenn ich das kann, kann das jeder und ich fische hier nicht nach Komplimenten, sondern in ganz trüben Handwerksgewässern (alle, die wirklich etwas von Polsterei verstehen, bitte Augen zuhalten und ganz schnell woanders hinklicken…).

Du brauchst:

  • Schaumstoffplatten (Baumarkt, bei den Heimtextilien)
  • Bezugsstoff (zB. von hier)
  • Holzleim zum evt. Verkleben lockerer Stellen
  • Stoffschere, Hammer, Tacker
  • Tapezierstifte (das sind Nägel)
  • Packdecke (Baumarkt)
  • doppelseitiges Teppichklebeband

Foto 4-2Als erstes Sitz entfernen. Die meisten sind mit Gurten oder Federn im Unterbau bestückt. Gurte kann man selber spannen, wenn die kaputt sind. Wenn die Federung kaputt ist, bist du ein Glückspilz! Du kannst die Federn ausbauen und als Rankhilfen für Pflanzen einsetzen oder sonstwas dekoratives damit anstellen. Den Unterbau haust du in dem Fall weg und lässt dir im Baumarkt ein Brett mit den passenden Maßen zuschneiden.

Dann musst du den Sitz vom alten Bezug und Polstermaterial befreien. Das ist die einzige Arbeit, die zeitaufwändig ist und keinen Spaß macht.

Danach Bezugsstoff zurechtschneiden und evt. die Schaumstoffplatte in Form schneiden. Diese darf ruhig einen halben Zentimeter über den Holzrahmen ragen, sonst merkt man später das Holz am Ärschel. Aus der Packdecke einen Streifen schneiden, der so lang ist, das du den Schaumstoff einschlagen kannst.Foto 3-1

Jetzt wird ein Türmchen gebaut (von unten nach oben): Bezugsstoff, in Packdecke eingeschlagener Schaumstoff, Sitzrahmen. Die Außenkante des Stuhlrahmens (keine Ahnung, wie die reguläre Bezeichnung ist) mit Teppichklebeband umranden. Alles schön zurechtlegen und dann den Bezugsstoff auf dem Klebeband justieren (gegenüberliegende Seiten). Der unschlagbare Vorteil: Du kannst es jetzt drehen und gucken, ob alles sitzt, nicht etwa das Muster verrutscht ist oder ähnliches. Falls doch, lässt sich der Stoff noch vorsichtig lösen und du kannst korrigieren. Ist alles zu deiner Zufriedenheit, schwing den Tacker!

Bei den Ecken wirst du einen Tod sterben müssen. Egal, ob du zieharmonikaartig Fältchen für Fältchen festnagelst oder wie ich einfach die Ecke nach innen einschlägst und ruckizucki festnagelst, das kannst du dir aussuchen.

Foto 1-1Foto 1-2

Den Stuhl (oder die Stühle) hast du eventuell nachgeleimt, angeschmirgelt und gestrichen. Oder (wenn das Holz schön ist) zB. mit Arbeitsplattenöl abgerieben und poliert.

Dann kommt jetzt das Schönste: Zusammensetzen!

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Auf zumindest einem meiner neuen, alten Stühle kann man sitzen, wie das Sitzmodel beweist:Foto 2-4

 

 

 

 

 

 

Ich sage euch, wenn man einmal anfängt mit Stühlen rumzuexperimentieren, ist man schnell angefixt! Die Beine lassen sich austauschen, ein andersgestaltetes viertes Stuhlbein kann ganz apart aussehen, stylish wie von Designerhand! Auch Experimente mit Polsterstiften sind zu empfehlen. Das sind die Schmucknägel, die sichtbar im Polster sind… fangt einfach mal an!

Oder schreibt mir, ich hole euch die ollen Stühle eurer Oma vom Dachboden 😉 Aber nix dem Besten sagen, der flippt aus!