No Filter!

Ich bin´s .Ich bin die, die hier schreibt. Schrub, schriebte. Früher sogar regelmäßig.

(Pustet die Spinnweben vom Blöggel herunter)

Als ich anfing, diese Internetseite mit Worten zu füllen, hing mein mittelaltes Leben voller Geigen und Mobiles und auf dem Herd kochte ein Pastinakenbrei, bio selbstverständlich. Die Nächte waren kurz, die Tage voller Liebe und Küsse auf ein duftendes Kinderköpfchen. Ich bin die, die dachte, so bliebe es nun für immer.

„Und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende und über allem war Glitzer und Heititei und …“

Tat es nicht. Die Elternzeit ging vorüber und mit ihr begann, ja, was denn?! Das Leben? Der Ernst? Na, jedenfalls ein anderer Abschnitt. Das Kind kam in die Kita, die Mutter ins Büro und … halt! Nein, so war es nicht. Hätte sein sollen und die Mutti des Blondinos gäbe dann womöglich ernstgemeinte Karrieretipps für Frauen mit Nachwuchs im Nacken. Tut sie nicht.

„Was sind sie von Beruf?“, „Ich mache seit anderthalb Jahren eine Weiterbildung im Pflegesektor!“

Wir sind dauerkrank. Es dauert jetzt schon so lange, dass kein Mensch in unserer Familie eigentlich mehr weiß, wann wir denn mal alle gesund waren. Der Blondino fing sich jeden scheißverdammten Virus dieser Welt ein, bekam Lungenentzündungen, Asthma, bakterielle Superinfektionen und stinknormale Infekte. Von sieben Tagen einer Woche war er durchschnittlich drei Tage krank. Ungefähr. Seit anderthalb Jahren. Und davon bekam er Saulaune. Das kann ich gut verstehen! Der Bärtige hat aus lauter Mitgefühl buchstäblich jede Krankheitswelle mitgemacht, die hier so durchrollte und bekam davon aus lauter Solidarität auch Saulaune. Krankenhäuser an allen Feiertagen, sogar im Urlaub.

Ich bin die, die beruflich abgehängt ist und täglich neue Pflege-Skills dazulernt. Ich bin die, die niemals im Büro ist und dennoch ständig zu tun hat. Die, die ein permanent schlechtes Gewissen hat. Gegenüber den Kollegen, gegenüber der Familie. Die, der der Rücken wehtut. Und die Hüfte, das Knie, das Kiefergelenk. Die, die auch Saulaune hat. Aus Solidarität vermutlich.

Ich bin die, die einst sagte, ein „zu groß“ gäbe es nicht bei Immobilien und nun in einem Haus mit siebenundzwanzig dreckigen Fenstern sitzt, in dem die Schritte nachhallen.

„Rosen sind rot, Veilchen sind blau. Das Leben ist schön, ich weiß es genau.“. „Schnauze! Es gibt hier Leute, die versuchen, gepflegt durchzudrehen!“

Ich bin die, die sich anhören muss, sie wäre doch jetzt drei Wochen auf Kur gewesen und demnach tiefenentspannt, als sei die bloße Anwesenheit mit siebzig anderen Müttern und hundert Kindern in einem hellhörigen Bunker am Meer ein Garant für Nervenheilung und Tiefenentspannung.

Ich will doch nur Ruhe. Und Langeweile. Ich bin die, die niemals allein ist und niemals allein. Die, die auf Dienstreise fährt und sich auf´s Ausschlafen freut, dann jedoch schlaflos in einem fremden Bett liegt und die ihren vermisst.

Ich bin die mit den seltsamen Söhnen. Die, die gefragt wird, ob sie das blonde Kleinkind denn mal hat testen lassen, sein Benehmen sei so… äh… besonders und weil doch der große Sohn… man wisse ja Bescheid. Ich bin die, die immer gesagt hat, es sei vollkommen egal, wenn der Kleine auch Autist sei oder was auch immer und an keiner Stelle mehr gelogen hat als bei diesem Satz. Es ist nicht egal, nicht wegen mir. Wegen ihm! Und weil ich weiß, wie lang und schwer der Weg für das Großkind war. Allein bis hierhin. Weil ich wollte, will, für beide Kinder, dass das Leben eine bunte Aufschnittplatte ist und keine Challenge mit unklarem Endboss.

Ich bin die, deren Mann sagt, irgendwas stimme nicht mit unserer Genetik, Chemie. Also, wenn wir nur „solche“ Kinder bekommen und die trotzdem denkt, mit uns ist alles in Ordnung. Unsere Kinder sind kein Fehler, wir sind kein Fehler! Ich bin die, die regelmäßig die Nerven verliert, aber niemals verzweifelt.

„Suchanzeige: In den vergangenen Wochen habe ich meine Nerven verloren. Möglicherweise auch meinen Humor. Der ehrliche Finder wird gebeten, sie umgehend abzugeben. Wirklich, glauben sie mir,eine Zweitverwertung ist ausgeschlossen!“

Ich bin die, die nicht mehr weiß, wann sie mal bei der Kosmetik war und in den letzten Wochen nicht mal Zeit für den Fisör hatte. Die, die sich aus diesem Grund die Haare selbst gefärbt hat und nun mit fleckigem, karottenroten Haaransatz rumläuft. Die, die so aussieht, wie sie sich fühlt. Die, die beim Frisörbesuch des schreienden Sohnes hinter dem Stuhl steht und hilflos mit brennendem Gesicht versucht, das Kind zu beruhigen, das gellend schreit, „GEHWEG!GEHWEG! GEHWEG! GEH WEG DU PLÖTE FRAU!“, während alle Damen im Frisörsalon die Luft einziehen.

Ich bin die, über die die Muttis auf dem Spielplatz tuscheln, weil der Sohn es nicht erträgt, dass da andere Kinder spielen und schubst, schreit und randaliert. Ich bin die, die sich schämt. Die, die nicht mehr auf Spielplätze geht.

Ich bin die, die manchmal die Kinderwunschfrage mit: „Kinderwunsch? Eins weniger wäre ganz schön!“, beantwortet und deren Löwenmutterherz „You are beautiful, no matter what they say“ singt und das jeden abgrundtief und mit brennendem Herzen hasst, der jemals versuchen wird, ihren Kindern etwas anderes einzureden. Bis zum beschissenen allerletzten Tag ihres Lebens!

Ich bin die mit der dünnen Haut und dem dicken Schädel.

Ich bin die, die manchmal wehmütig ihre alte Blogbeiträge liest, in denen sie witzig, liebevoll, lebenslustig und manchmal sogar eloquent ihr Leben parodierte. Blogbeiträge, an denen sie manchmal stundenlang schrieb, um die Sätze auszufeilen. Ich bin die mit dem Blog, auf dem nichts mehr los ist. Ich starre auf die sterbenden Zugriffszahlen, traurig. Ich bin die, die nicht mehr weiß, was sie schreiben soll. Die, die durchhängt.

Ich bin die, deren Mann sagt, hör auf zu jammern und die nicht hört. Tut sie nie.

Ich bin die, die sich erinnert, was sie sich als junges Mädchen, junge Frau, gewünscht hat für ihr Leben. Hochtrabende Dinge! Einen lieben Mann, ein schönes Haus, Kinder und keine Geldsorgen. Ich bin die, der das Geld stets durch die Finger rinnt und die dennoch reich ist. Reich an Liebe.

Ich bin die, die sich erinnert.

Und ich bin die, die hier schreibt. Vielleicht nicht mehr so regelmäßig, aber es nicht mehr zu tun, ist keine Option. Das ist doch das Leben!  Bullerbü besteht zu neunzig Prozent aus Geduld und Kompromissen. Zehn Prozent sind Liebe und hemmungsloser Sex. Wer mir was anderes einreden will, schwindelt! (Hoffe ich.)

Rosen sind rot, Veilchen sind blau. Familie ist das Superste, ich weiß es genau!

 

 

 

 

 

81 Kommentare zu “No Filter!

  1. Rike, komm rum nach Zwigge. Ich hau Dich auf die Pritsche, richt Dir den Rücken grade. Koch Dir was für die Seele und dann kannste Jammern mit oder ohne Ratschlag. Dann nehm ich Dich in den Arm und sag Dir das Leben sieht manchmal scheiße aus nützt aber nix, da kannste nur einen Schritt nach dem anderen aus der Suppe rausgehen. Ich weiß Du wirst Humor und Lebenslust wiederfinden, notfalls guck im Keller zwischen den Konserven. Halte durch bis dahin. Du bist klasse und auch Deine Kinder, denn normal kann jeder, die Besonderen drehen das Rad der Welt. Gruß und Kuss!

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  2. Ich bin die die so gerne von dir liest. Zur Not auch nur einmal im Jahr – wobei das wäre schon scheiss wenig. Maximale Kraft aus der Nachbarstadt Leipzig zu Dir und der tollen Familie . Alexandra

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  3. Ich bin ein paar Stolpersteine älter und weiß, dass gute Wünsche nur einen Augenblick gut tun, aber nicht grundlegend helfen… Damit Du nicht auf ähnlicher Lebenssandbank wie ich stranden wirst, biete ich Dir unkompliziert praktische Hilfe an (da ich derzeit gewissermaßen auch von Deinem Steuergeld lebe(n muss), und gebe gern sinnvoll etwas von meiner vielen, gezwungenen Zeit zurück! Nachbarschaftlich. Außerdem schaue ich gern durch geputzte Fenster in meine alte, langjährige Lieblingsstadtteil-Heimat.
    Ich würde mich freuen, wenn Du die einfache, praktische Hilfe annehmen kannst (Du musst nicht viel reden, erklären…, danken) und der verspätete Frühling wird vielleicht auch ein bisschen Deine erschöpften Lebensgeister durch blankgeputzte Scheiben wieder erwecken können…
    Meine mailaddi steht ja dabei…

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    • Liebe(r) Elbkiesel, danke für das überaus nette Angebot. Ich kann das nicht annehmen, aber glaube mir, alleine die Bereitschaft Deinerseits ist eine riesengroße Hilfe! Herzensgrüße, Rike

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  4. ich weiß auch nicht, was grad in der luft liegt aber es hängen irgendwie ziemlich viele tolle menschen psychisch und körperlich durch… vielleicht müssen wir alle mal durchs tal gehen, bevor es wieder besser wird…

    liebe grüße ausm hecht!
    ps: spielplätze werden überbewertet, die elbe fetzt eh mehr!

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  5. Ich lese hier zum ersten Mal und mag Dich spontan sehr. Werde ab jetzt zweimal hingucken wenn gerade ein Kind randaliert. Gute Besserung an alle.

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  6. Ich bin die, die über die früheren Texte auf das nieselpriemsche Blöggel gestoßen bin. Die fasziniert war von der Diskrepanz aus sprachlicher Ausgefeiltheit und schnodderig-sarkastischem Humor. Und ich bin die, die diese Texte noch immer liebt. Aber auch das wahre, ungeschminkte Leben der Frau Nieselpriem. Mit vielen Sorgen, die ich auch habe (aber nicht annähernd so malerisch beschreiben kann..), teils auch mit Sorgen, von denen ich froh bin, dass ich sie nicht schultern muss.

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  7. Das mit den Spielplatz kenne ich auch… Der Spießrutenlauf vorbei an Müttern, die (nicht grundlos) erbost mein Kind anschauten/motzten/sich schützend vor ihren Nachwuchs stellten. Zerbrechen des eigenen Mutterherzes. Wir sind dann stattdessen auf die unbeliebten und leeren Schrottspielplätze oder an den Rhein zum Steine schmeißen gegangen. Und haben uns mit Müttern getroffen, die uns mir zuliebe ausgehalten haben. Deren Kinder konnten erstaunlicherweise ganz gut damit umgehen, dass ihre Sandburgen zerdeppert, sie beim Rutschen geschubst wurden oder das lange Wutgeschrei ertrugen. Ich habe nach und nach gelernt, die richtigen Worte zu finden, beiden Parteien gerecht zu werden.
    Und heute: ist mir erst durch das Lesen deines Posts aufgefallen, dass sich das seit Jahren (!) stark geändert hat: wir gehen mittlerweile gerne und häufig alleine und mit Freunden auf Spielplätze. Anscheinend brauchte mein Sohn mehr Zeit als andere, sein Sozialverhalten/- Verständnis reifen zu lassen.

    Liebe Rike, ich wünsche dir, dass es bei euch ähnlich läuft und der Blondino auch von anderen so toll wahrgenommen wird, wie du ihn kennst. Verhalten hat viele Nuancen- Stromlinienförmigkeit ist nur eine davon..

    Herzliche mitfühlende Grüße!!

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  8. Liebe Rike,
    auch wenn Du soooviele Kommentare schon gelesen hast und wir uns auch nicht persönlich kennen, gebe ich Dir eine virtuelle Umarmung, ganz dick und fest. Manchmal braucht man sowas mal. Ich möchte Dir keine Ratschläge geben, eigentlich, aber vielleicht doch einen…nimm die Hilfe an, die man Dir anbietet. Man möchte nicht über seinen eigenen Schatten springen, aber manchmal ist so ein Zeitpunkt da, da muss man es einfach mal tun. (und wenn es nur das Fensterputzen ist)

    Ich weiß, es kommen bessere Zeiten, habe auch alles durch, was Du beschreibst, aber manchmal dauern die „Phasen“ auch länger. Geduld und Kraft und Nerven hat man da keine mehr, nicht einmal den Galgenhumor. Man funktioniert einfach nur noch. Ich hoffe, Ihr kommt da bald raus und drück ganz fest die Daumen!

    LG Ivi

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  9. Hallo Rike!
    Erstmal eine ganz feste Umärmelung ❤
    Ich kenne das nur zu gut. Habe hier 2,5 jährige Zwillis und seit sie in der Kita sind, habe ich den Begriff krank völlig neu definiert.
    Wir leben hier im Umbau, mit Krankheit an Krankheit und mir geht es manchmal genauso… Aber im großen und ganzen geht es den meisten von uns doch ziemlich gut.
    Und irgendwann kommt auch die Sonne ☀ wieder durch das grau in grau.
    Ich wünsche Dir ganz viel Sonne ♥
    LG Ela
    aus dem schönen Unterfranken

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  10. Pingback: streetfood, spargel und sonnensehnsucht ::: 5 freitagslieblinge am 05. Mai 2017

  11. „Ich bin die, der das Geld stets durch die Finger rinnt und die dennoch reich ist. Reich an Liebe.“ Und bei allen Hochs und momentanen Tiefs ist das doch das Wichtigste! Viel Kraft und dass mit dem Frühling (ja wo ist er denn?) Entspannung eintrifft auf den verschiedenen Ebenen! Und ich komme auch nach einer Blogpause wieder! 😉
    Liebe Grüße aus Berlin!

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  12. Liebe Rieke, es gibt keine andere Bloggerin, die mich so zu Tränen rührt wie du. Zu Tränen vor lauter Lachen und zu Tränen des Mitgefühls und des Berührtseins. Du bist echt was wundervoll besonders. Liebe Grüße, Constanze

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  13. Pingback: Ich sehe was, was du nicht siehst! – Nieselpriem

  14. Pingback: Über Schreibblockaden, Vorbilder und 2000 Wörter umfassenden Bockmist « Chaos² – Familienwahnsinn im Doppelpack

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