Das wird teuer!

Ich bin wirklich sehr gern zu Hause gewesen die letzten Jahre. Es hat mir viel Spaß gemacht, nach dem Rhytmus des Kleinsten zu leben, zu nähen, stricken, häkeln, spazieren, kochen, mich mit anderen Krabbelmuttis zu treffen und die Wohnung umzudekorieren. Nicht zu vergessen: zu schreiben. Dass es endlich ist, war von Anfang an klar und dennoch… hach, die Zeit verflog wie im ihr wisst schon…

Der bärtige Mann vertritt seit Jahren lautstark die Meinung, dass es hinderlich fürs Familienvermögen sei, wenn ich zu Hause bin. Denn dann hätte ich viel Zeit zum Einkaufen. Viel zu viel Zeit!

In der Tat frequentiere ich in Urlaubs-und Auszeiten alle umliegenden Geschäfte und kurbele die Wirtschaft an. Das übliche: Deko- und Trödelläden, Klamotten- und Kindergeschäfte.

Das zahlt sich aus, wir wohnen gemütlich und jahreszeitlich different gestaltet und die lieben Kinderlein tragen saubere Sachen in den jeweils passenden Größen. Das wäre nicht so, wenn diese Zuständigkeiten in den Verantwortungsbereich des Mannes fielen. Dann nämlich behausten wir Räume mit mindestens einer aprikotfarbenen Wand, an der mittig ein Bild hängen würde (ein alberner, bunter Druck in einem Plastikrahmen wahrscheinlich), verstaubte Yuccapalmen in Plastikübertöpfen vervollständigten das augenschmerzende Wohnbild, unsere Handtücher würden auf gar keinen Fall farblich zum Interieur der Badezimmer passen und apropos passen: Die Kinder liefen in Klamotten durch die Gegend, bei denen erst alle Öffnungen viermal gekrempelt wären und dann – nach drei Jahren etwa – alle Gelenke bloßliegen würden. Um Himmels Willen!

Ich kümmere mich also darum. Und selbstverständlich dankt es mir niemand.

Zugegebenermaßen ging ich in der letzten Zeit oft ziemlich teuer frühstücken. Das Frühstück bei Ikea schlägt mit durchschnittlich fünfzig Euro zu Buche. Das ist ne Menge Holz. Das fällt dann weg, wenn ich im Büro bin. Bin ich ja nun bald. In ein paar Stunden…

„Es wird Zeit, dass du wieder arbeiten gehst!“, tönt der Mann. Das Geld sei alle und überhaupt dieses faule Rumgeschlunze den ganzen Tag. Und Eingekaufe! Soviel Zeug brauche doch kein Mensch.

Nun bin ich (und das hört er gar nicht gern) ja diejenige bei uns, die nachweislich über betriebswirtschaftliche Kernkompetenzen verfügt und so habe ich (im Gegensatz zu ihm) das große Ganze im Blick. Und weiß, dass er falsch liegt! Und zwar sowas von.

Mittlerweile bin ich mir gar nicht mehr sicher, ob wir uns das überhaupt leisten können, dass ich wieder meinem Bürojob nachgehe (Doch, ich bin mir eigentlich ziemlich sicher. Und nein, wir können uns das nicht leisten.).

Die Kosten, die jetzt auf uns zukommen, werden meine aushäusigen Befleißigungen im Rahmen der Erwirtschaftung von volkswirtschaftlichen Werten am Ende des Tages als Nullnummer dastehen lassen. Saldo ausgeglichen. Plus Minus Null. Und dafür wird mein eines armes Kind fremdbetreut und das andere arme Kind muss anstatt eines liebevoll-hastig hingekochten Mittagessens von der Mami einen lieblosen Döner mit Salat oder Burger essen. Die armen armen Kinderlein! (Und ich kann nicht mehr bei Ikea rumlungern. Mist. Mist. Mist.)

Wenn ich stundenlang vorm Rechner sitze (und das wird ab morgen der Fall sein), brauche ich als Ausgleich zu meiner excel-bitionistischen Tätigkeit ganz viel Malteser, Hallorenkugeln, Knusperflocken, Studentenfutter, Snickers, Kinderriegel. Schon mal so. Andere haben eine Topfpflanze auf dem Schreibtisch, ich eben Lebensmittel. Das kostet! Vormittags muss ich dann noch runter zum Bäcker wegen Schokocroissants, zwei. Oder Wurstbrötchen, auch zwei. Mittags zum Lunch. Muss ja sein. Wegen der Sozialisierung, netzwerken, ihr wisst schon. Im Anschluss noch einen Cappucchino bei Tschibo (Ich versuche ernsthaft, sparsam zu sein, aber sparsamer geht ja nun wirklich nicht!). Nachmittags muss dann auf dem Heimweg auch noch irgendwas gekauft werden beim Bäcker, schließlich hat das ausgehungerte Blondino-Kind stets einen Bärenhunger, wenn ich ihn abhole und zum Backen komme ich ja nun wirklich nicht mehr!

Etwas später, in zwei bis drei Monaten, werde ich logischerweise zehn Kilo mehr wiegen und es wird richtig teuer werden. Ich brauche dann eine komplett neue Garderobe. Macht zwei Monatsgehälter, wenn ich sparsam einkaufe. Und Schuhe natürlich! Zu neuen Klamotten gehören immer neue Schuhe, das weiß doch jeder. Und neue Tücher, Schals, Armreifen, Ketten. Taschen nicht zu vergessen! Ganz wichtig. Wie sieht denn das sonst aus, was sollen die Leute sagen?! Ach, und die Makeup-Kosten habe ich da noch gar nicht eingerechnet. Da kann ich sowieso nur grob überschlagen…

Tja, also so siehts aus. Wir können uns meine Berufstätigkeit leider nicht leisten. Irgendjemand wird das dem Bärtigen sagen müssen… 😉

Alter Falter…

Die bloggenden Familienväter vom Familienbetrieb und ichbindeinvater äußerten sich neulich sehr amüsant über Indizien des Älterwerdens und –seins bei Männern.

Nun ist das Altern bei Frauen weit weniger amüsant. Möglicherweise liegt das am spaßbefreiten Verhalten der Betroffenen. Am schockstarren Verdrängungsbemühen oder am Geruch der Verzweiflung, der aus den Schals wabert, die um faltige Frauenhälse geschlungen werden. Oder Loops.

Ich kenne mich da aus. Ich bin betroffen.

Außerdem habe ich in diesem Monat schon wieder Geburtstag. Gefühlt habe ich alle zwei Monate Geburtstag und mein genaues Alter muss ich manchmal anhand meines Geburtsjahres nachrechnen. Und manchmal beschleicht mich der Verdacht, dass dort ein Fehler vorliegen muss. Auch der Beste meinte vor kurzem erschrocken: „Wiiiie alt wirst du?! Fünfundvierzig?! Du wirst doch nicht fünfundvierzig …Oder?“.

In der Rolle als Mutter spielt mein Alter für mich absolut keine Geige. Mein Löwinnenherz bubbert kein bisschen schwächer als vor fuffzehn Jahren. Beruflich nicht, auch wenn es mich stets amüsiert, dass man in der meinigen Branche mit Mitte Vierzig irgendwie Chef ist oder die Branche wechselt (Als würden mit dem Bindegewebe auch die kreativen Ideen flöten gehen.). In meiner Rolle als Partnerin ebenso nicht, diesbezüglich bin ich ein Glückspilz! Aber.

Ich erinnere mich an ein Buch über Marlene Dietrich, in welchem geschrieben stand, dass die Diva die letzten Jahre ihres Lebens auf und in einem Bett verbrachte, umgeben mit den Dingen des täglichen Bedarfes. Sie hat Jahrzehnte das Haus nicht verlassen, damit niemand sie derart gealtert und entstellt sah. Sie ließ sich telefonisch von irgendwelchen Verehrern anflirten und flüchtete so träumerisch in vergangene Zeiten.

Es gab Tage, da erschien mir dieses Verhalten vollkommen logisch.

„Alter“ bekam ich mit neununddreißig. Am allerschlimmsten waren die Tage vorm vierzigsten Geburtstag. Ich habe mir jegliche Feierei zu diesem traurigen Anlass verbeten und musste dann auch noch fluchtartig mein Heim verlassen an diesem beklagenswerten Tag, weil renitente Freunde der Meinung waren, wenn ich schon nicht ans Telefon gehen wöllte, kämen sie eben vorbei und es ginge doch wohl nicht an, dass ich hier klammheimlich vierzig würde ohne Party! Und hier ist der Schampus (Es war morgens um neun!). Ich floh und sah mir mit tränenfeuchten Augen in Anbetracht meines in Bälde zu erwartenden Endes die damals in der Stadt verweilende Plastinatenausstellung an und fand, das sei die passendste Art, diesen Tag rumzubringen.

Wir altern ja unser ganzes Leben, aber das Altern im Alter ist so fies, weil die Hülle überhaupt nicht mehr zum Inhalt passen will. Ich meine, ich bin kein bisschen anders als mit dreißig, sehe aber nicht mehr aus wie dreißig! Was für eine Scheiße. War ich vor fünfzehn Jahren beim Arzt, saß ich einem grauhaarigen Mann mit dicker Brille und weißem Kittel gegenüber. Heute sitzt da ein junges Frollein und erzählt mir irgendwas über meine Blutdruckwerte und ich möchte sie unterbrechen: „Was wissen sie in ihrem Alter denn schon über Blutdruck?! Haben sie überhaupt schon ihr Medizinstudium beendet?!“. Ging ich früher zum Arzt, bekam ich Hustensaft und Vorträge über die Schädlichkeit des Rauchens. Heute bekomme ich Infobroschüren über Mammografie und Darmkrebsvorsorge. Daran ist nichts Würdevolles.

Noch vor einiger Zeit witzelte ich, das einzige, worauf ich mich jetzt noch freuen könne sei der Umstand, dass es ja nicht mehr allzu lange dauern würde, bis mich morgens ein knackiger Zivi weckt mit den Worten: „Guten Morgen meine Teure! Jetzt wolln wir sie mal waschen.“. Geschmacklos? Ach komm, hör doch auf!

Jetzt, wo es keine Zivis mehr gibt, bin ich auf einen neuen Trichter gekommen: Ich stell mich mit einem Stock an die Ampel und wenn ein Pralinchen vorbeikommt, hänge ich mich flugs an seinen muskulösen Arm und lass mich über die Straße geleiten, den Duft der Jugend für einen kurzen Augenblick einatmend (Ich sags euch, wenn ich das nächste Mal eine Omi an der Ampel warten sehe, rempel ich die an und zische: „Ich weiß genau, was du vorhast, SCHWESTER!“).

In Würde altern. Ich habe noch nie begriffen, was das denn nun bedeuten soll. Ich vermute, den Begriff haben Leute geprägt, für die auch früher nie der Spaß im Vordergrund stand. Und man kann sich tierisch über sexuelle Belästigung aufregen, aber es kommt die Zeit, in der man sich dann fragt, was genau das eigentlich noch mal war… Wenn einem früher nie die Bauarbeiter hinterhergepfiffen haben, dann vermisst man das logischerweise auch nicht. Wenn es heute von einem Gerüst pfeift, bin ich sicher, nicht gemeint gewesen zu sein. Ganz sicher. Und es trifft mich, so ungern ich das auch zugebe (Bitte keine professionellen Pfeifer zum Geburtstag!). Wenigstens stehe ich mit diesem Phänomen nicht alleine da, wie sich treffend beschrieben bei Mamaarbeitet nachlesen lässt.

Wenn man nicht Madonna heißt, hat man als Frau irgendwann ein Marketingproblem. Auf dem Flirtmarkt zumindest. Es gibt diesen „Double standard of aging“, auf den Simone de Beauvoir schon in den Siebzigerjahren hingewiesen hat: Alle Altersindizien werden bei Frauen ungleich unattraktiver eingeschätzt. Natürlich hat das alles seine evolutionsbiologische Richtigkeit, fies ist es trotzdem! Zu Fortpflanzungszwecken wird die ältere Frau primär nicht gebraucht und wenn man der Großmutter-Hypothese der biologischen Anthropologie Glauben schenken will, überleben wir Weiber die Menopause nur deshalb, weil wir einen positiven Einfluss auf die Überlebensrate unserer Enkel haben können. Und dafür braucht man kein schmuckes Gefieder. Na, vielen Dank!

All diese Gedanken schlichen durch mein von einer faltendurchzogenen Haut umspanntes Gehirn. So um den vierzigsten Geburtstag rum.

Die gute Nachricht: Es gibt ein Leben danach.

Der fünfundsiebzigjährige Freund meiner Mutter erzählte gestern vom letzten Urlaub und meinte, es sei furchtbar gewesen. Lauter alte Leute, es hätte nur noch ein Bestattungsunternehmer gefehlt! Auf den Einwand meines Sohnes hin, er sei doch selber alt, erboste sich der Jung-Opa: „Ich bin doch nicht alt! Alt bin ich vielleicht in zwanzig Jahren. Aber jetzt auf gar keinen Fall! Ich bin zu jung für Seniorenteller!“. Sehe ich ganz genauso.

Offiziell zähle ich nun zu den „middle agern“ aber für mich heißt das, ich habe gerade mal die Hälfte rumgebracht! Und ich lasse mir nicht einreden, dass die zweite Hälfte spaßbefreit in beigen Gesundheitsschuhen mit ondulierter Kurzhaarfrisur zu absolvieren ist. Ist es angemessen, alle Hotpants wegzuschmeißen am vierzigsten Geburtstag? Oder schon am fünfunddreißigsten? Kiessertraining statt Freeclimbing? Langlauf statt Snowboard. Ab wann? Und warum sollen mir jetzt Männer über fünfzig gefallen? Die sind alt! Und haben in vielen prominenten Männern Scheißvorbilder. Wie alt ist denn die Dingsbums von dem ihr-wisst-schon? Zwanzig, fünfundzwanzig? Das wird schon seine Gründe haben, dass den keine Gleichaltrige wollte…

In diesem Sinne: Hoch die Tassen! Auf eine lustige zweite Halbzeit. Nicht umsonst wachsen uns im Alter Sonnenstrahlen um den Augen, oder?

25 Jahre Mauerfall – Mütter in Ost und West

Für die Brigitte MOM haben meine Bloggerkollegin Nina alias Frau Mutter aus Berlin und ich uns zum 9. November 2014 einen Brief geschrieben. Darin geht es um unsere ost- und westdeutschen Sozialisation und mit welchem Frauen- und Mütterbild wir aufgewachsen sind.

Hier geht es zu Ninas Brief an mich. Und das war meine Antwort:

Liebe Nina,

als Du mich neulich fragtest, ob ich heute, fünfundzwanzig Jahre nach dem Mauerfall, glaube, dass es noch immer große Unterschiede zwischen Ost und West gäbe, gerade in Bezug auf Gleichberechtigung und die Mutterrolle, dachte ich im ersten Moment, das könne doch gar nicht sein! Gerade, weil wir beide – nehmen wir mal uns als Beispiel – ja erst Mütter wurden lange nachdem Deutschland wiedervereinigt wurde. Und rein theoretisch unter den gleichen Bedingungen leben, arbeiten und erziehen. Oder doch nicht?

Du hast Dich gegen das vorgelebte Rollenbild Deiner Mutter entschieden. Ja, und auch ich hadere ebenso mit dem Vorbild meiner eigenen Mutter. Ist es nicht interessant, wie uns unsere unterschiedlichen Vorbilder geprägt haben?

Ich war nach der Geburt meiner Kinder zwei beziehungsweise drei Jahre zu Hause und bin in meinem direkten Umfeld diesbezüglich ein Exot. In der Tat belegen Studien immer wieder, dass deutlich mehr Frauen in Ostdeutschland relativ früh wieder arbeiten gehen. Und auch wesentlich mehr Mütter in Vollzeit beschäftigt sind. Das kann man mit der gut ausgebauten Betreuungslandschaft erklären oder der Notwendigkeit aufgrund des immer noch existierenden Gehälterunterschiedes zwischen Ost und West, aber möglicherweise ist da noch mehr. Eine vorgelebte Selbstverständlichkeit zum Beispiel.

Ich bin in der DDR geboren. Bereits seit den Fünfzigerjahren war die Gleichstellung von Mann und Frau gesetzlich verankert, galt es als Scheidungsgrund, wenn ein Ehemann die berufliche Weiterentwicklung seiner Frau nicht unterstützte. Laut Ideologie des Marxismus-Leninismus kann die Gleichstellung der Frau nur durch wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Mann, und die nur durch die vollständige Integration in den Arbeitsprozess erreicht werden. Lenin sagte, Hausarbeit sein die „Sklavenarbeit der Frauen“. Hausfrau war kein anerkannter Beruf. Ich hatte keine „Nadelarbeit“ in der Schule, ich hatte „Werken“. Ich lernte erst als erwachsene Frau einen Knopf anzunähen, konnte aber bereits im Grundschulalter verschiedene Werkzeuge bedienen. Und meine Schulbücher waren voll mit starken, kämpferischen Frauen: Clara Zetkin, Käthe Kollwitz und Rosa Luxemburg zum Beispiel. Oder Valentina Tereschkowa, die erste Frau im Weltall. All diese Frauen waren Vorbilder und hatten einen großen Einfluss auf das Bild, das ich von einer „vorbildlichen“ Frau hatte. Parallel zu den Frauen in meinem Leben. Diese hatten in dem System, in dem ich aufwuchs, die gleichen Rechte und Pflichten wie Männer. Mit dieser Selbstverständlichkeit wuchs ich auf. Ich sah darin nichts Exklusives. Ich war quasi per Geburtsrecht gleichberechtigt.

Und Frauen hatten ja nicht nur das Recht zu arbeiten, sondern auch die Pflicht, ihre Arbeitskraft in den Dienst des sozialistischen Volkes zu stellen. Dabei galt das Prinzip: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Ich arbeitete später in einem Betrieb auf „Akkord“, also leistungsbezogen. Und da war es regelmäßig an der Tagesordnung, dass etliche Frauen am Monatsende mehr Geld in der Lohntüte hatten als mancher Mann. Wer sein „Soll“ übererfüllte (das betraf die produzierenden Bereiche), der wurde entsprechend reichhaltiger entlohnt.

Meine Mutter bekam mich im Alter von neunzehn Jahren und musste sechs Wochen nach meiner Geburt wieder arbeiten. Die Kinder kamen in der Regel zu dem Zeitpunkt in Kinderkrippen und wurden dort entweder von morgens bis abends oder auch von montags bis freitags betreut. Ich habe viel Zeit mit meinen beiden Großmüttern verbracht. Wenn ich die Attribute „fürsorglich“ oder „mütterlich“ zuordnen müsste, bekämen meine Omas diese. Ich habe kaum Erinnerungen an Dinge, die meine Eltern mit mir in der Woche gemacht haben. Hausaufgaben habe ich später allein erledigt oder im Schulhort, dann war ich im Hof spielen oder bin in den Sportverein gefahren. Wir sahen uns zum Abendessen. Meine Mutter ging sehr gern auf Arbeit. Aber selbst wenn es anders gewesen wäre, hätte sie nicht wirklich eine Wahl gehabt, das darf man nicht vergessen. Die Tage, an denen ich mittags nach Hause kam und sie war schon da und hatte etwas für mich gekocht, gehören zu den besonderen und kostbaren Momenten in meiner Erinnerung.

Als die Mauer fiel und Deutschland wiedervereinigt wurde, habe ich nicht eine Sekunde meine Rolle, meinen Platz in der Gesellschaft, überdacht. Niemals wäre mir der Gedanke gekommen, irgendwer könnte annehmen, ich sei untergeordnet oder benachteiligt aufgrund meines Geschlechts. Ich kann mich auch an keinen Kulturschock bezüglich des tradierten Frauenbildes in Westdeutschland erinnern. Es war vielmehr so, dass ich manchmal dachte, wie gut diese Frauen es doch hätten! So ein schönes Heim, ein Auto, Nutella auf dem Tisch. Und dafür müssten sie noch nicht mal arbeiten! Und auch: Was machen die den ganzen Tag? Dass es bis in die Siebzigerjahre einer westdeutschen Ehefrau untersagt war, ohne die Zustimmung ihres Mannes ein Konto zu eröffnen oder einem Beruf nachzugehen, das habe ich erst sehr viel später erfahren. Diese Abhängigkeit von einem Mann ist unvorstellbar für mich! Apropos Mann: Auch mein Mann ist mit einer Vollzeit arbeitenden Mutter aufgewachsen und musste schon früh im Haushalt mit anpacken: Kochen und Backen lernen, Schuhe putzen, sauber machen. Und zwar selbstverständlich. Manches davon kann er heute noch besser als ich.

Oftmals höre ich von Müttern aus Westdeutschland mit ein wenig Neid in der Stimme, dass wir privilegiert seien aufgrund des geschichtlich gewachsenen und tatsächlich existierenden breit ausgebauten Betreuungsnetzes. Und ja, ich kann mir wirklich nicht vorstellen, welchen Zweck Einrichtungen haben sollen, die über die Mittagszeit schließen oder Öffnungszeiten bis 14:00 Uhr. Auch wird bei uns generell in den Grundschulen ein Früh-und Nachmittagshort angeboten. Ebenso eine Ferienbetreuung.

Und doch sehe ich auch das ein wenig kritisch. Ich habe das System „Vollzeit arbeitende Mutter“ oft hinterfragt. Und erstaunlicherweise ist auch meine Mutter mir in ihrer Rolle kein Vorbild. Ich möchte mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen als sie mit mir. Ich möchte wichtiger sein als Bezugsperson! Zumal meine Kinder keine emsig sorgenden Großmütter haben, wie ich sie hatte. Mein großer Sohn besucht mittlerweile die achte Klasse und seit er drei Jahre alt ist, gehe ich voll arbeiten. Die Jahre der Kita- und Grundschulzeit waren von permanentem Zeitdruck und schlechtem Gewissen meinerseits geprägt.

Meine Mutter hat das System der Fremdbetreuung nie angezweifelt und käme nie auf die Idee, darin etwas Schlechtes zu sehen. Und ich? Ich kenne es aus eigenem Erleben als Kind und als Mutter und blicke kritisch darauf. Ist das nicht seltsam?

Ich halte die Möglichkeit der Entscheidungsfreiheit für die größte Errungenschaft. Aber das Beste wäre, wenn jede Frau in diesem Land unter den gleichen Bedingungen ihre Wahl treffen könnte. Und ohne dafür verurteilt zu werden. Das sollte das Ziel sein. Und dass Mädchen zu Frauen heranwachsen können, ohne über Entscheidungsfreiheit und Gleichberechtigung nachdenken zu müssen.

In diesem Sinne stoße ich mit Dir an auf das 25jährige Jubiläum!

Deine Henrike