Die Begegnung

Ein normaler Samstag Morgen zwischen acht und neun.

Ich marschiere mit beiden Kindern unseren samstäglichen Einkaufsweg ab. Im Drogeriemarkt steuert der Blondino zielstrebig das Schaukelpferd und den Spielwürfel an, den die Manager dieser Einkaufskette zur Belustigung des kleinen und großen Kundenstammes dort aufgestellt haben. Das größere meiner Fortpflänzchen sucht Pokemons zwischen den Duschbädern und ich Kniestrümpfe in Größe vierundzwanzig. So weit, so gut.

Neben uns auf der Spielinsel schaukelt eine Mittdreißigerin in Ökobiomembranfunktionsbekleidung und ebenso praktischem wie natürlichem Kurzhaarschnitt über natürlichem ungeschminktem und faltenfreien Teint singend ihr etwa neunmonatiges Baby, gewandet in korrektem beige-grauem Bioökonaturfilzschurwollegemisch auf dem Schaukelpferd. Typische Situation einer Ein-Kind-Mutter, wie ich unterstellte und ein wenig und nur ganz kurz war ich neidisch auf ihre sorglose, entstresste Situation. So weit, so belanglos.

Als nach angemessener Spielzeit meines Nachkommens (und es gab keine Kniestrümpfe in Größe vierundzwanzig) der Aufbruch nicht länger herausgezögert werden konnte, insistierte ich diesen. Beim Kind. Meinem. Es ist Zeit zu gehen/ Wir müssen nun zum Bezahlen an die Kasse/ Wir gehen jetzt/ JETZT gehen wir/ Das nächste Mal kannst du hier wieder spielen/ Steh jetzt bitte auf/ Steh JETZT SOFORT auf.

So weit, so armselig. Denn es kam, wie zu erwarten: Das Meinige schmiss sich längs und quiekte strampelnd und schimpfend und laut. Souverän und gefasst hob ich den Unkooperativen vom Boden auf und ruhig, beruhigend und bestimmt setzte ich ihn in seine Plagenkarre.

„Na, so klein ist er aber nun auch nicht mehr!“ (ließ sich die andere Mutter vernehmen, interessiert und leicht verächtlich -Unterstellung- die Situation beobachtend)

„Wie bitte?!“

„Ich sagte, so klein er ist aber auch nicht mehr, dass er sich so benehmen dürfte! Das typische Alter für bockige Kinder ist doch eher früher!“

Tunnelblick. Mein Blut kocht. Von jetzt auf gleich habe ich Bluthochdruck und mein innerer Dampfkessel fiept. Ich erwidere irgendetwas, nenne der Frau gar das korrekte Alter meines Kindes und danke sarkastisch (ich hoffe, es klang sarkastisch) für ihren Hinweis auf das untypische Verhalten meines Kindes und den Hinweis auf meine Inkompetenz.

Es geht also immer noch armseliger…

Draußen, immer noch bei voller Betriebstemperatur, klärt mich mein Großkind auf: „Mama, das einzige, das wirklich peinlich war, warst du! Ihr erklärt mir immer, wenn mich jemand anmacht, soll ich das ignorieren und darüber hinwegsehen und du flippst aus wegen ´nem blöden Spruch!“. „Sohn, du hast recht, aber weißt du, das ist so ein Mütterding. Vielleicht auch ein Rike-Ding. Wenn irgendwer was über meine Kinder sagt, springe ich direkt aus dem Stand! Weißt du, alle Mütter wissen eigentlich, wie hilflos einen so eine Situation machen kann und dass alle gucken, wer da so schreit und dass das eh schon peinlich genug ist und man als Frau einfach nur raus will aus der Situation und dem Laden. Also ich zumindest. Und ich käme niemals auf die Idee, in so einer Situation einer anderen Frau noch einen Spruch to go mitzugeben!“. „Na ja, du vielleicht nicht.“

Kluges Kind.

Liebe Mutti aus dem Drogeriemarkt! Entschuldige bitte, mein Verhalten vorhin war unangemessen. Ich muss vielleicht noch ein paar Erziehungsratgeber lesen oder möglicherweise kannst du mir Tipps geben aus deinem reichen Erfahrungsschatz? Das wäre wirklich schön! Lass uns doch mal treffen auf einen Kaffee oder vielleicht ist dir ein Matetee lieber. So in zwei Jahren vielleicht? Wenn dir das passt. Oder in zwölf? Auf Augenhöhe. Bitte melde dich, ich freue mich!

19 Kommentare zu “Die Begegnung

  1. Oh, wunderherrlich. Einmischungen und Besserwissereien. Naja, ich weiss auch besser. Sehr viel besser. Aber ich behalte es trotzdem für mich.
    Als Mutter eines Riesen, der ein Jahr älter aussieht als die Gleichaltrigen plus einen verhaltensmässigen Entwicklungsrückstand von etwa einem Jahr hat, also Verhalten und Verpackung etwa zwei Jahre auseinander driften, durfte ich mir übrigens auch schon das eine oder andere anhören…… irgend was Wohlwollendes, überhaupt gar nicht passiv-aggressives, man ist ja schliesslich zivilisiert, kommt einem meist schon als Antwort in den Sinn….

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  2. Mutter eines Autisten, weiß was Verachtung bedeutet.

    Man sieht es meinem Sohn ja auch nicht an das er behindert ist und es macht mich oft wütend und traurig

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  3. Oh diese Mini Spiel ecke im DM
    Da wird sogar mein Kind zum „trotz“ Kindchen… herrlich auch das andere immer einen Spruch parat haben. In einigen Jahren sind unsere zu cool für die ecke und dann steht sie da mit weinenden kind und wir.. Wir lächeln innerlich 😉

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  4. Määääh… der hätte ich was erzählt. 😀 Aber wenn es dich tröstet, ich wurde heute auch auf dem Spielplatz geächtet, weil ich bei einem Hechtsprung soviel Sand aufwirbelte, dass klein Einzelkindchen etwas abbekam, als ich Rabenmutter meinen 11 Monatigen auffangen musste. Der wollte sich vom Klettergerüst stürzen, während mich ein oder zwei seiner Geschwister abgelenkt hatten. Määääähhhh… das bisschen Sand.

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  5. Ich finde es immer noch besonders interessant, wenn Hinweise (egal ob hinsichtlich Kindern oder zum Beispiel dem „zu lauten“ Ping-Pong-Strandtennis am Strand) von Leuten kommen, von denen man meint, dass sie sich für tolerant und Menschen liebend halten… Tss

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  6. Wunderschön finde ich es auch, wenn sich die Mamas in der Hölle der Trotzphase gar nicht mehr erinnern können, wie sie selbst als „Baby-Mamas“ waren … wie sie sich selbst über die kleinsten Kleinigkeiten aufgeregt haben, wenn ihr Baby geweckt wurde – oft Sachen, über die man selbst im Nachhinein lachen muss. Toll auch, wenn dann alles, was eine Baby-Mama beschäftigt, immer nur abgetan wird mit „Hab du erstmal ein Kind in der Trotzphase.“ Liebe Mamas in der Trotzphasen-Hölle: Ich freu mich schon so auf euer inniges Verständnis, wenn unsere Babys dann in der Trotzphase sind. Oder gehe ich zu weit, wenn ich vermute, dass wir uns dann anhören „Hab du erstmal ein neunmalkluges Schulkind.“
    Ich finde es völlig daneben, immer die Phasen zu vergleichen. Jede Phase hat ihr Schönes, aber auch ihr Anstrengendes. Keine Phase ist wirklich vergleichbar. Während Baby-Mamas oft total unausgeschlafen und übermüdet sind, sind Trotzphasen-Mamas endlos entnervt und Schlaumeier-Mamas sicher auch hin und wieder angestrengt. Dass es immer diese Vergleiche braucht, was anstrengender ist.
    Ich finde es weder passend, eine Trotzphasen-Mama zu belehren, noch eine Baby-Mama zu belächeln.

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    • Liebe Julia,
      da hast du recht! Es ging vordergründig um Übergriffliches und dass mein letzter Absatz auf der Skala der total correctness nicht punktet, ist mir klar. He! Es stand ihr nicht zu! Fand ich. Am Samstag. Also damals irgendwann… Rückblickend ist das lächerlich, natürlich! Aber so ist das mit Müttergefühlen, von jetzt auf „volle Pulle“. Kennste, oder?! 😉
      Liebst, Rike
      PS. Ich hoffe, die Nächte werden besser…

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      • Bei uns geht es mit den Nächten… ich find es nur immer blöd… erst hieß es „Hab du mal selbst ein Kind“ und dann haste eins und es heißt „Warte mal ab, bis…“ ohne sich dran zu erinnern, wie man selbst damals war 😁
        Übergriffig mag ich auch als Babymama nicht ☺️

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  7. Hey, ich kann es so gut nachvollziehen!
    Ich brauche nicht mal nen Spruch, mir reichen schon die Augenbrauen. Kennt ihr die? Das verachtende Hochziehen. Gott da kann ich schon im Dreieck springen! Als wenn alle es mit Löffeln gefressen hätten.

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  8. ach ach ach, dass Mütter/Kinderbetreuende sich nicht einfach gegenseitig unterstützen können…dieses gegenseitige Be- und Verurteilen ist doch so kontraproduktiv…. Ich möchte der belehrenden Schaukelpferd-Mama ja gerne meinerseits ein paar Belehrungungen über Soldidarität, Emanzipation, Mitmenschlichkeit zukommen lassen ;-)… aber so sindse, die Menschen, ne?! Und da hat auch das Äußere nu mal nix mit zu tun – ich bin auch so ne naturtrübe Ökobiomembran und trotzdem ne Furie. Manchmal. Ich esse keine Tiere und mag trotzdem viele Menschen nicht. Und ich kann nett, schlau, solidarisch sein und trotzdem ein kommunikatives Brett vorm Kopf haben. Vielleicht, ganz vielleicht meinte sie mit ihrem Satz so was wie „Ich seh das Verhalten deines Sohns und erlebe das als untypisch für das, was ich als Mutter kenne/weiß/gelesen habe/worauf ich vorbereitet bin und es tut mir leid, dass du als Mama das aushalten musst. Ich würde gerne helfen, kann aber nicht, da ich mich diese Situation und der „Blick in die Zukunft“ verunsichert?“ Vielleicht ist sie gerade ganz ganz stolz, weil sie den 8.Monatssprung gewuppt hat, obwohl Vielleicht. Vielleicht auch nur ne blöde Kuh, die sich grundlos überlegen fühlt. Gib ihr nicht Recht, indem du dich unterlegen fühlst. Dein Kind zeigte „kindtypisches“ Verhalten und du hast so reagiert, so wie du es kannst und für richtig hälst! Menschen reagieren ja meistens dann „entsetzt“ und mit Einmischung, wenn sie irgendeinen Normenverstoß vermuten, der ihr Weltbild und ihre Ordnung durcheinander bringt. Tief durchatmen und bei sich bleiben ist das einzige was hilft, da hat dein Großer Recht! Nachdem ich nun selbst auch schon einige Blicke/Sprüche in der aktuellen KleinkindPhase bekommen habe, aber auch weiß, dass ich selber in meiner BabyMamaZeit nach diesen wütenden Kindern bei DM geguckt und mich gewundert habe, habe ich mir vorgenommen, entweder die anderen einfach komplett zu ignorieren oder die Mutter/Vater durch freundlichen Blickkontakt zu unterstützen ( auch dann, wenn sie in meinen Augen „falsch“, d.h. ganz anders als ich mit der Situation umgeht), frei nach dem Motto „Für meine Kinder bin ich die beste Mama die sie haben können – und andere für ihre Kinder“. Ich hoffe, das klingt nun meinerseits nicht nach Belehrung – wie du siehst, triggert diese Situation einfach in vielen Müttern irgendetwas und fällt bei mir definitiv auf viele Gedanken und Gefühle.
    Solidarische Grüße 🙂

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      • Stimmt, Kikki, das war das, was ich vermutlich nach einigem Wuuuuuuusaaaa hätte schreiben können. So hab ich nur „BabyMama“ gelesen und dachte „SCHON WIEDER SO EINE, DIE SICH ACHSOÜBERLEGEN FÜHLT.“ Das begegnete mir dieser Tage irgendwie öfter mal und ja … auch Mamas sind nur Menschen 😀

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  9. Pingback: 2017-01-18 (5) | überdreissig

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