Über vergessene Geburtstage und den wind of change

Der: „wind of change“ ist eher: „smells like teen spirit“, und pustet mich hart aus den Socken, wenn ich morgens das Babyzimmer öffne, mein liebstes Süßilein, das gestern noch an meiner Zitze hing, wachküssen will, und der mich zärtlich verschlafen ansäuselt: „HAU AB! LASS MICH! WEIßT DU EIGENTLICH, WIE MÜDE ICH BIN?!“. Oder wenn ich auf der Suche nach verschollenen Brotdosen seine diversen Turnbeutel öffne…

Neulich sprach der Mann, ich bräuchte nur noch Megapackungen dieses drei-in-eins-Kopf-Arsch-Füße-Shampoo mitzubringen, das er benutze, weil die Brut sowieso immer seins nähme. Nur noch eins für alles und jeden quasi, wäre doch auch praktischer, oder nicht? Nein?!

Als ich meine Contenance und meine Stimme wiedergefunden hatte, musste ich kurz intervenieren. Ich bin noch nicht bereit, mich von Bübchen-Duschbad zu verabschieden! Wie kann man so herzlos sein? Was kommt als nächstes? Keine Bärchenwurst mehr oder was? Der süße Krawallo hat das Herz aus Gold seiner Runzelmutti und hat mich in den Arm genommen mit den Worten: „Mama, alles gut, man ist nie zu erwachsen für Bübchen-Shampoo!“.

Leider ist er aber zu erwachsen, um an meiner Hand zu gehen. Und leider noch nicht erwachsen genug, dass ich an seinem Arm gehen könnte! (😭 Wir sind hier nicht bei WhatsApp, aber wie sollt ihr ohne Smileys verstehen, wie ich mich fühle?! 💔💘🪓🤕Jetzt wisst ihr es.). Jedenfalls war es Zeit für ein Personalgespräch und ich musste dem Oberschätzchen erklären, dass womöglich er meine Hand wirklich nicht mehr braucht, ich aber seine! Heimlich natürlich. Und dass er mich langsam entwöhnen müsste, noch fünf mal, noch vier, noch drei… Das hat er verstanden und selbstverständlich bescheiße ich den beim Zählen, was denkt denn ihr! Ich habe den fünfzehn Stunden lang geboren, der geht so lange an meiner Hand, bis sein Bart weiß ist!

Das hab ich auch dem Bärtigen erklärt, weil das natürlich seine Schuld ist (der hat schon vor Jahrzehnten sowieso die Generalschuld für alles übernommen, prophylaktisch), weil der mir nur zwei Babies gemacht hat. Der sieht das alles ganz anders und führt Erwachsenengespräche mit mir, die immer mit: „Henrike, …“, beginnen, was mir den Ernst der Lage klarmachen soll, da er mich ja sonst „Rike“ nennt, oder: „Meine Süße!“ (wobei damit auch der Hund gemeint sein könnte, alles geht den Bach runter hier), denen ich ernst und seriös nickend folge, während ich ihm dabei mit dem Kugelschreiber ein Herzchentattoo in den Nacken male. Ich bin schließlich voll erwachsen.

Jedenfalls, so ist die Lage. Wen interessiert schon, dass ich vor lauter Herzschmerz meinen zehnten Bloggeburtstag vergessen habe! Pffff, geschenkt. Ich konnte die Zeit nicht anhalten, niemand kann das. Ich habe es wirklich versucht und jede Minute bunt angemalt und Glitzer drübergestreut! Und dennoch wird das Babylein elf Jahre alt sein im Sommer, die Schule wechseln, ein Teeniezimmer bekommen, seinen Dinoranzen aussortieren und jeden Morgen kontrollieren, ob ihm über Nacht schon ein Haar in der Achsel gewachsen ist.

Schnelle Autos und Fußball, Ronny Ronaldo, Ferraris, Lambo… keine Ahnung, von wem der das hat. Ist das meiner? Hat den jemand vertauscht?!

Bis zum Kinn reicht der mir, will sich sein immer dunkler und dicker werdendes Haar nur noch vom arabischen Barbier schneiden lassen, und ich habe mich selbst schon erwischt, wie ich unten im Keller in den Erinnerungskisten gewühlt habe und seine Babylöckchen, die seidenweichen, zwischen den Fingern gerieben habe.

Wie hält man das aus? Das ist der schlimmste Liebeskummer überhaupt, ich weiß es genau. Und ich kenne mich mit Liebeskummer wirklich aus!

Große Kinder, großes Glück, ich sage das oft selber, und ich war und bin für immer die größte Verfechterin für eine Rehabilitation der Pubertät und aller Betroffenen! Das ist nicht das Ende, das ist super, wenn man sich einlassen kann. Ich habe das doch schon mal überstanden! Damals hatte ich aber noch ein Baby auf dem Schoß sitzen, in dessen duftiges Haar ich meine Nase drücken konnte, wenn mein Herz schwer war…

Arschbacken zusammen, Nieselnuss! Alle anderen machen doch auch nicht so ein Theater, immer dieses Drama bei dir! („…Ich bin aber nicht alle anderen! Die anderen lieben ihre Kinder vielleicht nicht so sehr wie ich, aua, es tut so weh!…“).

Tja.

So sieht es aus. Zehn Jahre Blondino, zehn Jahre Nieselpriem. Zehn aufregende Jahre, viele Menschen getroffen, kennengelernt, mich selbst auch irgendwie neu, in einer neuen anderen Rolle. Elternblogs, ganz neuer Scheiß, die Beginne, der Aufbruch in einer Welle, eine neue Sichtweise auf Elternschaft, attachment Parenting, bedürfnissorientiert, Schlagwörter der letzten Jahre, in deren Fahrwasser ich die beste Zeit hatte, mein Baby zu begleiten, mein zweites. Und in denen ich den Kleinkindeltern schon mal zeigen konnte, wie das ist mit einem „großen“ Kind. Jetzt haben diese Eltern alle Teenager und merken, ist gar nicht so schrecklich! Warum hat man uns das immer erzählt? Wieso hat man uns glauben lassen, Teenager wären Monster? Hat man uns selbst so gesehen während unserer Verwandlung?

Herzlichen Glückwunsch, mein Blöggel, mein Tagebuch, mein liebes. Hier kann ich nachlesen, dass ich schon vor drei Jahren schrieb:

„Die Pubertät habe ich immer gut verstanden. Für mich selbst waren das schreckliche Jahre. Vielleicht deswegen. Ich habe mich hässlich, fett, ungeliebt, nirgends zugehörig und entsetzlich wertlos gefühlt. Ich habe das nie vergessen. Ich war in Träumen gefangen, die mich weit weit weg von allem Realen trugen, verlor die Bodenhaftung, den Blick für Gefahren. Ich hatte keine Anker, keine starken Arme, die mich hielten. Ich erinnere mich ganz genau, was ich so vermisste. Verstanden sein, angenommen werden, begleitet sein. Und immer wieder bewunderndes Lob und Vertrauen. Als der Bubi in die Pubertät kam, hob der Mann die Arme und sprach, er sei raus! Er kam gar nicht mehr klar mit dem. Da kam ich auf den Plan. Alles, was vorher nie abgefragt wurde und ich gut liefern konnte, war jetzt groß in Mode. Zuhören, Mut zusprechen, trösten, motivieren, absoluten Unsinn und abstruse Fantasien geduldig anhören. Ich konnte den jungen Mann gut begleiten, mit gehörigem Abstand natürlich, ich habe ihn immer unterstützt, egal, wie blöd der sich aufgeführt hat, mir fiel das nicht schwer, das konnte ich gut von mir als Person trennen. Ich wusste ja noch, wie Scheiße Pubertät sich anfühlt. Den ersten Liebeskummer haben wir dann als Eltern zu zweit überwacht am Bett des Jungens, der glaubte, er würde sterben. Sein Herz bräche und weiterleben sei nicht nur sinnlos, sondern sogar unmöglich. Der Mann rollte mit den Augen, ich aber wusste genau, was das Kind fühlte und sah sofort die Gesichter von Thomas K und Tilo B vor mir und war in dem Moment sechzehn wie er. Ich fühlte mit und sagte ihm nicht: „Ach, so schlimm ist das nicht! Daran stirbst du ganz sicher nicht!“, sondern, dass ich wüsste, wie weh das täte und dass ich ihm aber versichern könne, so weh wie jetzt wird ihm nie wieder etwas tun (was natürlich auch gelogen war, aber das erste Mal Liebeskummer ist wirklich eine Grenzerfahrung, da sind wir uns wohl alle einig). Die erste Pubertät haben wir überstanden, vor der nächsten habe ich keine Angst, ich kann das.“

Ich kann das.

6 Kommentare zu “Über vergessene Geburtstage und den wind of change

  1. Mensch Rike,
    wieder mal haben mich deine Worte sehr berührt. Mit soviel Witz und Seele geschrieben, dass ich es mühelos miterlebe und mitfühle. Als Mann. Ohne leibliche Kinder. Klasse!

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      • Das Leben war und ist gut zu mir. Anders herum manchmal nicht so.
        Von Zeit zu Zeit will ich den Blog wiederbeleben, aber dann doch lieber nicht. Ich bin doch so sehr mit Scheitern beschäftigt, so eine 10-jährige verzieht sich ja schließlich nicht von allein.

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  2. Wahnsinn, Rike…du sprichst mir so sehr aus der Seele…nur könnte ich es nie so toll formulieren…

    😘

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