Über wandernde Kopfschmerzen, Listen und Weihnachtssoße

Ich habe Nacken, denke ich zumindest. Kein Wunder, wenn man immer mit hochgezogenen Schultern durchs Leben geht, abgeduckt, in Deckung vor Viren oder Menschen mit Viren im Schlepptau.

Am Mittwoch darf ich deshalb zur Physiotherapie gehen und freue mich auf Linderung. Der Mann meint, dann seien die Schmerzen sowieso weg. Denn neulich hatte ich Fuß, lange sogar. Ich bekam aber die Orthopädin nicht ans Telefon und der Anrufbeantworter sprang auch nicht an, da dachte sich mein Fuß, scheiß drauf, niemand nimmt mich hier ernst! Und dann waren die Schmerzen verschwunden.

Ich hoffe nun selbiges (also Spontanheilung) von meinem wandernden Kopfschmerz. Denn zunächst hatte ich Zahnschmerzen, oben rechts, zwei Tage lang. Just, als ich beschloss, damit zum Zuständigen zu gehen, waren sie verschwunden und der Schmerz manifestierte sich in den Schläfen. Ach, um ab und zu dann im Kiefer wieder aufzutauchen, diesmal links. Das geht jetzt schon mindestens drei Tage zu lange so. Zumal ich auch mit meinem Ibuprofenkonsum haushalten muss, bekomme ich doch am kommenden Samstag meinen Booster und wir wissen ja noch vom letzten Mal, Schüttelfrost und Fieber und sechs Ibu-600 pro Tag als strikte Diät waren – und werden wieder- vonnöten sein. Vorfreude, so schön.

„Alles pschüschosomatisch!“, das weiß der Mann genau, der kennt sich damit aus, nämlich mit meinen diffusen Schmerzen in diffusen Zeiten. Advent zum Beispiel, eine sehr diffuse Zeit. Ich weiß gar nicht, wann ich wieder anfing, gehetzt zu sein. Ich wollte das auch unter allen Umständen vermeiden, habe mich zusammengerissen, und wieder auseinander, achtsam und bewusst neu zusammengesetzt und wollte ab sofort für immer alles anders machen. Aber die Zeit, diese besondere Situation, die neue, meine neue, innere Ordnung ist noch nicht stabil genug, um dem entgegenzuhalten.

Ich will auch nicht wieder mit dem Coronadingens anfangen, keiner kann es mehr hören, aber was soll ich sagen, es ist wie ein unterschwelliges Vibrieren im System. Ich kann mich nicht beschweren, ich habe nichts auszusetzen, ich traue mir nicht mich zu beschweren, ich habe schließlich nichts auszusetzen! Wie es mir geht?! Gut, selbstverständlich, ich habe schließlich nichts auszusetzen. Job sicher, alle gesund, danke der Nachfrage.

Bleibt dieser Wanderschmerz.

Vielleicht verschwindet er auch einfach bei Nichtbeachtung. Irgendwas ist schließlich immer.

Gestern Abend hielt ich den schweren, schmerzenden Kopf in meinen Händen und beklagte mich beim Mann über die Listen in der ollen Rübe, die ununterbrochen updaten und sich überschreiben würden. Er meinte, ich solle das aufschreiben, damit ich es abhaken könne, peu à peu, little by little, petit à petit. Oder malo pomalu, poco a poco… Ich werd noch ganz loco… fangen wir an!

Ich muss noch die Weihnachtsgeschenke für die Lehrerin und den I-Helfer besorgen, eigentlich sollte das ein gestaltetes Weihnachtsglas sein, aber außer einer Kerze habe ich noch nichts zum Reintun, im letzten Jahr hat die Lehrerin eine getöpferte Tasse bekommen mit Inschrift und ein sinnträchtiges Gedicht dazu und wenn ich den beiden jetzt was mache, dann muss ich mindestens der einen Frau im Hort auch noch was schenken und ich weiß noch immer nicht, was das denn sein könnte, und die Winterschuhe vom Kind sind nass, obwohl da stand, sie seien wasserfest, was für ein Dreck, braucht der also noch ein Paar Winterschuhe, wo hole ich die und ich muss im Kinderladen nachfragen, ob der Besitzer Andreas noch auf der Uhr hat, dass wir noch einen Schneeanzug Größe hundertachtnzwannsch brauchen, falls der reinkommt, ich will nicht noch mal hundert Euro ausgeben für drei Wochen, der Blondino macht alles kaputt, einfach alles, bei dem zerreißen die Schlüppis sogar, dieses Kind macht mich fertig, die Sachen vom Großen konnte ich nach sechs Monaten als neuwertig auf ebay verkaufen, der hier jetzt, bei dem hält das Zeug nicht mal sechs Wochen, nicht mal die angeblich unzerstörbaren Supersachen, oder es wird ihm geklaut, sagt er, heißt aber, er lässt es irgendwo liegen und findet es nicht mehr, wie die vier Paar Hausschuhe in Klasse eins, kann sich keiner erklären, wohin acht Schuhe mit seinem Namen drin verschwinden, die „Wortartenschablone nach Maria Montessori“ ist auch verschwunden, eine Woche dauert der Versand, jetzt muss der Blonde Dreiecke und Kreise freihändisch malen, habe ich überhaupt kontrolliert, ob die Stifte gespitzt sind und der Füller eine volle Patrone hat, heute ist Montag, ich bin sicher, das habe ich nicht, Weihnachtsessen ist bestellt, die Gans sollte für zwei Tage reichen, aber die Beilagen werden es nie, ich muss noch unbedingt die Einkaufsliste für die Feiertage schreiben, Rosenkohl extra zum Rotkraut und Klöse oder doch Kartoffeln und was isst das Kind, was isst das Kind, was isst das Kind, immer die gleiche Frage, deren Antwort stets die selbe ist, nacksche Nudeln oder Pommes, okay, Milchreis verborgen unter einem Berg von Kirschen geht neuerdings auch manchmal, nur kein Risiko eingehen, mit dem Schwiegervater zum Frisör muss ich heute in der Mittagspause, damit der am zweiten Feiertag nicht aussieht wie ein Beatle, oh nein, ich muss diese Woche noch zur Ärztin die Karte einlesen lassen, nächste Woche hat die Urlaub, ich erinnere mich genau, dass sie das gesagt hat, und der bringe ich schon seit zehn Jahren eine Kiste mit Plätzchen und irgendwelche Dankeschönleckereien vorbei, scheiße, noch ein Ding mehr, von dem ich nicht weiß, was es werden soll, und was ist mit dem Impftermin vom Kind, wenn der am kommenden Montag dran ist, dann ist der wahrscheinlich Dienstag und Mittwoch nicht in der Schule und die Weihnachtsgeschenke müssen also diese Woche fertig sein, die Hausapotheke muss ich überprüfen, haben wir noch Schmerzensaft und Vomex und Perenterol, Hustenstiller, Hustenlöser, unmöglich, undenkbar, an den Feiertagen auch noch in eine Notaufnahme zu müssen wegen keine Ahnung was, nur weil ich nicht geschaut habe, ob wir noch genügend Medikamente haben, bitte nicht, better be prepared, ich bin immer prepared, Karten muss ich auch noch schreiben für Tantchen und Onkelchen, die ich wieder nicht gesehen habe in diesem Jahr und ich hatte fest versprochen, mal abends vorbeizukommen, wenn das Kind im Bett und der Mann auf der Couch ist, dann hab ich ja frei und dann hätte ich ja kommen können müssen sollen, weil das hatte ich ja versprochen und nun ist das nicht geworden, vielleicht backe ich für die auch noch, die sollen nicht denken, ich würde nicht an die denken, ich denke andauernd an die, ich denke überhaupt andauernd an andere, an anderes, an lauter anderen Scheiß. Das ist alles nur in meinem Kopf, in meinem Kopf, in meinem.

„Dieser Punkt in meinem Kopf ich muss ihn finden und berühren
Wie Staub den ich mir vom Gehirn klopf
für die Reinheit die Wahrheit die Klarheit…“ (Fanta4)

Weihnachtsmojo, was für ein beklopptes Wort, das hat sich bestimmt irgendein Influencer aus Berlin ausgedacht. ich kenne unter Mojo nur diese ekelige Soße, mit der auf Teneriffa schrumplige und versalzene Kartoffeln übergossen werden, um ihr unansehnliches Äußeres zu verdecken, nehme ich an, geschmacklich tut die denen jedenfalls nichts gutes.

Ich habe kein Mojo, ich weiß, wo es zu finden wäre, kann aber diesen Punkt in meinem Kopf gerade nicht berühren. Ich werde der Physiogöttin am Mittwoch sagen, sie soll da mal dolle draufdrücken, wie auf eine Klingel. Mal sehn, ob´s dann klingelt, das Mojo.

Dabei kenne ich die Lösung. Einfach nichts machen, oder nur die Hälfte. Aber das stellt dieses Karussell nicht ab. Der Mann hat andere Sorgen, andere Kreisel im Kopf, ein anderes Betriebssystem. Auch bei ihm stehen die Gedanken nicht still. Nicht alles verschwindet, weil man es von seinem Tisch auf den Nachbartisch legt. Sharing is not immer caring. Wo ist der Typ, der das Karussell steuert?! Anhalten bitte, ich möchte hier aussteigen!

Meine Aufgabe für diese Woche ist, mir vorzustellen, er hätte das Karussell angehalten. Ich steige aus, kaufe fünf Schachteln Pralinen mit Plastikschleife und drücke jedem Menschen, dem ich meine, Weihnachtsgeschenke schuldig zu sein, eine in die Hand. Das ist schon mal ein Anfang. „Unn dann sehmor weidor! Eens nachn andorn!“, wie der Sachse sagt. Und die Sächsin. Peu à peu, little by little, malo pomalu.

~

Euch und uns versüße ich diesen Post mit ein paar Bildern vom Wochenende. Mit Pulverglitzerschnee und ohne das Genörgel und Genöle, das selbstverständlich zu hören war, aber ja zu unser allem Glück nicht zu sehen ist! Und: Frohes Hinzurweihnachtadventen wünsche ich euch und bleibt fröhlich – es ist alternativlos!

12 Kommentare zu “Über wandernde Kopfschmerzen, Listen und Weihnachtssoße

  1. Lass dich mal unbekannterweise umarmen. Die 6-Jährige hier, die als Kind mehr Fieberkrämpfe als mein Mann und ich Verstand hatte, hat die Impfung ohne jegliche Nebenwirkungen überstanden. Nicht mal mehr die Einstichstelle haben wir gefunden, als wir das Pflaster zwei Tage später wegmachen durften. Ich wünsche euch, dass das Kind Dienstag und Mittwoch normal zur Schule geht.
    Liebe Grüße Doro

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  2. Oje, die Liste ist lang, und genauso fühlt sich mein Kopf an….rattern, rattern, rattern, und irgendwas ganz wichtiges hab ich bestimmt trotzdem vergessen, und die Bibliothek braucht die Bücher wieder, und Zahnarzt muß auch noch ( warum hab ich überhaupt an 23. einen Termin ;() ) ach, und dann denke ich eigentlich nur noch und vergesse manchmal zu atmen, beziehungsweise spann meinen Bauch an ( als ob der was tun könnte, der Bauch) und bekomme davon noch nicht Mal Bauchmuskeln sondern nur Verspannungen. Solidarische Grüße

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  3. Hi, ich lese Dich wirklich gerne und oft treibt es mir dabei die Tränen in die Augen, aber ich muss Dir auch sagen: Deine Beschwerden wundern mich nicht!!!!
    Du machst Dir Deinen Stress selbst!!!!
    2 besondere Kinder, die Deinen Mann und Dich ständig fordern! Haus, Hund, Job, großen Garten, Blog, Insta, Familie, Freunde, Corona, Geschenke hier, Aufmerksamkeiten da, und wo bleibst Du dabei??? Allen willst Du gerecht werden, aber am wenigsten Dir selbst! Fahr mal nen Gang runter und bleib bei den Momenten, an die sich Deine Kinder erinnern, es ist nicht wichtig ob Du es der Welt recht machst: glücklich sollten alle sein und voll wunderschöner Erinnerungen!!!!!

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    • Hey Anonymus, warst du bisher noch nie in deinem Leben darauf angewiesen, dass Leute dich mögen und dir entgegenkommen?
      Gerade mit besonderen Kindern und alten Eltern braucht man jede Menge und ständig soziales Kapital, sonst „gehen“ ganz viele Dinge nicht, die man braucht.
      Wenn Betreuer*innen, Erzieher*innen, Praxisassistent*innen das Gefühl haben, man schätze sie nicht genug Wert, können sie einem aber mal so richtig ans Bein pinkeln. Und dann geht es mit der Bedrohung von Beschulung oder Berufstätigkeit, weil Kind oder Eltern nicht versorgt sind, mal so richtig ans Eingemachte.
      Dieses „mach dir doch keinen Stress, bist doch selber schuld“ kann eigentlich nur von Leuten kommen, die gesund sind und sich um niemanden kümmern müssen.

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    • Schade, dass Du hier anonym kommentiert hast. Ich unterhalte mich nicht mit „Unsichtbaren“. Aber Du meinst es sicher gut, deshalb danke ich Dir und wünsche Dir frohe und entspannte Weihnachten (wünsche ich ja uns allen :))

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  4. Wenn das SCH-Corona für eine Sache gut ist: In sämtlichen Arztpraxen, Hort, Betreuungseinrichtungen usw. soll man wegen der Hygiene nur gekaufte Sachen abgeben. Ha! Und ich muss heute zur normalen Zeit den Junior abholen und was vom Hort-Weihnachtsbasar kaufen statt irgendwann mitten in der Woche um 14:30 zur ach so besinnlichen Feier auf der Matte stehen zu sollen.
    Ansonsten. Feel you! (Guckt auf den Beutel mit Weihnachtssachen, die noch in Päckchen verpackt und vor Weihnachten ans andere Ende von Deutschland verschickt werden müssen.)

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  5. Ich bin bei Dir. Das macht eine(n) fertig, und ich bin nur froh, dass wir dank Corona dieses Jahr wenigstens keine Weihnachtsfeiern haben … Das Jahr ist viel zu schnell vergangen, zu viel ist liegengeblieben, und nicht alles regelt sich mit Zeitablauf von allein. Und trotzdem ist mancher scheinbar sinnlose Zeitfresser – Blog, Insta, Telefonieren … – eben doch nicht so sinnlos, sondern schlicht Kraftquelle und Karussellpause.
    Du bist toll und nicht allein!

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  6. Ach Rike. Genau so ist es! Und ich habe kein Haus, keinen Garten und kein Blog und keine „besonderen“ Kinder (also natürlich sind sie extrabesonders – wie jedes Kind 😉 ich schiebe das immer auf meinen unruhigen Geist. Da ist immer was los. Und manchmal zu viel. Du siehst: Ich habe keine Lösung. Ich will nur sagen: ich fühle mit dir. Und das wichtigste um alles zu schaffen ist doch da: der Humor!
    Hab schöne Weihnachten 🎄

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