Roh, vegan, verzweifelt

Beim Aussuchen der Überschrift kam mir der Gedanke, die geneigte Leserschaft könnte annehmen, ich würde vielleicht über die „letzte Generation“ schreiben wollen, aber nein! Es geht um einen Kuchen, eine Torte.

Ganz eigentlich sogar ist das der Rant zu einem Rezept. Wobei, „Rezept“ klingt für mich nach etwas Gekochtem, Gebackenem oder Heilung versprechendem. Dies hier hat nichts von alledem. Es wird nicht gekocht und nicht gebacken, sondern nur püriert und gebetet. Und Heilung, nun ja, ich wurde geheilt von jeglichen Anflügen, ein derartiges Experiment jemals wieder zu versuchen.

Aber fangen wir mal weiter hinten an.

Ich mag meine Kollegen, damit geht es schon mal los. Und meinem Versuch, es allen im Team Recht zu machen, schon mal weiter. Da haben wir Unverträglichkeiten, Veganismus und Animositäten. Und mich zwischendrin, die unnötigerweise versprach, einen Kuchen zu backen!

Gut, das passiert den besten unter uns. Jetzt könnte man sich erinnern, dass mein regelmäßiges Scheitern in Küchendingen und Lebensangelegenheiten im allgemeinen des Öfteren schon Grund zur schamlosen Belustigung Außenstehender bot. Ja, ich behaupte gern, meinen „grandiosen“ Durchbruch hier in Bloggerhausen meinem Talent bei der Zubereitung von Sanddorngelee zu verdanken.

Außerdem bin ich mit einer riesengroßen Portion Naivität gesegnet, die dafür sorgt, dass ich völlig überwältigt und beeindruckt regelmäßig Reels von vegan, zucker- und Kalorienfrei kochenden, backenden Menschen bei Instagram inhaliere. Reels, die kaum zehn Sekunden dauern und in denen die Personen mit stets perfekt gepflegten Nägeln Sachen zusammenschmeißen, die am Ende des Reels ein ansprechendes Lebensmittel ergeben und – et voilá! – ruckizucki schwuppdiwuppdi fertig sind und noch schnell mit dem Rücken des Küchenmessers über die Kruste fahren, damit man die „crazy crunchiness“ hört und Gänsehaut bekommt, weil, boar, ist das geil, das will ich auch!

Natörlisch scheitere ich jedes Mal! Natörlisch kommt in der Regel ein Essen (im besten Fall) dabei raus, das mit dem aus dem jeweiligen Instagram-Reel wirklich nur sehr vage etwas in Aussehen und crazy crunchiness gemein hat! Und natörlisch versuche ich es weiter, muss schließlich an mir liegen. Die lügen doch nicht alle, oder?! Lügen die etwa?!

Für die vegane Schokosahnetorte, die ich versprochen hatte, püriere ich zuerst zwölf Datteln mit einer Dritteltasse Rosinen und einer dreiviertel Tasse Pekannüsse. Dazu braucht man einen Hochleistungsprozessor, das weiß ich jetzt. Ich habe aber nur eine Küchenmaschine und schon Probleme, mich für eine (Irgendeine!) Tasse zu entscheiden! Was, wenn die zwölf Datteln (Keine zwölf Tassen, nein, Stück) irgendeinen mathematischen Bezug zur tassenmäßig abgemessenen Menge der Restzutaten hat?! Weiß ich doch nicht! Sagt mir doch keiner! Ich schüttle mutig die aufkeimende Verzweiflung ab und noch Kakaopulver und einen Löffel Kokosöl dazu und mache dann Qualm mit dem Mixer der Küchenmaschine. Dann rühre ich den stückigen Brei und püriere. Und bete. Pürieren und beten. Dann den Matsch in eine Tortenform klatschen und hurtig aus dem Sichtfeld verbannen. Erste Schicht fertig.

Dann Mixer sauber machen und fluchen, weil die klebrige Dattelpaste klebt, Überraschung! Danach in das (fast) saubere Mixergefäß Cashewkerne schütten. Dann lesen, man sollte die dreißig Minuten kochen vorher. Also Cashews aus dem Mixer raus, in den Topf rein und kochen. Währenddessen Dattelkakaopaste von der Arbeitsfläche und den Wänden putzen, und konstant fluchen, prophylaktisch.

Dann Cashews in den Mixer, tassenmäßig abgemessene Kokosmilch, Ahornsirup und Orangensaft dazu und dann wieder beten und pürieren. Kosten. Schmeckt wie Grießbrei, nur körniger. Also weiter pürieren! Und beten! Wieder kosten. Feinerer Grießbrei. Soll das so?! Egal! Ich habe schon den Mixer heißpüriert, das bleibt jetzt so. Auf die Dattelschokoscheiße schütten und wieder beten. Diesmal, dass das irgendwie irgendwo irgendwann fest werden möge. Zur Sicherheit stelle ich das ganze in den Froster. Schicht zwei fertig.

Mixerglas reinigen. Fast geschafft, jetzt kommt nur noch der Guss, Kinderspiel! Jetzt werden die Datteln auch nicht mehr gezählt, sondern in Tassen angegeben (die Autorin hatte an der Stelle dann wohl auch keinen Bock mehr). Ich schütte also wieder Datteln, Kakaopulver, etwas Pflanzenmilch und Ahornsirup zusammen und bringe meine arme Küchenmaschine zum Röhren. Es wird nichts, kein Guss entsteht! Ich schaue mir das Rezept an und stelle fest, die Angaben für den Boden (fest und klebrig) entsprechen nahezu denen des Gusses, der Ganache, dem glänzenden Obendrüber, wie kann das sein, hä?! Kann ja nicht klappen! Die wollen mich alle verarschen. Wieso ist mir das nicht früher aufgefallen? Bin ich bescheuert, wie bescheuert kann ein einzelner Mensch sein? Wieso darf irgendwer irgendwas, das nicht funktioniert, in dieses Internet schreiben? Das wäre ja, als würde jemand Falschnachrichten publizieren und jemand anderes würde das glauben! Völlig verrückt wäre das! Ich schweife ab…

Zurück zum Tatort. Die Schicht drei sieht aus wie tote Oma (DDR-Kinder kennen das aus der Schulspeisung. In meiner wachsenden Verzweiflung schmelze ich eine Tafel Lindt 90%-ige Schokolade und mische das darunter. Sieht jetzt so aus:

Die 90%-ige muss froh sein, dass sie überhaupt noch mal irgendwo untergekommen ist, seien wir mal ehrlich, das kann doch keiner essen! Das ist keine Schokolade und kann allenfalls in einer Bratensoße verkocht werden.

Mir ist alles egal! Ich hole die gefrorene Kuchenform aus dem Frost und schmiere das, was wie Grützwurst aussieht, auf die immer noch nicht feste Cashewsahne, und um meine Inkompetenz zu verschleiern, klebe ich höchstselbst kandierte Pekannüsse obendrauf. Dann packe ich alles ein und schiebe es ganz hinten in den Kühlschrank. Der Mixer kriegt ein Küsschen, er ist genauso fertig und durchgenudelt wie ich. Kurz überschlage ich, dass dieser Tortenversuch in der achtzehn Zentimeter kleinen Kuchenform aufgrund der teuren Zutaten so viel kosten wird wie zwei Blechkuchen aus Eiern und Butter. Vergesse das schnell wieder…

Schreibe mir als letzte Amtshandlung des Tages Zettel, auf denen ich mir mitteile, dass ich nicht vergessen soll, nie wieder ungefragt Kuchen anzubieten!

Am nächsten Tag im Büro, nach dem Auspacken aus Backpapier und Folie, die die plöte Scheiße zusammengehalten hat, sah das Prachtstück (Ha, von wegen!) so aus:

Nach dem Anschnitt (An-schnitt!, von wegen, An-Quetsch wohl eher, ließ sich gar nicht schneiden) dann so:

Und so hier auf dem Teller:

Und so auch:

Der Boden und die Decke waren steinhart, während die „Sahneschicht“ nahezu flüssig war. Genauso sah das in dem Instagram-Reel aus. Nicht.

Und wie war´s geschmacklich? Doch, ja, es hat erstaunlich, ich muss sagen, hm, überraschend, gar nicht mal so, wie jetzt, es war.. ich hab´s gleich… es hat sehr gesund (!) geschmeckt! Ein bisschen wie die Dulcolax-Würfel, die ich als Kind gegen Verstopfung essen musste. Genau, eEs schmeckte wie Dulcolax mit Grießbrei. Und rohköstig. Vollwertig. Es war grieselig im Mund. Und klebrig. Und schmalzig im Gaumen. Und im Magen.

Ich hatte sehr lange nach dem Verzehr dieser Torte Sache weder Hunger noch Appetit auf irgendwas. Außer vielleicht auf einen Zungenschaber mit langem Stiel, mit dem ich mir die Speiseröhre würde auskratzen können.

Und die Moral von der Geschicht`? Glaub bloß den Instagrambäckern nicht!

Dieser Beitrag ist für ❤ Nici ❤ die dringend mal wieder was zum Lachen brauchte. Und die behauptet hat, der Kuchen hätte ihr geschmeckt! Haha. Sehr witzig.

9 Kommentare zu “Roh, vegan, verzweifelt

  1. Ich saß lange nicht mehr kichernd vor dem Rechner … du hast es geschafft und ich überlege, ob ich meinen Mann – den Bäcker in der Familie, der auch Sachertorte kann – damit beglücke. Er ist seit Jahren der Überzeugung, dass kein einziges Instagram- oder Blogrezept gelingen kann ….

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  2. Ich habe gerade beim Lesen so gelacht! Habe mich ein bisschen darin wiedergefunden, da ich immer, wenn Besuch kommt, ein neues Kuchenrezept ausprobiere und es in 99% der Fälle in die Hose geht! Danke für diesen morgendlichen Lacher!❤️

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  3. Köstlicher Artikel, sehr gelacht, herzlichen Dank für soviel Charme, Offenheit & Nachbackprobierkünsten aus der großen weiten Netz-Welt. Danke für die Erinnerung an tote Oma Esstage im geliebten Osten der Republik. Schön, Ihren Blog gefunden zu haben.

    Herzlichst, Madlen.

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  4. Rieke, du bist echt die Schärfste. Ich habe herzlich gelacht, aber essen, nö, essen würde ich den Klumpatsch nicht. Alles Liebe für euch und habt einen schönen Mai. Und feiert das Über ( Leben) vom Bärtigen….ich weiß leider zu genau, wovon du schreibst.

    Liebe Grüße von Romy

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