Geburtstage

Während die Erwachsenengeburtstage und selbst der des großen Kindes ja grundsätzlich Tage sind, an denen der Jubilar gefeiert wird, ist es bei dem des Kleinsten irgendwie ganz anders… sie katapultieren mich in die Vergangenheit.

Schon zum zweiten Mal. Bereits viele Tage vor „dem“ Datum, schlurfte ich feuchtäugig und seufzend in der Gegend rum. Und dann traf es sich auch noch, dass meine Wege durch das Uniklinikum an der Frauenklinik vorbeiführten. Und da hörte ich es: „Aaaaaaaah!“, in diesem ganz besonderen Tonfall. Keine drei Sekunden später erneut: „Aaaaaaaah!“. Meine Schritte verlangsamten sich automatisch und meine winzige, schrumpelige Gebärmutti krampfte sofort solidarisch mit.

Eine Stunde später musste ich immer noch an die Frau denken. Ich legte Wäsche zusammen und seufzte schon wieder. Sie würde nun glückstaumelnd und verheult ein rosiges Menschlein, schlafend und zusammengekrümmt wie ein Engerling oder mit ganzer Babykraft wütend ausgestreckten Gliedmaßen und lauthals die Welt anbrüllend, unterhalb der linken Schulter liegen haben. Auf ihrem Herzen. Seufz.

Am letzten Augusttag dann (dem errechneten Geburtstag des Kleinsten) lief ich breitbeinig in der Gegend rum und hoffte auf Blähungen, um noch mal Bewegung in mir spüren zu können. Und benahm mich auch sonst so, als bräuchte ich dringend Hilfe!

Wenn ich abends liebestaumelnd über dem Gitter des Babys hänge und den warmen kleinen Rücken streichle, habe ich jetzt schon manchmal das Gefühl, ich muss ganz schön ausholen mit dem Arm. So von ziemlich weit links bis rechts. Wieso ist der schon so lang? So groß? Zwei Jahre. Warum geht das alles so schnell? Noch zweimal zwinkern, dann rasiert der sich im Schritt, sagt: „Tschüss Mutti!“, und zieht mit einer unsympathischen Söhnestehlerin von dannen (Ich hasse sie jetzt schon. Alle!).

Zwei Jahre soll das schon her sein? Meine Erinnerungen sind so präsent, als sei es gestern gewesen. Und das müssen sie auch bleiben, denn wenn ich das alles wirklich niemals wieder erleben darf, dann muss das für ein Leben lang reichen. Diese Erinnerungen.

Wie ich in der Klinik Meter für Meter die Gänge ablatsche, nachts. Und jede Nachtschwester auf einen Bohnenkaffee anschorre (und keinen kriege). Und wie ich dann viele Stunden später alle im Kasernenton darüber informiere, dass jetzt gefälligst der Anästhesist geholt werden soll. „Nee, Leute, ihr macht mir nichts vor! Natürliche Geburt? Hatten wir schon. Danke, kenn ich. Brauch ich nicht. Her mit dem Stöffchen! Volle Pulle, doppelte Dosis, alles! Vollnarkose extra. Nehm ich auch! Und lasst euch ja nicht einfallen, mich hier hinzuhalten. Und dann sagt ihr, ach, schon neun Zentimeter?! Jetzt ist es zu spät und ich würde den Rest ja auch noch schaffen, so suuuuper wie ich das bisher machen würde! Pah! Ich kenne euch Volk! Ich bin nicht zum ersten Mal hier! Mich trickst ihr nicht aus. Wann kommt denn endlich der Typ mit dem Betäubungsgewehr?“ (Diese Frage stellte sich das Entbindungspersonal selbst auch öfter während meiner Anwesenheit.).

Der Typ kam dann auch irgendwann und ich riss ihm den Belehrungszettel aus den Händen. „Blabla, Querschnittlähmung, Inkontinenz, mir egal. Her mit dem Scheißstift! Und jetzt mach das Ding rein, Doktorchen! Aber dalli! Warte…. Oh oh… Uuuuuuuuuih! Pffffffffff… Jetzt geht’s wieder. Mach hinne, Mensch! Sonst blas ich den Scheiß hier ab und geh runter in die Chirurgie und lass die Jungs mit dem Skalpell ran. Mir reichts jetzt langsam!“.

Dann schlafen. Ausstrecken. Herrliches Ausruhen.

Drei Minuten etwa. Dann war Schichtwechsel am Nachmittag und die Nachmittagshebamme, welche mich schon kannte, fragte streng: „Wasn hier los? Wieso hastn du ne PDA?“, „Geh weg, ich will schlafen!“, brummte ich sie an. „Nüscht. Hier wird ni gepennt. Gar keene Wehen hast du mehr! Das Ding kommt jetzt ab.“ Zum Protestieren war ich zu müde. PDA ab, Wehentropf dran und ab ging die Lucie.

Der Große kam 17:05 Uhr an einem Donnerstag zu mir, mein Kleinstes 15:50 Uhr an einem Mittwoch. Auch wenn ich von der Geburt des Großen nur noch weiß, dass es sich anfühlte, wie von einem Zug überrollt zu werden, so bleibt doch dieses Gefühl des ersten Blickes als Erinnerung wie in mein Herz tätowiert. Als die Hebamme den Großen hochhob, angezogene Beine, geschlossene Augen, mürrischer Mund. Und ich dachte: Ja! Das ist mein Kind! Mein Kind! Und der Kleinste auf meinem Bauch. Das Gefühl, ihn das erste Mal hochzuheben um ihn an mein Gesicht zu halten. Mürrischer Mund, zusammengekniffene Augen. Mein Kind!

Ich weiß, alle Mütter haben diesen Gefühlsrausch. Alle erzählen gern von ihren Geburten (oft auch gegen den Publikumswillen). Irgendwann lässt das allerdings nach. Der Gefühlsrausch verblasst vielleicht, so genau weiß ich es nicht. Dieses Mal will ich mich für immer erinnern. Ich will nichts vergessen! Die Vorstellung, dass diese Erinnerungen für den Rest meines Lebens halten müssen, dass ich das niemals wieder erleben werde, das ist ein wehmütiges Gefühl. Wisst ihr noch, diese Rentnerin im letzten Jahr? Die aufgrund der Vierlingsschwangerschaft in der Presse war? Alle haben sich den Mund zerrissen. So was Egoistisches auch! Ich war still, nichts habe ich dazu gesagt. Ich kann die Frau verstehen. Nicht die Handlung an sich, aber die Beweggründe. Die Sehnsucht. Kinderwunsch ist immer egoistisch. Man wünscht es für sich.

Nichts auf der ganzen Welt lässt sich vergleichen mit Schwangerschaft und Geburt und diesen magischen ersten Momenten. Dieser unglaublichen Liebe. Nichts! Das ist nicht, wie wenn man irgendwem erklärt, Bungeejumping sei wie Achterbahn, nur schneller. Für dieses Erlebnis gibt’s einfach gar keinen Vergleich. Und ich will das festhalten. Muss.

Halle Berry hat mit siebenundvierzig ihr zweites Kind bekommen. Annie Leibowitz und Gianna Nanini waren beide über fünfzig, oder? Ist ja auch egal. Es hört bei manchen einfach nicht auf, dieses Sehnen. Neulich meinte ich zu dem Bärtigen, ich wöllte noch mal sowas zu Weihnachten. Und zeigte auf das süße, unschuldige, goldschimmernd behaarte, weichhäutige und duftende „sowas“ (Okay, ja, man muss die auch behalten, wenn die nicht mehr so dufte(-nd) sind und nur rumdiskutieren und Türen knallen und so, aber das verdränge ich ja in solchen Momenten erfolgreich.).

Der Bärtige nicht. Er machte „dieses“ Gesicht und begann das Gespräch mit: „Henrike, …“. Bei solchen Gesprächen schalte ich bereits beim ersten Komma das innere Meerrauschen ein und rolle nur ab und an genervt mit den Augen, damit der Mann denkt, ich würde zuhören. Es geht immer um sowas wie Konsequenz und Verantwortung und Betriebswirtschaft und Nerven. Also alles Dinge, von denen ich sowieso keine Ahnung habe!

So ist das hier bei Nieselpriems.

Und er zweite Geburtstag des Kleinsten ging ins Land. So wie die unzähligen fünfzehn Geburtstage des großen Kindes. Fünfzehnmal Kerzen anzünden, fünfzehn Feiern, die ich gar nicht mehr alle zusammenbekomme. Eine Masse an Jahren und Ereignissen, komprimiert und eingedampft zu einem Erinnerungspuzzle in meinen Gedächtnis. Nur am Leben erhalten durch tausende Fotos, durch VHS-Kassetten. Wo sind all die Jahre hin? Und werden die Jahre des Kleinsten auch in diesem gierigen Schlund der Zeit verschwinden?

Ich versuche, dem erwachsen zu begegnen. Also im Rahmen meiner Möglichkeiten. Gestern meinte der Bärtige, er wöllte mit dem Kleinsten mal auf Vater-Kind-Kur fahren. Ich begrüße das selbstverständlich und habe ihn darüber in Kenntnis gesetzt, dass er mir mein Baby erst von der Brust reißen kann, wenn ich ein neues kriege.

Also total erwachsen eben. 😉

11 Kommentare zu “Geburtstage

  1. Schön, schön, schön. Kenne ich! Mein Spruch ist: Mein Baby ist schon so groß, ich brauche dringend ein neues! Meins wird auch nächsten Monat zwei. Es spricht jetzt schon fast ganze Sätze. Das überfordert mich doch total! Ich brauche ein neues, das wieder mehr auf meiner Linie ist. Der Mann ist zum Glück ähnlicher Meinung. So in ein bis zwei Jahren…

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  2. Sehr schön. „Er kann es haben, wenn du ein neues kriegst.“ 😀

    Unsere Kleine wird in einer Woche schon 4 und auch ich erinnere mich noch genau an die Schwester, die nach AufnahmeCTG meinte: „Dass dauert noch.“ 10 min später rief sie die Hebamme und weitere 10min später lag dieses winzige duftende Wesen auf mir. Nein, sowas vergisst man einfach nicht.
    Manchmal wünsche ich mir auch nochmal ein Baby, aber dann sehe ich es wie dein Mann. Ich lege der Kleinen die falschen Sachen raus und denke: Nein, noch eins schaff ich nicht. Ich verzweifle beim Hausaufgaben machen mit dem Großen und denke: Nein, noch eins schaff ich nicht.

    Liebe Grüße, Heike

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  3. Hach schön 🙂 ich kann das so verstehen. Dabei ist mein kleiner erst 11monate. Trotzdem. Die große ist 3. Und ich will so gerne nächstes Jahr noch eins. Aber mein Mann redet ähnlich wirres Zeug wie deiner 😉

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  4. Will ich noch eins? Nochmal von vorne anfangen? Mein Herz schreit „Ja“! Die Stimme der Vernunft spricht (durch meinen Mann): „Nein“.
    Eigentlich sind es doch nur einige Momente, die man vielleicht noch einmal haben möchte. Ich möchte nicht mehr nachts aufstehen und Windeln wechseln, oder nicht nicht mal eben kurz was einkaufen gehen können. Oder mich sofort und ohne Aufschub um andere Dinge kümmern können, als die, die mir gerade wichtig sind. Anfangs ist es mir so gegangen, dass ich dachte „So, jetzt ist sie schon so groß und übermorgen zieht sie aus, und dann bin ich ganz alleine. Das schaffe ich nicht.“
    Aber mir hilft, rückblickend zu sehen, dass ich den Eindruck hatte, dass es mit meinen Kindern einfach immer nur toller wird. Dass zwar irgendetwas aufhört, aber dafür andere tolle Dinge anfangen. Mit den Kindern oder mit ohne Kinder. Und so langsam wird mir klar, dass sie nicht übermorgen ausziehen, sondern dass bis dahin noch viel passieren wird und dass es ok sein wird, wenn es mal so weit ist. Dann fällt mir wieder ein, dass ich dachte, es wird schrecklich, wenn ich mal nicht mehr mit meinen Eltern und meinen Geschwistern zusammen wohne. Und wenn ich so drüber nachdenke, ist es ok, dass es so ist und dass ich gar nicht mehr mit ihnen zusammen wohne.
    Und wenn ich eine Woche zu Hause Urlaub mit meinen Kinder hatte und sie es geschafft haben, sich meiner Vorstellung von gemeinsamer Quality-Time so konsequent zu widersetzen, dann muss ich nicht mal bei der Einschulungsfeier der Großen ins Gymnasium heulen. Dann war es mein Mann, den ich in den Arm nehmen musste, weil seine Tochter nicht wollte, dass er am ersten richtigen Schultag, mit ihr zusammen im Bus fährt.

    Und das nächste Mal schreibe ich einen eigenen Post zu dem Thema, so lange Kommentare liest ja kein Mensch …
    Kopf hoch, der nächste Wutanfall kommt bestimmt!

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  5. Ach Rike, so schön geschrieben! Ich habe jetzt schon – nicht ganz 9 Monate nach der letzten Geburt – diese Angst, dass alle Babymomente die letzten gewesen sein könnten. Aber als ich mal vorsichtig erwähnte, man könne ja in 10 Jahren oder so nochmal, schaltete der Mann das Meeresrauschen ein, um es mit deinen Worten zu sagen… Männer! :p Ich drück dich, und alles Gute nachträglich für den Blondino!

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  6. Hach, danke! 😃 was für ein tolle Text. Ich schwanke grad zwischen lautem Lachen und Wehmut. Hier steht nächste Woche der zweite Geburtstag an. Und, um es mit Omi zu sagen: „Kinners, wo ist die Zeit hinne?!?“

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