Das Wannenbad

Neulich kursierte in den sozialen Netzwerken ein Foto, welches zwei junge russische Männer zeigt, die ihr Wohnzimmer mit Plastikfolie ausgekleidet und mit Wasser gefüllt hatten, um genüsslich ein Bad zu nehmen. Der Vorgang des Wassereinfüllens und auch der Rückbau des Badebeckens wurden nicht dokumentiert, aber ich habe da so meine Vorstellung. Denn sie sind bei weitem nicht die ersten mit dieser Idee…

Wir schreiben die letzten Jahre der DDR und ich lebe in der sowietischen Besatzungszone. Nein Kinder, das ist nicht weit weg. Das ist genau hier! Und zwar sogar in Dresden. Ich hatte ein kleine Wohnung im Russenviertel dieser Stadt. Das Viertel hieß aus praktischen Gründen so, nicht, weil da nur Russen wohnten. Es wohnten auch Armenier, Kirgisen, Letten und vermutlich auch Menschen aus Aserbaidschan dort. Richtigerweise hätte das Viertel „Wohnareal für hochrangige Mitglieder der rotarmistischen Befreiungsarmee“ heißen müssen, aber das wäre als Name viel zu lang gewesen.

Rund um das Waldschlösschenareal in Dresden waren Kasernen, in denen die Soldaten in Doppelstockbetten und mit strengen Schließzeiten hausten. Die Offiziere durften ab einem gewissen Grad (ab achthundert Gramm Orden und Bronzeketten auf der Uniform) ihre Gattinnen nachholen und wohnten dann in Häusern rund um die Kasernen. Ein paar Dresdner wohnten auch dort. Zu erkennen waren die deutschen Wohnungen daran, dass an den Fenstern möglicherweise ein Blumenkasten hing mit Begonien und/oder eine Gardine. An allen anderen Fenstern gab es die gängige, wärmeisolierende Vollfensterverkleidung mit Zeitungspapier. Dort wohnten die Mitglieder der Roten Armee.

Die blieben eigentlich immer unter sich. Ich bin mir nicht sicher, aber wahrscheinlich war den Besatzern der Umgang mit den Besetzten, Besatzerten, von Besatzern Besetzten…mit uns untersagt. Trotzdem war es hilfreich, wenn man als junges Ding im Dunkeln durch das Viertel ging, schnell rennen zu können oder zumindest fluchen wie ein russischer Droschkenkutscher. Sonst konnte es durchaus passieren, dass einem die Deutsch-Sowietische Freundschaft und der Bruderkuss näher gehen konnten, als einem lieb war.

Ich wohnte in einer kleinen, arschkalten Wohnung. Ohne Bad, mit Außenklo auf der Treppe (Die Miete kostete 23,-Mark, falls das irgendwen interessiert. Für die Geschichte hat das allerdings keinerlei Relevanz.). Die bauliche Substanz war desolat, wie im Altbau der DDR üblich. Die Mieter renovierten und reparierten selber und wer das nicht konnte, arrangierte sich mit dem Zustand.

In meinem Schlafzimmer waren die Wände feucht. Irgendwo gab es ein Leck. Dach kaputt, Dachrinne. Ich wusste es nicht. Regelmäßig floss mir das Wasser in Rinnsälen die Wände herab. Ich wischte, stellte Eimerchen auf. Ich bat sogar mal einen Freund auf´s Dach zu steigen, was er auch tat. Aber außer seinem Wagemut hatte er nichts weiter einzubringen, sodass dies auch nicht zielführend war.

Eines Tages floss das Wasser wieder fröhlich meine Wände herab, als mir auffiel, dass von draußen der schönste Sonnenschein durch meine staubigen Fenster schien. Nun bin ich nicht von der hellsten Sorte, aber irgendwie wankte die kaputte-Dachrinne-Theorie in diesem Moment sogar bei mir.

Über mir wohnte ein Rotarmist mit Gattin. Ich läutete. Er öffnete. Ich erklärte mein Problem. Er erklärte seinen Unwillen, deutsch mit mir zu sprechen. Ich wiederholte mein Klärungsbedürfnis auf russisch, was ihn wohl an seine ihn verpflichtende russische Gastfreundschaft erinnerte und er bat mich hinein.

„Schöner Wohnen“ war bei den Leuten kein Thema. Die Dame ging nie ohne roten Nagellack, Goldschmuck, Goldzähnen, onduliertem Haar und Pelz aus dem Haus. Aber wohnte in einer gänzlich leeren Wohnung mit zwei Hockern und einem Tisch. Irgendwo wird es wohl auch ein Bett gegeben haben, aber ich weiß wirklich nicht wo. Denn der Raum, der über meinem Schalfzimmer lag (ihr erinnert euch: die Nasszelle wider Willen), wäre zwar dafür prädestiniert gewesen, aber war ebenso leer. Bis auf eine Zinkwanne.

In dem Raum stand nichts außer einer alten Zinkwanne. Der Offizier erklärte mir stolz, er habe das Badezimmer selbst eingebaut! Und demonstrierte mir die Funktionalität auch sehr gern. Die Wanne wurde per Eimer mit heißem Wasser aus der Küche befüllt und die Gattin konnte sich zum Bade niederlassen. War dieser Vorgang beendet und das Wasser kalt, entstieg die Gattin und der kräftige Rotarmist kippte die Wanne einfach aus. Ins Zimmer. Er hatte in einer Ecke des Raumes irgendein Stück Rohr durch die Wand gebastelt und mit der Dachrinne verbunden (glaubte er), sodass sich eine Art Abfluss ergab. Toll, nicht?

Ich bin mir nicht ganz sicher, wie die Geschichte weiterging.

Entweder haben wir zusammen „sto gramm“ getrunken, Irina und ich haben Pelmeni- und Quarkkeulchenrezepte getauscht und ich wurde ab jetzt immer zum Baden eingeladen, während Sergej auf der Balalaika für uns spielte und traurige russische Lieder sang. Oder sie haben mich einfach zur Tür rausgeschoben und alles blieb so wie es war. Bis ich irgendwann auszog.

Ersteres würde mir besser gefallen.

 

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6 Kommentare zu “Das Wannenbad

  1. Nein, ich krampfe vor lachen oder vor weinen. Man ging’s mir gut in der DDR, ich weiß jetzt vor Schreck gar nicht mehr, warum ich damals ausgereist bin. Musste mir doch nur mit Freund und Mutti ne 2-Raum-Wohnung teilen. Freundschaft!

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    • Ja, wir habens überlebt 🙂 Aber vermutlich habe ich daher ein kleines Trauma: Ich kann mit etwas Halbsaniertem nicht umgehen. Aber Du hast es wirklich tausendmal schwerer, und dahinter kommt jetzt auch kein Smiley…

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  2. Pingback: Wurzelschaden – Nieselpriem

  3. „Die Miete kostete 23,-Mark“ …und zwar für die ganze Wohnung, nicht pro Quadratmeter. Das muss man ja inzwischen dazusagen. (Grüße von einer, die auf dem Bischofsweg geboren wurde, Tieckstraße aufgewachsen und dann nach Striesen verschleppt.)

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