25 Jahre Mauerfall – Mütter in Ost und West

Für die Brigitte MOM haben meine Bloggerkollegin Nina alias Frau Mutter aus Berlin und ich uns zum 9. November 2014 einen Brief geschrieben. Darin geht es um unsere ost- und westdeutschen Sozialisation und mit welchem Frauen- und Mütterbild wir aufgewachsen sind.

Hier geht es zu Ninas Brief an mich. Und das war meine Antwort:

Liebe Nina,

als Du mich neulich fragtest, ob ich heute, fünfundzwanzig Jahre nach dem Mauerfall, glaube, dass es noch immer große Unterschiede zwischen Ost und West gäbe, gerade in Bezug auf Gleichberechtigung und die Mutterrolle, dachte ich im ersten Moment, das könne doch gar nicht sein! Gerade, weil wir beide – nehmen wir mal uns als Beispiel – ja erst Mütter wurden lange nachdem Deutschland wiedervereinigt wurde. Und rein theoretisch unter den gleichen Bedingungen leben, arbeiten und erziehen. Oder doch nicht?

Du hast Dich gegen das vorgelebte Rollenbild Deiner Mutter entschieden. Ja, und auch ich hadere ebenso mit dem Vorbild meiner eigenen Mutter. Ist es nicht interessant, wie uns unsere unterschiedlichen Vorbilder geprägt haben?

Ich war nach der Geburt meiner Kinder zwei beziehungsweise drei Jahre zu Hause und bin in meinem direkten Umfeld diesbezüglich ein Exot. In der Tat belegen Studien immer wieder, dass deutlich mehr Frauen in Ostdeutschland relativ früh wieder arbeiten gehen. Und auch wesentlich mehr Mütter in Vollzeit beschäftigt sind. Das kann man mit der gut ausgebauten Betreuungslandschaft erklären oder der Notwendigkeit aufgrund des immer noch existierenden Gehälterunterschiedes zwischen Ost und West, aber möglicherweise ist da noch mehr. Eine vorgelebte Selbstverständlichkeit zum Beispiel.

Ich bin in der DDR geboren. Bereits seit den Fünfzigerjahren war die Gleichstellung von Mann und Frau gesetzlich verankert, galt es als Scheidungsgrund, wenn ein Ehemann die berufliche Weiterentwicklung seiner Frau nicht unterstützte. Laut Ideologie des Marxismus-Leninismus kann die Gleichstellung der Frau nur durch wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Mann, und die nur durch die vollständige Integration in den Arbeitsprozess erreicht werden. Lenin sagte, Hausarbeit sein die „Sklavenarbeit der Frauen“. Hausfrau war kein anerkannter Beruf. Ich hatte keine „Nadelarbeit“ in der Schule, ich hatte „Werken“. Ich lernte erst als erwachsene Frau einen Knopf anzunähen, konnte aber bereits im Grundschulalter verschiedene Werkzeuge bedienen. Und meine Schulbücher waren voll mit starken, kämpferischen Frauen: Clara Zetkin, Käthe Kollwitz und Rosa Luxemburg zum Beispiel. Oder Valentina Tereschkowa, die erste Frau im Weltall. All diese Frauen waren Vorbilder und hatten einen großen Einfluss auf das Bild, das ich von einer „vorbildlichen“ Frau hatte. Parallel zu den Frauen in meinem Leben. Diese hatten in dem System, in dem ich aufwuchs, die gleichen Rechte und Pflichten wie Männer. Mit dieser Selbstverständlichkeit wuchs ich auf. Ich sah darin nichts Exklusives. Ich war quasi per Geburtsrecht gleichberechtigt.

Und Frauen hatten ja nicht nur das Recht zu arbeiten, sondern auch die Pflicht, ihre Arbeitskraft in den Dienst des sozialistischen Volkes zu stellen. Dabei galt das Prinzip: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Ich arbeitete später in einem Betrieb auf „Akkord“, also leistungsbezogen. Und da war es regelmäßig an der Tagesordnung, dass etliche Frauen am Monatsende mehr Geld in der Lohntüte hatten als mancher Mann. Wer sein „Soll“ übererfüllte (das betraf die produzierenden Bereiche), der wurde entsprechend reichhaltiger entlohnt.

Meine Mutter bekam mich im Alter von neunzehn Jahren und musste sechs Wochen nach meiner Geburt wieder arbeiten. Die Kinder kamen in der Regel zu dem Zeitpunkt in Kinderkrippen und wurden dort entweder von morgens bis abends oder auch von montags bis freitags betreut. Ich habe viel Zeit mit meinen beiden Großmüttern verbracht. Wenn ich die Attribute „fürsorglich“ oder „mütterlich“ zuordnen müsste, bekämen meine Omas diese. Ich habe kaum Erinnerungen an Dinge, die meine Eltern mit mir in der Woche gemacht haben. Hausaufgaben habe ich später allein erledigt oder im Schulhort, dann war ich im Hof spielen oder bin in den Sportverein gefahren. Wir sahen uns zum Abendessen. Meine Mutter ging sehr gern auf Arbeit. Aber selbst wenn es anders gewesen wäre, hätte sie nicht wirklich eine Wahl gehabt, das darf man nicht vergessen. Die Tage, an denen ich mittags nach Hause kam und sie war schon da und hatte etwas für mich gekocht, gehören zu den besonderen und kostbaren Momenten in meiner Erinnerung.

Als die Mauer fiel und Deutschland wiedervereinigt wurde, habe ich nicht eine Sekunde meine Rolle, meinen Platz in der Gesellschaft, überdacht. Niemals wäre mir der Gedanke gekommen, irgendwer könnte annehmen, ich sei untergeordnet oder benachteiligt aufgrund meines Geschlechts. Ich kann mich auch an keinen Kulturschock bezüglich des tradierten Frauenbildes in Westdeutschland erinnern. Es war vielmehr so, dass ich manchmal dachte, wie gut diese Frauen es doch hätten! So ein schönes Heim, ein Auto, Nutella auf dem Tisch. Und dafür müssten sie noch nicht mal arbeiten! Und auch: Was machen die den ganzen Tag? Dass es bis in die Siebzigerjahre einer westdeutschen Ehefrau untersagt war, ohne die Zustimmung ihres Mannes ein Konto zu eröffnen oder einem Beruf nachzugehen, das habe ich erst sehr viel später erfahren. Diese Abhängigkeit von einem Mann ist unvorstellbar für mich! Apropos Mann: Auch mein Mann ist mit einer Vollzeit arbeitenden Mutter aufgewachsen und musste schon früh im Haushalt mit anpacken: Kochen und Backen lernen, Schuhe putzen, sauber machen. Und zwar selbstverständlich. Manches davon kann er heute noch besser als ich.

Oftmals höre ich von Müttern aus Westdeutschland mit ein wenig Neid in der Stimme, dass wir privilegiert seien aufgrund des geschichtlich gewachsenen und tatsächlich existierenden breit ausgebauten Betreuungsnetzes. Und ja, ich kann mir wirklich nicht vorstellen, welchen Zweck Einrichtungen haben sollen, die über die Mittagszeit schließen oder Öffnungszeiten bis 14:00 Uhr. Auch wird bei uns generell in den Grundschulen ein Früh-und Nachmittagshort angeboten. Ebenso eine Ferienbetreuung.

Und doch sehe ich auch das ein wenig kritisch. Ich habe das System „Vollzeit arbeitende Mutter“ oft hinterfragt. Und erstaunlicherweise ist auch meine Mutter mir in ihrer Rolle kein Vorbild. Ich möchte mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen als sie mit mir. Ich möchte wichtiger sein als Bezugsperson! Zumal meine Kinder keine emsig sorgenden Großmütter haben, wie ich sie hatte. Mein großer Sohn besucht mittlerweile die achte Klasse und seit er drei Jahre alt ist, gehe ich voll arbeiten. Die Jahre der Kita- und Grundschulzeit waren von permanentem Zeitdruck und schlechtem Gewissen meinerseits geprägt.

Meine Mutter hat das System der Fremdbetreuung nie angezweifelt und käme nie auf die Idee, darin etwas Schlechtes zu sehen. Und ich? Ich kenne es aus eigenem Erleben als Kind und als Mutter und blicke kritisch darauf. Ist das nicht seltsam?

Ich halte die Möglichkeit der Entscheidungsfreiheit für die größte Errungenschaft. Aber das Beste wäre, wenn jede Frau in diesem Land unter den gleichen Bedingungen ihre Wahl treffen könnte. Und ohne dafür verurteilt zu werden. Das sollte das Ziel sein. Und dass Mädchen zu Frauen heranwachsen können, ohne über Entscheidungsfreiheit und Gleichberechtigung nachdenken zu müssen.

In diesem Sinne stoße ich mit Dir an auf das 25jährige Jubiläum!

Deine Henrike

Ein Topf Suppe

Ich war krank. So richtig. Mit allem. Die Kinder haben sich aus dem mütterlichen Symptomenkatalog jeweils ein paar Gebrechen rausgepickt und so laborierten und kränkelten wir ein paar Tage vor uns hin.

Und wie ich mit hohlem Magen und verrotztem Fieberkopf vom Bett zur Couch und von dort zum Spielteppich ins Kinderzimmer wanke, mache ich mir Gedanken. Über die jüngsten Begebenheiten in der „Netzfamilie“. Über den Beitrag einer fremden Frau mit Folgen. Über meinen eigenen Beitrag mit Folgen. Über meine Reaktion auf all dies. Meine zwiespältige Meinung zu verschiedenen Dingen, die die Frauenwelt umtreiben. Den Umgang untereinander. Meine eigene Diskussionskultur. Diese Wucht, mit der wir bereit sind, auf die neben uns einzuhacken, nur weil sie unsere Sicht nicht teilt. Und wieder einmal komme ich zu dem Schluss, so lange wie wir das nicht untereinander hinbekommen, brauchen wir nicht aufs Patriarchat zu schimpfen. Solange Gleichberechtigung und friedliche Koexistenz nicht unter uns Frauen herrschen, ist es mühselig, sie woanders etablieren zu wollen.

Und dann klingelts, und mit den Worten: „So, hier kommt euer Abendbrot! Gute Besserung!“ marschiert meine Nachbarin Beate an mir vorbei in die Küche und stellt einen Topf mit Suppe auf dem Tisch ab.IMG_1601

Manchmal kann es so einfach sein. Ich habe auch nette männliche Nachbarn, ganz ohne Frage. Aber ich bezweifle, dass einer der Herren auf die Idee käme, mir eine Suppe zu kochen. Fürsorglich miteinander umzugehen, das liegt uns im Blut. Wir können das. Dieses nach-links-und-rechts-Schauen. Das ist eine Stärke und das stärkt auch unser Umfeld.

Und jede von uns kommt mit einem anderen Rucksack daher. Das soziale Umfeld, die Kinderstube, die Gesellschaft, die sie geprägt hat und nicht zuletzt das erlebte berufliche Umfeld. Da kann man tagelang ausdiskutieren, um auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, oder einfach mal sagen, ja, so ist das. Ich mit meiner Proletariats-Kindheit im gesetzlich geregelten Gleichberechtigungsstaat habe selbstverständlich andere Wurzeln und Normenkonstrukte als eine Frau, die in einer gutbürgerlichen hanseatischen Mittelstandsfamilie aufgewachsen ist. Und doch leben wir beide 2014 in demselben Land und eint uns der Nenner: Frau. Und eventuell auch: Mutter.

Und ich denke auch an einen anderen Topf Suppe.

Eigentlich an viele. In meiner Abteilung gab es so ziemlich genau zwei Jahre lang die Tradition der „Suppenrunde“: Einmal pro Woche, oder einmal im Monat (je nach Auftragslage) brachte eine von uns Kolleginnen einen großen Topf Suppe mit und wir trafen uns zum Mittagessen. Wir waren ein Häufchen, das unterschiedlicher nicht sein konnte. Von Mitte zwanzig bis Mitte fünfzig, unterschiedliche Lebensstrukturen, verschiedene Arbeitsumfelder, Gehaltsstufen und Lebenshaltungen. Auf den ersten Blick einte uns nur die Zugehörigkeit zu dieser Firma. Und dass wir Frauen waren. Männlichen Kollegen konnten wir zwar immer zum Mitessen überreden, leider aber nie zum Kochen.

Diese Treffen waren etwas Wundervolles und zu der wärmenden Suppe gab es stets wärmende Gespräche und oft auch ganz unerwartete Ansichten. Das war sehr befruchtend. Später habe ich mit Freude festgestellt, dass ab und zu in der großen Firma auch in einer anderen Teeküche auf einmal eine Heizplatte stand mit einem Topf Suppe darauf.

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Aus unseren vielen Suppenrezepten haben wir irgendwann ein Kochbuch drucken lassen. Einfach für uns und als Geschenk. Ich blättere heute noch sehr gern darin.

Und ich möchte – ganz entgegen meiner Gewohnheit – jetzt hier mit einem meiner vielen Lieblingsrezepte aus diesem kleinen Büchlein beschließen und hoffe, das wärmt euch beim Nachkochen und Essen.

Diese Suppe hat Christine gekocht, die eine wunderbar kluge und lebensfrohe Frau und geschätzte Kollegin ist, und drei schulpflichtige Kinder alleine großzieht.

Linsensuppe Sabaudia

200g Linsen über Nacht einweichen lassen.

½ Sellerieknolle, 1 Stängel Sellerie und 6 Knoblauchzehen putzen und zerkleinern.

152g durchwachsener Speck in Würfeln und das Gemüse zu den Linsen geben und alles in dem Einweichwasser 50 Minuten kochen.

Nach etwa 30 Minuten Kochzeit 450g geschälte Tomaten mitsamt dem Saft dazugeben.

Alles mit Salz, Pfeffer, gekörnter Brühe abschmecken.

200g Nudeln nach Wahl kochen und in der Suppe erwärmen.

 

In herzlicher Erinnerung an die Damen der Suppenrunde: Beatrix, Kathrin, Beate, Kerstin, Christine, Melanie, Regine, Juliane und Susan.

Und für meine Nachbarinnen Beate und Manja, für die ich bald mal wieder eine Suppe kochen werde.