Beförderungsbedingte Misanthropie

Ich mag ja Menschen.

Also nicht alle, aber einige. Manche kann ich sogar wirklich gut leiden. Und einige wenige, ja, die könnte ich immer um mich haben. Leider habe ich meistens mehr Menschen von der anderen Sorte um mich.

Besonders Situationen, die eine räumliche Begrenzung und eine größere Menge an dieser Sorte Mensch vereinen, bescheren mir ein Unbehagen. Ein dolles. So wie Würgereiz kombiniert mit einem kaum niederzuringenden Reflex um mich zu schlagen, um mir Luft zum Atmen zu verschaffen.

Bus, Bahn, Fahrstuhl, Flugzeug. Die Klassiker. Irgendwas blechernes, das durch einen elektronischen Mechanismus geschlossen wird und alles darin einschließt bis, ja bis (und Gott bewahre, dass die Technik ausfällt) ein anderer Mechanismus das jeweilige Blechding wieder öffnet und die Eingeschlossenen und aneinander Gedrängten wieder freigibt.

Nun bin ich ja erwachsen und weiß, es gibt Situationen und Orte, die sind zu Fuß oder mit dem Fahrrad schwer bis gar nicht zu erreichen. Singapur zum Beispiel. Oder das Café im Berliner Fernsehturm.

Natürlich kann ich Fahrstuhlfahren! Ich trete ein und automatisch wird die zur Verfügung stehende Freifläche durch die Anzahl der anwesenden Personen dividiert und ohne lange nachzurechnen finde ich ein Plätzchen mit akkuratem Abstand zu allen anderen. Körper- und Sichtkontakt zu Miteingeschlossenen wird strikt vermieden. Ich starre geistige Gesundheit vortäuschend an die Decke, bis das Ding wieder anhält und ich fluchtartig die kuschlige Zwangsveranstaltung verlassen darf. Nein, Fahrstühle sind für mich kein Problem! Ich steige nur aus gesundheitlichen Gründen Treppe…

Mit Beförderung habe ich zugegebenermaßen so meine Probleme. Also ganz unabhängig von den Mitreisenden. Das hat sicher irgendwas mit Angst vor Kontrollverlust zu tun, um das zu begreifen brauche ich keine Couch und keinen, der sich mit überschlagenen Beinen und einem Block auf dem Schoß davorsetzt (Ich habe das hier schon mal beschrieben und möchte den geneigten Leser gern auf einen plump-literarischen Absacker zum Thema Reisen einladen. Also falls wirklich nichts anderes im Fernsehen läuft außer GNTM oder so. Und kein Küchenschrank ausgewischt werden müsste.).

Der Blonde reist ja sehr gern mit Bus und Bahn. Besonders wenn er krank ist (und das ist er als Kita-Neuling ständig), beschließt er morgens gern für uns: „Fahma Kraßebahm!“ oder „Fahma Bus. Gut.“. Also fahma.

Und da gibt es dann so Situationen… also ich weiß wirklich nicht.

Wir steigen in einen komplett leeren Bus. Draußen scheint die Sonne, alles schick. Ich justiere die Plagenkarre, nehme das süße Babylein aus dem Gefährt und setze mich mit ihm auf dem Schoß auf eine Zweierbank. Alles super! Wir fahren los.

An der nächsten Haltestelle steigt eine dicke, ältliche Frau mit mehreren Stoffbeuteln zu und steuert uns an. Trotz meines konsternierten Gesichtsausdruckes quetscht sich diese Menschin neben uns. Und dann, und dann reibt ihr Polyesterparka großflächig an meinem rechten Arm. Ihre Körperwärme vermischt sich mit meiner… Ekel befällt mich. „Guten Tag!“ sage ich schroff in ihre Richtung. Und das war ein Fehler. Jetzt weiß ich nicht nur, dass sie nach alter Suppe und ungewaschenen Haaren riecht, sondern auch, dass sie Bartträgerin ist. Wenn ich irgendetwas zum Weglaufen gruselig finde, dann bärtige Frauen!

Ich versuche verzweifelt, das Baby und mich irgendwie mit der Scheibe zu verschmelzen, um von der bärtigen Frau abzurücken. Da kommt eine Linkskurve und aerodynamisch schmeißt sich die Bärtige in die Kurve und sich und ihre Beutel auf mich. „Hoppla!“, wieder meine Stimme, wieder sehr entrüstet. Die Alte hat keinen Sinn für Unausgesprochenes. „Mir zwee-e gomm schon glar, nich wahr, junge Frau? Un gugge ma, was bist denn du hier für ä sießer gleener Fratz?“. Und ehe ich mich versehe, fährt die Bärtige einen Finger aus mit abgeplatztem Lack und diffusem Rand unter dem schlecht gefeiltem Nagel in Richtung des Blondinos Gesichts. „Nicht anfassen!“. Jetzt brülle ich. Die bärtige Oberlippe der Frau bebt vor Entrüstung. „Hörnse ma, was issn in sie gefahrn!!“. „Nee, jetzt hörn sie mal! Der ganze Bus ist leer und sie quetschen sich hier auf die einzige besetzte Bank neben mich. Da frage ich sie: Was ist in sie gefahren? Suchen sie verzweifelt Anschluss?!“.

Die bärtige Beutelfrau hat sich dann schimpfend verzogen drei Bankreihen rechts vor uns und mich den Rest der (viel zu langen Strecke) permanent mit dem „Bösen Blick“ gebannt.

Ich sags euch…

Oder Straßenbahn. Im Sommer kann ich das ja nicht. Ich befürchte, ich erblinde sonst. Von den olfaktorischen Herausforderungen mal ganz zu schweigen. Da steigen morgens Leute mit dem Kissenabdruck auf dem Kopf und einem Schlaf-Atem ein, dass du denkst, ein toter Hamster verwest irgendwo im Inneren dieser Person. Und ganz sicher (todsicher) stellt sich diese Zumutung dann direkt neben mich! Als ob ich nicht schon genug gestraft bin in dieser Bahn! Da sitzen dort zum Beispiel alte Opas souverän breitbeinig mit kurzen Hosen an den mit Borsten behaarten wächsernen Beinen und in Rippunterhemd gekleidet, das feuchte Büschel nikotingelber langer Achselhaare und Stielwarzen der Bewunderung durch die Mitreisenden preisgibt.

In der Bahn gilt: Augen schließen, durch die Ohren atmen und in der Hand ein Sagrotantuch rhythmisch kneten…

Oder heute Morgen. Ich hechte mit dem Kinderwagen nach der Bahn und erklimme die erste Tür. Dankend in Richtung Fahrer navigiere ich mich in die Rolli-/ Kinderwagenecke. Dort steht schon ein Chariot. Ich entschuldige mich freundlich und verweise auf meine kanppe Zeit. Kein Problem, die andere Mutte rangiert und zu zweit bauen wir den Ausgang an Tür eins zu. Da die Bahn ansonsten nahezu leer ist, beschließe ich, an der nächsten Haltestelle auszusteigen und zur anderen Tür wieder rein um nicht länger den Ausgang zu blockieren. Doch dazu komme ich gar nicht! Während ich noch an der Bremse nestele, würscht sich eine dicke Frau mit Rollator durch unsere Tür in die bereits übervolle KInderwagenbucht. Resolut fährt sie mir dabei auf den Fuß. Ehe ich irgendwas sagen kann, dreht sie sich rum und touchiert mich beherzt mit ihrem fulminanten Hinterteil. „Ich fahr nur zwee Haltestellen!“. Ist das zu fassen? Drei freie, geräumigen Parkbuchten für allerlei Fahrzeuge hat so eine Bahn und die Alte?!

So ist das immer!

Mich regt das auf. Ich kann das nicht. Ich will das nicht!

Ich bin dann heimwärts gelaufen mit dem Blondino. Und dann kommt mir so ein dicker alter Mann mit seinem Fahrrad auf der Mitte eines geteilten Fußweges entgegen. Natürlich auf der Fußgängerseite! Natürlich in der Mitte!

„Hallo?! Gehts noch? Runter hier! Das ROTE ist der Scheißradweg, du… (ignoranter verblödeter Arschkrampenfettsack) MENSCH!“.

DAS ROTE IST DER SCHEIßRADWEG!

DAS ROTE IST DER SCHEIßRADWEG!

Wenn sie demnächst in Pieschen einer Kinderwagen schiebenden älteren Frau begegnen, die Schultern nach vorn gekippt (das Kinn ebenso) mit vor Wut aus den Höhlen getretenen blutunterlaufenen Augen, seien sie vernüftig! Vermeiden sie Blickkontakt und gehen sie äußerst rechts. Oder besser noch: Straßenseite wechseln.

Vermutlich musste ich Ärmste gerade mit den Öffis fahren…