Mutanten – Sie sind unter uns!

Das Kind Nummer eins und mich verbindet etwas ganz besonderes. Es ist, als sei die Nabelschnur zwischen uns nie durchschnitten worden.  Wenn wir „Wer bin ich?“ spielen, können wir nie für einander die Personen auswählen. Weil ein tiefer Blick in die Augen des anderen meist genügt, um lapidar festzustellen: „Ich bin Angela Merkel, stimmts?“, „Und ich Sheldon Cooper?!“. It´s magic!

Überhaupt dieses süße, süße Geschöpf mit einem Duft, als würde Apfelkuchen in ihm backen und Augen, riesengroß wie bei Bambi und von der glänzenden Farbe einer guten Zartbitterschokolade (mit 75% Kakao!). Wenn du da zu lange hinguckst, überfällt dich eine Heißhungerattacke. Das Größte für ihn ist, früh wie ein Tornado in mein Bett geschossen zu kommen (wenn er nicht schon als blinder Passagier drin liegt), mich wie ein Krake zu tentakeln und in meinem Arm wach zu werden. Jahrelang  habe ich ihm morgens das „Küsschen-Lied“ von Monika Ehrhardt vorgesungen oder schief und krumm „Summertime“ aus Porgy und Bess, wenn er mal krank war. Zwischen uns passt kein Blatt Papier. Er ist die größte Liebe meines Lebens.

Irgendwann ist er ausgezogen. Ohne Vorwarnung. Ohne Nachsendeadresse.

Stattdessen hat er sein Zimmer und den Platz an unserem Esstisch untervermietet an ein „Dingsbums“, ein schlechtgelauntes, knurriges, tentakeliges Mutantenwesen. Es ist fast größer als ich, die Arme und Beine sind momentan so lang, als wöllte er sich als Spiderman-Double bewerben. Das Gesicht sieht man selten, weil Sommer und Winter trotz teurer Coiffeur-Frisur unter einer Mütze versteckt (Entschuldigung! Beanie.).

Wenn ich klopfend das Ex-Kinderzimmer meines Ex-Kindes betreten will, wird mir als Willkommensgruß oft ein leidenschaftliches „RAUS!!“ entgegengerufen. Einmal war ich nachts drin. Leute, hab ich mich erschreckt! Schnarchgeräusche, ich schwöre, wie bei einer armenischen Bauarbeiterbrigade nach feuchtfröhlicher Feierabendgestaltung. Keine Ahnung, wo aus diesem spindeldürren Körper derartige Laute herkommen!

Und der Geruch! Von wegen Apfelkuchenduft… Man sagt ja, Säugetiermütter erkennen ihre Jungen blind am Duft. Also diesem Test möchte ich mich momentan zu meiner eigenen Sicherheit nicht unterziehen. Es wäre durchaus denkbar, dass ich mit einem ausgewachsenen Puma nach Hause gehen würde.

Es spricht auch ausländisch. Beim letzten Versuch einer Konversation kam aus seinem Mund etwas Sinngemäßes wie: „Ich kann jetzt mit Shader spielen ohne FPS zu loosen, weil ich mir eine Mod installiert habe, die die FPS oben hält.“ Ich verstand Bahnhof und teilte das in meiner Hilflosigkeit auch so mit. „Ey Ma, du bist so ein peinlicher noob!“ war seine Antwort. Sicherheitshalber beschränkte ich meine weiteren Kommentare auf „Hm.“s.

Manchmal möchte ich das Wesen schütteln und anschreien: „WER BIST DU UND WAS HAST DU MIT MEINEM KIND GEMACHT???!“.

Ich weiß schon, was ihr jetzt sagen wollt: Das ist die Pubertät. Das ist normal.

Nix da! Von wegen normal! Ich sag euch, was normal ist! Wenn ich darüber lese oder das anderen passiert. Das ist normal! Aber doch nicht mir, und nicht diesem süßesten Kind von allen. Ich fand das perfekt! Was für eine grausame Natur zerstört Perfektion durch Metamorphose?!

Das ist ganz, ganz schlimm. Auf einmal bist du nicht mehr der wichtigste Mensch in seinem Leben, die Sonne seines Universums. Und nichts und keiner bereitet dich darauf vor. Egal, wieviele Bücher du liest.

Und jetzt soll ich mich gedulden…riesengroße Stärke von mir! Und vertrauen! Ihm, und darauf, dass die Samen, die ich gepflanzt habe, aufgehen werden. Was für ein Blödsinn!

Ich komme mir vor wie in einem Chemieexperiment! „Na, mal sehn, ob´s Gold wird oder Meißner Porzellan…oder nur stinkt und uns allen um die Ohren fliegt.“.

Aber zum Glück habe ich meine Schatzkiste.

Wenn es brennen würde, würde ich mir unter jeden Arm ein Kind klemmen und mit den Zähnen dieses Kästchen retten.

Die gesammelten Liebesbriefe meines Kindes an mich. Wenn ich diese Schachtel öffne, dann ist er wieder da. Bei mir.

tim

Ich muss Schluss machen, ich rührseliges altes Ding. Tempos holen…

4 Kommentare zu “Mutanten – Sie sind unter uns!

  1. Pingback: Verdauungs-Tourrette | Nieselpriem

Hinterlasse einen Kommentar