Tür 5 – ein Familienbetrieb auf der Wurstwiese

Heute schreibt Christian vom Blog Familienbetrieb über traditionelles Weihnachtsessen. Über den Autor und den Familienbetrieb braucht man eigentlich keine Worte mehr zu verlieren. Es wurde alles schon gesagt, geschrieben und keine noch so blumige Eloge wird ihm wirklich gerecht. Der Typ ist einfach nur der Knaller, oder? Ich wünsche mir und euch viel Spaß!

 

Essenstraditionen spielen an Weihnachten seit jeher eine große Rolle. Die einen mögen es gerne aufwändig und tischen Gans mit Knödeln und Rotkraut auf, andere bevorzugen es eher einfach und begnügen sich mit Kartoffelsalat und Würstchen, die am Weihnachtsbaum verzehrt werden. Als Nachtisch gibt es dann noch Eis oder Pudding und später wollen dann noch der Christstollen und die vier Wochen alten Weihnachtsplätzchen verdrückt werden.

Aber egal, was zum Wiegenfest des Jesuskindes serviert wird, es geschieht in Mengen, die nicht mehr als haushaltsüblich bezeichnet werden können. So kommt ein 4-Personen-Haushalt über die weihnachtlichen Feiertage gerne mal auf eine Kalorienzufuhr eines 9-köpfigen Tour de France-Teams – und zwar während der gesamten 21-tägigen Rundfahrt.

Möglicherweise ist es ein abendländischer Brauch, an Weihnachten durch Sodbrennen, Verstopfung und Magenschmerzen, das Leid und die Beschwerlichkeit nachzuempfinden, die Maria, Josef und das Jesuskind ertragen mussten, als sie im Stall zu Bethlehem vor sich hin darbten. Eventuell ist diese maßlose feiertägliche Völlerei aber auch durch die Innung der Änderungsschneider sowie die Lobby der Diät- und Fitnessindustrie gesteuert, die immer zu Jahresanfang Millionen- wenn nicht gar Milliardengeschäfte machen.

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Auch bei uns Zuhause gab es früher ein traditionelles Weihnachtsessen: Nudelauflauf mit Tomatensauce. Als ich ein kleiner Junge war, gehörte dieses Gericht zu Heiligabend wie der Weihnachtsbaum, das rote Kleid, das meine Mutter jedes Jahr trug, oder die Modelleisenbahn, die mein Vater in mühevoller Kleinarbeit aufbaute und sich dann darüber aufregte, dass mein Bruder und ich nach fünf Minuten, der monoton ständig im Kreis fahrenden Zügen überdrüssig wurden und uns lieber den Weihnachtsgeschenken zuwandten.

Für Außenstehende wirkte unser Weihnachtsmahl oft etwas befremdlich, denn mit Sahnesauce übergossene und mit Edamer überbackene Nudeln haben doch so gar nichts Feierliches und Festliches an sich. Neben den kulinarischen Vorlieben meines Bruders und mir gab es sehr pragmatische Gründe für diese Essenswahl. Zum einen lässt sich Nudelauflauf gut vorbereiten, was meine Mutter immer in den frühen Morgenstunden des 24. Dezembers tat, wenn der Rest der Familie noch schlief – möglicherweise ihre entspanntesten Stunden an Heiligabend. Zum anderen ist so ein Nudelauflauf auch recht einfach fertigzustellen. Für den Fall, dass der elterliche Streit beim Christbaumschmücken – auch so eine frühere Tradition bei uns – einmal vollkommen aus dem Ruder gelaufen wäre und nicht einmal mehr UNO-Blauhelm-Truppen deeskalierend hätten eingreifen können, um die unterschiedlichen Ansichten ob des gerade Stehens des Weihnachtsbaumes sowie der optimalen Anordnung von Kerzen, Kugeln und Schmuck in der Tanne in einen Konsens zu überführen, wäre mein Bruder als der ältere von uns beiden auch als Grundschulkind in der Lage gewesen, die präparierte Auflaufform bei 200 Grad in den Ofen zu schieben und nach 20 Minuten wieder herauszuholen. Aber so weit kam es nie (Anm. der Red.: Die konfliktäre Darstellung unserer Weihnachtsvorbereitungen dient lediglich der literarischen Zuspitzung. Tatsächlich verliefen die Heiligabende bei uns immer in einer absolut friedlichen und beispielhaft harmonischen Atmosphäre, dass Weihnachtsfeiern in Bullerbü dagegen als von brutalstmöglichen Ausschreitungen begleitete Zusammenkünfte gewaltbereiter Hooligans gelten können.).

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Aber für einige Jahre brachen wir mit unserer kulinarischen Weihnachtstradition. Denn es begab sich zu der Zeit, dass der Zweitgeborene der Familie (sprich ich) verlangte, dass er das Weihnachtsmahl zubereitet. In meinem letzten Jahr im Kindergarten hatte ich dort nämlich an einem Kochkurs teilgenommen. Ein Teil meiner Erziehung zu einem modernen Mann, der weder Kelle noch Schürze scheut, womit meine Eltern außerdem sicherstellen wollten, dass ich in späteren Jahren, wenn ich das traute Heim – und die warme Küche – verlassen habe, nicht elendig verhungere.

Nun wollte ich meine neu erworbenen Kompetenzen in der Speisenzubereitung einem realitätsnahen Praxistest unterziehen. Auf der Stirn meiner Mutter bildete sich Angstschweiß von niagarafallartigem Ausmaß und sie fragte sich, warum sie mich unter Schmerzen zur Welt gebracht hatte, damit ich ein paar Jahre später zum Weihnachtsfest die gesamte Familie durch meine nur rudimentär ausgebildeten Kochkünsten mit einer Lebensmittelvergiftung ins Krankhaus schicke. Auch der Blick meines Vaters zeugte von tiefer Skepsis, malte er sich doch in aller Unerfreulichkeit aus, wie er nach einem infernalischen Kochfiasko seines Zweitgeborenen über die Weihnachtsfeiertage die gesamte Küche renovieren muss. Mein Bruder war gegenüber meinem Ansinnen hingegen indifferent, so lange es keine zusätzliche Arbeit für ihn bedeutete.

Meine Eltern beruhigten sich erst ein wenig, als ich verkündete, welches Gericht ich gedachte zu kredenzen: Fliegenpilze auf Wurstwiese. Dabei geht es nicht um die Zubereitung des giftigen Amanita muscarias, sondern um die dekorative Anordnung gekochter Eier und halber Tomaten unter Zuhilfenahme von Mayonnaise.

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Die Herstellung dieser auf der Wurstwiese gebetteten Fliegenpilze ist so einfach, dass sie selbst ein motorisch minderbegabtes Kind im Grundschulalter vor nicht allzu große Probleme stellt. Zunächst werden ein paar Eier hartgekocht, abgeschreckt und gepellt. Für die bessere Standhaftigkeit werden die dicken Enden der Eier gekappt. Anschließend werden Tomaten halbiert und die Kerne und das Fruchtfleisch mit einem Löffel entfernt. Die so ausgehöhlten Tomaten werden auf die Eierspitzen gestülpt. Mittels einer Tube Mayonnaise werden danach die Fliegenpilz-Punkte auf die zu Pilzhüten umfunktionierten Tomatenhälften appliziert. Zum Abschluss werden Wurstscheiben auf einem Teller oder einer Platte verteilt und die Eier-Tomaten-Fliegenpilze darauf drapiert. Für das vollendete Natur-Feeling kann auch noch Petersilie auf der wurstigen Wiese verteilt werden.

Selbstverständlich kann die Wurstwiese auch durch eine Käsewiese ersetzt werden. Oder durch eine vegane Wurstwiese. Aber im Westerwald der frühen 80er Jahre, wo ich aufwuchs, war Vegetarismus noch nicht besonders stark verbreitet. Von Veganismus ganz zu schweigen. Um ehrlich zu sein, ist die Ernährung des gemeinen Westerwälders bis heute stark carnivorisch geprägt.

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Nach ein paar Jahren verlor ich dann die Lust an den wurstwiesigen Fliegenpilzen und beendete meine Kochkarriere, bevor ich größeren Schaden anrichten konnte. Seither gab es bei meinen Eltern an Heiligabend wieder Nudelauflauf. Ganz traditionell. Aber ohne mütterliches rotes Kleid. Und ohne väterliche Modelleisenbahn. Er schmeckte aber trotzdem immer wieder gut.

FamBetrieb_Fliegenpilze auf Wurstwiese

Das spätere Oberhaupt eines erfolgreichen Familienbetriebes bei früher Kinderarbeit und vollem lockigen Haar

 

Fliegenpilze auf Wurstwiese – Zutaten

  • Vier hartgekochte Eier
  • Zwei Tomaten
  • Eine Tube Mayonnaise
  • Wurstaufschnitt (oder Käseaufschnitt)
  • Petersilie (oder anderes Grünzeug)

11 Kommentare zu “Tür 5 – ein Familienbetrieb auf der Wurstwiese

  1. Köstlich. Ich hätte mitgekocht. Aber Nudelauflauf ist auch super.

    Bei uns gab es auch immer irgendwas mit Fleisch, was gut vorzubereiten war und nur in den Ofen musste. Was das jeweils war, weiß ich nicht mehr. Es interessierte mich und meinen Bruder auch maximal peripher. Wichtig war der Nachtisch aus diesen blättrigen Eiskuchen der bekannten Firma und dass das gesamte Gelage schnell vorbei war. Schließlich warteten die Geschenke.

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  2. Ich würde es mir niemals wagen anderer Leute Rechtschreibung zu bemängelt und das tue ich auch an dieser Stelle nicht. Aber wenn man beim Wort Schweiß ein w weglässt, wird schnell der Inhalt des Wortes verändert…. Besonders witzig, wenn das Wort Angstschweiß werden sollte. Bitte löscht mich einfach raus wenn es gelesen wurde….
    Ansonsten habe ich sehr gelacht. Wir haben auch so ein untypisches Weihnachtsessen: mit Käse überbackenes Gyros…
    Liebe grüße

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    • Hach, ich mochte diesen kleinen Faupax ja sehr… leider wurde ich per Mail gebeten, doch redaktionell einzuschreiten, bevor es hier zu Gelächter kommt. Leider leider war ich heute aufgrund von familiären Weihnachtsfeierlichkeiten offline und so lief das wohl ein wenig aus dem Ruder, wie ich sehe. So, genug gelästert, der Fehlerteufel wurde bereinigt!
      PS. Gyros mit Käse, hmmmmmmm.

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  3. Bei meinem Mann und mir gibt es seit dem Jahr 2000, als wir an Weihnachten vor der buckeligen Verwandtschaft nach Polen geflüchtet sind, um dort alleine auf Wolke 7 Weihnachten zu feiern, nur noch „polnischen“ Nudelauflauf. Der ist gar nicht polnisch, sondern einfach nur Nudelauflauf mit allem was die Küche so hergibt. Heute kommen an Heilig Abend auch unsere Kinder in den Genuss des Auflaufs – und einer total entspannten Mama 🙂
    Bin immer froh, zu lesen, dass nicht nur wir so „komisch“ sind. Toller Beitrag!

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  4. Pingback: Fremdgebloggt bei ‚Nieselpriem‘: Von Fliegenpilzen auf Wurstwiese | Familienbetrieb

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