Leben und Lassen ft. irgendein Wochenende in Bildern aka ihr müsst nehmen, was ihr kriegen könnt – im August

Leben und Lassen ft. irgendein Wochenende in Bildern aka ihr müsst nehmen, was ihr kriegen könnt – im August

Leute, ich sag euch, ich habe einen Fehler gemacht! Als ich letzten Monat so unschuldig und naiv vor mich hindachte, joar, also ein regelmäßiger Monatsrückblick sollte ja kein Problem sein, dass kannste problemlos hinkriegen, sonst fliegen ja die Wochen so an dir vorbei und irgendwann zeigt der Blondino dir sein erstes Achselhaar und drei Wimpernschläge später wirst du Großmutter von Drillingen und bist eigentlich innerlich noch immer zweiunddreißigeindrittel und wo verdammt ist eigentlich die Zeit hin, ich muss das konservieren, das ist der Auftrag. Also so war das, damals vor fünf Wochen.

Das mit dem Rückerinnern funktioniert natürlich nur, wenn man sich diszipliniert und zumindest stichpunktartig Tagebuch führt, weil so ein Monat doch aus dreißig Tagen (so ungefähr) besteht, und wer weiß denn noch so genau, was er vor dreißig Tagen gemacht hat? Ich jedenfalls nicht, oder nur so vage.

Deshalb: Ab sofort notiere ich alles, man wird mich mit dem Notizbuch sichten und alle werden denken, ich schreibe rüpelhafte Falschparker auf. Ihr wisst es besser, ich tu das alles nur für euch!

Zum August. Wie angekündigt, reisten wir erholungsbedürftig an die polnische Ostsee, das sagt man so, obwohl ich nicht glaube, dass die Ostsee eine Nationalität hat, oder einen Dialekt.

im Bild: Achterbahn für Todesmutige und eine Mutter, die die Augen davor verschließt, dass ihr Jüngstes nun mit seiner Muthose an gleich darauf rumfahren wird

Jedenfalls war dort an der Polnischen Ostsee Remmidemmi, alles war ein einziger Rummelplatz! Unter anderem auch mit echtem Rummel. Außerdem: Es dudelte aus wirklich jeder Ecke, jeder freie Quadratzentimeter wurde mit einem Spielautomaten oder einer Bude für Rückenkratzer und Plüschtiere vollgestellt. Reizüberflutung optisch und phonetisch.

im Bild: Rummelbesucher vor Zerrspiegel

Menschenmassen drängten sich schon in den frühen Morgenstunden an den Strand und hämmerten – Tock! Tock! Tock! – mit Gummihämmern die Holzpflöcke der Sichtschutze in den Sand.

Wir hatten weder Sichtschutz noch Sichtschutzhämmerchen, aber wir lernten schnell: Wer am schmalen polnischen Ostseestrand ein Lager möchte, der steht a) früh auf und hat b) einen Sichtschutz dabei, denn ab zehn Uhr liegen dann Mensch an Mensch, nur durch eine zarte Stoffbahn getrennt. Man gewöhnt sich an alles, schon ab dem dritten Tag war es kein bisschen seltsam. Nur das Hämmerchen haben wir nicht gekauft, und uns mit einem Stein beholfen. (Allerdings fand der Mann, es sei unabdingbar dass wir einen hässlichen Sonnenschirm und zwei noch hässlichere Campingklappstühle kaufen, ich erspare uns Fotomaterial, wir sahen aus wie die Prototypen von: „Rentner am Meer“)

Am Strand begab es sich, dass eines Tages eine junge Frau mit ihrem Fotoassistenten direkt vor unseren Füßen ein shooting abhielt, am helllichten Tag. Sie räkelte sich circa dreißig Minuten stehend, hockend, schmollmundlippig und Bauch-rein-Möpschen raus-posierend für Fotos. Danach kamen die Videosequenzen. Immer wieder rannte sie ins Wasser und wieder raus, bückte sich manchmal lasziv im kühlen Nass, und wieder von vorn. Danach war Wälzen im Sand und Wühlen in den Haaren dran, sie rollte sich dann mit einem weißen Männerhemd bekleidet in die Wellen und so weiter und so verstörend. Ewig dauerte das. Erst war ich belustigt, dann regelrecht angewidert. Da waren jede Menge Menschen in allen Größen und Formen, die der Fotokünstler vorm Posting auf Instagram vermutlich rausgeschnitten hat und dann noch einen Filter drüber, dass es aussah wie abends und „smooth operator“ von Sade obendrauf oder was weiß ich und dann gucken, wie die Like-Maschinerie abgeht.

Ich bin seitdem etwas Instagram-verkatert, vielleicht auch schon vorher. Mal sehn, ob das wieder weggeht, aber aktuell guck ich nur alle paar Tage nach den drei, vier Menschen, um die ich mir gerade Sorgen mache, weil sie öffentlich Kämpfe kämpfen, posten tu ich gar nichts. Es ist wie nach einer harten Feiernacht mit zu vielen Caipirol und du guckst morgens die Aperolflasche an mit der letzten Neige drin… so guck ich gerade Instagram an.

Irgendeine Influencerin hat neulich ein Buch herausgebracht, wo sie die Tücken und Lügen der Influencer-ei entlarven will. Ich hab mich mal auf die Leseliste setzen lassen beim Verlag und werde euch berichten, ob irgendwas Neues und niemals zuvor Geahntes da enttarnt wird.

Zurück zum Urlaub.

Das Kind erklärte sich zum Quallenfischer (SpongeBob lässt grüßen)…

und der Bärtige machte den Vorturner bei der Strandgymnastik (Teilnehmer: 1)

Wir hatten fabelhaftes Wetter und auch bei Sturm waren die Kerle nicht aus dem Wasser zu bekommen. Einmal kamen die polnischen life guards und ermahnten den Mann, die Flagge sei doch rot, er dürfe nicht baden! Später behauptete der Kerl, die Jungs wären nur gekommen, weil ich nach Hilfe schreiend am Strand rumgefuchtelt hätte und die Wellen hätten zwar das Kind immer umgeschmissen, aber der sei ja zu keiner Zeit wirklich in Gefahr gewesen! Ich denke mir, dem Mann ist nicht bewusst, dass er sich in dem Moment in Scheidungsgefahr befand. Einzig der Umstand, dass mein Fortpflänzchen schutzlos den tosenden Wellen ausgesetzt war, ließ mich fuchtelnd und schreiend am Strand verharren und nicht dem Mann seine drei Habseligkeiten in einen Turnbeutel stopfen und ins Wasser in seine Richtig schmeißen mit den Worten: „ALTER, MIT DIR BIN ICH FERTIG! DU LÄUFST NACH HAUSE!“.

im Bild: Lebensgefährliche Brandung mit Kind und verantwortungslosem Elternteil

Der Übermut des Mannes lässt sich vielleicht auch mit der Ernährung im Polnischen Urlaub erklären. Statt Salat und Eiweißshakes gab es auf einmal täglich fettige Sprotten…

und allabendlich „Sex on the beach“ (das alkoholfreie Radler gehört mir). Da kann man mal sehen, wohin übermütiger Sex am Strand führt! Ich rate dringend davon ab.

Vorm Hotel stand ein amerikanisches Polizeiauto. Warum, das wusste niemand, aber alle machten fleißig Selfies davor, ich auch.

im Bild: Miami schwarz-weiß

Ich bin jeden Morgen auf dem Laufband im Gym des Hotels auf der Stelle geflitzt. Laufband, das hätte ich bis dahin für mich völlig abgelehnt, erstaunlicherweise fand ich es aber gut! Zumal draußen kein Laufen möglich war, denn überall standen und lagen und saßen schon Menschen herum, Slalom oder Parcours wäre aber wohl möglich gewesen.

im Bild vorn: echter Mensch beim Sport; im Bild hinten: was Werber denken, wie Menschen beim Sport aussehen

Eines Morgens komme ich vom Sport aus dem Keller und gleichzeitig zwei ältere Pärchen aus dem Frühstücksraum. Da sie dasselbe Ziel hatten, liefen sie eine Weile hinter mir und meinem verschwitzten, behandtuchten Körper her. Laut sprach einer der Herren (vermutlich in der Annahme, ich sei Polin): „Also so bekloppt müsste man sein, dass man im Urlaub frühmorgens Sport macht! Überhaupt Sport! Also sowas Bescheuertes! Wir machen ja wohl alles richtig: den ganzen Tag Essen und Liegen!“, und die anderen Menschen in seiner Gruppe stimmten in dieses Mantra ein: „Ja, Essen und Liegen!“.

Ich musste so derb in mich reingrinsen und stellte mir den dickbäuchigen Mann beim Orthopäden vor, wie er sagt: „Herr Doktor, ich verstehe das nicht! Wieso habe ich denn Rückenschmerzen? Wo ich mich doch so schone! Nur Essen und Liegen, den ganzen Tag!“.

im Bild: Kohlehydratspeicherauffüllmasse, einmal mit allem bitte!

Allabendlich steckten wir eine abgesprochene Menge an Klimpergeld in diverse Spielautomaten, denn es gab ja kein Entrinnen, sie waren überall! Also vereinbarten wir, jeden Abend nach dem Essen dürften sechs Münzen verzockt werden; sind sie alle, gehen wir nach Hause! Das hat gut geklappt.

im Bild: wertvolle Preise

Leider waren wir Eltern nicht ganz so diszipliniert, denn dieses Pferderennspiel (Bild unten) fanden wir spitze, und man konnte auch zu viert gegeneinander spielen. Allerdings stellte ich fest, dass wir tatsächlich voll die ober-noobs waren, denn einmal kam eine Familie und selbst der Sohn zog einen Lederhandschuh – der aussah wie die Autohandschuhe des letzten Jahrhunderts- aus seiner Tasche und stülpte ihn über seine Wurfhand! Ich meine, Zocken mit Spezialequipment, wie nerdig ist das bitte?! Ich war beeindruckt.

im Bild: Pferderennspiel, oder: Mutti schmeißt bunte Kugeln in Löcher, um wenigstens überhaupt mal irgendwo zu gewinnen

Allabendlich nach dem Zocken: pornöser Sonnenuntergang und auf allen Handydisplays das gleiche Bild:

irgendein Abend
ein weiterer beliebiger Abend
am letzten Abend sogar mit chinesischen Papierlaternen, als wöllte der Sonnenuntergang sagen: „Na Alte, das hättest du nicht erwartet! Wir geben hier alles und scheißen sogar auf den Brandschutz! Nur for se Romäntick!“

Zu Hause angekommen, verbreiteten sich die Nachrichten über Waldbrände und sorgten für Furchen in unser aller Gesichtern. Die Sächsische Schweiz brannte, ich konnte mir kaum die Videos anschauen. Fluten und Brände, davor hatte doch schon mal so ein Schwarzmaler gewarnt, oder? Ich schreib jetzt nichts weiter dazu, ihr wisst bescheid.

Das Kind hatte kurzfristig den Staubwedel als neues Spielzeug für sich entdeckt und „jagte“ Wollmäuse. Ich jubilierte, allerdings nur kurz, denn dann war das neue Spiel leider schon wieder uninteressant. Es gibt dennoch ein Beweisfoto, ha!

im Bild: Versuch eines Obstmandalas; Ergebnis: Obstmandala für Menschen mit Konzentrationsschwäche

Ende August kamen schon die ersten Herbsttage und ich gab den Duftkerzenbefehl für die Familie raus. Prinzipiell brauche ich dafür ja kein extra Wetter, aber es macht sich fürs allgemeine Verständnis besser, wenn ich behaupte, wir hätten ab sofort „Duftkerzenwetter“! August, das ist auch, wenn sich Bikinitage mit Schaltagen abwechseln und alles riecht ein bisschen nach Abschied – für mich keine schöne Zeit.

Ich kann nicht verstehen, warum viele den Januar so blöd finden, oder den Februar, oder den November. Ich finde den ganzen Herbst und die Aussicht auf Herbst ganz ganz niederdrückend. Herbst ist für mich der Inbegriff von Alter, Vergänglichkeit, Tod und Verwesung (zu deep?). Und nun: Willkommen im goldenen Herbst! Am Arsch mit gülden. Aber da hilft nur backen und essen, basteln und schmücken, und wenn hier irgendwann keine Kinder mehr wohnen, für die ich Halloweendekorationen konzipieren und Kekse backen kann, dann setze ich schon im Mai Eierlikör an für den Herbst. Und Holunderschnaps! Prost.

Reingezogen im August:

Joar, geht so, vielleicht ist der Film besser?
Spannender Krimi, ideal für den Urlaub
An einem Tag durchgelesen; grandiose Schreibe der Autorin/ Übersetzerin und toller Spannungsbogen; Thematisch für mich nicht unbedingt das Emanzipationsbuch, als das es beworben wird
Neues Spiel im Hause Nieselpriem; Strategiespiel für zwei Personen, hat was von Schach/Dame; wir mögen es sehr
„This is us“, sechs Staffeln; viel mehr hab ich also im August nicht ansehen können, aber diese Serie ist aufgrund der Zeitsprünge anfangs vielleicht etwas schwierig, dann aber sehr fesselnd und einnehmend; mochte ich sehr; Familiensaga meets romcom

So Leute, zum Abschluss noch ein vollkommen ungestelltes, voll natürliches Foto vom Bärtigen und seiner Zimtzicke, auf dem Dach des Hotels (wo sonst), bei sex on the beach (er) und alkoholfreiem Radler (sie). Das Kind war sich selbst überlassen und nun liken bitte alle dieses Foto wie wild, dann mache ich vielleicht auch noch Karriere als Stützstrumpfmodel oder Influencerin für geriatrische Produkte, voll authentisch und ungestellt natörlisch!

Und wenn sie nicht gestorben ist und brav ihr Tagebuch befüllt mit Stichpunkten, dann schalten sie auch nächsten Monat wieder ein, wenn es heißt: „War ja klar, die Nieselpriem hat wieder vergessen, einen Monatsrückblick zu schreiben!“.

Das letzte Wort hat heute der Blondino. Wir sitzen beim Abendbrot und er tönt auf einmal vor sich hin: „Das einzige, das ich wirklich im Leben gelernt habe, ist, dass die Liebe voller Überraschungen steckt!“: Ich weiß nicht, aus welchem Film das ist, aber recht hat er.

Glückliche Fügungen feat. the Osterwochenende

Jahrelang fuhren wir stets an Ostern in die Nähe von Liberec im tschechischen Isergebirgsland. Dort hatte ein holländisches Pärchen einen alten Dreiseitenhof zu einer kuschligen Pension umgebaut und bewirtete aufs Allerherzlichste die Gäste, die zum Wandern kamen.

Nur kamen relativ wenig Menschen. Wir waren jahrelang an Ostern nahezu allein und unsere Kinder tobten über die alten Gänge, im Garten war außer uns niemand und morgens in der guten Stube beim Frühstück ebenso Leere und Stille. Außer an unserem Tisch natürlich.

Dann machte ich den Fehler und schrieb darüber, so richtig mit Link und so. Und viele Leser schrieben mir auch und wollten es ganz genau wissen: Wo war das, wie heißt das, wie ist dies und wie ist das. Ich schickte jede Menge Leute dahin. Von nun an war es Ostern nie mehr leer. Aber das machte uns nichts. Gut, die Wirtin hatte nun keine Zeit mehr um uns kleine Willkommensküchlein zu backen und die Kinder schienen ihr auch oft ein Ärgernis zu sein mit ihrem Kinderlärm und weil sie über den Rasen rannten. Dennoch kamen wir weiterhin an Ostern wie eh und je, mieteten stets das gleiche Appartement und verabschiedeten uns stets mit den Worten: „Tschüss, bis nächstes Jahr!“.

In diesem Jahr nun teilte man uns mit, es wäre kein Zimmer frei für uns. Schluss, aus.

Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Und ich nahm das persönlich. Ich fühlte mich gekränkt, ungewollt und war stinkesauer.

Der Beste ließ sich nicht beirren, setzte sich vor die große Internetmaschine und suchte für uns und die befreundete Familie, mit der wir stets die Osterfeiertage verbringen, ein anderes Quartier. Ich schmollte derweil und betrauerte meine lieb gewonnene Tradition.

Und so fuhren wir in diesem Jahr in ein Hotel. Auch ein altes, umgebautes Gemäuer, früher war es wohl ein Schloss. Pferde und Rindviecher sollte es geben und ein Restaurant auf dem Areal. Ich war dennoch skeptisch. Rückblickend muss ich nun sagen: Zum Glück haben uns die Quartiereltern der „alten“ Pension den sprichwörtlichen Stuhl vor die Tür gestellt. Zum Glück! Denn ansonsten hätten wir diese Kleinod niemals kennengelernt! Was für ein glücklicher Umstand im Nachhinein.

Inmitten einer herrlichen Landschaft und Wiesen, soweit das Auge reicht, liegt ein Anwesen mit anmutigen Pferden, die morgens geritten werden dürfen, stehen wunderschöne schottische Hochlandrinder auf der Wiese, gibt es Platz zum Rennen und Toben und Kreischen und Tollen und Erkunden und jede Menge andere Kinder zum Spielen waren auch da!

Weil uns an einem Ort der Aufenthalt verwehrt wurde, fahren wir ab sofort möglicherweise immer an Ostern zu den Pferden und Rindern und den Wiesen und all dem Schönen hier. Und bitte fragt mich nicht nach der Adresse! Aus verständlichen Gründen unterliegt die diesmal der nieselpriemschen Schweigepflicht. 🙂

Wir saßen in der Sonne…

… spielten Tischtennis oder

… tobten auf dem Trampolin.

Am Abend gab es ein Lagerfeuer und…

… unser traditioneller Ostermarsch führte uns in diesem Jahr zwar nicht auf den Jeschken (so wie sonst immer; ich war schon wieder kurz traurig), aber wir acht erkundeten wandertechnisch für uns Neuland. Und: Es war schön! Doch, wirklich. Und wieder einmal dachte ich: Zum Glück war unser Zimmer belegt in der ursprünglichen Pension.

Am Abend nach dem Wandertag gab es böhmischen Gulasch von den lieben Rindviechern hinterm Hof, dazu Knödel und herzhafte Kartoffelpuffer. Ganz klar: Wir sind in Tschechien!

Als wir wieder daheim sind, fällt mir das große Fleischpaket in die Hände, das meine Mutter uns vor der Abfahrt als „kleines Ostergeschenk“ überlassen hatte, und von dem ich fand, nichts wäre unpassender als das. Menschen, die für vier Tage verreisen, ein Fleischpaket zu schenken!

Doch: Auch dies schien irgendwie am Ende eine glückliche Fügung zu sein, denn wir freuten uns wie blöde darauf, bei herrlichstem Osterwetterchen den heimischen Grill anzufackeln. Gesagt, getan. Und danke schön, Mütterchen, das mit dem Fleischpaket war eine urst knorke Idee. So im Nachhinein betrachtet.

Während die Mannen grillen und unter Aufsicht zündeln (der Kleinste), lese ich mich bei Instagram auf den neuesten Stand (Ich finde ja, Instagram ist das neue Facebook und Twitter sowieso nur ein Hort des Bösen; also ja, Instagram fetzt mir sehr). Da schreibt eine von mir sehr geschätzte Person, wie abartig sie doch all diese Heile-Welt-Blogger fände mit ihrer Tüdelütt-wir-sind-so-fröhlich-Attitüde und bei denen alles so heiditei-glücklich-verfiltert-perfekt erscheint, und dass sie denen jetzt rigoros entfolgt sei! Richtig so, denke ich mir und like aus Prinzip (ich sagte schon, ich schätze diese Person sehr). Dann, aus einem unerklärlichen Impuls heraus, sehe ich nach und muss feststellen, sie folgt nun auch mir nicht mehr!

Schockschwerenot, bin ich ein Netzmensch mit Perfektionswahn und angeberisch-reißerisch-glücklicher Attitüde? Ich?!

Und dann denke ich: Ja, verflixt und zugenäht und halleluja! Ja, ich bin noch mal verdammt glücklich im Moment! Und scheiße, fühlt sich das gut an! Und danke, dass du mir durch das Entfolgen die Augen aufgemacht hast, geschätzte Instagramperson. Ich will das genießen, solange es so ist und festhalten für schlechte Zeiten (Ja, Mensch, ich weiß! Aber versuchen kann ich es doch trotzdem.), und ich haue jetzt mit Veilchen, keimende Knospen und Kindern im Sonnenschein um mich und vielleicht knalle ich euch sogar noch einen Sonnenuntergang vor die Füße! Halleluja!

Warte, fast den Scheißsonnenuntergang vergessen…

 

„Das ist die Drossel, die da schlägt,
Der Frühling, der mein Herz bewegt;
Ich fühle, die sich hold bezeigen,
Die Geister aus der Erde steigen.
Das Leben fliesset wie ein Traum –
Mir ist wie Blume, Blatt und Baum.“

(Theodor Storm 1817-1888, deutscher Schriftsteller)

 

Ein Hotel am Meer

Der Bärtige wollte seiner ihm Angetrauten, die auch als „die Meersüchtige“ bekannt ist, eine große Freude bereiten und hatte die kleine Familie über den Jahreswechsel in ein Hotel an der Ostsee eingebucht.

Und die Freude war groß!

Jetzt ist alles vorbei, die Waschmaschine röhrt bereits seit Stunden verzweifelt und ich sitze hier mit frischen Erinnerungen zwischen unausgepackten Tüten…

Gemeinsamer Urlaub ist ja bei uns immer etwas… nun ja, spannend. Da wir so vollkommen verschiedene Urlaubs- und Reisetypen sind, ist alles eine Challenge. Von der Planung über die Anreise, das Verhalten vor Ort, die Liste ist beliebig erweiterbar. Eines ist es jedenfalls nie: Langweilig!

In der Pack-Phase beäugte der Allerbeste bereits ängstlich und argwöhnisch die größer werdenden Haufen auf unserem gemeinsamen Bett. Er selbst war schon tagelang fertig mit der Packerei: Zwei Shirts, ein Hemd, Socken, Boxerdingsbumse. Dreißig Kubikzentimeter. Er hätte also problemlos mit einem Kulturbeutel reisen können.

Ich brauche stets den kompletten Platz unseres Kofferraumes. Und alle Fußräume im Auto!

Normalerweise steuern wir zur familiären Erholung Ferienhäuser an, beladen mit quasi allem. Und da das so drin steckt in mir, ging ich vor nach Schema F: F… ielleicht brauch ich das. Alles musste mit. Ich rechne bei der Packerei immer praktischerweise in Ikea-Beuteln: Ein Sack pro Person, ein Sack zusätzlich für Kosmetikartikel, ein Sack für Spiele, Zeitschriften, Bücher, und zwei Sack als Reserve für das Gedöns von mir, das dann doch nicht in die anderen Beutel passte (Meine ausgeprägte Vorliebe zu blaugelben Plastiksäcken ist bekanntermaßen grenzenlos und das Auto lässt sich damit prima nach dem Tetris-Prinzip beladen.).

Der Bärtige meinte allerdings, in ein Hotel könnten wir so nicht anreisen, wie sähe das denn aus?! Und er überraschte mich mit der Aussage, er habe die Koffer aus dem Keller nach oben geholt. Ich war neugierig. Denn, Koffer als Plural? Soweit ich mich erinnere, besitze ich ein kleines silbernes Hartschalen-Dienstreise-Köfferchen und er einen achtzig Liter- Rucksack. Das wars.

Koffer? Welche Koffer?

Ich weiß nicht, aus welchen Kellerecken er die Schmuckstücke geborgen hatte, mit denen wir dann später stilecht verreisten, aber ich bedaure jetzt gerade sehr, euch kein Foto präsentieren zu können! Er hatte eine ramponierte schwarze Reisetasche gefunden, die ich noch nie gesehen hatte. Eine weitere Reisetasche bestach mich mit ihrer grellblauen Farbe, die meine Augen bluten liess und weil das noch nicht gereicht hätte, prangte riesengroß ein Aufdruck vorn drauf: TECHNO (Ich datierte aufgrund des Prints das Herstellungsdatum in die frühen Neunziger). Der absolute Knaller aber war ein großer Koffer mit Camouflagedruck. Ein wunderschönes Stück! Vielleicht aus dem Armeefundus? Ich weiß ehrlich nicht, wie wir in den Besitz dieses Teils gekommen sind, aber damit stand also die Reisegarderobe fest. Und wahrlich: Wesentlich spektakulärer als Ikea-Beutel!

Unser Familienhotel am Meer erwies sich als eine Appartmentanlage irgendwo auf einer riesengroßen Wiese. Das Meer war drei Kilometer entfernt, aber nur Luftlinie und auch nur dann, wenn man nur jeden zweiten Meter zählt. In Wahrheit musste man lange mit dem Auto fahren, um Wasser zu sehen. Das war etwas betrüblich. Aber ansonsten hatten wir sehr viel zu lachen. Und fühlten uns auch ab dem ersten Tag wie zu Hause: Der Beste reparierte erstmal die Außenjalousien und ich organisierte feuchte Reinigungstücher und putzte den Dreck mehrerer Vorgangsbelegungen aus dem Appartment. So kann man sich die Zeit vertreiben. Was soll man auch machen, wenn es draußen wie aus Eimern schüttet, stürmt, dass die Balkonmöbel in der Gegend rumfliegen und man sich Steine in die Taschen stecken muss, damit man nicht davonfliegt. Weit aufs Meer.

An die Appartmentanlage angeflanscht war ein Schwimmbad, welches wir selbstverständlich täglich frequentierten. Auch weil in Ermangelung eines funktionierenden WLANs keinerlei anderweitige sinnvolle Freizeitgestaltung („Scheiße! Ich wollte hier bloggen! Jetzt kann ich nicht mal einen Beitrag bei Facebook öffnen!“. „Papa, ich will sofort nach Hause! Was soll ich hier bloß eine Woche lang ohne Internet machen?!“) möglich gewesen wäre.

Ich hasse Schwimmbäder!

Wenn ich in dem lauwarmen Babybecken saß, wurde mir ständig klar, dass Schwimmwindeln eigentlich nur Makulatur sind und schon zwei Hosenscheißer ausreichen, um das Wasser vollständig zu kontaminieren. Weil alles Wasserlösliche ausgeschwemmt wird. Irgendwann. Und dann diese Leute! Überall diese Leute! Ständig wollte ich schreien: „Mensch, verhülle dich!“. Faltiges oder wucherndes fahles Fleisch, notdürftig behangen mit unzureichend Stoff. Rudimentärer Fellbesatz. Ich will das nicht sehen! Am widerlichsten sind die, die nah an einem vorbeiwaten, während man im Babybecken sitzt und notgedrungen fluchtunfähig nur seufzend die Augen verschliessen kann und leise bitten: „Geh vorbei. Geh schnell an mir vorbei!“. Und diese Bademäntel! XXL, selbstverständlich. Wenn ich die Treppe ins Bad herunterwandelte, sah ich aus wie eine Braut, die eine drei Meter lange Schleppe hinter sich herzieht. Oder eben wie eine hutzelige Zwergenfrau, die vier Kilo Stoff die Stufen herunterwuchtet, ein Kleinkind auf der Hüfte sitzen hat und verzweifelt versucht, sich im Frottee nicht zu verheddern. Wenn ich einmal um das Becken geschlurft bin, brauchte der Bademeister nicht mehr wischen. Ich putzte mit meinem Bademantel.

Beim Essen hatten wir auch unseren Spaß. Ich eigentlich weniger, weil mich derartige Menschenansammlungen doch sehr erdrücken und ich mich ungern in eine Schlange stelle, um mir meinen Teller befüllen zu können. Diese „all you can eat“-Mentalität versaut mir den Appetit. Drei Teller vollbeladen („Ham wir schliesslich alles bezahlt!“) und dann die Hälfte wegschmeissen… Aber ich konnte doch gelegentlich schmunzeln über die Mitanwesenden (Sachsen in der Überzahl) oder das Personal, das uns stets freundlich begrüßte, aber ganz egal, ob man ein Wasser wollte, einen Hochstuhl ordern oder einfach nur eine erotische Fußmassage bestellen, stets antwortete: „Bitte warrrrten sie meine Kollega!“. Und zwar alle! Und so organisierten wir uns den Hochstuhl selber, tranken nichts zum Essen und das dritte hab ich sowieso erfunden.

Selbstverständlich verfuhren wir uns wie immer bei jeder sich bietenden Gelegenheit und ebenso selbstverständlich verweigerte der Beste die Benutzung des (zu unserem Besitz gehörenden, während der Fahrt stets in greifbarer Nähe befindlichen) Navigationsgerätes: „Ich brauche das Scheißnavi nicht! Ich WEIß, dass ich falsch abgebogen bin!“, und fährt dann noch zweimal falsch in irgendeine Straße. Sehr amüsant. Außer, wenn man Hunger hat und in der Pampa einen Burgerladen sucht. Oder eine Pizzaria. Oder eine Tankstelle, die Brötchen verkauft…

Schön war auch, als ich für unseren letzten Tag etwas ganz besonderes rausgesucht hatte. Ein Einheimischer hatte mir einen Tipp gegeben. Es sollte da irgendwo ein romantisches Fischerdorf sein, total versteckt, noch nicht mal die Russen hatten das nach dem Krieg gefunden (Im Nachhinein bin ich sicher, die hatten gar nicht gesucht!). Das romantische Dörfchen war überrannt von vornehmlich sächsischen Touristen, behangen mit teuren Kameras, die der Weihnachtsmann eine Woche vorher gebracht hatte. Man sah das Meer kaum vor lauter Leuten, die posend auf umgestülpten Booten standen und sich fotografieren ließen. Überall roch es nach öffentlicher Toilette. Ich nehme an, der Einheimische hatte sich einen derben friesischen Witz erlaubt mit mir. Und dabei hatte ich meinen ultimativen Ausflugstipp derart beworben und wollte Romantikbonuspunkte sammeln!

Aber wir haben ein wundervolles Stückchen Welt am Strand gefunden. Am Neujahrsmorgen in Lohme. Keine Sau da. Nur wir. Und das Meer. Hach, war das schön ❤

Aber ihr braucht da gar nicht mehr hin, jetzt wissens ja alle!

IMG_1956