Fototermin

Die besten Kollegen der Welt hatten uns zur Geburt des Babys einen Gutschein für ein Shooting geschenkt. Das war sehr nett! Und irgendwie haben wir es heute geschafft, vollständig dort aufzuschlagen. Um uns in Szene setzen zu lassen. Für die Nachwelt.

(Vorab: Bitte keine Fotoshooting-Geschenke mehr für uns!)

Drei Stunden vor dem verabredeten Termin lief ich heiß: Klamotten rauslegen für die Jungs („Ihr tragt Schwarz mit Jeans! Rollkragenpulli, jawohl! Der Babynator Hemd und Pullunder. Weil ich es SAGE! Darum. Nein, du kommst nicht mit aufs Foto in dem verwaschenen Shirt von der Java-Messe!“). Dem Kind die Haare gelen. Noch mal neu machen. Die Frisierversuche des Mannes überwachen. Das Ozonloch vergrößern durch übermäßigen Gebrauch von Haarspray auf allen Köpfen. Mich im Bad einschliessen und den zentnerschweren Korb mit den abgelaufenen Foundations und Concealern, Eyeshadows, Linern, Pinseln, Quasten… herunterwuchten. Staub abpusten. Loslegen.

Als ich dreißig Minuten später das Bad verließ, lungerte der Baby-Boy im Flur herum und überlegte bei meinem Anblick kurz, ob er losheulen sollte. Vermutlich glaubte er, mir sei etwas zugestoßen.

Die verkleidete Familie zog los.

Die motivierte Fotografin begrüßte uns überschwenglich und ich dachte das erste mal: Was für ein Scheißjob! Sie würde mir im Laufe der nächsten neunzig Minuten noch mehrmals leid tun. Konnte ich aber noch nicht ahnen. „Darf ich „Du“ sagen?“, wollte sie wissen. Wir bejahten. Dann tat sie mir bereits wieder leid. Denn sie konnte sich unsere Namen nicht merken. Ich wurde Enrike. Macht nichts. (Kleiner Exkurs: Mein Vorname ist offensichtlich selten vertreten und bietet viel Spielraum für künstlerische Namensgestaltung. So hieß ich schon Henriette, Hendrikje, Enrico und Henrik. Besonders bei behördlichem Schriftverkehr braucht es oft gehörig Überzeugungskraft, klarzustellen, dass ich nicht „Herr“ sondern „Frau“ bin. Auch habe ich mir angewöhnt, auf einfach alles zu hören, was so ähnlich wie mein Vorname klingt. Eigentlich ist es sogar so schlimm, dass ich mich immer angesprochen fühle, wenn sich wirklich niemand sonst angesprochen fühlt. Meine Therapeutin arbeitet mit mir daran.).

„Ich möchte, dass ihr eure Schuhe und Socken auszieht! Das wirkt kuschliger auf den Fotos.“. „Waaas?! Nee! ich geh hier nicht barfuß!“ vermeldete der Beste. Ich beschwichtigte ihn flüsternd. „Hast du das etwa gewusst? Das fängt ja heiter an!“ maulte er weiter, während er sich kopfschüttelnd und knurrend aus seinen Fußschützern schälte.

Wir schlurften mit Fusseln zwischen den Zehen in den präparierten Nebenraum. Flötend tanzte die Fotografin um uns herum und schleppte allerlei Gerätschaften von links nach rechts und hin und her. Wir lungerten mit unseren nackschen Füßen so rum einstweilen.

Dann begann sie mit der Choreografie, oder wie man das so nennt.

Erstes Familienbild. „Hast du Rückenprobleme?“, wurde der mitgebrachte Mann gefragt, was er entrüstet verneinte. „Gut, dann leg dich hier hin. Auf den Bauch bitte. Nein, die Beine dortlang. Weiter links bitte.“. Ächzend und knurrend wälzte sich der Beste zu unseren Füßen in die geforderte Position. Ich grinste schon nach innen, konnte ich mir doch lebhaft vorstellen, wie scheiß-bescheuert er das alles jetzt schon fand. „So, Enrike, du legst dich jetzt bäuchlings auf deinen Mann! Genau, richtig abstützen auf ihm! Kind, du legst dich jetzt auf deine Mutter! Mann, du nimmst das Baby und hältst es so in deinem Arm. geht das auch ein bischen unverkrampfter? Ja, genau. So ist es schön.“.

Also für uns war gar nichts schön. Von unten hieß es: „Hilfe, mir ist heiß. Meine Brille ist beschlagen! Mach dich doch nicht so schwer! Scheiße, mir läuft der Schweiß in die Augen! Wie lange soll ich denn hier noch so liegen!“. Von oben bohrte mir das Kind seine spitzen Ellenbogen in die Schulterblätter und hampelte auf mir herum. Das Baby wollte partout nicht unverkrampft im Arm der Bremer Stadtmusikanten sitzen. Wir ächzten und lächelten total unentspannt  vor uns hin, während die arme Fotografin versuchte, mittels Handpuppen ein Lächeln auf des Babys Gesicht zu zaubern. Vergeblich. Dann reichte es! Wir lösten selbständig die Formation auf. Offener Mund des Erstaunens bei der Fachfrau. „Wir sind nicht so die Stapel-Familie.“, versuchte ich mich in einer Erklärung, „Eher so die lässigen Rumlungerer. Einer hier, einer dort und der dritte im Nachbarraum.“. Sie lachte nicht. Arme Frau, was für ein Scheißjob zum Samstag.

Als nächstes waren die Kinder ohne uns dran. Der Große verwechselte Lächeln mit Zähne zeigen und der Kleine guckte völlig entgeistert auf die vor ihm mit Handpuppen rumhampelnde Fotografin. Die mir schon wieder leid tat! Also machte ich mit beim Animationsballett. Ich schwenkte Plüschtiere und rief mit viel zu hoher Stimme alberne Koseworte. Lustig für die Akteure wurde es erst, als eine verrostete Mülltonne zum Einsatz kam. Ich nölte zwar erst nach innen („Och nö, voll das Anne Geddes-Klischee!“), aber das Baby rockte die Tonne und hatte Spaß! Er lächelte sogar, falls er denn mal sein Köpfchen aus der Tonne reckte. Und es wurden Fotos gemacht. Na, Gott sei Dank!

Dann wir Alten. Aus einem mir nicht bekannten Grund wollte der Beste ein Foto mit mir alleine. Das fehlinterpretierte die Fotografin und arrangierte uns zu einem romantisch verschlungenen Liebespaar. Er haucht ihr zärtlich einen Kuss auf die faltige Stirn, während sie versonnen träumerisch zu Boden blickt. Total authentisch!

Dann alle zusammen im Stehen. Wir schlurften zur Wand und wurden in Position gestellt. „Enrike, den Kopf mehr zur Seite. Das Kinn nach vorn. Die Schulter runter! Das linke Auge nach rechts. Das rechte Auge nach links bitte! Entspannt lächeln. Nein! Das Baby bitte höher halten! Und die Schulter runter! Kopf neigen, Kinn nach vorn unten! So ist es schön!“. Meine Bandscheiben vibrierten, während ich das Baby zwanzig Zentimeter in die Höhe hob, meinen Kopf um hundertachtzig Grad drehte, nach links und rechts lächelte, die Schultern hängen ließ, die Brust hob und lässig verkrampft posierte.

Wir durften uns dann auch wieder die Strümpfe anziehen.

In einer Woche sehen wir uns wieder zur Präsentation der Fotos und Auswahl. Ich denke, das wird sehr lustig.

 

Erkenntnisgewinn: Die härtesten Jobs der Welt haben Fotograf und Fotomodell.