Wattekuss

„Einz, bei, krei, vier, fimf, sechs, siebam, akt, nuin, sehn, ölf, Applaus!“

Er kann schon zählen, der Kleinste, wie die stolze Mutterhenne hier angeberisch verkünden möchte! Auch ist er in der Lage, dezidiert zu erklären, ob nun am Tablet „dor gölbe Bus“ oder „dor blaue Bus“ angemacht werden soll.

Ansonsten spricht er viel, aber hauptsächlich Babyisch. Beim letzten großen Baby-TÜV hat der gute Doktor auf dem TÜV-Formular „late Speaker“ vermerkt, weil der Wundervolle zwar alle Tiere und Alltagsgegenstände auf den Tafeln benennen konnte, nur eben nicht in deutsch.

Babyisch ist ja international. Ob nun aus Köln, Leipzig oder Shanghai, untereinander verstehen sich diese kleinen Wesen immer. Von Kommunikationsproblemen keine Spur!

Nun müssen sie allerdings bereits in frühen Jahren die entsprechend der späteren Verortung vorliegende Fremdsprache erlernen. Hauptsächlich, weil die alten Erziehungsmenschen linguistisch zu unflexibel sind, um sich auf das internationale Babyisch einzulassen. Obwohl man ja als Elter am Anfang gar nicht drum herum kommt…

Ich erinnere mich noch, wie ich als frischgebackene Muddi den native speakern und alteingesessenen Müttern lauschte und der Meinung war: Das lerne ich nie! Irgendwie ist es rückwirkend, als siedle man in ein anderes Land um. Mit der Praxis kommt es von ganz alleine.

Mittlerweile weiß ich, bilunguale Erziehung betrifft immer alle. Und zwar wirklich alle! Eltern und Kinder. Und ich bin sicher, dass die Hosenscheißer ganz genau wissen, was sie wann wie formulieren müssen, um Erfolg zu generieren. Beispiel gefällig? Als der Bärtige letztens das schnee-be-anzugte Wurschtgewitter die Treppen hochhievte zu unserer Behausung, rutschte dem die Pudelmütze bis hinunter zur Oberlippe. Empört protestierte der Kleinste eine ganze Treppe lang auf Babyisch, um sich dann, nach dem zweiten Absatz, in deutlichstem Deutsch zu beschweren: „Isch seh nüsch! Isch seh nüsch!“.

Der kann das. Wenn er muss. Und Wollen muss er auch. Dann verwendet er sogar regelrecht inflationär verstärkend wirkende Adverben wie „wugglisch“, „örlisch“ und „naturlisch“. „Bist du im Schuh drin?“. „Ja. Wugglisch.“. „Hast du gut geschlafen?“. „Ja, naturlisch.“.

Will er aber meistens nicht. Teleskoplader, Raupenbagger und selbst Müllauto spricht er fehlerfrei. Für letzteres gibt es aber ein schönes Babyisch-Wort: Badeng! Und so wird nach wie vor die Ankunft des orangen Riesen vorm Haus von frenetischen „Badeng! Badeng!“-Rufen begleitet. Im Kindergarten wollte ihn der große Lukas (der ist schon vier) logopädisch schulen und sagte ihm, das würde aber Müllauto heißen. „Badeng!“, widersprach der Blondino. „Müllauto!“, „Badeng!“, „Müllauto!, „Badeng!“. „Also gut, von mir aus Badeng.“. Soweit ich weiß, ist Badeng jetzt im Kindergarten etabliert.

Ich amüsiere mich über diese für mich neue Fremdsprache. Als ich mit ihm neulich zu meiner Freundin unterwegs war, freute er sich die ganze Autofahrt lang auf „Grödel, Ketschup und Malle“ und ich schwöre, Gretels Kinder heißen wirklich nicht so!

Mein liebstes Babyisch-Wort ist „Wattekuss“. Wattekuss ist die Generalantwort auf jede Aufforderung, die an das Baby gerichtet wird. „Komm, Windeln wechseln!“. „Wattekuss.“. „Los, Schuhe anziehen!“. „Wattekuss.“. „Räum die Vaininni vom Boden auf!“. „Wattekuss.“.

Allerdings bin ich der Meinung, es gibt durchaus Worte aus dem Babyischen, die eingedeutscht gehören. „Vaininni“ ist so ein Wort (nach langer Überlegung bin ich der Meinung, das ist ein Pluralwort wie Globuli). „Heb die Vaininni vom Boden auf!“ ist ein vielgesprochener Satz im Hause Nieselpriem. Denn die Vaininni werden täglich aus dem Küchenschieber geholt und in der Küche verteilt. Und im Flur.

Vaininni

Vaininni (mehrfarbig; verteilt auf einem Küchenboden)

Plastiktrinkröhrchen ist doch ein absolut unmögliches Wort, oder? Vaininni dagegen kan jeder Mensch, egal, aus welchem Kulturkreis und egal, mit welchem Alkoholpegel, problemlos aussprechen. Denn, mal ehrlich, wann kommen die Dinger denn zum Einsatz?

Genau! Meistens, wenn man morgens um drei stocknüchtern in einer Bar sitzt und die Thekenfachkraft verkündet, sie würde jetzt die letzte Runde machen. Dann denkt man sich: Mensch, jetzt als Abschluss einen schönen Whiskey sour mit viel crushed ice und Rohrzucker, den man mit dem Plastiktrinkröhrchen zwischen den Limettenstücken im Glas  klimpernd verteilen kann und dabei noch ein bisschen über die großen Themen der Welt philosophieren. Und souverän und nüchtern wie du bist bestellste dann: „Een Wixauer, aba mi Plastiringröschn!“.

Ich bin sehr für Vaininni…

 

 

 

 

 

 

21 Kommentare zu “Wattekuss

  1. Ich glaube ja, der Kleine ist einfach nur ein Witzbold. Wie seine Mama.
    „…weil der Wundervolle zwar alle Tiere und Alltagsgegenstände auf den Tafeln benennen konnte, nur eben nicht in deutsch.“
    Ich voip Dich dolle!

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  2. „Wucklich“ kenn ich auch und dann gibts solche Sachen wie Baluftelong, die man unmöglich verbessern kann, auch wenn uns theoretisch bewusst ist, dass das Zwerg von uns hören sollte, wie das Ding tatschlich heißt.

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    • So einen „keen Bock“ hammer hier ja auch noch, ich muss sagen, da hält sich meine Begeisterung für die Antwort dann aber stark in Grenzen 🙂 Er könnte es mit „Wattekuss!“ probieren, wäre vermutlich besser für das Familienklima.

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  3. Im Hause Kiddo wird sehr pragmatisch und zielorientiert gesprochen. Meist in Einzelwörtern. Dass man auch zwei oder sogar mehrere aneinander reihen könnte, ist für’s Kiddo offenbar Kokolores.

    Mein Lieblingswort aktuell: O-la-la. Das bedeutet selbstverständlich: Schokolade.

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  4. Wunderbar!!! 😃 Unser Favorit hier: Einusel für Eichhörnchen…. Keine Ahnung wie und woher, aber auf babyisch/kleindinisch klingt es einfach toll und völlig logisch. „Gugg mal dort. Das hübsche Einusel.“ 😄

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  5. Oh, Wattekuss ist klasse! Ich erinnere mich noch an Luftebong, Metterschling und an Mäkauken…mann, ist das lange her- Danke fürs dran erinnern!
    LG Simone

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  6. So schön!
    Meine Kleine sprach auch ewig gar nicht. Dann aber konnte sie auf einmal die lateinischen Dinosauriernamen bevor sie Mama sagte. Babyworte hatte sie nie. Aber die Große, wenn sie keinen Bock hatte zu antworten sagte sie immer: Idemassissiiiiiiiii
    Das hat mir auch gefallen.

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  7. Also meine kleine(jetzt 6 1/2 und in der schule) hat bis ca 2-3 Monate vor Kindergarten Ende immer Einhörnchen statt Eichhörnchen gesagt… super süß.. deshalb hab ich sie bei diesem einen Wort auch nicht verbessert… irgendwann sahen wir dann eines vor der Schule der großen(jetzt 8, 2. Klasse) über die Straße flitzen… und dann sagt sie: „oh Mama guck mal, ein EICHhörnchen… das heiß nämlich nicht Einhörnchen!“
    Ich sagte: „WER hat dir das gesagt?!“
    Und da antwortet sie ganz trocken: „niemand, das hab ich im Kindergarten in einem Buch gelesen.“
    (Ja, sie konnte schon mit 5 relativ flüssig lesen, obwohl ihr das niemand wirklich beigebracht hat)
    Heute sagt sie noch : „guck mal mama, eine Pydamire!“ Und wenn ich sie verbessere: „hab ich doch gesagt!“
    Naaaagut…

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  8. Ich erhöhe um ein we(h)rmeinchen und aktuell einen hainahann ( na wer kommt drauf ? Sagt sich besonders gut aufgeregt vor dem entsprechenden Baum stehend …)

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  9. Kra, kra – ich weiß nur noch nicht so genau was es bedeutet. Die Vögel sind auf jeden Fall nicht gemeint

    So ein 1,5 jährigem kleiner Mann kann einem schon Rätsel aufgeben…

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