Als Kind im Nieselpriemhaushalt zu leben, ist echt beschissen. Zumindest wenn du knapp vierzehn bist. Als Baby mag´s gehen, da kannst du noch machen, was du willst, aber später… das reinste Bootcamp!
Unser Kind Nummer eins hat es schwer mit uns. Rigide Regeln, wohin du schaust. Prinzipiell findet das Kind ja Regeln gut und braucht die auch ganz dringend, aber die von uns aufgestellten sind echt zu heavy…
Computer- /Fernsehzeit ist auf siebzig Minuten am Tag begrenzt, am Wochenende zweimal eine Stunde mit langer Pause. Wir Bootcamp-Verwalter halten uns da (gelockert) an die vom Bundesministerium für Gesundheit erstellten Richtlinien. Es dürfen nur Spiele und Sendungen konsumiert werden, die FSK 12 sind. Heute in zwei Wochen dann Spiele mit FSK 14. Keinen Tag eher, denn dann isser ja noch nicht vierzehn! Hausaufgaben und Pflichten müssen vorher erledigt sein. Voll ätzend, oder? Alle in der Klasse sind so lange am Rechner, wie sie wollen, kein anderes Kind hat in diesem, seinem Alter so strikte Lernzeiten und ALLE spielen Spiele ab sechzehn oder sogar achtzehn und gucken Splatterfilme!
Das höre ich regelmäßig. Mir egal, dem Besten sowieso. Wir sind nicht die Eltern von „alle“. Ausnahmen funktionieren bei unserem Großen leider nicht, trotzdem gibt es die. Na klar schauen wir auch mal einen Film zusammen, gehen ins Kino oder es ist gerade Fußball-WM. Dann stellt niemand die Eieruhr, um auf die begrenzte Mediennutzungszeit hinzuweisen. Ansonsten: Siehe oben.
Außerdem hat er voll wenig Taschengeld, darf nur drei Liter Limo und eine Tüte Chips pro Woche zu sich nehmen. Habt ihr sowas schon mal gehört?
Tja, ich finde, er findet kein Maß, also bekommt er eines vorgegeben. Punkt. Zu allem Genannten muss ich sagen: Es ist auch für mich hart. Ehrlich! Genöle, Gemaule, Gemotze den ganzen Tag. Wenn ich ihn machen ließe wie er wöllte, Mann, das wäre eine Ruhe hier! Alle paar Stunden käme er mal aus seiner Höhle um zu pinkeln oder Nachschub an Limo und Chips zu besorgen, aber ansonsten bekäme ich nicht viel von ihm zu sehen. Aber das geht nicht. Ich weiß, es gibt Kinder, die sich irgendwann selbst regulieren, sich Hobbies und Freunde suchen (und auch finden), das ist leider nicht zu erwarten in unserem Fall. Ergo nichts mit Selbstverwaltung des Jugendlichen. Er muss sich verwalten und reglementieren lassen. Und ich muss das Genöle weiterhin aushalten.
Aber der Knaller kommt jetzt:
Das Kind wird zum Sport gezwungen! Insgesamt hat er an durchschnittlich drei Tagen circa sechs Stunden Sport zusammen. Ohne Schulsport, zu dem zwingen ihn ja andere Mächte, das lassen wir jetzt mal außen vor.
Montags Gerätetraining, da geht er noch relativ gern hin („Mann, ich hab keen Bock auf den Scheiß!“ und latscht trotzdem los). Muss er auch, hat Skoliose und jeden Tag einen sauschweren Schulrucksack. Also hatte er die Wahl zwischen Rückentraining und Trolley… Er hat sich entschieden.
Während der Wintersaison spielen die Jungs sonntags Squash, da geht er auch beinahe freiwillig mit („Orrr, MÜSSEN wir wieder Squash spielen?! Wie öde!“).
Samstags wird bei uns gelaufen. Wir laufen alle und irgendeinen Sport zusammen zu machen finden wir altmodischen Spießer irgendwie dufte. Das wochenendliche in-der-Gegend-Rumgerenne erzeugt schon mehr Protest („So eine Scheiße! Ich mach das nicht! Könnter vergessen! Immer zwingt ihr mich! Joggen ist soooo assi! Nö! Ich mach das nicht! Werdet ihr ja sehen!“). Er läuft. Natürlich.
Am Schlimmsten aber ist für das Kind, dass wir ihn seit nunmehr sechs Jahren zwingen, freitags zu Karate zu gehen. Wir gucken oft zu, wir motivieren, wir loben. Wurscht. Jeden (!) Freitag bildet er eine Krankheit aus um das Training zu vermeiden und motzt: „Ich HASSSSSE Karate! Schon IMMER! Ihr könnt mich dort nicht gegen meinen Willen hinschicken! Püh! Ich gehe nicht dort hin!“. Hat er auch schon mehrmals durchgezogen. Das kam raus, als der Beste das Kind mal vom Training abholen wollte und feststellen musste, es war gar nicht dort! Was für eine Aufregung! Im Nachhinein stellte sich heraus, der Junge hatte sich einfach (und das schon mehrmals) in der Städtischen Bibliothek versteckt und gelesen, bis es Zeit war, wieder den Heimweg anzutreten. Fortan hatte er einen Fahrdienst.
Natürlich hätte man (wir) in diesem Moment nach einer Alternative suchen können, zusammen mit dem Kind. Von ihm selber kommt da leider nichts und außer Computerspielen gibt’s ja auch keine Hobbies! Auf Musikinstrument hat er noch weniger Bock. Der Karateverein ist (aus Elternsicht) das Beste, was ihm passieren konnte. Tolle kinderliebe Trainer, die mit Herzblut und Konsequenz unbezahlt unsere Gören schinden und nicht nur Gummibärchen verteilen und „Du bist toll!“-Plaketten, sondern auch mal Arschtritte als Motivationshilfe. Es wurde nicht diskutiert.
Ich habe gegoogelt.
Kinder zum Sport zu zwingen ist nicht gesellschaftlich akzeptiert. Das macht man nicht. Aber es gibt außer uns wohl noch so fiese Eltern, denn Google spuckt unzählige Treffer aus von Foreneinträgen a la „Können mich meine Eltern zum Handball zwingen?“ et cetera. Überall der gleiche Antwortsound: Nein. Können sie nicht. Sollten sie nicht. Und gute Eltern machen sowas auch nicht! Die suchen nach Alternativen oder akzeptieren die Wünsche des Jugendlichen.
Manchmal (besonders nach Konsum derartiger Forumslektüre) werde ich schwach und gehe mit dem Besten ins Gespräch. Tun wir das Richtige?
Ich habe als Kind Sport geliebt und zwar genau zwei Sportarten: Rhythmische Sportgymnastik und Geräteturnen. Erst das eine, dann das andere. Passt auch thematisch irgendwie. Ich war kreuzunglücklich, als irgendwann klar wurde, mein Talent reicht einfach nicht, um im DDR-Kader irgendeine Rolle zu spielen. Aber trotzdem: Mich musste niemand zum Training zwingen und es ist noch nicht mal jemand zugucken gekommen um mich zu loben! War damals eben so. Jeder machte halt irgendeinen Sport.
Obwohl, irgendeinen… Der Beste hat etwa dreißig Sportarten probiert, wobei ich da nur rate, ich bekomme unmöglich alle zusammen. Und genau das macht er jetzt als Konterargument geltend! Er habe gar keine Liebe für eine Sportart entwickeln können, weil er beim kleinsten Missfallen problemlos die Mannschaft, die Sportart oder den Verein wechseln konnte. Und es gab natürlich auch keine Erfolge! Wo sollten die auch herkommen?
Hm. Da ist was dran.
Und dann guck ich auf das motzende Sport-ist-blöd-Kind. Samstags nach dem Laufen ist er tiefenentspannt für mehrere Stunden. Er läuft für sein Alter eine Superzeit und hat sogar schon an Läufen teilgenommen (Was ihm nichts bedeutet.). Wenn die im Schulsport „Langstrecke“ laufen, ist er der Beste (Das bedeutet ihm was!). Wenn er vom Karatetraining kommt, sagt er immer, es sei schön gewesen. Oder toll. Oder scheißanstrengend. Wichtig ist: Er wirkt zufrieden! Immer. Er ist sogar ziemlich gut, aber das bedeutet ihm (natürlich) nichts. Wir zwingen ihn nicht an Wettkämpfen teilzunehmen, aber zum Training. Jede Woche erneut.
Dieses Wochenende war mal wieder „Tribünenwochenende“, das heißt: Gürtelprüfungen. Alle zwei Jahre etwa bei uns.
Und diese Woche war irgendetwas anders: Der Junge hatte Lampenfieber! Schon Tage vorher.
Es war super, er war super. Mir ist das Herzel übergelaufen! Dieses Unruhebündel dort unten zu sehen, wie er hochkonzentriert, ruhig, kraftvoll und wunderschön seine Leistung abgeliefert hat. Belohnung: Ein „A“ (entspricht einer Schul-Eins) und der grüne Gürtel.

Eines dieser Kinder wird zum Training gezwungen 🙂
Im Auto dann: „Spätestens wenn ich achtzehn bin, habe ich den schwarzen Gürtel. Und dann mach ich weiter. Ich will auch einen Meistergrad erreichen!“. Aus dem Mund meines Kindes.
Vor lauter Vorfreude lockerte ich schon das Korsett. Brauche ich ihn jetzt etwa nicht mehr zu zwingen? Und würde der Rest dann auch unkompliziert laufen? Irgendwann?
Heute Abend fragte er dann allerdings , ob er denn zur Feier des Tages ein Spiel ab achtzehn spielen dürfte? Ich hatte mich wohl zu früh gefreut und die harten Bandagen abgelegt. Aber ganz ehrlich, wenn Erziehungsarbeit Spaß machen würde, würde es Erziehungsspaß heißen.
Also, alle Mann wieder in den Ring! Es geht weiter!
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