I´ve got you under my wings

Seit ich Mutter bin, sind mir Flügel gewachsen. Starke Schwingen, bereit zu beschützen und zu tragen. In der Tat sehe ich das wirklich so, dass meine Kinder mir Flügel verleihen, mich beflügeln. Für manche sehen die Dinger von weitem allerdings aus wie Rotorblätter…

Nimm ein offensichtlich verhaltensauffälliges Kind und eine besorgt dreinblickende Mutter und die Sache ist für jede andere Mutter klar! Also für jede, die irgendwann mal im Wartezimmer neben einer alten Ausgabe von „Psychologie heute“ gesessen hat (Es waren immer nur die Mütter, deshalb „jede“. Und ja, Ich würde lieber behaupten, das sei anders gewesen.).

Was war zuerst, Henne oder Ei? Ganz klar, die Henne ist an allem schuld! Das dazugehörige Ei war laut, schwer zu bändigen und zu sozialisieren. Außerdem motorisch ungeschickt. Konnte weder Seilspringen noch einen Ball kicken. Sollte er dennoch Fußballspielen, dann verlangte er nach gänzlich anderen Regeln. Er wollte nie auf einen Baum klettern oder mit anderen Kindern gemeinsam irgendetwas bauen. Dreck fand er eklig und ich habe in meinem ganzen Mutterleben noch nie ein Knie geflickt. Der war schon immer seltsam komisch und die Sache war sonnenklar. Das rief ungefragt alle wohlmeinenden Mitmütter auf den Plan.

„Das Kind braucht mehr Grenzen!“, „Der Junge braucht mehr Freiheiten!“, „Du engst ihn ein!“, „Du traust ihm nichts zu!“, „Du musst ihn loslassen.“.

Allein, das Kind gab mir ganz andere Signale. Das der Umwelt zu erklären habe ich lange erfolglos versucht…

„Das ist nur deine eigene Unruhe! Das überträgt sich alles.“, „Du musst mehr…“, „Du musst weniger…“.

In Erziehungsfragen sind Ratschläge in erster Linie Schläge. Es war ein Teufelskreis. Sie meinten es alle nur gut. Sie wollten doch nur helfen! Und verunsicherten mich vollends. Offensichtlich schien ja jeder besser als ich zu wissen, was der Junge denn nun brauchte! Selbst als sich herausstellte, dass meine seltsame Besorgnis nicht unbegründet war, musste ich mich tatsächlich einmal fragen lassen, ob ich denn glauben würde, dass das meine Schuld sei?! Also, dass er so seltsam sei aufgrund meines Verhaltens? Sie habe da mal was darüber gelesen…

Apropos lesen. Ich wünschte, ich hätte das Geld für die unzähligen Erziehungsratgeber gespart und stattdessen einen herzensklugen Menschen gehabt, der mir gesagt hätte:

„Hör zu, Mädchen. Das hat die Natur so eingerichtet, dass du schon alles mitbringst, was du brauchst um dein Junges zu versorgen, von der ersten Sekunde seines Lebens an. Und zwar unabhängig davon, ob das Internet je erfunden wird oder Steve Biddulph und Jesper Juul Bücher schreiben. Sonst wären wir Menschen schon ausgestorben! Deine Instinkte und dein Mütter-Sonar sagen dir, was dein Kind braucht. Dieser kleine Mensch vertraut dir blindlings und das hat seine Richtigkeit! Wird Zeit, dass auch du dir diesbezüglich traust. Hör auf dein Kind und auf dein Bauchgefühl. Und macht euer Ding. Du schaffst das! Und kein Mensch auf der Welt weiß besser als du, was das Kleine wann braucht. Und wenn du das Gefühl hast, da stimmt etwas nicht, geh dem nach. Und hör auf dein Kind. Vor allem: Lass dich nicht verunsichern. Alle Kinder laufen irgendwann, sprechen und legen den Schnuller und die Windeln ab. Jedes zu seiner Zeit. Und alle können irgendwann eins und eins zusammenzählen, der eine mit vier, der andere mit acht. Das ist eure gemeinsame Reise. Sie ist das schönste Abenteuer deines Lebens und du bestimmst, wie ihr reisen wollt: Im Hubschrauber, im U-Boot oder zu Fuß. Dein Kind und du, ihr zwei entscheidet das. Genieß doch einfach mal die Reise!“

So, und jetzt putze ich meine Rotorblätter! 🙂

 

 

 

20 Kommentare zu “I´ve got you under my wings

  1. Herrlich! Erinnert mich an die Leiterin eines tollen Babykurses in Meißen, die bei der Anmeldung schon sagte, am meisten ginge es ihr darum Mütter zu stärken sich gegen gutgemeinte Ratschläge zu wappnen.
    Sie stärkte unser Muttervertrauen in uns selbst und ich vergesse nie ihre Tätschler auf meinem Bein „Der ist gut! Der macht seinen Weg!“.
    Davon zehre ich heute noch. Und alle Entwicklungs- und Erziehungsratgeber hielten keinen Einzug!

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  2. Das ist doch mal ein schöner Ansatz……..

    Zitat: „Hör zu, Mädchen. Das hat die Natur so eingerichtet, dass du schon alles mitbringst, was du brauchst um dein Junges zu versorgen, von der ersten Sekunde seines Lebens an.“

    und den würde ich gerne so manchen Psychologen und Therapeuten ins Lernheft schreiben.

    Es kann gar nicht so viele erziehungsunfähige Mütter geben, wie der Ratgeber-Buchmarkt uns glauben lassen will.

    Ein Heli reicht hier meist nicht. 😆 Ich würde zu gerne apparieren lernen 😉

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  3. Ehrlich, ein wundervoller Beitrag. Ich war irgendwie geschockt nach deinem letzten Post. Und es ist beruhigend für deinen Jungen, dass du Kraft und Liebe für euch beide hast, wenn es nötig ist. Aber dass es manchmal nötig ist, das geht mir einfach nicht runter. Dass ein Kind nicht genau richtig sein soll, wie es ist. Und als ob eine Mutter (bis auf sehr wenige Ausnahmen) nicht genau die richtige wäre für eben dieses Kind.

    Aber was du sagst ist so wahr und es ist seit Jahren mein Motto: Wenn doch Milliarden Frauen seit Jahrtausenden Kinder bekommen, sie lieben und groß ziehen und diese Kinder dann eine Gesellschaft bilden, die gedeiht und Erfindungen macht und sich entwickelt und Wissenschaften etabliert und eine Zukunft hat und diese auch gestaltet – wieso sollte ich das nicht auch schaffen? Meine Kinder lieben und großziehen und zu Menschen gedeihen lassen, die unser aller Zukunft sind?
    Und wieso sollte mein Kind, wie all die Milliarden Kinder zuvor, nicht wissen wie man groß wird und lebt?

    Diese blöden ‚das muss man unbedingt so und so machen, sonst passiert etwas ganz schlimmes-Rat-Geber‘ trauen mir und v.a. meinem Kind nichts zu. Also muss ich meinem Kind vertrauen und alles dafür tun, dass es mir vertrauen kann.

    Ich denke viele der überspitzen Ängste heute rühren daher, dass die Kinder schon verunsichert wurden, weil man ihnen nix zutraute und sie kontrollieren wollte. Und diese Kinder sind heute Eltern und meinen es käme darauf an, ob man sein Biobreichen selbst kocht oder nicht. Für mich sind Kinder immer noch ganz erstaunliche Wesen, die meistens gut riechen und an denen ich öfter mal knabbern möchte. Nun, eigentlich würd ich sie am liebsten auffressen, aber ich kann ja nicht deswegen ständig neue bekommen, um sie mit Haut und Haar verspeisen zu können…

    In diesem Sinne: Immer weiter so! Das ist genau richtig!

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  5. mir hat mal jemand gesagt, als ich verunsichert von all den guten ratschlägen mit dem schreienden baby auf dem arm, selbst den tränen nahe, weder ein noch aus wusste:
    „du bist die beste mami, die j. hat. vertrau dir selbst, er tut es auch.“
    das war der erste ratschlag, der mir wirklich weiter geholfen hat.

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  6. Pingback: Das Bloggen der Anderen (30) | Familienbetrieb

  7. Sehr guter Rat! Und Superschön dass du wieder schreibst. Das DU wieder da bist! 🙂
    Ich frei mich für Dich! Und ein kleines bisschen für mich. :-*

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  8. Ach, du hast so Recht. Als Erstlingsmutter neigt man ja zudem noch dazu, sich mit allen anderen zu vergleichen, oder besser die Entwicklung’sschritte der Kinder. Zum Glück hatte ich immer tolle Hebammen, dir mich genau darin bestätigt haben: auf Bauchgefühl und Mutterinstinkt hören. Jedes kind darf sein eigenes Tempo haben!

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  9. Erst schmerzt der Nacken vom Nicken, dann werden die Augen etwas feucht.
    Und am Ende rufst du: „Hell! Yeah, verdammt!“.

    Was für ein wunderbarer Text 💜!

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