Dem Ingeniör ist nichts zu schwör

„Mama, Mami, komm schnell! Isch hab den Schallosierer rebboriert! Komm, ich zeig´s dir…“, sprichts und führt mich an der Hand in ein Zimmer, wo tatsächlich die Jalousie wie eine zerknuddelte Ziehharmonika schief an nur noch einem Haken herunterhängt, während das Führungsseil aus seiner Halterung gerissen ist und abgefädelt vorm Fenster rumbaumelt. Am Tatort befinden sich noch einige Kleinteile, deren ursprünglicher Verwendungszweck im Zusammenhang mit Fensterverdunkelung sich mir nicht mehr erschließen will. Futsch. Sonnenschein forever.

Der Blondino ist drei Jahre und zehn Monate alt, einen Meter fünf hoch und in der Ingenieur-Phase.

Egal, was er in die grumpeligen Fingerchen bekommt, er baut es auseinander. Manch einer würde sagen, er zerstört. Er kriegt wirklich alles platt! In diesem Haushalt gibt es mittlerweile Kisten voller Kleinteile, die irgendwann einmal Taschenlampen waren oder Autos, die eigentlich nicht zum Auseinanderbauen gedacht waren. Denn, das ist das beste Spielzeug! Notfalls werden die Achsen schamlos gebrochen, um die Räder abzubauen. Er findet jede undichte Schweißnaht bei Plastikteilen, jedes Gewinde und alle Steckverbindungen. Ich kann manchmal selbst nicht glauben, aus wievielen Kleinteilen manches Ding besteht. Bis es durch des Kindes Hände ging.

Ich habe ja Schraubergene. Mein Vater war KFZ-Klempner und roch nach Motoröl und Old Spice und ich dachte jahrelang, ich würde genauso einen Mann heiraten: Groß, schwarzhaarig, mit derben Händen, die riesige Schraubenschlüssel jonglieren. (Nun ja, fast. Also beinahe. Okay, ich habe einen Mann geheiratet! Das zumindest ist eingetroffen.)

Möglicherweise vererben sich nun aber meine Schraubergene auf das Kind.

Für mich ist das neu. Ich weiß schon vom Hörensagen, dass alle Kinder wohl so eine Experimentierphase durchlaufen, wo sie die Funktionalität der Dinge und Objekte „begreifen“ wollen. Das Großkind hatte diese Phase nie. Den setzte man vor eine riesengroße Lego-Kiste, die der Altersklassifikation nach irgendwo fünf Jahre über seinem Alter lag, und er baute. Zusammen, wohlgemerkt! Der erste baute also immer nur zusammen. Der hier jetzt, der Neue, der baut auseinander, ausschließlich.

Alles.

Gefühlt hat der vierzig Fingerchen und wuselt auf seinen kurzen Beinen binnen Sekunden durch das Haus und Gefahr ist stets im Verzg. Sobald drei Minuten Funkstille ist, mache ich das Erdmännchen und lausche ängstlich. „… Das ist die große Mähmaschine… das ist die kleine Mähmaschine… brummbrumm… Motor…“. Mähmaschinen? Was für`ne Mähmasche?! Oh Gott, meine Nähmaschinen! I believe, I can fly, mit wehenden Armen sause ich durchs Haus!

Neulich kam er mit einem neuen Schatz an. „Mama, wie macht das?!“, und hält mir mit strahlenden Augen und bewunderndem Blick ein Heizkissen unter die Nase. „Hä, woher hast du das? Egal. Na gut. Das ist ein Heizkissen. Das wird warm und wenn jemand Rückenschmerzen hat, kann er sich das dann an den Rücken tun.“. „Was macht das für ein Geräusch?“. „Das macht kein Geräusch, das ist leise!“. „Wo dreht sich das?!“ (der Blick schon skeptischer). „Das dreht sich auch nicht, das wird nur warm.“. „Aber wie macht das?!“ (eine kleine Falte bildet sich zwischen den Babyaugen und er dreht den neuen Schatz argwöhnisch hin und her). „Das macht eben! Das ist nur warm, wenn man das Kabel… nein, Finger weg! Nicht an die Steckdose! Das ist meins. Das macht gar nichts! Kein Geräusch, dreht sich nicht, ist auch ganz kaputt. Langweilig und kaputt. Das liegt nur so rum! Gib´s her jetzt. Danke! Geh, spiel im Keller mit Papas Werkzeugkiste oder bau eine Taschenlampe auseinander.“.

Abends fege ich schaufelweise irgendwelche Kleinteile in eine „Spielkiste“, kein Mensch kann die wieder zusammenbauen. Erwähnte ich, dass Lego langweilig ist? Lego ist langweilig. Es müssen Erwachsenensachen sein. Oder die vom Bruder. „Mutter, kannst du mal dieses Kind aus meinem Zimmer holen! Der fasst alles an!“, nölt es ständig aus der Pubertätshöhle. Der Bubi hat zum Beispiel ein „Coollicht“, wie das Kleinste es nennt, also so eine sich drehende Birne, die bunte Flecken an die Decke wirft. Das ist des Blonden heißer Fancy-Scheiß. Da liegt er dann unbefugterweise auf dem Pubilager und versaut sich sein Babyhirn mit stroboskopartigen Buntblitzen. Das erste Coollicht ist schon hinüber, denn selbstverständlich hat der Ingenieur versucht, es auseinanderzubauen. Danach knurrte und knarzte es nur noch, später tat es gar nichts mehr. Und ehrlich gesagt ging das hier, das neu gekaufte Ersatzmodell für das Großkind, jetzt auch nicht , als ich es für euch anmachen wollte.

cooles Coollicht, vermutlich defekt

Auto ist auch so ein Thema. Nachmittags, während ich gefühlt zehn Taschen, Tüten, Beutel aus dem Kofferraum heraus und in das Haus hereinräume, spielt der Blondino im Auto. Er sitzt süß auf dem Fahrersitz und ruckelt am Lenkrad und ruft: „Isch bin ein Pirat, Land ins Nichts!“. Das sind fünf Minuten maximal. Am nächsten Morgen dann setze ich mich hinter das Steuer (das bis jetzt zum Glück immer noch dort war, wo man es vermutet) und glotze grenzdebil. In jedem Lüftungsschlitz stecken Kaugummis, Wagen-Chips. Kaugummis und irgendwelche Schlüssel zu irgendwelchen unbekannten Schlössern (Ja, sowas hab ich im Auto) stecken in den Schlitzen vom Gurt, das Netzteil des Uralt-Navi wurde versucht, anzustecken und aufgrund mangelndes Sachverstandes und mangelnder Impulskontrolle dann im Wageninneren rumgeschmissen. Außerdem liegen jede Menge Kleinteile, die der Autohersteller mal in die Autobedienarchitektur eingebaut hatte, lose herum. Abgebaut durch den Ingenieur. Aufgrund mangelndes Sachverstandes meinerseits sammle ich die artig in der Schütte der Fahrertür und freue mich mit großer Erleichterung, wenn trotzdem jeden Morgen – bislang – das Auto tut, wofür ich es gekauft habe.

Ich bin mal als Beifahrer während eines Staus ausgestiegen (warum auch immer), und schwupps, stand das Kind neben mir! Abgeschnallt aus seinem superduper-Houdini-sicherem Kindersitz, Türe geöffnet, da stand er. Die Blicke, die der Mann (am Steuer des Autos) und ich austauschten: unbezahlbar!

Vorhin stand der Ingenieur im Bruderzimmer und piepste mit seiner Tweety-Stimme: „Alexa?! Deine Mudda!“. „Deine. Mudda. Ist. So. Dünn. Heidi. Klum. Hat. Sie. Nach. Ihrer. Diät. Gefragt.“. Kann kein Laufrad fahren und braucht den Nunni zum Einschlafen, aber das geht, ja?! Deine Mudda stemmt die Hände in ihre Hüften! Ich habe allerdings berechtigte Sorge, dass er als nächstes versuchen wird, Alexas Mutter aus dem kleinen Kästchen zu befreien.

… Ja, was denn?! Brüllt doch nicht so durch das Haus! Ich rede gerade mit den Lesern. Was soll ich?! Aha. Ja, ist gut! Also ich soll ausrichten, der Kleine wünscht sich sehr einen OLED 4K 65 Zoll Fernseher zum Auseinanderbauen, also wegen der frühkindlichen Entwicklung… Ja, ich habe es gehört! Und ich soll sagen, auch eine Nintendo Switch Konsole. Falls jemand sowas übrig hat, danke im Voraus. Dann lässt er vielleicht von meinem Auto ab. Und meinen Nähmaschinen.

Und später habe ich dann vielleicht wirklich jemanden hier, der mir bei handwerklichen Bedürfnissen unter die faltigen Arme greift. Ich hatte da schon mal so eine Vorahnung.

 

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8 Kommentare zu “Dem Ingeniör ist nichts zu schwör

  1. Soll ich Dir meinen Elektrotechnik-Diplomingenieur vorbeischicken? Der is* zwar „nur“ FH, aber der kann alles. Naja, zumindest was mit Technik und/oder Elektrizität zu tun hat. Wenn’s 2 oder mehr Räder hat, ist er mit besonderer Begeisterung dabei. 😉

    Grüße aus Tolkewitz von hinterm Friedhof
    Manu

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  2. Ich habe hier nen Fachinformatiker, also eigentlich zwei, der Große ist es von Berufswegen, der kleine durch Geburt. Durch den Großen haben wir hier also PCs, Server,Tastaturen, Handys etc. rumstehen, den kleinen freud es, denn er kann sein Selbststudium so vorrantreiben.

    PS: Wenn ihr mal an Hannover vorbei kommt könnt ihr gerne alte Server oder PCs zum auseinanderbauen haben.

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  3. Oooooh ich LIEBE Dein Kind. Ich war auch so. Aber als Mädchen hat man mich erst verdroschen und als das nichts brachte, zum Psychiater geschleppt. Lass ihn ausbauen und umbauen! ❤ ❤ ❤

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  4. Gnihihi…..habs dem (Ingenieurs-) Mann geschickt, der hatte erst ewig keine Zeit zum Lesen, und jetzt hängt er im Lesesessel und es kam erst ein zaghaftes „hrrrmffff“ und dann ein mittellautes „hehehe“, und dann fing er an laut vorzulesen und dabei freudig zu quietschen…..

    Wunderhübsch!! Und so wahr! Unser bissl über zweijähriger Blondino ist auch schon ständig am Demontieren, mangels Feinmotorik auch gerne via auf den Boden schmeißen oder irgendwo drauf kloppen, wenn das Objekt der Begierde seinen Zauber nicht freiwillig frei gibt ( tun die Dinger ja selten).

    Ich liebe Deine Schreibe, so unrührselig und auf den Punkt! Und ohne irgendwie in sentimentale Familiengeschichten zwangsreingebastelte Werbung!

    Grüße aus der Neustadt!

    Anna

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  5. Pingback: Von kackenden Dinosauriern, alten Freunden und einer bärtigen Frau – Wochenende in Bildern #wib – Nieselpriem

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