Weihnachten mit…

… einem Kind der Kirche

Wenn man neben einer Kirche wohnt, kann das Gebimmel nervend sein. Oder aber glücksverheißend. Unser Blondino, das Kind zweier Atheisten, flippt aus, wenn die Glocken läuten und seit er weiß, dass darauf im Anschluss Musike folgt innerhalb dieser schönen Halle, klatscht er nun regelmäßig in die Hände nach Ertönen des Glockenklangs: „So. Gema Gürsche!“. Gema also unregelmäßig. Er freut sich doch so! Und zwischen den Orgelstücken erfreut er die Gemeinde mit „No mal!“-Rufen und feuerte den Organisten lautstark an: „Weita! Weita!“. Auch ist er eher der freestyle tänzerische Typ, der gern mitsingt („Oh fröllische Gristeburt, oh Tanzebaum!“) und dabei auf der Bank abhottet, die Arme nach oben gereckt. Zu seinem himmlischen Vater?! Wir wissen es nicht. Ich meine, er ist zwei! Der redet mit uns nicht über seine Religion.

Am Heiligabend ist die Kirche proppevoll, da fällt ein feiernder Zweijähriger wirklich nicht auf. Heute, am zweiten Feiertag, ist das ein wenig anders: Musikalischer Gottesdienst, Bachkantaten. Chor, Orchester. Zum Knien schön! Alle Leute ganz feierlich, wir auch. Nur etwas abseits. Das Kirchenbaby lauscht andächtig, verzückt blinzelnd, hält ganz still. Wir staunen das Kind an, während die zauberhafte Musik uns umhüllt. Feierlicher, weihnachtlicher geht nicht. Dann stoppt der Chor. „Weita! Weita!“. Diesmal gucken schon einige. Der Pastor erscheint und spricht. Dann dreht er sich zum Kreuz, um mit seiner Gemeinde zu beten. „Umkrehn, Opa! Umkrehn!“, ruft es laut aus unserer Reihe. Und: „Singt! Singt!“. Gott sei Dank (ER hatte ein Einsehen) wurde dann auch wieder gesungen. Nach jedem Lied ertönte der Blondino bedauernd: „Alle alle! Applaus!“.

Die Kinder wurden dann vom Pfarrer eingeladen, zum Kindergottesdienst zu entschwinden, damit die Eltern in Ruhe Bach hören könnten. Logischerweise springt unser Windelärschel auf: „So. Gema!“, als würde er schon immer dazugehören und sortiert sich inmitten der Kinderschar an vorderster Stelle ein, um mit der laternenschwenkenden Kindergottesdienstbetreuerin mitzulaufen.

Es gab dicke Tränen, als wir ihn davon abhalten mussten (wir hatten keine Ahnung und bereits andere Pläne), ich nehme aber an, das Kind hat seine Peergroup gefunden. Amen.IMG_0239

 

… Senioren

In unserer Familie gibt es Senioren. Ich liebe sie alle, denn sie sind ein Quell unerschöpflicher Freude. Zum Beispiel, was Geschenke angeht (braune Stoffbeutel, Plastikpflanzen oder wie jetzt an Weihnachten Buttermilch, Joghurt und Mango in Dosen nebst einem Rezept für Mangolassi. Wohlgemerkt, in der Großküchenabmessung! Mein Kühlschrank ist voll mit Buttermilch und Joghurt natur… und eigentlich mag niemand von uns Mangolassi.).

Schön ist es auch, wenn man mit Senioren essen geht. Weihnachten hat man dazu Gelegenheit und folgende Begebenheit ist ein jährlich grüßendes Murmeltier, weil sie wirklich, wirklich und nicht übertrieben genau so seit Jahren abläuft. Und im selben Restaurant, möchte ich hinzufügen.

Wir haben bereits Getränke bestellt, da platzieren sich die Senioren noch mit ihren Beuteln, Taschen und so weiter. Kann ich hier eigentlich irgendwo meine Jacke hinhängen? Stühle rücken. So wirds gehen. Der Kellner erscheint zum zweiten Mal und richtet das Wort an die Senioren: „Und? Getränkewünsche?“. „Was haben sie denn?“. (Kellner rollt verzweifelt mit den Augen) „Was wollen sei denn trinken?!“. „Haben sie Bier?“. Kellner zählt die Biersorten auf und Opa bestellt das Bier, das er immer bestellt. Oma will eine „Mirinda“, das ist die Orangenlimonade in der DDR gewesen. Fanta geht aber auch. Wir stoßen auf Weinachten an und Opa fragt, ob wir „Bauer sucht Frau“ geguckt hätten? Früher kam ja noch „Ein Kessel Buntes“ oder „Zwischen Frühstück und Gänsebraten“ mit Helga Hahnemann, das war schön damals. Aber „Bauer sucht Frau“ ist auch schön… Der Kellner kommt zurück. Wir bestellen Hirsch, Ente, Kaninchen, Rotkraut, Rosenkohl, Klöße. Dann sind Opa und Oma dran. Und das Spektakel nimmt seinen jährlichen Lauf. „Eine Seniorenportion Schnitzel bitte!“. „Wir haben keine Seniorenportionen!“. „Dann nehm ich ein halbes Schnitzel!“. „Wir machen auch keine halben Schnitzel!“. Wir reden den Senioren gut zu, sich an die Portion für die Großen zu trauen und versichern, man könne den Rest doch einpacken für abends, morgen, nächste Woche! Gut. Unsere Weihnachtsessen und das jährliche Schnitzel werden serviert. „Halt, junger Mann, kommen sie mal zurück! Wieso habe ich Kartoffeln und keine Bom fritz? In der Karte steht Bom fritz.“. „Nein, in der Karte stehen zum Schnitzel Kartoffeln. Wir haben gar keine Pommes frites!“. „Also hören sie mal, ich komme schon seit Jahren hierher essen und immer esse ich Bom fritz zum Schnitzel!“. „Aber ich sage ihnen, wir haben wirklich keine Pommes frites auf der Karte!“. „Kommse her, ich zeig es ihnen… hier… Schnitzel mit Bom fritz.“. „Nein, da steht Kartoffeln!“. „Ach, wirklich?“.

Es schmeckt auch immer allen. Und unsere rüstigen Senioren schaffen auch erstaunlicherweise Riesenschnitzel!

Nur bezahlen lassen wir sie nicht mehr. „Was hamse gesagt? 149,30€? Dann machense 149,50€, ist schließlich Weihnachten!“.DSCN3286

 

 

 

Es war einmal ein Möbelhaus…

…da gingen die Rentner ein und aus.

An der Peripherie der gemütlichen Elbestadt steht ein ganz bestimmtes Möbelhaus. Ein Gruselhaus!

Namentlich war mir die Bude schon seit Jahren geläufig, ist es doch so, dass es sich als quasi unmöglich gestaltet, mit meiner Mutter „einfach mal so“ ein Treffen auszumachen. Was die Rentner heutzutage für einen Stress haben, da machste dir kein Bild von! Und wenn ich so mit ihr am Telefon den Terminkalender durchforste, kommt ganz sicher: „Nein, an dem Tag kann ich nicht. Da gehen wir mit Rettichs zu Möbel-Dings. Und an diesem bin ich bei der Kosmetik. Nein nein, da geht es auch nicht, da sind wir mit Haubenreissers bei Möbel-Dings.“. Immer dieses Möbel-Dings! Und wenn man sich doch mal trifft, wird kurz nach der Begrüßung erzählt, dass man bei Möbel-Dings war Schweinshaxe essen. Für zwei fuffzig! Mit Klößen!

Irgendwann besprach mich die beste Schwester von allen, ich müsste dort unbedingt mal hin. Die hätten einen Depot-Shop eröffnet und werben mit Schnäppchen für Neukunden. Da die weitverbreitete Dekosucht und der damit einhergehende zwanghafte Hamsterkauf von Stehrums und Rumhängern mich in ihren Fängen haben musste ich dort also wirklich hin. Außerdem will das Wohnambiente auch andauernd entsprechend umdekoriert werden: Frühling allgemein, Ostern, Sommer, Erntedank, Herbst allgemein, Halloween, Advent, Neujahr. Um wirklich nur die absolut nötigsten Termine zu nennen. Und auch wenn ich quasi im Eingangsbereich des Schwedenshops wohne, kann man mich durchaus mit dem Begriff „Schnäppchen“ auch mal zwanzig Kilometer an die gegenüberliegende Seite der Stadt locken.

Schon auf dem Parkplatz kriegte ich Blutdruck. Weißkappen, die im ersten Gang mit röhrendem Motor die vierte Parklücke erfolglos testen. Ist auch schwierig, so einen Zwergen-Koreaner mittig in einer winzigen, zwanzig Quadratmeter kleinen Parkbuchse zu platzieren!

Mit hochroter Rübe und geschwollener Halsader enterte ich irgendwann das Möbel-Dings. Volksmusik bereits im Eingangsbereich. Augen zu und durch. Ab zum Counter, Neukunde werden. Es dauerte. Das Personal hat sich der Geschwindigkeit der Zielgruppe angepasst. Zu zweit schafften sie es innerhalb einer Zeitspanne, in der ich einen Bügelkorb Wäsche bezwungen hätte, meine Daten in das System zu übertragen. Atmen.

Ab in den Depot-Shop und mir den Wagen zugeknallt. Immer um die Weißkappen drumrum, die dort schon schnatternd die Gänge verstopften, ohne wirklich Kaufinteresse an dem Dekokram zu zeigen.

Mich überkam ein Hüngerchen und zugegebenermaßen auch die morbide Neugier auf das von meinen alten Leuten so regelmäßig frequentierte Restaurant. Auf dem Weg dorthin konnte ich einen Blick auf das Sortiment der Möbelbude werfen. Gelsenkirchener Barock meets Pflegeheimfeatures. Eine Couch, an Hässlichkeit kaum zu überbieten, für schlappe 8.999,00€. Es fehlte nur noch das Schild: „Das Beste für ihre letzten zehn, zwölf Nickerchen!“. Und überall fröhliche Senioren ins Gespräch mit dem Personal vertieft. Wahrscheinlich kennen die Stammrentner auch die Dienstpläne aller Angestellten. Mich schauderte.

Im Restaurant sah es aus wie auf einer Seniorenkreuzfahrt. Beim Eintreten hob ich den Altersdurchschnitt um mindestens zwanzig Jahre. Fröhlich schnatternde Weißkappen in Einheitskluft und die Damen auch in identischer Frisur mit gewohnt schaurigem Parfum. Das Essen sah ansprechend aus, aber die alten Leutchens jenseits jedes Effizienzgedankens und –bestrebens ließen mich kaum an die Theke ran! Es war zum Schubsen! „Na na, junges Frollein! Nicht so schieben!“. Ich hätte das Coregatabs-Model am liebsten an seinem faltigen Hals gepackt und zwischen den Schweinshaxen zum Schweigen gebracht. Aber das „junge Frollein“ stimmte mich wohl milde. Und dann an der Kasse fummelten sie alle zig Coupons aus den Handtaschen, was den Andrang im Restaurant erklärte: Gratissaft, Umsonstkaffee, Haxe für zwei fuffzig und so weiter. Das erklärte so ziemlich alles.

Nach dem Lunch im Seniorenheim ich wieder runter zum Counter. Wie ich denn an so Coupons käme? Also, die bekommen sie, wenn sie als Kunde bei uns registriert sind. Bin ich. Na, dann schicken wir ihnen die auch zu. Ich bin aber jetzt und heute hier! Da kann ich leider nichts machen.

Aha.

Nun gut, ich hatte sowieso nicht vor, noch mal wieder zu kommen. Nicht mal für´ne Gratishaxe!

Aber es erstaunte mich dennoch, dass ich auch in den folgenden Monaten keine Einladung zum Umsonstkaffee bekam. Keinen Gratiscoupon. Kein nichts.

Und da ich über Tagesfreizeit verfügte und das Baby damals noch ein in Vollzeit rumliegendes Baby war, schrieb ich einen Brief an das Möbel-Dings. Mit der Bitte, das Marketingkonzept zu überdenken. Auch Mütter mit Kleinkindern und generell Leute, die nach 1940 geboren wurden, sind doch als Käuferzielgruppe auch nicht zu verachten. Und würden auch nach 18:00 Uhr noch einkaufen und Haxe essen kommen, wenn die Rentner bereits mit hochgelegten Beinen auf der Seniorencouch sitzen und die Hitparade der Volksmusik im Fernsehen anschauen. Und wieso schicken sie mir eigentlich keine Coupons zu?! Werden „junge Frolleins“ bei ihnen nur in Begleitung ihrer greisen Erziehungsberechtigten als Kunden wahrgenommen?

Ich bekam keine Antwort. Was auch daran liegen könnte, dass ich diesen Brief nie abgeschickt habe. Der Beste hatte sich nämlich königlich amüsiert auf meine Kosten und mir zu verstehen gegeben: Die anderen Frolleins und du, ihr habt Blaugelb. Lass doch den Inkontinenzschlübber tragenden Alten das Möbel-Dings und die Haxen!

Monate zogen ins Land.

Ihr ahnt nicht, was ich heute in der Post fand!

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Es gibt zwei denkbare Möglichkeiten: Möbel-Dings hat sein Marketingkonzept überdacht oder ich bin jetzt amtlich alt und es wird Zeit für die seniorentaugliche Kurzhaarfrisur und Mode aus dem Schwab-Katalog.