Kommt ein Hypochonder zum Arzt…

Folgende Gesprächssituation könnte sich unter Umständen so oder so ähnlich am Montag in einer Pieschener HNO-Praxis zugetragen haben. Könnte.

„Guten Tag, sagen sie?! Na, ich weiß noch nicht, ob das ein guter Tag ist. Wir sollten vorerst beim „Hallo“ bleiben. Ich habe seit circa einer Woche Schmerzen hinterm Ohr. Also der Knochen, dieses Halbrund dahinter, tut weh. Und es hat sich ein Knubbel gebildet, das finde ich alarmierend.

Es ging erst damit los, dass ich keine Brille mehr tragen konnte, weil das drückte. Mittlerweile tut es konstant weh. Kein infernalischer Schmerz, wie er zu einer Ohrenentzündung passen würde, eher wie eine Zahnfleischentzündung. Aber am Kopf. So dumpf, wissen sie? Und permanent. Widerlich! Drehe ich mich des Nächtens versehentlich auf die linke Seite, werde ich wach von dem Schmerz.

Ich war am Wochenende beim Notarzt deshalb. Man will ja nichts verschleppen. Sinnloserweise dachte ich, da sei wenig los und ich wäre damit besser beraten als mich montags um acht zwischen fünfzig Rentner in die Allgemeinarztpraxis zu setzen. Es war auch wenig los, aber ein ungeschriebenes Gesetz in der Notaufnahme besagt, dass ein einzelner Patient mindestens zwei Stunden warten muss, um die Dramaturgie aufrechtzuhalten. Und erst dann aufgerufen werden kann, wenn wirklich jeder der diensthabenden Ärzte und Arzt-Azubis mindestens ein, besser zwei, Heißgetränke aus dem angeflanschten Automaten gezogen hat und sich danach einer von den Kollegen durchgeführten Magenspiegelung unterzogen hat um zu gucken, ob sich eventuell eine Schleimhautreizung ergeben hätte aufgrund des Automatenkaffees.

Jedenfalls diagnostizierte der Arzt dann nach zwei Stunden Rumsitzen eine Knochenhautentzündung, eine Mastoiditis quasi, wir können ja miteinander „ärztisch“ reden hier. Dazu passt ja auch der Knubbel, wenn sich da ein Abszess bildet. Als erfahrener Patient wusste ich sofort, was mir blüht! Ich habe kaum noch geschlafen und sämtliche Operationspraktiken nachgelesen. Das war ein Wochenende, ich kann ihnen sagen. Er meinte dann, ich sollte mich am Montag beim Facharzt vorstellen und sie würden wahrscheinlich eine Endoskopie durchführen um eine Tumorerkrankung auszuschließen.

Also, ich sag ihnen gleich: Dafür habe ich keine Zeit! Sie werden mir keine Sonde durch die Nase in den Schädel fädeln! Nicht am helllichten Tag und bei vollem Bewusstsein! Gut, unter Vollnarkose von mir aus, da können sie auch gleich alle anderen Körperhöhlen ausfunzeln. Unter uns gesagt, ich steh ja auf Narkosen, ich reite auf dem blauen Einhorn, bis die Wolken wieder lila sind, und sie dürfen Höhlenforschung betreiben. Nicht?!

Ach so, sie wollen mal tasten. Halt, was ist das für ein Ding? Bei ihnen sieht’s ja aus wie bei Mister Grey. Lauter so Metallzeugs! Was ist denn das… ich fass ja gar nichts an! Sie müssen nicht gleich schimpfen. Angst? Nein, ich hab keine Angst. Also vorm Zahnarzt vielleicht, da kann ich mich nicht benehmen. Ich denke immer, wenn die meinen Namen morgens im Bestellbuch lesen, kippt das komplette Praxisteam erst mal ne Literflasche Klosterfrau auf Ex. Rein prophylaktisch zur Nervenstärkung. Die tun mir wirklich leid. Also ich mir auch, keine Frage, aber die auch schon. Ich bin ja ein empathischer Mensch.

Nein, das tut nicht weh, wenn sie da drücken. Hm, eine Mastoiditis hätte ich mir mit einer Entzündung einfangen müssen, oder? Der Knubbel hinterm Ohr könnte ja auch ein Hinweis auf ein Atherom oder Cholesteatom sein, oder? Jaja, ich habe mich belesen, ich komme doch nicht unvorbereitet zu ihnen.

Wie, sie wollen in meine Nase gucken!? Wozu denn das? Aaaargh… ich weiß nicht, ob das nötig war! Ist ihnen langweilig? Der Knochen hinterm Ohr ist das Problem! Was machen sie denn jetzt… au… dang ing ungangenehng! Was sagen sie? Kiefergelenk? Trigeminusnerv? Klar weiß ich was das ist, aber mache ich auf sie den Eindruck, als hätte ich eine Gesichtslähmung?

Sie meinen also, ich brauche eine Bissschiene. Das kann nicht ihr Ernst sein! Ach, doch, ist es. Und ein orthopädisches Kissen zum Schlafen, sagen sie? Dann spare ich mir die Verhütungsmittel, soviel ist schon mal klar. Spaß beiseite, was machen wir denn jetzt mit meiner Mastoiditis? Kann man da noch mit Antibiotika gegensteuern, oder muss das operiert werden? Ich habe mich am Wochenende bereits belesen… Keine? Nicht? Nur Zahnarzt?! Den Knubbel einen harmlosen Lymphknoten zu nennen halte ich für höchtgradig fahrlässig von ihnen. Hören sie, man kann doch einen Sonnenstich haben und gleichzeitig einen Gehirntumor! Theoretisch. Beides macht Kopfschmerzen.

Nein, ich habe keinen Sonnenstich, ich rede immer so viel. Passen sie auf, ich habe es mir überlegt. Wir machen einen Termin für eine Endoskopie. Ja, sie dürfen, heute ist ihr Glückstag! Ich finde, das sollten sie sich wirklich mal genau von innen ansehen. Man übersieht doch so leicht etwas, oder nicht? Sie wollen doch nicht, dass meine Kinder mutterlos aufwachsen müssen, oder?

Wie, schon wieder wünschen sie mir einen guten Tag? Irgendwie fühle ich mich nicht richtig ernstgenommen von ihnen. Na gut, ich werde eine zweite Meinung einholen. Und einen Termin beim Zahnarzt machen. Die werden dort weinen vor Freude, wenn sie meinen Namen im Bestellbuch lesen.“

10 Kommentare zu “Kommt ein Hypochonder zum Arzt…

  1. Ich glaube manchmal, man bekommt die Beissschien verschrieben, damit man die Klappe hält…..ich habe meine einfach durchgebissen……da habe ich keine Hemmungen 😉

    wie immer toll geschrieben….DU kannst es eben 😉

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  2. Ach Du lieber Himmel, tatsächlich dient die Beissschiene wohl als Allheilmittel für Knubbel hinterm Ohr, schlimme Nackenverspannungen, Ischiasschmerzen und wer weiß was.. Ich wünsche Dir von Herzen gute Besserung und werde an Dich denken, wenn ich meine rauskrame und sie auf den Nachttisch lege ( das muss reichen), vielleicht erwachen wir morgen wie dem Jungbrunnen entstiegen 😀.

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  3. Liebe Rike, zwei Dinge.
    Erstens, wo ist der Arzt der Dich so lange reden lässt? Meine Erfahrungen mit der Schulmedizin sind aktuell: Man hat 4-8 Minuten ingesamt, und der Arzt will ja auch was sagen. Also Gratulation, dass Du es geschafft hast, das Limit zu überschreiten.
    Zweitens, vielleicht könntest Du Dir einen guten Osteopathen oder Manualtherapeuten suchen, der erstmal kuckt, ob nicht die Probleme im Kieferngelenk von Verkürzungen oder Verspannungen anderer Muskeln herkommen. Habe selbst kürzlich Ähnliches erlebt.

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