Leben und Lassen ft. irgendein Wochenende in Bildern aka ihr müsst nehmen, was ihr kriegen könnt – im August

Leute, ich sag euch, ich habe einen Fehler gemacht! Als ich letzten Monat so unschuldig und naiv vor mich hindachte, joar, also ein regelmäßiger Monatsrückblick sollte ja kein Problem sein, dass kannste problemlos hinkriegen, sonst fliegen ja die Wochen so an dir vorbei und irgendwann zeigt der Blondino dir sein erstes Achselhaar und drei Wimpernschläge später wirst du Großmutter von Drillingen und bist eigentlich innerlich noch immer zweiunddreißigeindrittel und wo verdammt ist eigentlich die Zeit hin, ich muss das konservieren, das ist der Auftrag. Also so war das, damals vor fünf Wochen.

Das mit dem Rückerinnern funktioniert natürlich nur, wenn man sich diszipliniert und zumindest stichpunktartig Tagebuch führt, weil so ein Monat doch aus dreißig Tagen (so ungefähr) besteht, und wer weiß denn noch so genau, was er vor dreißig Tagen gemacht hat? Ich jedenfalls nicht, oder nur so vage.

Deshalb: Ab sofort notiere ich alles, man wird mich mit dem Notizbuch sichten und alle werden denken, ich schreibe rüpelhafte Falschparker auf. Ihr wisst es besser, ich tu das alles nur für euch!

Zum August. Wie angekündigt, reisten wir erholungsbedürftig an die polnische Ostsee, das sagt man so, obwohl ich nicht glaube, dass die Ostsee eine Nationalität hat, oder einen Dialekt.

im Bild: Achterbahn für Todesmutige und eine Mutter, die die Augen davor verschließt, dass ihr Jüngstes nun mit seiner Muthose an gleich darauf rumfahren wird

Jedenfalls war dort an der Polnischen Ostsee Remmidemmi, alles war ein einziger Rummelplatz! Unter anderem auch mit echtem Rummel. Außerdem: Es dudelte aus wirklich jeder Ecke, jeder freie Quadratzentimeter wurde mit einem Spielautomaten oder einer Bude für Rückenkratzer und Plüschtiere vollgestellt. Reizüberflutung optisch und phonetisch.

im Bild: Rummelbesucher vor Zerrspiegel

Menschenmassen drängten sich schon in den frühen Morgenstunden an den Strand und hämmerten – Tock! Tock! Tock! – mit Gummihämmern die Holzpflöcke der Sichtschutze in den Sand.

Wir hatten weder Sichtschutz noch Sichtschutzhämmerchen, aber wir lernten schnell: Wer am schmalen polnischen Ostseestrand ein Lager möchte, der steht a) früh auf und hat b) einen Sichtschutz dabei, denn ab zehn Uhr liegen dann Mensch an Mensch, nur durch eine zarte Stoffbahn getrennt. Man gewöhnt sich an alles, schon ab dem dritten Tag war es kein bisschen seltsam. Nur das Hämmerchen haben wir nicht gekauft, und uns mit einem Stein beholfen. (Allerdings fand der Mann, es sei unabdingbar dass wir einen hässlichen Sonnenschirm und zwei noch hässlichere Campingklappstühle kaufen, ich erspare uns Fotomaterial, wir sahen aus wie die Prototypen von: „Rentner am Meer“)

Am Strand begab es sich, dass eines Tages eine junge Frau mit ihrem Fotoassistenten direkt vor unseren Füßen ein shooting abhielt, am helllichten Tag. Sie räkelte sich circa dreißig Minuten stehend, hockend, schmollmundlippig und Bauch-rein-Möpschen raus-posierend für Fotos. Danach kamen die Videosequenzen. Immer wieder rannte sie ins Wasser und wieder raus, bückte sich manchmal lasziv im kühlen Nass, und wieder von vorn. Danach war Wälzen im Sand und Wühlen in den Haaren dran, sie rollte sich dann mit einem weißen Männerhemd bekleidet in die Wellen und so weiter und so verstörend. Ewig dauerte das. Erst war ich belustigt, dann regelrecht angewidert. Da waren jede Menge Menschen in allen Größen und Formen, die der Fotokünstler vorm Posting auf Instagram vermutlich rausgeschnitten hat und dann noch einen Filter drüber, dass es aussah wie abends und „smooth operator“ von Sade obendrauf oder was weiß ich und dann gucken, wie die Like-Maschinerie abgeht.

Ich bin seitdem etwas Instagram-verkatert, vielleicht auch schon vorher. Mal sehn, ob das wieder weggeht, aber aktuell guck ich nur alle paar Tage nach den drei, vier Menschen, um die ich mir gerade Sorgen mache, weil sie öffentlich Kämpfe kämpfen, posten tu ich gar nichts. Es ist wie nach einer harten Feiernacht mit zu vielen Caipirol und du guckst morgens die Aperolflasche an mit der letzten Neige drin… so guck ich gerade Instagram an.

Irgendeine Influencerin hat neulich ein Buch herausgebracht, wo sie die Tücken und Lügen der Influencer-ei entlarven will. Ich hab mich mal auf die Leseliste setzen lassen beim Verlag und werde euch berichten, ob irgendwas Neues und niemals zuvor Geahntes da enttarnt wird.

Zurück zum Urlaub.

Das Kind erklärte sich zum Quallenfischer (SpongeBob lässt grüßen)…

und der Bärtige machte den Vorturner bei der Strandgymnastik (Teilnehmer: 1)

Wir hatten fabelhaftes Wetter und auch bei Sturm waren die Kerle nicht aus dem Wasser zu bekommen. Einmal kamen die polnischen life guards und ermahnten den Mann, die Flagge sei doch rot, er dürfe nicht baden! Später behauptete der Kerl, die Jungs wären nur gekommen, weil ich nach Hilfe schreiend am Strand rumgefuchtelt hätte und die Wellen hätten zwar das Kind immer umgeschmissen, aber der sei ja zu keiner Zeit wirklich in Gefahr gewesen! Ich denke mir, dem Mann ist nicht bewusst, dass er sich in dem Moment in Scheidungsgefahr befand. Einzig der Umstand, dass mein Fortpflänzchen schutzlos den tosenden Wellen ausgesetzt war, ließ mich fuchtelnd und schreiend am Strand verharren und nicht dem Mann seine drei Habseligkeiten in einen Turnbeutel stopfen und ins Wasser in seine Richtig schmeißen mit den Worten: „ALTER, MIT DIR BIN ICH FERTIG! DU LÄUFST NACH HAUSE!“.

im Bild: Lebensgefährliche Brandung mit Kind und verantwortungslosem Elternteil

Der Übermut des Mannes lässt sich vielleicht auch mit der Ernährung im Polnischen Urlaub erklären. Statt Salat und Eiweißshakes gab es auf einmal täglich fettige Sprotten…

und allabendlich „Sex on the beach“ (das alkoholfreie Radler gehört mir). Da kann man mal sehen, wohin übermütiger Sex am Strand führt! Ich rate dringend davon ab.

Vorm Hotel stand ein amerikanisches Polizeiauto. Warum, das wusste niemand, aber alle machten fleißig Selfies davor, ich auch.

im Bild: Miami schwarz-weiß

Ich bin jeden Morgen auf dem Laufband im Gym des Hotels auf der Stelle geflitzt. Laufband, das hätte ich bis dahin für mich völlig abgelehnt, erstaunlicherweise fand ich es aber gut! Zumal draußen kein Laufen möglich war, denn überall standen und lagen und saßen schon Menschen herum, Slalom oder Parcours wäre aber wohl möglich gewesen.

im Bild vorn: echter Mensch beim Sport; im Bild hinten: was Werber denken, wie Menschen beim Sport aussehen

Eines Morgens komme ich vom Sport aus dem Keller und gleichzeitig zwei ältere Pärchen aus dem Frühstücksraum. Da sie dasselbe Ziel hatten, liefen sie eine Weile hinter mir und meinem verschwitzten, behandtuchten Körper her. Laut sprach einer der Herren (vermutlich in der Annahme, ich sei Polin): „Also so bekloppt müsste man sein, dass man im Urlaub frühmorgens Sport macht! Überhaupt Sport! Also sowas Bescheuertes! Wir machen ja wohl alles richtig: den ganzen Tag Essen und Liegen!“, und die anderen Menschen in seiner Gruppe stimmten in dieses Mantra ein: „Ja, Essen und Liegen!“.

Ich musste so derb in mich reingrinsen und stellte mir den dickbäuchigen Mann beim Orthopäden vor, wie er sagt: „Herr Doktor, ich verstehe das nicht! Wieso habe ich denn Rückenschmerzen? Wo ich mich doch so schone! Nur Essen und Liegen, den ganzen Tag!“.

im Bild: Kohlehydratspeicherauffüllmasse, einmal mit allem bitte!

Allabendlich steckten wir eine abgesprochene Menge an Klimpergeld in diverse Spielautomaten, denn es gab ja kein Entrinnen, sie waren überall! Also vereinbarten wir, jeden Abend nach dem Essen dürften sechs Münzen verzockt werden; sind sie alle, gehen wir nach Hause! Das hat gut geklappt.

im Bild: wertvolle Preise

Leider waren wir Eltern nicht ganz so diszipliniert, denn dieses Pferderennspiel (Bild unten) fanden wir spitze, und man konnte auch zu viert gegeneinander spielen. Allerdings stellte ich fest, dass wir tatsächlich voll die ober-noobs waren, denn einmal kam eine Familie und selbst der Sohn zog einen Lederhandschuh – der aussah wie die Autohandschuhe des letzten Jahrhunderts- aus seiner Tasche und stülpte ihn über seine Wurfhand! Ich meine, Zocken mit Spezialequipment, wie nerdig ist das bitte?! Ich war beeindruckt.

im Bild: Pferderennspiel, oder: Mutti schmeißt bunte Kugeln in Löcher, um wenigstens überhaupt mal irgendwo zu gewinnen

Allabendlich nach dem Zocken: pornöser Sonnenuntergang und auf allen Handydisplays das gleiche Bild:

irgendein Abend
ein weiterer beliebiger Abend
am letzten Abend sogar mit chinesischen Papierlaternen, als wöllte der Sonnenuntergang sagen: „Na Alte, das hättest du nicht erwartet! Wir geben hier alles und scheißen sogar auf den Brandschutz! Nur for se Romäntick!“

Zu Hause angekommen, verbreiteten sich die Nachrichten über Waldbrände und sorgten für Furchen in unser aller Gesichtern. Die Sächsische Schweiz brannte, ich konnte mir kaum die Videos anschauen. Fluten und Brände, davor hatte doch schon mal so ein Schwarzmaler gewarnt, oder? Ich schreib jetzt nichts weiter dazu, ihr wisst bescheid.

Das Kind hatte kurzfristig den Staubwedel als neues Spielzeug für sich entdeckt und „jagte“ Wollmäuse. Ich jubilierte, allerdings nur kurz, denn dann war das neue Spiel leider schon wieder uninteressant. Es gibt dennoch ein Beweisfoto, ha!

im Bild: Versuch eines Obstmandalas; Ergebnis: Obstmandala für Menschen mit Konzentrationsschwäche

Ende August kamen schon die ersten Herbsttage und ich gab den Duftkerzenbefehl für die Familie raus. Prinzipiell brauche ich dafür ja kein extra Wetter, aber es macht sich fürs allgemeine Verständnis besser, wenn ich behaupte, wir hätten ab sofort „Duftkerzenwetter“! August, das ist auch, wenn sich Bikinitage mit Schaltagen abwechseln und alles riecht ein bisschen nach Abschied – für mich keine schöne Zeit.

Ich kann nicht verstehen, warum viele den Januar so blöd finden, oder den Februar, oder den November. Ich finde den ganzen Herbst und die Aussicht auf Herbst ganz ganz niederdrückend. Herbst ist für mich der Inbegriff von Alter, Vergänglichkeit, Tod und Verwesung (zu deep?). Und nun: Willkommen im goldenen Herbst! Am Arsch mit gülden. Aber da hilft nur backen und essen, basteln und schmücken, und wenn hier irgendwann keine Kinder mehr wohnen, für die ich Halloweendekorationen konzipieren und Kekse backen kann, dann setze ich schon im Mai Eierlikör an für den Herbst. Und Holunderschnaps! Prost.

Reingezogen im August:

Joar, geht so, vielleicht ist der Film besser?
Spannender Krimi, ideal für den Urlaub
An einem Tag durchgelesen; grandiose Schreibe der Autorin/ Übersetzerin und toller Spannungsbogen; Thematisch für mich nicht unbedingt das Emanzipationsbuch, als das es beworben wird
Neues Spiel im Hause Nieselpriem; Strategiespiel für zwei Personen, hat was von Schach/Dame; wir mögen es sehr
„This is us“, sechs Staffeln; viel mehr hab ich also im August nicht ansehen können, aber diese Serie ist aufgrund der Zeitsprünge anfangs vielleicht etwas schwierig, dann aber sehr fesselnd und einnehmend; mochte ich sehr; Familiensaga meets romcom

So Leute, zum Abschluss noch ein vollkommen ungestelltes, voll natürliches Foto vom Bärtigen und seiner Zimtzicke, auf dem Dach des Hotels (wo sonst), bei sex on the beach (er) und alkoholfreiem Radler (sie). Das Kind war sich selbst überlassen und nun liken bitte alle dieses Foto wie wild, dann mache ich vielleicht auch noch Karriere als Stützstrumpfmodel oder Influencerin für geriatrische Produkte, voll authentisch und ungestellt natörlisch!

Und wenn sie nicht gestorben ist und brav ihr Tagebuch befüllt mit Stichpunkten, dann schalten sie auch nächsten Monat wieder ein, wenn es heißt: „War ja klar, die Nieselpriem hat wieder vergessen, einen Monatsrückblick zu schreiben!“.

Das letzte Wort hat heute der Blondino. Wir sitzen beim Abendbrot und er tönt auf einmal vor sich hin: „Das einzige, das ich wirklich im Leben gelernt habe, ist, dass die Liebe voller Überraschungen steckt!“: Ich weiß nicht, aus welchem Film das ist, aber recht hat er.

8 Kommentare zu “Leben und Lassen ft. irgendein Wochenende in Bildern aka ihr müsst nehmen, was ihr kriegen könnt – im August

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