Die schönste Zeit des Jahres

Wir sind nicht urlaubskompatibel, der Beste und ich. Der eine schreit „Meer!“, der andere „Berge!“ (oder allenfalls „Mehr Berge!“). Und diese Affinitäten sind bei uns auch noch extrem ausgeprägt.

Egal wo wir sind, wenn irgendwo am Horizont ein Hügel sichtbar ist, am besten noch mit einer schneebedeckten oder qualmenden Kuppe: „Oh! Das ist aber schön! Da will ich hin!“ (Er). Ein Maulwurfhügel im Garten und er steigt ganz sicher drauf: „Erstbegehung!“.

Mich zieht´s zum Wasser. Ich bin meersüchtig. Ich kenne zwar ein paar Weltmeere (vom Strand aus), aber mein Lieblingsmeerchen ist ganz klar die Ostsee. Wenn ich denn mal da bin, stolpere ich glückstaumelnd an den Strand wie ein Wüstenwanderer in eine Oase, schmeiße mich in den Sand, streichle den wundervollen Untergrund, starre grenzdebil aufs Wasser…und tauche ein in Transzendenz! Ich brauche nichts, ich denke nichts, ich atme, ich bin, ich bin vollkommen seelig… Bis ein Schatten meinen Blick verdunkelt: „Hier isses langweilig! Kein Berg! Nicht mal´n Hügel! Und was is´n das für Zeug in dem Ikea-Beutel?! Steine?! Vierzig Kilo Steine? Oh nein, sag mir nicht, das willst du mitnehmen! Unser Zuhause sieht jetzt schon aus wie Stonehenge!“.

Urlaubsfoto von ihr

Urlaubsfoto von ihr

Ich habe im Gegenzug für ein paar Steine vom Strand ungezählte Urlaube in den Bergen hinter mich gebracht, adrenalinbesoffen und stinkend vor Angstschweiß an mindestens fünfzig Zentimeter hohen Abgründen entlanggehangelt, hysterisch schreiend, der Arschlochvater solle gefälligst das Kind mit seinem Gürtel sichern und in abrissreifen Bruchbuden („Sie haben eine wahnsinnstolle Sicht auf die Berge!“) mit einem verbeulten Topf ohne Henkel und einem rostigen Wok Essen gekocht. Ich habe mich zwölftausendmal verlaufen mit dem Bergsüchtigen, der behauptet, er könne Karten lesen. Oder „aus Versehen“ das Navi vergessen hat mitzunehmen um den Challenge-Charakter des Ausfluges zu erhöhen. Bin mit Wurstschnitten im Rucksack durch Wälder, Gebirge und Steinshaufen gekraxelt um den wundervollen, anbetungswürdigen Mann, den ich geheiratet habe, glücklich zu machen. „Wenn ich hier jemals lebend aus diesem gottverfluchten, verfickten Scheißwald rauskomme lass ich mich scheiden! An der nächsten Wegkreuzung!“.

Wir verreisen jetzt getrennt. Nicht immer, aber öfter.

Alle zwei Jahre packt der Beste seinen Rucksack und seine Kumpels und dann stapfen die durch irgendwelche Dschungel am anderen Ende der Welt. Steigen auf Vulkane oder Gletscher, schlafen in Zelten auf Bergen oder in finstren Gegenden, reisen und speisen wie die Einheimischen und wechseln drehen nur alle paar Tage ihre „Schlübber“ auf links.

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Urlaubsfoto von ihm

Und ich finde das wundervoll! Wenn er nach ein paar Wochen im Nirgendwo und genug Bohnensuppe intus, um meine überragenden Kochkünste wieder schätzen zu können, heimkommt…dann habe ich Herzklopfen! Muffensausen wie eine Siebzehnjährige!

Zum Flughafen schaffe ich einen Schreibtischtäter mit zarten Händen und empfindlicher Haut und ein paar Wochen später spuckt mir der Flughafen einen braungebrannten, vollbärtigen Weltbezwinger aus mit Pranken zum Bärentöten und einem Blick, der sagt, dass er das auf der Stelle tun würde, sollte jetzt ein Bär auftauchen und sich zwischen ihn und mich und den heißesten Kuss der Welt stellen! Und wenn wir irgendwann aufgehört haben zu knutschen, zeigt er mir Bilder und Videos und seine Begeisterung schwappt rüber zu mir und mein Stolz auf ihn rüber zu ihm…und so geht das hin und her. Das ist wie eine Frischekur für unsere Ehe. Während der Trennungszeit schreiben wir uns Liebesbriefe (Na gut! Mails!) und sehnen uns nach einander. Ich mag Vermissen! Zumal das Sehnen mit dem Vergessen der Macken des anderen einhergeht. Je länger er weg ist, umso toller und Superman-mäßiger wird er.

Es gibt allerdings Stimmen im Umfeld, die offen sagen, sie fänden das indiskutabel! Der Mann hat Familie! Und Verantwortung! Wie kann der seine Frau mit den Kindern wochenlang alleine lassen um seinen Spaß zu haben (Und wie kannst du als Frau derartige Faxen unterstützen?! Wenn das nun alle machen wöllten!).

Richtig. Er hat Verantwortung! Und zwar in erster Linie für sich und sein Wohlbefinden. Genau wie ich. Uns gefällt die Idee einer Partnerschaft, in der Individualbedürfnisse nicht hinter dem Kollektivbedürfnis zurückstecken müssen. Ich kann das machen, WEIL ich mit dir zusammen bin und du meine Träume unterstützt. Auch wenn es nicht deine Träume sind. Träume haben wir alle und auf vielen Sinnspruchkarten steht gern auch der Wunsch nach …Mut, sie zu verwirklichen… Ist es nicht schön, wenn man nicht nur den Mut dazu hat, sondern auch jemanden an der Seite, der einen nicht bremst sondern bestärkt? Wenn man dadurch lernt, dass Träume keine Schäume sondern Pläne in einer Grobkonzeptionsphase sind? Und dass dieser Mensch auch stark genug ist zu sagen, ich brauche dich, aber in erster Linie möchte ich, dass du glücklich bist! Tu, was dafür nötig ist und sag mir, wie ich dich unterstützen kann.

Und er träumt nun mal von Semeru, Krakatau, Nanga Parbat und Machu Picchu (Gesundheit!). Ich will da nicht hin! Aber warum sollte er das dann lassen?! Im Gegenzug nimmt er Urlaubstage und fährt babysittend mehrmals täglich durch die Stadt um mir das Kind zum Stillen zu bringen, weil ich mir zum Beispiel in den Kopf setze, im Wochenbett noch eine Ausbildung mit unklarer Zukunftsperspektive beginnen zu müssen. Und zwar selbstverständlich!

Ich träume ganz bestimmt bald wieder von der Ostsee. Und von Steinen. Einem Ikea-Beutel voller Strandgut. Da muss er dann durch. Immerhin könnte es durchaus schlimmer kommen: Ich könnte ja schließlich auch von einem Trantra-Seminar auf Goa träumen oder ein Sonnenstudio eröffnen wollen oder eine Agentur für männliche Nacktputzer. Oder mit ihm einen Walzerkurs belegen wollen…

Und ihr, macht mit euren Träumen was ihr wollt! Und habt die schönste Zeit des Jahres. Am besten jetzt.

16 Kommentare zu “Die schönste Zeit des Jahres

  1. Ach ja, Papas und Berge. Kenne ich aus leidvoller Erfahrung. Ich bin seitdem kaum mehr über 500 Höhenmeter anzutreffen, und bevorzuge Sport in der Ebene 🙂 Hat mir aber nicht geschadet, dass ich Hütten und Klettersteige auch kann.

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  2. Muss natürlich jeder nach seinem Gusto handhaben, aber ich persönlich finde getrennte Urlaube durchaus in Ordnung. Für Zu viele faule Kompromisse sind doch diese wertvollen Tage im Jahr echt zu schade. Ich habe das Glück, dass bei uns alle ans meer wollen, bin aber trotzdem schon öfters ohne meinen Mann verreist 🙂 Liebe Grüße aus Dresden-Ost

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  3. wunderbar! Jeder gönnt dem anderen seinen Traum. (ich empfehle übrigens die nordspanische Region Asturias. Dort hat es beides, den Atlantik UND die Picos de Europa!)

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    • Danke für den Tipp, Sandra! Meinst Du, wir sollten es noch mal gemeinsam probieren?! Teneriffa schien auch beides zu vereinen… Hochgebirge+Meer. Nur so viel: Wir waren nur einmal dort… 😉

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  4. Pingback: Brief an einen Reisenden | Nieselpriem

  5. Ach du Süße! Das klingt sehr sehr schön wie Ihr euch liebt und leben lasst! 🙂 Ich war vor 2 Jahren eine Woche zum Yoga auf Mallorca und wenn die Ferien nicht so doof liegen würden, wäre ich nächstes Jahr sooooooo gerne nach Indien mitgeflogen. Da haperts aber auch etwas an den Kosten! 😉
    Der Göttergatte fährt jährlich mit seinen Jungs zum skilaufen in die Berge und zum Neusser Schützenfest! Ich gestehe, ich mag es auch mal alleine was zu machen. Wir gönnen uns auch ab und an mal ein Wochenende getrennt von den Kindern! 🙂
    Und bei der Nacktputzer-Agentur wäre ich auf Jeden Fall Deine Kundin! :-*

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  6. Meiner hats mit der Wüste. Oder mit Schlamm. Abwechslungsweise oder beides gleichzeitig.
    Ich brauche nur einen Liegestuhl und meinen E-Reader mit etwa 8000 Büchern drauf, damit ich Auwahl habe (in vor-E-Reader Zeiten war das heftig, da ich immer 2 Koffern voller Bücher mitgschleppte und Kleider vor Ort dazu kaufen musste…).
    Wir haben uns dann Jahrzehntelang kompromissbereit gezeigt: Er roadete off und ich las auf dem Beifahrersitz (zum Glück kann ich im Auto lesen ohne zu kotzen). Nur seit da noch ein Kurzer rumnölt, geht das nicht mehr mit dem in Ruhe lesen denn jemand muss sich mit dem Nölenden abgeben und am Ende bin das meistens ich, weil irgendwann kann man auch mit dem lautesten „geht du“, „nein, ich habe Ferien, geh du“ den brüllenden Kurzen nicht mehr übertönen.
    Und ich finde Wüsten viel zu sandig und Schlamm viel zu schlammig, um wirklich Spass zu haben!

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  7. Oh, das klingt toll! an so einer verliebten Gelassenheit arbeite ich auch. Irgendwann. Also nicht genau jetzt. Aber bestimmt bald. 🙂
    Ihr seid ein tolles Vorbild. (und dass sag ich nicht nur, weil es 5:30 ist)

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    • Ja, das klingt toll, wenn man das hier liest. Aber wir sind auch nur Menschen! Wenn es Spaß machen würde, würde es ja nicht „BeziehungsARBEIT“ heißen 😉 Also nur keinen Neid! Wir sind seit 17 Jahren zusammen und glaub mir, da waren nicht alle schön, da waren sogar 2 Trennungsjahre dabei (jetzt weißt du ein Geheimnis). Also bitte kein Vorbild, liebe Minulinu, bitte nicht. Ich wünsch Dir Gelassenheit, auch verliebte. Das ist das beste! Sowas in sich zu finden ❤ Sonnige Grüße

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      • Na, ich hab zwar keine 17 Jahre Beziehungsarbeit auf dem Buckel, aber ich hab schon mitgekriegt, dass die Super-Beziehung/Super-Familie allenfalls ein Ideal ist und niemals Realität.
        Deinen Wunsch nach verliebter Gelassenheit für mich nehme ich aber gern…

        Das mit dem Vorbild bezieht sich für mich auf Euren eigenen Weg. Ich denke nicht, dass Papasch und ich getrennten Urlaub wollen (wir sind da ungemein kompatibel was die Kombination aus Küste und Städtetrips angeht). Aber: wir sind auf einer großen Suche nach unserer gemeinsamen Lebensart. Getrennt könnt wir genießen. Als Singles oder Paare ohne Kinder kennen wir uns aus. Aber wie bringen wir das alles zusammen? Was können wir zusammenbringen und was passt da einfach nicht rein, ist aber dennoch wichtig?

        Manche Ideen müssen ja reifen um dann zum rechten Zeitpunkt angestoßen zu werden. Und Deine Texte rücken für mich einige innere Wahrheiten in ein anderes Licht.

        Sicher hast Du mehr erlebt und kannst aus einer anderen Perspektive schauen. Aber das heißt ja nicht, dass ich nicht für einen Moment auf die Zehenspitzen komme um auch mal durch Dein Fernglas zu sehen. Ganz kurz. Mit meinen Augen.

        Mir macht das Mut. Vorbild hin oder her. 🙂

        Liefs,
        Minusch

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