Warum aus mir nie ein Zonenromantiker wird…

Dieser Text spiegelt meine höchstsubjektive Meinung und mein eigenes Erleben. Er will weder ein Geschichtsbuch noch andere Sichtweisen ersetzen. Ein Hoch auf die eigene Meinung!

Ich bin neunzehnhundertsiebzig geboren. Im Tal der Ahnungslosen. Aufgewachsen ohne Westfernsehen, RIAS und Bananen. Es gab tatsächlich nur Äpfel und faserige, saftlose Orangen aus Kuba („Kuba-Orangen“, nicht zu vergleichen mit „Navel-Orangen“, die gab es in reglementierten Mengen an Weihnachten). Obst und Gemüse wurde saisonal verkauft. Gurken und Tomaten gab es halt nur im Mai! Ende der Durchsage. Und Birnen im August.

Was ich aber als Verdienst des Sozialismus ansehe, ist die Gleichstellung von Mann und Frau. Das war so und das wurde auch tatsächlich so gelebt. Und gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Bereits seit den Fünfzigerjahren war die Gleichstellung von Mann und Frau gesetzlich verankert, galt es als Scheidungsgrund, wenn ein Ehemann die berufliche Weiterentwicklung seiner Frau nicht unterstützte. Laut Ideologie des Marxismus-Leninismus kann die Gleichstellung der Frau nur durch wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Mann, und die nur durch die vollständige Integration in den Arbeitsprozess erreicht werden. Lenin sagte, Hausarbeit sei die „Sklavenarbeit der Frauen“. Hausfrau war kein anerkannter Beruf. Ich hatte keine „Nadelarbeit“ in der Schule, ich hatte „Werken“. Ich lernte erst als erwachsene Frau einen Knopf anzunähen, konnte aber bereits im Grundschulalter verschiedene Werkzeuge bedienen. Und meine Schulbücher waren voll mit starken, kämpferischen Frauen: Clara Zetkin, Käthe Kollwitz und Rosa Luxemburg zum Beispiel. Oder Valentina Tereschkowa, die erste Frau im Weltall. All diese Frauen waren Vorbilder und hatten einen großen Einfluss auf das Bild, das ich von einer „vorbildlichen“ Frau hatte. Parallel zu den Frauen in meinem Leben. Diese hatten in dem System, in dem ich aufwuchs, die gleichen Rechte und Pflichten wie Männer. Mit dieser Selbstverständlichkeit wuchs ich auf. Ich sah darin nichts Exklusives. Ich war quasi per Geburtsrecht gleichberechtigt. Das zählt für mich zur größten Haupterrungenschaft meiner sozialistischen Prägejahre.

Des Weiteren gab es zinslose Familienkredite und subventionierte Kultur. Ein fast Gratismittagessen für alle Kinder und die stets hervorgezogene flächendeckende Kinderbetreuung. Bevor alle rufen: „Das wollen wir auch!“, lest erst mal zu Ende. Das alles hatte einen Preis, den auch heute kaum einer bereit wäre, zu zahlen…

Kinderkrippe, Kindergarten, Schule am Samstag, Fahnenappell, Kinderferienlager, organisierte Kinderfreizeiten in Arbeitsgemeinschaften, Sportvereinen. Ganztags Schulhort auch in den Ferien. Später – für die Jugendlichen – Beschäftigung in der „Gesellschaft für Sport und Technik (GST)“, und Wehrunterricht (wegen der Bedrohung durch die reaktionären kapitalistischen Staaten). Du warst als Kind untergebracht und beschäftigt. Von früh bis spät.

Das hatte den Zweck, die Arbeitskraft beider Elternteile für die Sicherstellung der sozialistischen Produktion freizuschaufeln. Und die Erwachsenen gingen arbeiten. Viel. Akkordarbeit war sehr beliebt, da dies leistungsbezogene Bezahlung versprach. Außerdem waren noch Berufe wie Frisör, Taxifahrer und Kellner sehr beliebt. Diese kamen in den Genuss von Trinkgeld. Viel Trinkgeld. Und manchmal auch in Form von Forumschecks, die dann auf dem Schwarzmarkt 1:20 getauscht wurden. Denn nur wer entweder viel Geld besaß oder in den Genuss von Valuta kam, konnte sich irgendwie von der Masse abheben. Sei´s durch Klamotten aus dem „Exquisit“, wo eine Nietenhose (Jeans) schon mal ein kleines  Gehalt kostete. Oder sei es durch ein tolles Auto. Und auf alles musste gewartet werden: Die Schrankwand, das Auto, der Fernseher. Es gab Anmeldescheine für den Führerschein, Anmeldescheine fürs Auto, für den Raduga-Farbfernsehr. Wenn so ein Anmeldeschein auslief, war dieser fast soviel wert wie der Warenwert selbst!

Das öffnete (in meinen Augen) schmieriger Geschäftemacherei Tür und Tor und die gerne von Zonenromantikern besungene Gemeinschaft und den Zusammenhalt sehe ich in einem anderen Licht. Echte Gemeinschaft definiere ich anders. Das waren vielmals dem Zweck geschuldete Abhängigkeiten. Es wurde gemauschelt, was das Zeug hielt. Getauscht. Der Eine kam an Ziegel ran im Betrieb, der nächste an Zahnriemen für den Wartburg, der Dritte hatte Verbindungen zu irgendwas anderem. Durch die allgemeine Verknappung von allem möglichen war man dringend auf die anderen angewiesen. Und hatte man nichts im Tausch anzubieten, am Arsch! Was oben im Satz mitschwingt, ist auch bittere Wahrheit: Das Wort „Volkseigentum“ wurde sehr wörtlich ausgelegt. Ich kann nicht mal sagen, dass die Leute geklaut hätten in den Betrieben, das Unrechtsverständnis war ein anderes für das „Volkseigentum“. Du arbeitest in einer Ziegelei und der Nachbar braucht Ziegel im Tausch gegen eine Kiste Radeberger unter der Hand? Dann warst du der Mann der Stunde!

Was wirklich an der Tagesordnung war, sind Feiern von Hausgemeinschaften. Oft im Wäschetrockenraum. Und Betriebsvergnügungen, bei denen sogar alle Rentner der Brigade stets mit eingeladen worden. Es wurde sich schon gern getroffen und auch gern zusammen gefeiert. Aber wie gesagt, vieles diente auch der Anbahnung von Geschäften.

Meine Eltern waren nicht linientreu. Es gab einige Vorkommnisse, die sehr viel mit Willkür und dem Gefühl eines Allmachtsstaates zu tun hatten. Und auch wenn sicher alles getan wurde, solche Sachen von den Kindern fernzuhalten, du kriegst das mit. Und auch das Bespitzeltsein war gegenwärtig und wenn irgendwer „wusste“, dass Müller, Meier oder Schulze spitzelt, sprach sich das wie ein Lauffeuer rum. Sicher wurde da auch denunziert! Und zwar in beide Richtungen. Wenn dich wer anschwärzte, wurdest du vernommen und dann – wo Rauch ist, ist auch Feuer – zur Sicherheit einfach weiter beobachtet. Ich glaube, es war sehr schwer, wirklich zu vertrauen, gerade wenn man nicht alles dufte fand im Arbeiter- und Bauernstaat. Ich weiß auch von einigen, die später ihre Stasi-Akte nicht einsehen wollten aus Angst, den Cousin, Onkel oder die Lieblingsnachbarin als Informanten /-in zu lesen.

Ich habe mich gefragt, wann ich meine kindliche Unschuld verlor. Möglicherweise mit dreizehn. Ich galt als sprachliches Ausnahmetalent und in meiner Heimatstadt gab es schon damals eine renommierte Sprachschule, damals eine Oberschule, heute ein Gymnasium. Meine Lehrer setzten den Eltern zu, ich würde auf diese Schule gehören! Der Direktor meiner Schule sagte geradeaus, nein, er würde den Delegationsantrag nicht unterschreiben und ohne seine Unterschrift bräuchten wir es gar nicht versuchen! Und wir versuchten es nicht mal.

Das war mein erster Kontakt mit Willkür. Die sollte sich wie Smog über die nächsten Jahre meines Lebens legen. Abitur konnte nur machen, wer delegiert wurde. Dann konntest du aber auch nicht zwangsläufig studieren, was du wolltest! Ebenso wenig, wie du den Ausbildungsberuf frei wählen konntest oder später deinen Arbeitsplatz! Es gab eine Stellenplanung, die ausspuckte, wie viele Ingenieure für dies und das und wie viele Bäcker etc. in den nächsten Jahren gebraucht würden im kleinen Land. Aus dieser Bedarfsanalyse speiste sich der Stellenplan. Dann wurde auch bei Bewerbungen selektiert nach Linientreue und Mauschelpunkten („Das ist die Tochter der Nachbarin meiner Cousine, die legste mal weiter oben off´n Stapel!“).

Ich lernte Elektronikfacharbeiter. Weil die gebraucht wurden. Und weil meine Eltern keine Beziehungen hatten ins Frisörhandwerk oder sonstwohin.

Auszug aus meinem Lehrvertrag

Auszug aus meinem Lehrvertrag

Mit sechzehn trat ich meine Lehre an und war schon ein wenig widerborstig und desillusioniert. Ich färbte mir die Haare bunt (und wurde deswegen zum Personalgespräch gebeten), trug Sommer wie Winter eine Lederjacke und Stiefel mit Nieten und umgab mich mit Subversiven und Dissidenten. Wir gingen auf verbotene Punkkonzerte, fuhren schwarz nach Berlin, besetzen Abrisshäuser, machten total wilde Sachen! Echt. Also nein. Nicht gemessen an heutigen Maßstäben.

Gefährlich war´s trotzdem. Jugendlichen drohte der Jugendwerkhof bei systemschädigendem Verhalten, ab dem achtzehnten Geburtstag wurde es richtig ernst.

Es ging schnell, dass du in den Fokus irgendwelcher Spitzel gerietest. Mein damals bester Freund war ein späterer Mitbegründer des Neuen Forum. Ein sanfter Junge, der Gewalt ablehnte und sich an Malerei und Schwarztee mit Kirscharoma berauschte. Der war ständig wegen „asozialem Verhaltens“ dran. Ich war das erste Mal zur Vernehmung kurz vor meinem achtzehnten Geburtstag. Wegen Verdachts auf „Herabwürdigung des Staates“. Morgens gegen drei Uhr wurde ich mit Handschellen aus meinem Kinderzimmer geholt. Ich durfte weder Zähne putzen noch einen Schlüpfer anziehen. Auf dem späteren Foto auf der Polizeiwache stand ich da mit Nachthemd, Stiefeln, Jacke und zerzausten Haaren. Abends haben sie mich zurückgebracht, zur Primetime, als alle Nachbarn meiner Eltern aus dem Fenster guckten… Die zweite Verhaftung erfolgte wegen versuchter Republikflucht über die Slowakei. Ich weiß nicht mehr, was mich geritten hatte und ob wir uns bis nach Jugoslawien durchschlagen wollten und ob ich denn nicht mal an meine arme Mutter gedacht hatte?! Jedenfalls war in Tschechien Schluss. Sack übern Kopp und raus aus dem Zug. Ich habe jede „Mittäterschaft“ abgestritten und mein Compagnon hat wohl ähnlich ausgesagt, was mich vor Schlimmerem bewahrt hat.

(Behalten habe ich davon bis heute eine perverse Scheu und ein Gefühl des Ausgeliefertseins gegenüber jedweder Uniform.)

Rückblickend fühlte ich mich als Jugendlicher und Erwachsener in diesem kleinen Land wie von strengen Eltern an der Kandare gehalten! Alles wurde vorgeschrieben: Was du denken sollst, was du tun sollst, was nicht, wohin du reisen darfst und wohin eben nicht. Und immer mit Angst vor Repressalien. „Pscht! Nicht so laut!“ auf jeder weinseligen Geburtstagsfeier.

Was mich immer wieder verblüfft, sind die ab und zu aufkommenden Zonenhymnen (meist von Menschen der älteren Generation). Wie schön es doch alles gewesen wäre! So billig! So behütet! Keine Drogen! Und wir konnten doch auch so schön Urlaub am Balaton machen! Und an der Ostsee!

Nee du. Ich weiß, dass der Alkohol in Massen geströmt ist! Auch bei den Jugendlichen. Und ich war nie am Balaton und nur einmal an der Ostsee mit meinen Eltern. Warum? Nun, weil Urlaubsplätze genauso unter der Hand gemauschelt wurden. Du warst jedes Jahr am Balaton? Aha, was war denn dein Vater von Beruf?! Wir waren in einem Bungalow auf dem Zeltplatz in Meckpomm. Genau. Jedes Jahr. Und froh, wenn wir überhaupt einen Ferienplatz über die FDGB bekommen haben. Vielen Dank!

Mein Vater hat sich später bei den Montagsdemonstrationen eine Lungenentzündung geholt.

Noch später dann habe ich mich für das kleine Land geschämt. Für die Menschen. Als nämlich jede inkontinente und kaum transportfähige Oma aus dem Pflegeheim geholt wurde und sich alles in die Züge nach Berlin und Hof und sonst wohin quetschte, um die hundert Mark Begrüßungsgeld abzugreifen. Und wie die sich benommen haben! Ich war dort, erzählt mir nichts. Scham und Schande…

Und dieselben Leute schreien heute, die Flüchtlinge sollen bleiben, wo sie sind! Noch mehr Scham… Aber das ist wieder ein ganz anderes Thema.

Ich bin frei, meine Kinder dürfen sein, werden und denken, was sie wollen. Ein Glück, mit dem jedes Kind hier aufwächst, für das ich persönlich aber sehr dankbar bin.

Und ich bin nach wie vor ungebrochen und per Geburtsrecht gleichgestellt und emanzipiert, man braucht nicht versuchen, mir etwas anderes einzureden! Das ist das kostbarste Erbe meiner DDR-Vergangenheit. 🙂

Diese Zeilen sind mein Beitrag zu Sonja´s  Blogparade: Erzählt von der DDR! (Finding Europe – Elternschaft anderswo).

31 Kommentare zu “Warum aus mir nie ein Zonenromantiker wird…

  1. Hallo Rike,

    Du bist nur 2 Jahre jünger als ich und hast eine komplett andere Kindheit erlebt als ich.

    Zitat: „Ich bin frei, meine Kinder dürfen sein, werden und denken, was sie wollen. Ein Glück, mit dem jedes Kind hier aufwächst, für das ich persönlich aber sehr dankbar bin!“

    das ist etwas, für das auch ich persönlich sehr dankbar bin!

    Zitat: „Und ich bin nach wie vor ungebrochen und per Geburtsrecht gleichgestellt und emanzipiert, man braucht nicht versuchen, mir etwas anderes einzureden! “

    und hierfür bin ich meiner Mutter dankbar, dass sie mich in diesem Sinne immer erzogen hat. Das hat sie ihrem Vater zu verdanken, der trotz, dass er 1896 geboren und den ersten Weltkrieg miterlebt hat (oder vielleicht gerade deswegen), immer ein freiheitlicher Geist war!

    Als im Westen Geborene (für was ich ja auch nichts kann 😉 ) danke ich Dir für Deine offene Sicht der Dinge, wie Du sie erlebt hast.

    LG Anita

    (PS: die Klüngelei war hier übrigens auch immer gang und gäbe, aber man kam auch anderswie weiter, wenn denn wollte)

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  2. So is es, so war es. Und wehe dem, der den sozialistischen Staat verklärte..

    Familiär bedingt hab ich ausreichend mitbekommen, was die „Gauck-Behörde“ an Ermittlungsarbeit leistet – und das ja nun bereits seit mehr als 20 Jahren. Und immer noch finden sich Taten in Stasi-Akten, von Menschen, die dann beteiligt waren.

    Aber ja – dieses Erbe kann ich mit nur 6 Jahren „DDR-Erbe“ nachvollziehen. Hat sich durchgezogen und weitergetragen, diese Gleichstellung. Die Selbstverständlichkeit, dass immer beide Elternteile arbeiten.

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  3. Als ich 13 war, fiel die Mauer. Ich habe schon immer gesagt, dass das genau der richtige Zeitpunkt war. Die Jugendweihe hätte ich in diesem Schuljahr nicht mitgemacht. Spätestens dann wäre es interessant geworden.

    Ja, die starken Frauenvorbilder!

    Danke für Deinen Bericht ❤

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    • Ach Bettie, so hab ich das nicht gemeint… Marcel Reich-Ranicki dreht sich in der Kiste um, wenn der das liest! Ich konnte halt Russisch schneller als andere lernen, das war schon alles! Ansonsten bin ich vollkommen mittel- bis unterdurchschnittlich in allem. Wirklich!
      Liebliche Grüße aus der sächsichen Provinzhauptstadt ❤

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  4. Vielen lieben Dank für diesen Beitrag. Ich bin sehr berührt davon – Du erzählst so nah und direkt. Und dass Du Deinem Sprachtalent nicht sofort in der (Aus-)Bildung nachgehen durftest, ist so schade. Aber das Talent hast Du ja immer noch. Schreib weiter ;*

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    • Missverständnis! Bei dem ansatzweisen Sprachtalent ging es um Fremdsprachenkenntnisse und auch da nur beschränkt wie die Ausreisebedingungen im kleinen Land 🙂
      Ich kann heute sagen, dass sich das verwächst wie Babyspeck und ich kaum noch russisch kann. Der Rest ist sowieso irgendwo verlorengegangen auf der Suche nach Speicherplatz für Kochrezepte!
      Also: Zuviel Lob, das nimmst du bitte wieder, das kann ich nicht tragen. 🙂

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  5. Sehr interessant für mich als „Wessi-Kind“. Die “ Vollbeschäftigung “ für Kinder ist natürlich auch das perfekte Instrument für die Gehirnwäsche „von oben“. Hat Hitler ja schon schön vorgemacht.
    Vor einiger Zeit ist mir dieses Buch in den Schoss gefallen:

    Wirklich lesenswert. Hat mich sehr mitgenommen, diese Willkür auf der einen und Ohnmacht auf der anderen Seite. Schlimm.

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  6. Ich bin 74 geboren auch in Dresden.Ein Glück war nach meiner Jugendweihe die DDR zu Ende. Wobei meine Eltern Linientreu waren und ich sehr gut angepasst. Begrüßungsgeld, da sagste was. Da hab ich mich so geschämt!

    Danke für den tollen Text!
    sei lieb gegrüßt
    Anja

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  7. Danke für diesen Text…Ich habe meine kindliche Unschuld verloren, als mich in der 3.Klasse meine Klassenlehrerin bei Seite nahm und mir unmissverständlich zu verstehen gab, dass ich, als damals Klassenbeste, nie auf die EOS darf, genau wie vorher meine sehr jungen und nicht linientreuen Eltern, wenn ich mich mit 14 konfirmieren lasse. Als nächsten Schritt wurde meine „geheime Wahl“ zur Gruppenratsvorsitzenden von der Klassenlehrerin nicht akzeptiert und auch die Wahl der Klassenkameraden, dass ich als Vertreter zum Pioniertag nach Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) fahren sollte, wurde abgelehnt… Unterstützung fand ich dann in einem späteren Klassenlehrer, der hatte auch schon meine Eltern unterrichtet, bei mir war er kurz vor der Rente und wollte als „letzte große Tat“, das erreichen, was ihm bei meinen Eltern nicht gelungen war bzw. was er sich damals nicht gewagt hatte, nämlich meine Delegation auf die EOS durchzusetzen…im nächsten Jahr kam die Wende…

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  8. Selbes Geburtsjahr und auch in Dresden groß geworden. Freue mich heute noch über die – nach wie vor unglaublichen – Wendungen. Dieses „Alles-Ist-Möglich!“ finde ich persönlich als das Allergrößte Geschenk in meinem Leben, das hat mir schon so oft Mut gegeben. Die flächendeckende Kinderbetreuung hätte ich nicht gebraucht, und würde ich auch für meine Kinder nicht wollen.
    Aber egal, wie man das sieht: ich denke, man kann sich in jedem System seine Nischen schaffen und seinen Überzeugungen folgen, wobei das heute natürlich viel kompromissloser und einfacher geht.
    Toller Text! Grüße an meine alte Heimat, die ich schon ewig nicht mehr gesehen habe

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  9. Wow! Was für ein Text! Es gibt doch diese Kapseln, wo die originale von bedeutenden Texten in irgendwelchen unterirdischen Räumen für die Zukunft aufgehoben werden … DA gehört dieser Text auf jeden Fall rein!
    Danke Dir für diese beeindruckend ehrliche

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  10. HE! Ich war noch nicht fertig! 😦

    Danke Dir für diese beeindruckend ehrliche Schilderung. Die werde ich den Kindern mal vorlesen, denn ich bin zwei Jahre nach dir im Westen geboren und aufgewachsen, wohne inzwischen in Deiner Stadt und ich mir ist wichtig das die Generationen nach uns, DAS was du hier beschreibst wissen sollten und weitertragen müssen!!! :-*

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  11. Eine tolle Beschreibung, für die auch ich „aus dem Westen“ sehr dankbar bin, die ich live bisher nur mit wehmütig die DDR vermissenden Ossis zu tun hatte. Ein Text aber auch, der für heutige Kinder wichtig wäre, um sich vorstellen zu können, wie Kindheit und Aufwachsen in der DDR war.

    Lieber Gruß,
    Katja

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  12. Ich bin Jahrgang `80 und für mich war es gerade die richtige „Dosis“ an DDR 😉 Denn ich hatte eine wunderbare Kindheit, auch in der Vollbetreuung durch Krippe, Kita und Hort und empfand es nicht als Gehirnwäsche (so wie schnipseltippse es nannte), sondern fühle mich dadurch so manchem Kollegen sozial überlegen … aber egal.
    Ich mag es auch nicht, wenn die ältere Generation ganz verklärt vom tollen Miteinander redet, ich sehe es genauso wie, du, dass das alles nur Mittel zum Zweck war und das Vitamin B stärken sollte … Viele Nachbarn meiner Eltern schauen sich heute nicht mehr mit dem A… an, soviel ist übrig vom tollen Miteinander …
    Schade finde ich, die vielen Vorurteile die mir, auch heute noch, von meinen West-Kollegen entgegengebracht werden. Da kommen die beklopptesten Sprüche! Und ich komme nicht aus DEM OSTEN, sondern aus Norddeutschland. Ätzend, diese geografisch einfache Einteilung in Ost und West … als ob es kein Nord, Mittel und Süd gibt …

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  13. Wow! Lotta hat mich hergeführt. Jahrgang 69 und Wessi, war die DDR für mich immer Ausland und hat mich bis 1989 nicht sonderlich berührt. Da habe ich mich aber doch sehr gefreut! Wir haben mit unseren Kindern viele Orte besucht, um uns selbst und ihnen Erkenntnis über dieses „Phänomen“ geteiltes Deutschland zu verschaffen. Berlin DDR Museum, Gedenkstätte Hohenschönhausen, in Budapest das Haus des Terrors etc.
    Private Stellungnahmen wie deine und Lottas sind total interessant und werde ich auch meine Kindern zeigen.
    Vielen Dank!
    Gros bisou
    Sandra

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  14. Ich bin recht sprachlos, möchte aber gerne meinen Dank hierlassen.
    Danke für diese ehrlichen Worte…..mein Vater stammt aus Jena, ist
    aber 1961 in den Westen…..ich habe beide Seiten er-lebt…..am meisten
    berührt haben mich aber deine Worte zum Schluß, die Sache mit dem
    Begrüßungsgeld, denn so wie in deiner Beschreibung, hat sich auch
    unsere „Verwandtschaft“ aufgeführt, traurig – einfach traurig…..

    Nächtliche Grüße

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