Heute ist ein weltweiter Feiertag, darauf wurde ich via Facebook aufmerksam gemacht. Von der Zahnarzthelferin meines Vertrauens. Genau, heute ist „Ich liebe meinen Zahnarzt-Tag“!
Es gibt ja für alles einen Feiertag, warum also nicht für Zahnärzte? An diesem Tag, also heute, soll man seinem Zahnarzt (das schließt jetzt Dentisten aller Geschlechter ein) seine Dankbarkeit ausdrücken.
Als mich also die Empfangsfee meines bemundschutzten Mister Grey auf dieses Datum aufmerksam machte, konnte ich meine Begeisterung kaum im Zaum halten. Verständlich! Ich bin nämlich Angstpatientin und hole jetzt mal aus…
Als ich vor vielleicht zwanzig Jahren zum ersten Mal die Praxis am Dresdner Fetscherplatz besuchte hineingeschleift wurde , lebte ich bis dato bestimmt fünfzehn Jahre ein zahnarztfreies, glückliches Leben. Ich hatte auch nicht wirklich vor, daran etwas zu ändern, schlossen doch die Sitzungen auf der Folterbank des Grauens für mich unsagbare Schmerzen und hauptsächlich eine entsetzliche Angst vor unsagbaren Schmerzen ein. Geprägt durch DDR-Zahnarzt-Besuche ohne Schmerzmittelbehandlung, dafür mit gebrülltem Kommandoton: „Jetzt reißen sie sich gefälligst mal zusammen, Frollein!“, taten ihr übriges zu meiner Aversion.
Ihr wisst ja alle, wie das mit Zahnärzten ist. Keine mag sie, alle brauchen sie. Irgendwann.
Damals fand ich in dieser Praxis gegenüber dem Counter ein gerahmtes Bild mit einem Sinnspruch in Richtung Behandlung von Angstpatienten (ich weiß gar nicht, ob das dort noch immer hängt), ich hielt es für ein gutes Omen. War es.
Der Zahnarzt sah aus wie Jürgen von der Lippe und hatte ein geduldiges, liebevolles Auftreten. Dass ich immer erst fünf Minuten heulte, bevor er in meinen Mund gucken durfte, wurde unser Ritual. Er ließ mich gewähren, und ich ihn. Es wurde gut. Oder zumindest besser! Mein Zahnstatus und auch meine Angst. Zahnarztangst lässt sich tatsächlich nur mit Expositionstraining beheben, heißt, durch immer wiederkehrende Zahnarztbesuche in möglichst kurzen Abständen.
Dann, es muss so 2004 oder 2005 gewesen sein, teilt mir Jürgen von der Lippe mit, er wöllte sich zur Ruhe setzen. Ich war schockiert! „Was? Wie? Aber sie sind doch noch jung! Und was wird aus mir?! Kann ich zu ihnen nach Hause kommen? Sie werden doch bestimmt in der Garage auch noch ein paar Bohrer haben! Ich gehe nicht zu einem anderen Zahnarzt. Niemals! Ich komme zu ihnen nach Hause. Gibt die Schwester mir ihre Privatadresse? Nein?! Warum denn nicht! Doktorchen, bitte. Ich bin ein Notfall!“.
Er versuchte mich zu beruhigen mit den Worten, dass er einen wirklich würdigen und fähigen Nachfolger gefunden habe und sich absolut sicher sei, dass ich bedenkenlos weiterhin in diese Praxis gehen könnte. Pah! Von wegen. Würde ich nicht.
Doch, hab ich. Meine Zähne, die sich an die regelmäßige Zuwendung gewöhnt hatten, neigten nämlich ab sofort zu starken Verfallserscheinungen. Ich also hin, nichts Gutes ahnend. „Wenns wehtut, gehst du schon!“, stimmt leider in Bezug auf Zahnarztbesuche. Außer, man hält eine Schnaps-Ibu-Therapie mit anschließender Leberschädigung für erstrebenswert.
Ich erinnere mich sogar noch ganz genau an die erste Begegnung mit dem „Neuen“. Ich saß als Schmerzpatientin (was sonst) schon vor um acht im Wartezimmer, zitternd, und die Tür ging auf. Ein junger Mann mit Aktenkoffer kam rein und blickte nickend grüßend ins Wartezimmer. „Pharma-Fuzzi“, diagnostizierte ich. Zehn Minuten später schüttete der vermeintliche Pharmavertreter mir die Hand und zeigte auf die Liege mit der Aufforderung, Platz zu nehmen.
Der Neue sieht aus wie Eckart von Hirschhausen in attraktiv und hat Augen wie Milka Zartbitter Schokolade (Darf ich das hier schreiben? Der liest das doch nicht, oder?). Fifty Shades of grey war damals noch nicht geschrieben worden, aber mein Mister Grey trägt ein lila T-Shirt über weißer Hose und schwingt seit zwölf Jahren den Bohrer.
In den letzten Jahren haben wir auch schon einiges zusammen durchgemacht. Ich mit den Zähnen, er mit mir. Ich kam schon unbestellt mit Befunden morgens an, die wurzelbehandelt werden mussten und den kompletten Betrieb lahm legten. Heißt, die Schwester kam mehrmals rein um ihm mitzuteilen, die „Bestellten“würden langsam randalieren! Er ließ sich nie beirren. (Edit: Ich würde problemlos eine Wartezeit von zwei Stunden dort in Kauf nehmen, weil ich mir vorstelle, dass er in dem Moment ebenso einem „Notfall“ zu Biss verhilft.). Er hält meine Marotten aus. Morgens mehr als abends, weshalb ich immer früh komme (das ist für uns beide besser). Und ich sage euch, also so wie ich mich dort benehme…
„Frau Voigt, machen sie den Mund auf.“, „Aber nicht mit dem Haken kratzen! Nur kurz gucken.“. „Bitte weiter, ich kann doch gar nichts sehen!“. „Ich will aber nicht! Ich will lieber erst ne Spritze!“. „Aber ich gucke doch erst mal nur! Das tut nicht weh. Ich bin ganz vorsichtig.“. Ist er immer.
Ich will prinzipiell die doppelte Dosis an Betäubung und kreische dennoch drauflos, weil ich immer, immer, immer noch was merke! Er bleibt ruhig.
Ich weigere mich, die leider notwendige Paradontosebehandlung bei der dafür angestellten Fachkraft machen zu lassen. Er macht es selber.
Ich brauche Pausen in der Behandlung und ein unverfängliches Gespräch zur Nervenberuhigung. Bekomme ich beides, egal, was das Bestellbuch sagt.
Ich behaupte, dringend ein Veneer zu brauchen für meinen schiefen Schneidezahn. Er sieht sich das Dilemma an und konstatiert, dass das eigentlich gut zu mir passen würde. Das mit dem schiefen Zahn. Seitdem lächle ich mit offenem Mund. Trotz schiefem Schneidezahn!
Er ist die Nadel im Heuhaufen.
Im letzten Jahr war fünfzehn Mal „zu Gast“ in der Praxis und alle freuen sich immer sehr, mich zu sehen. Das kann nur daran liegen, dass ich gelegentlich Kuchen mitbringe. Oder manchmal Blumen. Als Patientin bin ich die Katastrophe schlechthin! Aber das macht wohl die Profis aus. Dass sie auch mit solchen Nervenbündeln wie mir gut zurechtkommen.
Ich bin zahnarztmonogam und das aus gutem Grund: Meiner ist einfach der Beste!
Im letzen Jahr hat er Urlaub gemacht (Note to myself: Ich muss meine Urlaubsplanung ab sofort mit ihm absprechen) und Schmerzen im Kiefer zwangen mich zu Vertretungen. Drei Ärzte innerhalb einer Woche rieten mir, gegen die augenscheinliche Entzündung im Zahnfleisch antibakteriell zu spülen, das würde schon wieder! Dann, endlich, war der Zahnarzturlaub vorbei und der abgestorbene Zahn wurde fachmännisch behandelt. Da hätte ich noch Jahre weitergespült ohne Besserung!
Seit geraumer Zeit machen ja auch Zahnsanierungsangebote im Ausland gut Geschäft und ich gebe zu, für manchen mag das verlockend klingen: Fährst in die Sonne und lässt während deines Urlaubs alles mit Vollnarkose in einem durchgestyltem Krankenhaus richten. Inklusive Bleeching! Zum halben Preis mit anschließender Genesung am Strand.
Ich sage euch was: Niemals nicht mit mir! Und selbst wenn ich die Behandlungen in der nicht top durchgestylten Praxis ab sofort aus der Tasche bar bezahlen müsste, dann wäre das der einzige Weg für mich! Es gibt auch nur den Einen für mich. Und sollte der irgendwann in Rente gehen wollen, hat er mich ab dann in seiner Garage sitzen…
Und das muss ja mal gesagt werden! Er macht einen großartigen Job unter teilweise widrigen Arbeitsbedingungen und ja, wir machen alle unseren Job. Aber Leute, geht ihr mit mir mit, wenn ich sage: Die einen machen es so und die anderen einfach besser? Überall, in jedem Job? Ich glaube schon, dass das so ist.
Und wenn ihr selber auch so ein Schätzchen gefunden habt, dem gegenüber ihr vertrauensvoll den Mund öffnen könnt ohne Angst haben zu müssen, dass die Seele entfleucht, dann sagt es ihm oder ihr!
Vielleicht ruft ihr mal an, einfach so. Heute zum Beispiel! Denn heute ist offizieller „ich liebe meinen Zahnarzt- Tag“. Aber nächste Woche ist auch ok. Ich glaube, dass jeder Mensch sich über Lob freut, auch diejenigen, die den ganzen Mund voll Arbeit haben. 🙂